L 22 R 299/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 30 RJ 1823/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 R 299/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 03. Februar 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1955 geborene Klägerin, die keinen Beruf erlernte, arbeitete nach ihren Angaben von 1979 bis 1981 als Arbeiterin in der Süßwarenindustrie und von 1982 bis zumindest November 2003 als Reinigungskraft.

Nachdem die Klägerin seit dem 17. Juni 2002 durchgehend arbeitsunfähig war, ließ die AOK Berlin sie am 17. April 2003 durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse Berlin-Brandenburg MDK begutachten. Dort wurde eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit angenommen und es wurden Rehabilitationsmaßnahmen empfohlen. Daraufhin gewährte die Beklagte ihr eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation in der Reha Klinik L in Bad S, die am 22. Juli 2003 angetreten und am 25. Juli 2003 abgebrochen wurde. Es wurde eine schwere depressive Episode mit akuter Suizidgefährdung diagnostiziert. Daneben stellten die Kurärzte Beschwerden am Skelettsystem und einen diätetisch eingestellten Diabetes mellitus fest. Empfohlen wurde eine stationäre Behandlung, eine Psychotherapie, ein Funktionstraining und Gewichtsreduktion. Die Klägerin könne als Reinigungskraft sechs Stunden und mehr arbeiten.

Danach wurde die Klägerin in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Vivantes Klinikums N vom 25. Juli 2003 bis zum 05. August 2003 behandelt. Die Entlassung erfolgte ohne Suizid- oder Fremdgefährdung.

Am 10. November 2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung und begründete dies damit, wegen orthopädischer und neurologischer Leiden könne sie keinerlei Arbeiten mehr verrichten.

Die Beklagte holte Unterlagen der die Klägerin behandelnden Ärzte ein und ließ sie durch die Internistin Dr. K begutachten. Diese untersuchte die Klägerin am 06. April 2004 und erstattete ihr Gutachten unter dem Datum vom 12. April 2004. Darin stellte sie die Diagnosen Behandelte chronische Bronchitis, Diabetes mellitus ohne Folgeerkrankungen, behandelte Hyperthyreose, Varikosis, Stressinkontinenz, Hörminderung, Operation nach Bandi an beiden Kniegelenken, Chondropathie, mäßige funktionelle Einschränkungen des rechten Kniegelenks, Rezidivierendes muskuläres Halswirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulensyndrom, Persönlichkeitsstörung mit Somatisierung. Sie gelangte zu der Auffassung, die Klägerin könne nur noch körperlich leichte Tätigkeiten verrichten, diese aber seien ihr vollschichtig zumutbar. Es seien lediglich qualitative Einschränkungen zu beachten. An das Richtungshören sollten keine besonderen Anforderungen gestellt werden und die Arbeiten sollten nicht unter dauerhaft erhöhtem Zeitdruck erfolgen. Auch seien das vermehrte Bücken oder Knien und extreme Umwelteinflüsse zu vermeiden.

Die Beklagte holte ein weiteres Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet ein, das Frau Dr. S am 17. Mai 2004 verfasste. Diese stellte die Diagnosen neurotische Depression und anhaltende somatoforme Schmerzstörung und schloss sich der Leistungsbeurteilung der internistischen Sachverständigen an.

Gestützt auf diese Feststellungen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Mai 2004 den Rentenantrag der Klägerin ab.

Hiergegen richtete sich der Widerspruch vom 22. Juni 2004, den die Klägerin damit begründete, die Beklagte habe ihr Leistungsvermögen zu günstig eingeschätzt.

Daraufhin ließ die Beklagte die Klägerin durch den Chirurgen und Sozialmediziner P untersuchen, der sein Gutachten nach einer Untersuchung der Klägerin am 22. Juli 2004 an diesem Tag verfasste. Er diagnostizierte eine Cervicalgie, ein pseudoradikuläres lumbales Schmerzsyndrom und eine Gonalgie beidseits bei Zustand nach Bandi-Operation. Ausschlaggebend sei seiner Auffassung nach die neurologisch-psychiatrische Situation. Aus seiner Sicht könne die Klägerin leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr täglich verrichten.

Daraufhin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2004 den Widerspruch der Klägerin zurück. Diese sei auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar und dort könne sie noch leichte Tätigkeiten vollschichtig verrichten, so dass ein Rentenanspruch nicht bestehe.

Hiergegen hat sich die am 13. September 2004 beim Sozialgericht Berlin erhobene Klage gerichtet, mit der die Klägerin vorträgt, bei ihr sei ein Grad der Behinderung GdB - von 70 anerkannt worden und sie sei aufgrund ihrer multiplen Erkrankungen nicht in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Beklagte ist dem unter Hinweis auf die Ausführungen in ihrem angefochtenen Widerspruchsbescheid und das Ergebnis der Beweisaufnahme des Sozialgerichts entgegengetreten.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt und den Neurologen und Psychiater Dr. B zum Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Gutachtens über das der Klägerin verbliebene Leistungsvermögen beauftragt.

In dem am 14. Juli 2005 beim Sozialgericht eingegangenen Gutachten stellt der Sachverständige auf seinem Fachgebiet die Diagnosen einer anhaltenden depressiven Störung in Form einer Dysthymia (in alter Terminologie depressiv-hysterische Neurose) und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Die Dysthymia äußere sich in einer anhaltenden depressiv-dysphorischen Verstimmung leichten bis allenfalls mittelgradigen Ausmaßes, agitierter Klagsamkeit, Freudlosigkeit, Libidoverlust, aber auch vermehrter Reizbarkeit, Aggressivität und Vorwürflichkeit, Schlafstörungen, Pseudohalluzinationen, Ängsten, coenästhetischen Beschwerden, Kopfschmerzen und Schwindel als psychovegetative Somatik, neurologisch nicht erklärbare Sensibilitätsstörungen im gesamten rechten Bein als Konversionssymptomatik, Gedanken von Lebensüberdruss und Suizidversuchen. Bei offenbar schwierigsten familiären Verhältnissen habe die Erkrankung einen chronischen Verlauf genommen. Sie sei grundsätzlich behandelbar und günstig zu beeinflussen, ohne dass eine vollständige Remission zu erwarten sei.

Die anhaltende somatoforme Schmerzstörung äußere sich in Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule und der Kniegelenke, die durch die vorhandenen degenerativen Erkrankungen nicht hinreichend erklärt werden könnten. Auch diese Erkrankung habe sich auf dem Hintergrund der schwierigen persönlichen Lebensverhältnisse entwickelt und einen chronischen Verlauf genommen. Auch sie sei durch therapeutische Maßnahmen noch günstig zu beeinflussen. Trotz der subjektiv ausgeprägten Symptomatik führten beide Erkrankungen lediglich zu qualitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens, nicht jedoch zu quantitativen, wenn man die Alltagsaktivitäten und den nicht übermäßig stark ausgeprägten Leidensdruck der Klägerin berücksichtige.

Daraus ergebe sich eine Leistungsbeurteilung dahingehend, dass die Klägerin noch, ohne auf Kosten der Gesundheit zu arbeiten, täglich regelmäßig acht Stunden körperlich leichte Arbeiten unter Vermeidung extremer Umwelteinflüsse verrichten könne. Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 03. Februar 2006 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme könne die Klägerin, die nach ihrem beruflichen Werdegang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei, dort noch vollschichtig mit leichten Tätigkeiten betraut werden, so dass ein Rentenanspruch nicht bestünde.

Gegen diesen dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 13. Februar 2006 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich dessen Berufung vom 24. Februar 2006, die damit begründet wird, die Klägerin sei nicht erwerbsfähig.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 03. Februar 2006 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Mai 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2004 zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und durch die Ermittlungen des Senats für bestätigt.

Der Senat hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte beigezogen und sodann Dr. B mit der Erstattung eines Verlaufsgutachtens unter Berücksichtigung der neu eingeholten Unterlagen beauftragt. Dr. B hat das Gutachten unter dem Datum vom 08. November 2006 erstattet und darin ausgeführt, die nachgereichen Befundberichte seien nicht geeignet, die in seinem primären Gutachten abgegebene Stellungnahme abzuändern. Einige der beigebrachten Atteste hätten seiner primären Begutachtung bereits zugrunde gelegten; im Übrigen ergeben sich keine neuen Gesichtspunkte. Die dort dargelegten Erkrankungen und deren Auswirkungen seien in seinen Gutachten berücksichtigt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten () verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Bescheid vom 28. Mai 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2004 ist rechtmäßig. Die Klägerin ist nicht einmal teilweise erwerbsgemindert, somit erst recht nicht voll erwerbsgemindert.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auch Versicherte, die

1. vor dem 02. Januar 1961 geboren und 2. berufsunfähig sind (§ 240 Abs. 1 SGB VI).

Berufsunfähig im Sinne des § 240 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 240 Abs. 2 SGB VI).

Die Klägerin ist hiernach nicht einmal teilweise erwerbsgemindert, insbesondere nicht berufsunfähig. Sie mag zwar als Reinigungskraft nicht mehr tätig sein können. Darauf kommt es jedoch nicht an, denn die Klägerin muss sich - ohne dass eine entsprechende Tätigkeit benannt werden muss - auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen, die sie noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann.

Ausgangspunkt der Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist der bisherige Beruf. Dies ist im Fall der Klägerin derjenige einer Reinigungskraft. Diese Tätigkeit dürfte die Klägerin nicht mehr ausüben können, da sie zumindest mittelschwere Arbeitsanteile umfasst. Dies vermag ihrem Begehren jedoch nicht zum Durchbruch zu verhelfen, denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) werden die Arbeiterberufe in vier Gruppen eingeteilt, wobei auch eine Verweisung auf die jeweils nächst niedrigere Gruppe zumutbar ist.

Die Klägerin ist mit dem Ausgangsberuf der Reinigungskraft in die Gruppe, der dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzuordnenden ungelernten Arbeiter, einzugruppieren. Innerhalb des allgemeinen Arbeitsmarktes sind ihr alle ihrem Leistungsvermögen entsprechenden Tätigkeiten zumutbar, ohne dass eine Tätigkeit zu benennen wäre.

Zur Überzeugung des Senats kann die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten unter Vermeidung extremer Umwelteinflüsse noch vollschichtig verrichten. Dies ergibt sich aus den Gutachten im Verwaltungs-, im erstinstanzlichen und im Berufungsverfahren. Die Klägerin ist im Verwaltungsverfahren von drei Ärzten untersucht worden, ohne dass eine Leistungseinschränkung dahingehend festgestellt wurde, dass sie leichte Tätigkeiten nicht mehr vollschichtig verrichten könnte. Diese Beurteilungen sind im gerichtlichen Verfahren bestätigt worden. Zunächst hat im erstinstanzlichen Verfahren die Sachverständige Dr. K dargelegt, dass der Klägerin aufgrund ihrer körperlichen Leiden eine leichte Tätigkeit vollschichtig zuzumuten sei. Der Sachverständige Dr. B gelangte zur selben Auffassung.

Im Berufungsverfahren sind weitere ärztliche Unterlagen eingeholt worden und dem Sachverständigen Dr. B sind diese sowie die Darlegungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin hierzu zur Erstattung eines ergänzen den Gutachtens zugeleitet worden. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass die neu beigezogenen Unterlagen im Wesentlichen bereits bei der Erstattung des Ausgangsgutachtens bekannt gewesen seien und im Übrigen über vorübergehende Erkrankungen, nicht jedoch über dauerhafte Leistungseinschränkungen berichteten. Wenn er dies mit einem Vergleich dieser Unterlagen mit seinem Primärgutachten, gegen den die Klägerin auch keine Einwände mehr erhoben hat, begründet, überzeugt dies. Von daher hat der Senat keine Veranlassung, an den Darlegungen des Sachverständigen Dr. B zu zweifeln.

Kann die Klägerin somit vollschichtig, jedenfalls mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten verrichten, so liegt weder Berufsunfähigkeit noch teilweise Erwerbsminderung vor.

Dementsprechend kann die Klägerin erst recht nicht voll erwerbsgemindert sein, da dies noch weitergehende Beeinträchtigungen des körperlichen Leistungsvermögens voraussetzte.

Die Berufung der Klägerin kann somit insgesamt keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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