L 9 KR 174/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 86 KR 2961/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 174/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 18. November 2002 wird zurückgewiesen. Es wird festgestellt, dass die Klägerin bis zum 3. September 2003 freiwilliges Mitglied der Beklagten und Pflichtmitglied der Beigeladenen geblieben ist. Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Verfahrens vor dem Landessozialgericht zu erstatten. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung der Beendigung ihrer freiwilligen Mitgliedschaft bei der beklagten Krankenkasse und ihrer Pflichtmitgliedschaft bei der beigeladenen Pflegekasse.

Die im Jahre 1951 geborene Klägerin ist selbstständige Zahnärztin. Sie ist seit dem 1. Januar 1991 freiwilliges Mitglied der Beklagten, seit dem 15. Juli 1991 wird sie hinsichtlich der Beitragsbemessung als hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige geführt. Im Jahre 2001 verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation der Klägerin erheblich. Nach ihren Angaben war hierfür vor allem eine psychische Erkrankung infolge der Trennung von ihrem damaligen Ehemann verantwortlich, aufgrund derer sie nach eigenen Angaben nur unzureichend in der Lage war, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen und ihre eigenen geschäftlichen Angelegenheiten zu regeln.

Unter dem Datum des 23. April 2001 fertigte die Beklagte einen an die Klägerin gerichteten Beitragsbescheid, in welchem für den Monat März 2001 Beiträge in Höhe von 433,44 DM (221,61 EUR) zur Krankenversicherung und in Höhe von 57,12 DM (29,20 EUR) zur Pflegeversicherung ausgewiesen waren. Zuzüglich Säumniszuschlägen, Mahngebühren und Kosten errechnete die Beklagte den noch ausstehenden Gesamtbetrag von 505,06 DM (= 258,23 EUR). Unter dem 18. Mai 2001 fertigte die Beklagte einen weiteren Beitragsbescheid, diesmal vorrangig bezogen auf den Monat April 2001. Unter Zugrundelegung eines Krankenversicherungsbeitrages von 433,44 DM (= 221,61 EUR), eines Pflegeversicherungsbeitrages von 57,12 DM (= 29,20 EUR) sowie von Säumniszuschlägen, Mahngebühren und Kosten errechnete die Beklagte für den Monat April 2001 den ausstehenden Betrag von 497,56 DM entsprechend 254,40 EUR. Gleichzeitig wies die Beklagte darauf hin, der Rückstand insgesamt betrage 1.010,12 DM (= 516,47 EUR). Außerdem enthielt dieser Bescheid folgenden wörtlichen Zusatz:

Ihre KKH-Mitgliedschaft – und damit Ihr Versicherungsschutz in der Kranken- und Pflegeversicherung – endet kraft Gesetzes und unwiderruflich zum 15.06.2001, wenn Sie Ihre Beitragsschulden bis dahin nicht ausgeglichen haben. In der gesetzlichen Krankenversicherung können Sie sich danach nicht mehr weiterversichern, auch wenn Sie die Beiträge später nachzahlen.

Nachdem weitere Zahlungen der Klägerin nicht erfolgt waren, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 18. Juni 2001 mit Ablauf des 15. Juni 2001 das Ende der freiwilligen Mitgliedschaft bei der Beklagten und zugleich das Ende der Pflichtmitgliedschaft bei der Beigeladenen fest, weil die Klägerin für zwei Monate die fälligen Beiträge trotz Hinweises auf die Folgen nicht entrichtet habe. Nachdem die Klägerin dem Ausschluss aus der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegerversicherung mehrfach telefonisch und schriftlich widersprochen und die rückständigen Beiträge überwiegend nachgezahlt hatte, bestätigte die Beklagte mit Schreiben vom 13. Juli 2001, dass nur noch Beitragsrückstände in Höhe von 264,78 DM fortbestünden. Jedoch sei das Ende der Mitgliedschaft kraft Gesetzes eingetreten und könne nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Am 29. Oktober 2001 hat die Klägern Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben. Während des anhängigen Klageverfahrens hat die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 30. November 2001 den Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen: Wenn ein freiwillig versichertes Mitglied trotz Hinweis der Krankenkasse auf die möglichen Rechtsfolgen für zwei Monate die fälligen Beiträge nicht entrichtet habe, ende nach § 191 Nr. 3 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) seine Mitgliedschaft unabhängig von einem Verschulden mit Ablauf des in der Satzung festgelegten nächsten Zahltages. Dementsprechend sei das Ende der Mitgliedschaft für die Klägerin Kraft Gesetzes am 15. Juni 2001 eingetreten. Selbst bei nachträglicher vollständiger Zahlung der Beiträge könne die Mitgliedschaft nicht wieder aufleben, ein Ermessenspielraum bestehe insoweit nicht.

Nachdem die Klägerin in dem anschließend vor dem Sozialgericht Berlin fortgesetzten Verfahren unter anderen geltend gemacht hatte, sie sei aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht in der Lage gewesen, die Rechtsfolgenhinweise der Beklagten zu verstehen, hat das Sozialgericht zur Aufklärung des Sachverhaltes in medizinischer Hinsicht einen Befundbericht der behandelnden Ärzte für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. und B. eingeholt, der am 15. März 2002 erstellte wurde. Nach vorangegangener Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid vom 18. November 2002 den Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchesbescheides vom 30. November 2001 aufgehoben: Rechtsgrundlage für die Beendigung der freiwilligen Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten sei § 191 Nr. 3 SGB V. Jedoch habe die Beklagte den nach dieser Vorschrift erforderlichen ausdrücklichen Rechtsfolgenhinweis nicht in ausreichender Weise erteilt. Eine Krankenkasse genüge ihrer Hinweispflicht nicht, wenn sie der Versicherten nur mitteile, dass die Mitgliedschaft bei ihr wegen der Beitragsrückstände für 2 Monate mit Ablauf des nächsten Zahltages ende. Der Hinweis müsse auch die Information enthalten, dass die Versicherte zugleich aus dem gesamten System der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen werde und das Recht verliere, Mitglied einer anderen gesetzlichen Krankenkasse zu werden, solange sie die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft nicht neu erfülle. Die Beklagte habe jedoch die Klägerin nicht deutlich darauf hingewiesen, dass ihr Zahlungsverzug den Ausschluss aus dem gesamten System der gesetzlichen Krankenversicherung zur Folge habe. Dabei habe das Gericht insbesondere auch berücksichtigt, dass die Klägerin nach Lage der Akten im Jahre 2001 psychisch erkrankt gewesen sei und deshalb dem genauen Inhalt des von § 191 Nr. 3 SGB V geforderten Rechtsfolgenhinweises eine besondere Bedeutung zukomme.

Gegen diesen ihr am 25. November 2002 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 12. Dezember 2002 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Sie macht geltend, der Rechtsfolgenhinweis sei zureichend erfolgt, außerdem habe die Klägerin wissentlich die Hinweise ignoriert.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 18. November 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen sowie festzustellen, dass die Klägerin bis zum 3. September 2003 freiwilliges Mitglied der Beklagten und Pflichtmitglied bei der Beigeladenen geblieben ist.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und die jetzt ausdrücklich beantragte Feststellung des Fortbestehens ihrer Mitgliedschaft für sachdienlich.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, welche im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben, denn sie sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.

Die rechtliche Beurteilung des Ausschlusses der Klägerin aus der freiwilligen Krankenversicherung beurteilt sich ausschließlich nach § 191 Nr. 3 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2001 gültigen Fassung, weil das gesamte Verwaltungsverfahren noch unter Geltung dieser Fassung der Vorschrift durchgeführt wurde. Hiernach endete die freiwillige Mitgliedschaft eines Mitgliedes mit Ablauf des nächsten Zahltages, wenn für zwei Monate die fälligen Beiträge trotz Hinweises auf die Folgen nicht entrichtet wurden. Diese Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin zum 15. Juni 2001 jedoch nicht erfüllt gewesen, weil die Beklagte den vorgenannten Hinweis auf die Folgen nicht in der erforderlichen Weise getätigt hat.

In diesem Zusammenhang kann der Senat offen lassen, ob die Formulierung, die die Beklagte in ihrem Bescheid vom 18. Juni 2001 verwendete, den damaligen gesetzlichen Vorgaben entsprach. In der heutigen Gesetzesfassung jedenfalls würde diese Formulierung den gesetzlichen Vorgaben nicht entsprechen. Denn mit Wirkung vom 1. Januar 2001 hat der Gesetzgeber durch Bundesgesetz vom 14. November 2003 (Bundesgesetzblatt I Seite 2190) einen Satz 2 an die Vorschrift des § 191 angefügt. Danach ist im Falle des Satzes 1 Nr. 3 das Mitglied insbesondere darauf hinzuweisen, dass nach dem Ende der Mitgliedschaft eine freiwillige Versicherung auch bei einer anderen Krankenkasse ausgeschlossen ist, sowie darauf, dass unter den Voraussetzungen des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches die Übernahme von Krankenversicherungsbeiträgen durch den Träger der Sozialhilfe möglich ist. Auch wenn diese Vorschrift erst mit Wirkung vom 1. Januar 2004 in Kraft gesetzt wurde, enthält sie in ihrem ersten Teil möglicherweise lediglich eine Klarstellung eines bereits vorher bestehenden Rechtszustandes. So hat das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt durch Beschluss vom 14. November 2001, L 4 B 11/01 KR ER, NZS 2002, Seite 600 bereits ausgeführt, dass eine Krankenkasse ihrer Hinweispflicht nach § 191 Nr. 3 alter Fassung SGB V nicht genüge, wenn sie der Versicherten nur mitteile, dass die Mitgliedschaft bei ihr wegen der Beitragsrückstände für 2 Monate mit Ablauf des nächsten Zahltages ende. Der Hinweis müsse auch die Information enthalten, dass die Versicherte zugleich aus dem gesamten System der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen werde und das Recht verliere, Mitglied einer anderen gesetzlichen Krankenkasse zu werden, so lange sie die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft nicht neu erfülle. Den Gesetzgebungsmaterialien für die gesetzliche Neuregelung, die letztlich zur Einfügung des vorgenannten Satzes 2 der Vorschrift mit Wirkung vom 1. Januar 2004 führte, ist zu entnehmen, dass vor dem Hintergrund dieser vorgenannten Entscheidung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vermieden werden sollte, dass in den einzelnen Landessozialgerichtsbezirken unterschiedliche Anforderungen an die Hinweispflichten der Krankenkassen gestellt würden, und dass deshalb eine gesetzliche Klarstellung erforderlich sei (Bundestagsdruchsache 15/1525, Seite 137 zu Nr. 135). Vor diesem Hintergrund ist der Senat davon überzeugt, dass bereits vor Änderung des § 191 SGB V und damit noch vor Anfügung des jetzigen, die Hinweispflicht klarstellenden Satzes 2 der Vorschrift die Krankenkassen verpflichtet gewesen sind, die Versicherten in unmissverständlicher Form darauf hinzuweisen, dass das Ende ihrer freiwilligen Mitgliedschaft zugleich für sämtliche anderen gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland gilt. Es kann auch Einiges dafür sprechen, dass die Beklagte vorliegend – wie es das Sozialgericht ausgeführt hat – dieser Hinweispflicht durch die vorliegend gewählten Formulierungen nicht Genüge getan hat.

Jedoch kann dies letztlich unentschieden bleiben, denn die Beklagte ist ihrer Hinweispflicht schon aus anderem Grunde nicht hinreichend nachgekommen. Der Sinn eines Hinweises nach § 191 Nr. 3 alter Fassung SGB V besteht nämlich darin, dem Versicherten noch die Möglichkeit zu geben, vor Eintritt der gesetzlichen Rechtsfolge der Beendigung der Mitgliedschaft in der Krankenversicherung durch Nachzahlung der rückständigen Krankversicherungsbeiträge ein Fortbestehen der Mitgliedschaft zu erreichen. Dementsprechend muss dem Versicherten im Zusammenhang mit dem Rechtsfolgenhinweis auch eine hinreichende Nachfrist gesetzt werden, innerhalb derer er in der Lage ist, die Nachzahlung zu bewirken (Peters, in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 191 SGB V, RdNr. 13). Dies setzt unter anderem voraus, dass der Rechtsfolgenhinweis mit der Nachfristsetzung nachweislich zu einem Zeitpunkt bei dem Versicherten eingeht, bei dem er in der Lage ist, die Nachzahlung der Krankenversicherungsbeiträge noch zu bewirken. In diesem Zusammenhang hat das Sozialgericht die Frage aufgeworfen, ob die Klägerin aufgrund ihrer psychischen Erkrankung überhaupt in der Lage war, den Rechtsfolgenhinweis der Beklagten mit der Nachfristsetzung im Bescheid vom 18. Mai 2001 zu verstehen. Auch dies aber kann letztlich offen bleiben, denn es ist jedenfalls nicht nachweisbar, dass die Klägerin den Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2001 rechtzeitig vor Fristablauf zum 15. Juni 2001 erhalten hat. Weder aus den Verwaltungsakten der Beklagten noch aus dem sonstigen, der Entscheidung des Senats zugrunde liegenden Prozessstoff lässt sich feststellen, ob überhaupt und vor allem zu welchem Zeitpunkt der Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2001 der Klägerin zugegangen ist. In den Verwaltungsakten der Beklagten findet sich kein Absendevermerk, desgleichen fehlt ein Empfangs- oder Zustellnachweis. Die Klägerin hat auf diesen Bescheid vom 18. Mai 2001 gegenüber der Beklagten auch nicht reagiert, eine erste Reaktion der Klägerin erfolgte erst nach Erhalt des Bescheides vom 15. Juni 2001 durch Telefonat vom 26. Juni 2001.

Aus den oben genannten Gründen wäre es jedoch zwingend erforderlich gewesen, dass die Klägerin rechtzeitig vor Ablauf der Frist am 15. Juni 2001 den Rechtsfolgenhinweis der Beklagten erhalten hätte und hierdurch in den Stand versetzt worden wäre, innerhalb angemessener Frist die Nachzahlung noch zu bewirken. Das die Beklagte der Klägerin diese Möglichkeit überhaupt eröffnet hat, lässt sich indessen nicht mehr feststellen, die Beweislosigkeit hinsichtlich dieses Umstandes wirkt sich nach den Regeln der objektiven Beweislast zum Nachteil der Beklagten aus.

Dadurch, dass Kraft Gesetzes das freiwillige Mitgliedschaftsverhältnis der Klägerin zur Beklagten nicht geendet hat, besteht dieses Kraft Gesetzes auch über den 15. Juni 2001 unverändert fort. Aufgrund ihrer freiwilligen Mitgliedschaft bei der Beklagten ist die Klägerin gleichfalls Pflichtmitglied der Beigeladenen geblieben gemäß § 20 Abs. 3 Sozialgesetzbuch/Elftes Buch.

2. Die erst im Berufungsverfahren im Wege der Klageerweiterung beantragte Feststellung, dass die Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten und der Beigeladenen fortbesteht, war antragsgemäß auszusprechen. Diese Klageerweiterung ist zulässig gemäß § 99 SGG, weil die Beklagte ihr zugestimmt hat und sie zudem auch sachdienlich ist, denn hierdurch kann ein Folgerechtsstreit vermieden werden. Der Feststellungsantrag ist aus den vorgenannten Gesichtspunkten auch begründet.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache selbst. Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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