L 10 B 345/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 2 AS 1151/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 B 345/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 17. Januar 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Der Antrag der Antragstellerin, ihr für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten Prozesskostenhilfe zu gewähren, wird zurückgewiesen.

Tatbestand:

Die Antragstellerin (Ast) begehrt von dem Antragsgegner (Ag) eine Erklärung, mit der dieser dem beabsichtigten Umzug des bislang in der Wohnung mit der Ast lebenden Sohnes RL (zukünftig Sohn) zustimmen soll.

Die 1948 geborene Ast lebt mit ihrem 1983 geborenen Sohn, der über keine abgeschlossene Schul- bzw. Berufsausbildung verfügt, in einer 73,63 qm großen 3-Zimmer-Wohnung in F. Beide beziehen laufend von dem Ag Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) u.a. unter Berücksichtigung eines krankheitsbedingten Mehrbedarfes der Ast wegen Hyperlipidämie und Diabetes mellitus Typ II a. Der Sohn der Ast besucht nach Aktenlage zumindest seit Anfang 2006 die Schule zur Erlangung der Berufsbildungsreife (Abschluss Klasse 9).

Mit Schreiben vom 03. Januar 2006 beantragte die Ast erstmals beim Ag die Kostenübernahme für Wohn- und Heizkosten einer eigenen Wohnung für ihren Sohn. Da es erheblich gegensätzliche Lebensauffassungen gebe, komme es öfter zu Spannungen im Haushalt, die sich bei ihr gesundheitsschädigend auswirken würden. Mit Schreiben vom 26. Januar 2006 teilte der Ag mit, dass erst nach erfolgreichem Abschluss der 9. Klasse für den Sohn die Möglichkeit bestehe, eigenen Wohnraum anzumieten. Die Ast kam in der Folgezeit nicht weiter auf ihren Antrag zurück.

Der Sohn der Ast erreichte im Sommer 2006 den Abschluss nicht und besucht seit 21. August 2006 das C-Kolleg zur Erlangung der Berufsbildungsreife. Die Ast wurde im Sommer 2006 wegen beidseitigem Nierenkrebs operiert. Mit Schreiben vom 21. September 2006 bat der Amtsarzt MR Dr. B vom Gesundheitsamt unter Härtefallgesichtspunkten um die Zusicherung zum Umzug in eine eigene Wohnung für den Sohn der Ast. Die Ast sei operiert worden; die Wunden seien noch nicht verheilt, die Ast sei schwach und ruhebedürftig. Der Sohn zeige wenig Verständnis für die Situation und habe bis in die Nacht Besuch von Freunden.

Mit Bescheid vom 16. Oktober 2006 wies der Ag den Antrag der Ast auf Erteilung einer Zusicherung zu Gunsten ihres Sohns vom 03. Januar 2006 zurück. Aus der Lebenssituation der Ast als Mutter ergäben sich keine schwerwiegenden sozialen Gründe, die ein weiteres Verweilen des Sohnes in ihrer Wohnung verbieten würden. Außerdem werde die Regelleistung des Sohnes vom 01. November 2005 bis 31. Januar 2007 nach § 31 Absatz 1 Nr. 1b iVm Absatz 5 SGB II auf 0 Euro wegen Pflichtverletzung gemäß der Eingliederungsvereinbarung gekürzt. Der Sohn sei daher nicht in der Lage, seinen notwendigen Lebensunterhalt allein zu bestreiten. Er verfüge über keine Mittel für Haushaltsenergie.

Mit dem an die Ast adressiertem Bescheid vom 24. Oktober 2006 kürzte die Ag die Regelleistung für den Sohn um 100 vH in der Zeit vom 01. November 2006 bis 31. Januar 2007.

Mit Schreiben vom 21. Oktober 2006 legte die Ast Widerspruch gegen den Bescheid vom 16. Oktober 2006 allein mit dem Ziel ein, die Ag solle einem Umzug zustimmen. Mit Bescheid vom 27. November 2006 wies der Ag den Widerspruch der Ast zurück. Eine Zusicherung zu einer eigenen Wohnung solle vom kommunalen Träger erteilt werden, wenn die Verweisung auf die elterliche Wohnung unzumutbar sei. Dies sei nicht der Fall. Auch ein sonstiger ähnlich schwerwiegender Grund liege nicht vor. Die Ast habe keine gesundheitlichen Probleme des Sohnes angegeben, die einen Umzug in einen eigenen Wohnraum rechtfertigen würde. Allein die schwere Erkrankung der Ast sei nicht berücksichtigungsfähig. Die Regelleistung des Sohnes sei gekürzt worden. Dieser Umstand verdeutliche, dass der Sohn nicht in der Lage sei, einen eigenen Wohnraum zu unterhalten.

Die Ast hat am 15. Dezember 2006 beim Sozialgericht (SG) Cottbus Klage erhoben und beantragt, dem Ag im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihrem Sohn eine Zusicherung für Aufwendungen einer eigenen Unterkunft zu erteilen.

Mit Beschluss vom 17. Januar 2007 hat das SG den Antrag zurückgewiesen. Ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben, da die Ast nicht Inhaberin eines möglichen Anspruches auf Zusicherung sei. Eine Zusicherung könne nach dem Wortlaut des § 22 Abs. 2a SGB II nur gegenüber Personen erfolgen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten. Die Ast habe den Antrag nicht im Namen ihres Sohnes, sondern im eigenem Namen gestellt. Ob dem Sohn ein Anspruch auf eine Zusicherung zustehe, sei daher nicht zu prüfen.

Mit Schreiben vom 01. Februar 2007 hat der Sohn der Ast bei dem Ag einen eigenen Antrag auf Zusicherung zu einem Umzug und Übernahme der Kosten für eigenen Wohnraum gestellt.

Mit ihrer Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen, sondern sie dem Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt hat, verfolgt die Ast ihr Begehren unter Beantragung von Prozesskostenhilfe weiter. Sie mache im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft den Anspruch ihres Sohnes im eigenen Namen geltend. Die Zustimmung ihres Sohnes sei darin zu sehen, dass dieser einen eigenen Antrag gestellt habe, welcher mit Bescheid vom 20. Februar 2007 abgelehnt worden sei. Sie habe ein eigenes rechtsschutzwürdiges Interesse an einer Bescheidung, da ihr Gesundheitszustand von der Entscheidung beeinflusst werde.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss des SG Cottbus vom 17. Januar 2007 hat keinen Erfolg.

Das Aktivrubrum des Beschwerdeverfahrens ist von Amts wegen nicht zu berichtigen. Auch unter Berücksichtigung der inzwischen vom Bundessozialgericht (BSG) formulierten Grundsätze für die Auslegung von Anträgen im Hinblick auf die Besonderheiten von Bedarfsgemeinschaften (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 8/06) ist davon auszugehen, dass die Ast nicht nur im Verwaltungsverfahren, sondern auch im gerichtlichen Eilverfahren ausschließlich im eigenen Namen Ansprüche geltend macht. Die Ast hat bereits in ihrem schriftlichen Antrag vom 03. Januar 2006 im eigenen Namen gehandelt und an keiner Stelle auch nur angedeutet, dass sie im fremden Namen als Vertreterin ihres Sohnes dessen Anspruch geltend machen wollte (vgl. § 38 SGB II). Auch im gerichtlichen Verfahren hat die anwaltlich vertretene Ast aus eigener gesundheitlicher Betroffenheit heraus um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Die Vermutungsregel des § 73 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann hier nicht greifen, da die Ast eindeutig im eigenen Namen das Verfahren führen wollte, auch wenn sie die Erteilung einer Zusicherung an ihren Sohn begehrt hat.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Ein Anordnungsanspruch - die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist – sowie der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der begehrten sofortigen Regelung – sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der jeweiligen Instanz; im Beschwerdeverfahren kommt es hiernach auf den Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung an.

Ein der Ast zustehender eigener Anspruch auf Erteilung einer Zusicherung an ihren Sohn ist nicht ersichtlich. Wie das SG zutreffend ausführt, ist Anspruchsinhaber - und damit im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren aktivlegitimiert - nur diejenige Person, die einen Wohnungswechsel beabsichtigt; im Falle des § 22 Abs. 2a SGB II also der Hilfebedürftige, der das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Nur diese Person hat, sofern sie unter 25 ist, unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 22 Abs. 2a Satz 2 SGB II einen Anspruch auf Erteilung einer Zusicherung.

Auch kann unter dem Gesichtspunkt des Drittschutzes kein Anspruch der Ast auf Erteilung einer Zusicherung an ihren Sohn erwachsen. Dies würde voraussetzen, dass mit der Ablehnung des dem Sohn der Ast zustehenden Anspruchs zugleich eigene Rechte der Ast verletzt werden. Daran fehlt es: die Bestimmungen des SGB II, die festlegen unter welchen Bedingungen einem Hilfebedürftigen eigener Wohnraum finanziert wird, haben nicht (auch) den Zweck, Interessen von Personen zu schützen, mit denen zuvor Wohnraum gemeinschaftlich genutzt wurde. Auch die Vorschrift des § 22 Abs. 2a SGB II, wonach Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nur unter den aufgeführten Voraussetzungen ein Anspruch auf Erteilung einer Zusicherung zusteht, dient nicht dem Schutz der Belange weiterer Familienangehöriger. Aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drs 16/688 S 14) ergibt sich zwar aus dem Verweis auf die zu § 22 Abs. 2a S 2 Nr. 1 SGB II wortgleiche Bestimmung des § 64 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), dass sich ein sozialer Härtefall nicht nur aus der Sicht des jungen Menschen bestimmen kann, sondern auch im Hinblick darauf, dass ein Verbleiben in der Familienwohnung für die Eltern (oder das Elternteil) unzumutbar ist. Diese Verknüpfung besagt aber nur, dass der Anspruch des unter 25-jährigen Berechtigten wegen familiärer Unzuträglichkeit bei Verbleiben in der Wohnung begründet sein kann. Der wesentlich weitergehende Schritt, den Familienmitgliedern eine eigene materielle und verfahrensrechtliche Rechtsstellung einzuräumen, ist damit nicht vollzogen. Für eine solche Berücksichtigung besteht auch regelmäßig keine Notwendigkeit. Im vorliegenden Fall ist die Ast Alleinmieterin und damit alleinige (mittelbare) Besitzerin der Wohnung. Ihr Sohn leitet sein Besitzrecht von ihr ab und könnte daher ohne Räumungstitel aus seinem Besitzrecht gesetzt werden.

Ob die Verwaltungsentscheidung schutzwürdige Belange der Ast unter dem weiteren Gesichtspunkt in den Blick zu nehmen hat, dass sich aus Art 2 Abs. 1 Grundgesetz ein (Leistungs-)Anspruch der Ast aufgrund der von ihr geltend gemachten gesundheitlichen Gefährdung durch den weiteren Aufenthalt des Sohnes in der Wohnung ergeben könnte, kann dahinstehen. Jedenfalls mangelt es insoweit an einem Anordnungsgrund, da nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich ist, dass der derzeitige gesundheitliche Zustand der Ast einen umgehenden Auszug des Sohnes erfordert, zumal darüber hinaus die Ast eine (unterstellt andauernde) gesundheitliche Beeinträchtigung im Wege der Selbsthilfe beenden könnte.

Da eine eigene schützenswerte Rechtsstellung der Ast nicht ersichtlich ist, scheidet auch eine gewillkürte Prozeßstandschaft aus, und zwar auch für den Fall, dass eine Ermächtigung des Sohnes vorliegen würde; eine gewillkürte Prozeßstandschaft setzt voraus, dass der Dritte auch ein eigenes Rechtsschutzbedürfnis hat (BSGE 37, 33,25 mwN, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 8. Aufl, § 54 RdNr 11, § 69 RdNr 4a), woran es vorliegend für die Belange im einstweiligen Rechtsschutzverfahren fehlt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Mangels Erfolgsaussicht des Antrages auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes war auch der Prozesskostenhilfeantrag abzulehnen (§§ 73 a SGG, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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