L 6 RA 94/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 13 RA 875/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 6 RA 94/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. August 2002 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreites zu 1/4 zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der geborene Kläger begehrt von der Beklagten, die seit dem 01. Oktober 2005 Deutsche Rentenversicherung Bund Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme heißt, die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) für die Zeit vom 01. August 1974 bis zum 1. März 1990 sowie der während dieses Zeitraums tatsächlich erzielten Arbeitsverdienste.

Er erlangte im August 1974 nach erfolgreichem Studium an der Ingenieurschule für P "O G" L die Berechtigung, die Berufsbezeichnung Ingenieurökonom in der Fachrichtung Polygrafie zu führen. Vom 8. Januar 1975 bis zum 1. März 1990 war er beim Druckkombinat B, einem Parteibetrieb der ehemaligen SED sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Dieser Betrieb war der Vereinigung organisationseigener Betriebe (VOB) der Zentralen Druckerei, (Zentrag) unterstellt. Ab dem 2. März 1990 wurde dieser Betrieb, in dem der Kläger weiterhin tätig war, in Volkseigentum überführt und firmierte unter "VEB "; ab diesem Zeitpunkt wurde der Betrieb dem Ministerium für Kultur unterstellt. Eine Einbeziehung des Klägers in ein Zusatzversorgungssystem war nicht erfolgt.

Im November 1999 beantragte er beim beklagten Zusatzversorgungsträger, seine Beschäftigungszeiten in der DDR vom 01. August 1974 bis zum 30. Juni 1990 festzustellen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 19. September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Januar 2001).

Die anschließend vor dem Sozialgericht (SG) Berlin erhobene Klage ist ohne Erfolg geblieben (Urteil vom 21. August 2002), mit der der Kläger die Feststellung der streitigen Zugehörigkeitszeiten sowie die während dieser Zeiten erzielten Arbeitsentgelte begehrt hatte. Zur Begründung hat das SG im Kern ausgeführt, der Anspruch des Klägers scheitere daran, dass er bereits vom persönliche Anwendungsbereich des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG), der in § 1 AAÜG bestimmt werde, nicht erfasst werde, da es sich bei dem Beschäftigungsbetrieb des Klägers am 30. Juni 1990 um einen Parteibetrieb und damit weder um einen volkseigenen Betrieb noch um einen gleichgestellten Betrieb im Sinne der einschlägigen Vorschriften gehandelt habe.

Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte, nachdem der Kläger einen vollständigen Auszug aus dem Register der volkseigenen Wirtschaft vorgelegt hatte, unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. Juni 2003 (B 4 RA 1/03 R) zum Parteibetrieb Interdruck ein Teilanerkenntnis abgegeben und sich verpflichtet, die im Zeitraum 2. März 1990 bis zum 30. Juni 1990 zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten sowie die darin erzielten Arbeitsentgelte in Anwendung des AAÜG vorzumerken; dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger angenommen. Entsprechend dem Teilanerkenntnis hat die Beklagte mit Bescheid vom 28. Februar 2005 den Zeitraum vom 2. März 1990 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der AVItech sowie die während dieses Zeitraumes erzielten Arbeitentgelte festgestellt; Tatbestandsvoraussetzungen für eine besondere Beitragsbemessungsgrenze hat sie nicht festgestellt (§§ 5 ff AAÜG). Darüber hinaus hat sie festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 1 AAÜG erfüllt sind.

Der Kläger macht geltend, sein Anspruch sei auch vor dem 2. März 1990 begründet. Das Druckkombinat Berlin habe "materiell produziert". Es sei daher einem volkseigenen Betrieb zumindest gleichzustellen. Die Beklagte habe im Übrigen einem ehemaligen Kollegen gegenüber mit Bescheid vom 30. Dezember 2002 Zugehörigkeitszeiten vom 15. Juli 1963 bis zum 30. Juni 1990 sowie die während dieses Zeitraums erzielten Arbeitsentgelte festgestellt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. August 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Januar 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 01. August 1974 bis zum 1. März 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVItech sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den jetzt noch verfolgten Anspruch für nicht gegeben. In dem vom Kläger zitierten Fall seines ehemaligen Kollegen habe die Prüfung ergeben, dass der bezeichnete Feststellungsbescheid zu Unrecht ergangen sei. Einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht gebe es nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, und die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Dem vom Kläger gestellten Antrag, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, war schon deshalb nicht zu entsprechen, weil dies gemäß § 251 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) iVm § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einen auf dasselbe Ziel gerichteten Antrag der Gegenseite voraussetzt, den die Beklagte hier nicht gestellt hat.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Streitgegenstand (im Sinne von § 123 SGG) ist aufgrund des angenommenen Teilanerkenntnisses nur noch der erhobene Anspruch auf Feststellung von Zugehörigkeitszeiten vom 01. August 1974 bis zum 1. März 1990 sowie der während dieses Zeitraums erzielten Arbeitsverdienste (§ 8 Abs 3 Satz 1 iVm Abs 1 und 2 AAÜG); hinsichtlich des ursprünglich weitergehenden Anspruches ist der Streit in der Hauptsache erledigt (§ 101 Abs 2 SGG). Soweit das angenommene Teilanerkenntnis reicht, ist das Urteil des SG wirkungslos geworden; insoweit bedarf es keiner ausdrücklichen Aufhebung des Urteils (entsprechend § 269 Abs 3 Satz 1 ZPO).

Die zur Durchsetzung dieses Begehrens erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) ist zulässig. Gegenstand der Anfechtungsklage (im Sinne von § 95 SGG) ist der Bescheid der Beklagten vom 19. September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Januar 2001 allerdings nur noch, soweit darin eine ablehnende Entscheidung für den Zeitraum vom 1. August 1974 bis zum 1. März 1990 getroffen worden ist. Denn für den sich anschließenden, ursprünglich ebenfalls streitigen Zeitraum ist der nämliche Bescheid durch die im Bescheid vom 28. Februar 2005 enthaltene Feststellung von Zugehörigkeitszeiten samt der entsprechenden Verdienste (im Sinne von § 39 Abs 2 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch (SGB X)) ersetzt und damit gegenstandslos geworden. Der Bescheid vom 28. Februar 2005 ist nicht Gegenstand der Anfechtungsklage gemäß § 96 Abs 1 SGG geworden, da diese Regelung auf einen (Teil-)Abhilfebescheid - und um einen solchen handelt es sich bei diesem Bescheid - keine Anwendung findet (BSG SozR 1500 § 96 Nr 12 S 16 f). Obwohl das Begehren auf Feststellung der während des jetzt noch streitigen Zeitraumes erzielten Arbeitsverdienste nicht ausdrücklich Gegenstand des klägerischen Antrags im Verwaltungsverfahren war und die Beklagte hierüber im angefochtenen Bescheid (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides) nicht ausdrücklich -negativ - entschieden hat, stehen prozessuale Gründe einer Sachentscheidung des Senats auch insoweit nicht entgegen. Denn da die für dieses Begehren entscheidende Vorfrage des Vorliegens von "Zugehörigkeitszeiten" abschlägig beschieden und damit auch die hiervon abhängigen Ansprüche auf kalenderjährliche Feststellungen von Arbeitsverdiensten abgelehnt wurde, ist davon auszugehen, dass dieses Begehren auch bei der materiell-rechtlichen Prüfung im Verwaltungsverfahren Berücksichtigung gefunden hat.

Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist in dem jetzt noch anhängigen Umfang nicht begründet, weswegen das SG sie im Ergebnis zu Recht abgewiesen hat. Das AAÜG ist in zwar in erweiternder verfassungskonformer Auslegung des § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG (dazu: BSG SozR 4-8570 § 5 Nr 6 RdNr 7 mwN) auf den Kläger anwendbar, weil die Beklagte im Bescheid vom 28. Februar 2005 bindend (§ 77 SGG) festgestellt hat, dass am 30. Juni 1990 alle Voraussetzungen für die Einbeziehung nach § 1 Abs 1 AAÜG vorgelegen haben (so genannte Statusfesstellung). Damit steht materiell-rechtlich fest, dass eine fiktive Versorgungsberechtigung des Klägers besteht, sodass die §§ 5 bis 8 AAÜG auf ihn anwendbar sind (vgl BSG aaO). Demzufolge stellt sich allein noch die Frage, ob der Kläger im Zeitraum 01. August 1974 bis zum 1. März 1990 die Voraussetzungen für die positive Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zum Versorgungssystem der AVItech und der in diesen Zeiten erzielten Arbeitsentgelten erfüllt hat. Diese Frage ist jedoch zu verneinen. Maßstabsnorm ist § 5 Abs 1 Satz 1 AAÜG. Diese Norm ordnet die Gleichstellung von Zeiten mit Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung ("gelten als") an, in denen der (zum 1. August 1991) "Versorgungsberechtigte" eine entgeltliche Beschäftigung zu irgendeinem Zeitpunkt (notwendig vor dem 1. Juli 1990) ausgeübt hat, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in einem System vorgesehen war, das in der Anlage 1 und 2 zum AAÜG aufgelistet ist (vgl dazu: BSG aaO RdNr 9 mwN). Ob die Tatbestandsvoraussetzungen für diese Gleichstellung mit rentenrechtlichen Pflichtbeitragszeiten erfüllt sind, hängt somit davon ab, ob (1) der Betroffene eine "Beschäftigung" ausgeübt hat, die (2) "entgeltlich" war und die (3) ihrer Art nach von einem Versorgungssystem erfasst war. Die letztgenannte Voraussetzung beurteilt sich nach den versorgungsrechtlichen Bestimmungen, die - und soweit sie - partielles Bundesrecht geworden waren. Der Rechtsgehalt des § 5 AAÜG ist (anders als derjenige des § 1 Abs 1 AAÜG) ausschließlich nach objektiven Auslegungskriterien des Bundesrechts unter Beachtung des Gleichheitssatzes zu ermitteln, wobei die jeweiligen Versorgungsordnungen iVm den Durchführungsbestimmungen sowie sonstigen, diese ergänzenden bzw ausfüllenden abstrakt-generellen Regelungen lediglich faktische Anknüpfungspunkte dafür sind, ob in der DDR eine Beschäftigung ihrer Art nach von einem Versorgungssystem erfasst war. Auf die Auslegung der Versorgungsordnung durch die Staatsorgane der DDR und deren Verwaltungspraxis kommt es nicht an (vgl BSG aaO RdNr 10 mwN). Nach den §§ 1, 5 VO-AVItech vom 17. August 1950 (GBl 844) iVm § 1 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 2. DB vom 24. Mai 1951 (GBl 487) waren von der AVItech Beschäftigungen ihrer Art nach unter folgenden drei Voraussetzungen erfasst (zum Folgenden: BSG aaO RdNr 15mwN): Der Beschäftigte 1. musste die Berechtigung gehabt haben, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und 2. eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar 3. in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs 1 2. DB) oder in einem durch § 1 Abs 2 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung). Der Kläger erfüllte indes diese Voraussetzungen nicht, da er in der Zeit vom 01. August 1974 bis zum 1. März 1990 keine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt, die ihrer Art nach vom Zusatzversorgungssystem der AVItech erfasst war, denn er erfüllte die betriebliche Voraussetzung für eine Zugehörigkeit zur AVItech nicht. Er war weder in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens noch in einem der in § 1 Abs 2 der 2. DB aufgeführten gleichgestellten Betriebe beschäftigt, sondern in einem Parteibetrieb, der dementsprechend auch (bis zum 2. März 1990) nicht als "VEB" firmierte (§ 31 Abs 3 der Verordnung über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe vom 8. November 1979 (GBl I S 355); KombinatsVO). Dieser Betrieb " B" war vielmehr der VOB Zentrag unterstellt und ist als solcher in das Register der volkseigenen Wirtschaft eingetragen worden. Zeiten einer Zugehörigkeit zur AVItech (fiktiv) können aber nur dann nach § 5 AAÜG festgestellt werden, wenn Tätigkeiten bzw Beschäftigungen in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder in einem der in § 1 Abs 2 der 2. DB genannten gleichgestellten Betriebe ausgeübt worden sind (vgl hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 5). Nicht ausreichend sind Tätigkeiten oder Beschäftigungen in irgendeinem VEB und demgemäß auch nicht solche in einem Parteibetrieb (hier des B, vgl BSG, Urteil vom 18. Juni 2003 -B 4 RA 1/03 R). Andere Rechtsgrundlagen, auf die der Kläger sein Begehren stützen könnte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere verstößt es nicht gegen Verfassungsrecht, dass der Bundesgesetzgeber an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme der DDR und deren Differenzierungen angeknüpft hat. Denn der Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) gebietet es nicht, von den historischen Gegebenheiten in der DDR, aus denen sich Ungleichheiten ergeben könnten, abzusehen und sie rückwirkend zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen. Die Begünstigung der damals Einbezogenen hat der Bundesgesetzgeber als ein Teilergebnis der Verhandlungen im Einigungsvertrag angesichts der historischen Bedingungen hinnehmen dürfen (BSG aaO S 7; Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 8. September 2004, 1 BvR 1735/03, mit dem die Verfassungsbeschwerde gegen das bezeichnete Urteil des BSG nicht zur Entscheidung angenommen wurde).

Eine andere rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes wird auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass die Beklagte für einem ehemaligen Kollegen des Klägers Zugehörigkeitszeiten (schon vor dem 2. März 1990) festgestellt hat. Denn Art 3 Abs 1 GG vermag - worauf die Beklagte bereits zutreffend hingewiesen hat - eine rechtswidrige Verwaltungspraxis nicht zu rechtfertigen. Es gibt keinen Anspruch auf "Gleichheit im Unrecht" bzw. einen "Anspruch auf Fehlerwiederholung". Andernfalls könnte die Verwaltung - bewusst oder unbewusst - allein durch eine rechtswidrige Praxis geltendes Recht verdrängen oder abändern. Das stünde aber im Widerspruch zu Art 20 Abs 3 GG, wonach die vollziehende Gewalt (und die Rechtsprechung) an Gesetz und Recht gebunden sind.

Da ein Verfassungsverstoß nicht erkennbar ist, kommt auch eine Aussetzung des Rechtsstreites nach Art 100 Abs 1 GG nicht in Betracht. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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