L 28 B 176/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 13 AS 61/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 B 176/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 17. Januar 2007 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Das Aktivrubrum war zu ändern. Gegenstand des vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens sind bei sachgerechter Auslegung des erstinstanzlich geltend gemachten Begehrens zunächst die Anträge der in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragsteller zu 1) und zu 2) auf Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - des Sozialgesetzbuches (SGB II) für den Bewilligungszeitraum ab dem 1. Januar 2007. Der Antragsteller zu 1) kann als Mitglied dieser Bedarfsgemeinschaft neben seinem Anspruch nicht auch den Anspruch der Antragstellerin zu 2) im eigenen Namen mit einer Klage oder, wie im vorliegenden Verfahren, mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verfolgen, sondern jedes Mitglied muss seine Ansprüche im eigenen Namen geltend machen (vgl. Urteile des Bundessozialgerichts vom 7. November 2006 - L 7b AS 8/06 R - und - L 7b AS 10/06 - sowie bereits Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Mai 2006 - L 10 AS 102/06 -). Die Bevollmächtigung des Antragstellers zu 1) für das vorliegende Verfahren konnte dabei unterstellt werden (§ 73 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Soweit der Antragsgegner ausweislich des ("Änderungs"-) Bescheides vom 12. Oktober 2006 (AKZ: 5248.01.0132) sowie des Bewilligungsbescheides vom 12. Oktober 2006 (AKZ: 52.01.1021550) ausschließlich dem Antragsteller zu 1) u. a. für September 2006 und den sich anschließenden Bewilligungszeitraum vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. Dezember 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährt hat, entspricht dies nicht § 9 Abs. 2 Satz 3 des SGB II. Danach gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, wenn nicht der gesamte Bedarf der Bedarfsgemeinschaft gedeckt ist. Die Hilfebedürftigkeit des individuell nicht Bedürftigen wird durch diese Regelung, in verfassungsrechtlich zulässiger Weise fingiert (vgl. Urteile des Bundessozialgerichts, a. a. O.) Da der Antragsgegner die Leistungen entgegen dieser Vorschrift aber ausschließlich dem Antragsteller zu 1) gewährt hat, hat der Antragsgegner den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 2. Januar 2007 zutreffend auch lediglich an den Antragsteller zu 1) gerichtet. Soweit sich das Rechtsschutzbegehren daher sinngemäß gegen diesen Bescheid richtet, kann der Antragsteller dieses Verfahren insoweit isoliert im eigenen Namen betreiben.

Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 17. Januar 2007 ist aber insgesamt unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antrag der Antragsteller vom 8. Januar 2007 auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu Recht abgelehnt.

Soweit sich der Antragsteller zu 1) im Rahmen dieses einstweiligen Rechtsschutzverfahrens sinngemäß gegen den "Bescheid (des Antragsgegners) über die Rücknahme eines Leistungsbescheides und die Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen " vom 2. Januar 2007 wendet, ist er auf den begehrten vorläufigen Rechtsschutz nicht angewiesen. Der Antragsteller zu 1) hat gegen diesen Bescheid Widerspruch erhoben. Dieser Widerspruch hat, soweit er sich gegen die Erstattungsforderung richtet gemäß § 86 a Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufschiebende Wirkung. § 39 Nr. 1 SGB II, nach dem Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung haben, findet auf Erstattungsbescheide keine Anwendung (Beschlüsse des Landssozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg vom 30. Oktober 2006 - L 19 B 765/06 AS ER - und vom 28. Juli 2006 - L 14 B 350/06 AS ER -, jeweils m. w. Nachw.). Diese Auffassung vertritt im Übrigen auch ausweislich seiner Beschwerdeerwiderung vom 12. Februar 2007 der Antragsgegner. Der Antragsteller zu 1) muss daher die von ihm geforderten 2137,52 EUR bis zu einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung zunächst nicht zurückzahlen.

Soweit sich der Widerspruch des Antragstellers zu 1) gegen die in dem Bescheid vom 2. Januar 2007 verfügte Aufhebung der (Bewilligungs-) Bescheide vom 12. Oktober 2006 richtet, kommt dem Widerspruch allerdings nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG in Verbindung mit § 39 Abs. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung zu. (Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 28. Juli 2006, a. a. O.). Insoweit mag die Aufhebungsentscheidung des Antragsgegners unmittelbar vollziehbar sein. Dies hat aber für den Antragssteller zu 1) keine Auswirkung, weil der Antragsgegner dem Antragsteller - und nicht seiner mit ihm in einer Bedarfgemeinschaft lebenden Ehefrau - mit Bescheiden vom 12. Oktober 2006 ausschließlich für die Bewilligungszeiträume bis zum 30. September 2006 und vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. Dezember 2006 ("Dieser Bewilligungsbescheid gilt bis zum 31. 12. 2006. Gewährung für drei Monate, da noch aktuelle Unterlagen angefordert werden und Änderungen bevorstehen") Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährt und auch ausgezahlt hat.

Bei der mit weiterem Bescheid vom 2. Januar 2007 von dem Antragsgegner verfügten "Einstellung von laufenden Leistungen nach dem SGB II" handelt es sich daher in der Sache um einen, einen Anspruch der Antragsteller auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Bewilligungszeitraum ab dem 1. Januar 2007 ablehnenden Bescheid.

Soweit die Antragsteller begehren, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen von diesem Zeitpunkt an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren, fehlt es an dem nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG erforderlichen Anordnungsgrund. Denn insoweit besteht keine besondere Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich machen würde. Die Antragsteller haben - auch nach Erhalt der Entscheidung des Sozialgerichts, die unter anderem auf das Fehlen des Anordnungsgrundes gestützt war - keine Umstände vorgetragen, die einen Anordnungsgrund begründen können.

In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO], 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 RdNrn. 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, S. 1236 und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, S. 803). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.

Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Absatz 4 GG in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine - stattgebende - Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen. Derartige Umstände haben die Antragsteller jedoch nicht vorgetragen, sie sind auch nicht sonst ersichtlich. Dies bedeutet gleichzeitig, dass insoweit effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren erlangt und den Antragstellern ein Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache zugemutet werden kann.

Auch für die Zeit nach der Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren fehlt es an dem erforderlichen Anordnungsgrund. Der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ist auch für diesen Zeitraum nicht nötig, weil nicht ersichtlich ist, dass den Antragstellern durch die Versagung der begehrten einstweiligen Anordnung unmittelbar wesentliche Nachteile drohen, die nicht durch eine Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren wieder rückgängig gemacht werden könnten. Sie müssen sich deshalb zunächst auf das Widerspruchsverfahren und gegebenenfalls auf ein sich anschließendes Klageverfahren verweisen lassen. Das Sozialgericht hat in dem angefochtenen Beschluss zutreffend darauf hingewiesen, dass die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht haben, dass neben dem Einkommen der Antragstellerin zu 2) selbst Restbeträge der ihnen im September 2006 zugeflossenen Steuerrückerstattung in Höhe 3.145,60 EUR nicht mehr zur Sicherung ihres Lebensunterhalts zur Verfügung stehen. Der Senat sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab, und weist die Beschwerde aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Das Beschwerdevorbringen vermag an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nichts zu ändern. Die Antragsteller haben sich insoweit im Kern auf Ausführungen zu der materiell-rechtlichen Frage beschränkt, ob die Steuerrückerstattung als Einkommen oder als Vermögen zu behandeln ist. Abgesehen davon, dass der von den Antragstellern insoweit zitierte Beschluss des Sozialgerichts Leipzigs vom 16. August 2005 - S 9 AS 405/05 ER -, nach dem eine Steuererstattung als zugeflossenes Vermögen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu bewerten und daher nicht als Einkommen anzurechnen sei, mit Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichts vom 14. März 2006 - L 3 B 223/05 AS ER - aufgehoben worden ist, vermag dieses Vorbringen einen Anordnungsgrund nicht zu begründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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