L 1 RA 49/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 3 RA 629/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 RA 49/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten, für ihn Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz – AVItech – (Zusatzversorgungssystem nach Anlage 1 Nr. 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz – AAÜG -) für die Zeit vom 1. November 1975 bis 11. Februar 1981 festzustellen.

Der 1943 geborene Kläger erwarb im November 1975 das Recht, die Berufsbezeichnung Ingenieur (Fachrichtung Elektroenergieanlagen) zu führen. Bis zum 30. November 1975 arbeitete er beim Reichsbahn-Ausbesserungswerk in B-S als Elektroschlosser. Vom 1. Dezember 1975 bis zum 11. Februar 1981 war er beim volkseigenen Betrieb (VEB) Bau- und Montagekombinat (BMK) Ost, Betrieb Forschung und Projektierung – Betriebsteil S – als Projektierungsingenieur beschäftigt. Bereits zum 1. Januar 1974 war er der freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) beigetreten, wobei er jedoch nur einen Teil seines nicht beitragspflichtigen Verdienstes versicherte. Seit Februar 1981 lebt der Kläger in Berlin-West und war nicht mehr in der DDR beschäftigt.

Seinen Antrag auf Feststellung der streitbefangenen Zeit als Zugehörigkeitszeit zur AVItech lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 18. Juni 2003 – bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 30. Dezember 2003 – ab. Der Kläger sei am maßgeblichen Stichtag 30. Juni 1990 nicht mehr im Beitrittsgebiet beschäftigt gewesen und gehöre deshalb nicht zum begünstigten Personenkreis.

Das dagegen angerufene Sozialgericht (SG) Berlin wies die Klage durch Urteil vom 17. Mai 2004 aus den Gründen der Vorentscheidungen ab.

Mit der Berufung bekämpft der Kläger die auf dem Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) beruhende Rechtssprechung – insbesondere auch zur Maßgeblichkeit des Stichtages 30. Juni 1990 -, die weiten Teilen der Anspruchsberechtigten – und so auch ihm – ihre in der DDR erworbenen Versorgungsrechte vorenthalte. Sie beruhe auf einigungsvertrags-, grundgesetz- und menschenrechtswidrigen Positionen. Er beantrage das Ruhen bzw. die Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die zu grundsätzlichen Problemen der Renten- und Versorgungsüberleitung einschließlich der Stichtagsproblematik dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vorliegenden Beschwerden. Sollte das Gericht dem nicht folgen wollen, sei Beweis zur Frage zu erheben, ob ihm ein diskriminierendes, unverhältnismäßig vermindertes Einkommen zugemessen worden sei, das die juristische und tatsächliche Spaltung Deutschlands auf dem Gebiet der Alterssicherung weiter dauerhaft vertiefe. Dies könne nur über eine Beiladung der Beklagten in ihrer Eigenschaft als Rentenversicherungsträger festgestellt werden, weil es Sache des Rentenversicherungsträgers sei, die Auswirkungen der Bescheide der Beklagten in ihrer Eigenschaft als Zusatzversorgungsträger, also der Feststellungsbescheide nach dem AAÜG, zu ermitteln.

In der Sache beantragt der Kläger schriftsätzlich,

die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 17. Mai 2004 sowie des Bescheides vom 18. Juni 2003 in Gestalt des Widerspruchs- bescheides vom 30. Dezember 2003 die Zeit seiner Berufstätigkeit im VEB BMK Ost als Angehöriger der technischen Intelligenz vom 1. November 1975 bis zum 11. Februar 1981 als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (Anlage 1, Nr. 1 AAÜG) anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akte des SG – S 3 RA 629/04 -) und Beklagtenakten () verwiesen.

II.

Die Berufung ist unbegründet.

Zu entscheiden ist über den im Rahmen einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erhobenen Anspruch, für den Kläger die streitbefangenen Zeiten als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech und damit als Tatbestände von gleichgestellten Pflichtbeitragszeiten (§ 5 AAÜG) im Sinne des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) festzustellen. Ein solcher Anspruch besteht nicht, da § 8 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 1 und 2 AAÜG – die einzig in Betracht kommende Anspruchsgrundlage – nicht anwendbar ist, weil der Kläger am 1. August 1991 keinen Versorgungsanspruch und keine Versorgungsanwartschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 des an diesem Tag in Kraft getretenen AAÜG hatte.

Das AAÜG gilt für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen des Beitrittsgebiets erworben worden sind (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG) sowie für nach Satz 2 der Vorschrift fingierte Anwartschaften in Fällen, in denen Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust von Anwartschaften bei Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor Eintritt des Leistungsfalles vorsahen.

Das SG hat zutreffend ausgeführt, unter welchen Voraussetzungen Personen nach § 1 Abs. 1 AAÜG als Versorgungsberechtigte im Sinne des AAÜG erfasst werden. Der Kläger unterfällt dem § 1 AAÜG seinem Wortlaut nach nicht. Er hatte im Zeitpunkt des Inkrafttretens des AAÜG – am 1. August 1991 – keinen Versorgungsanspruch, da kein Versorgungsfall eingetreten war. Er war zu diesem Zeitpunkt auch nicht Inhaber einer bei Inkrafttreten des AAÜG am 1. August 1991 bestehenden Versorgungsanwartschaft. Insbesondere liegt keine Einbeziehungsentscheidung (Versorgungszusage, Einzelentscheidung) vor, durch die ihm eine Versorgungsanwartschaft zuerkannt worden war.

Bei Personen die am 30. Juni 1990 nicht einbezogen waren und auch nicht nachfolgend aufgrund originären Bundesrechts (Artikel 17 Einigungsvertrag) einbezogen wurden, ist allerdings aufgrund einer vom Bundessozialgericht (BSG) vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG zu prüfen, ob die Nichteinbezogenen aus der Sicht des am 1. August 1991 gültigen Bundesrechts nach der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. die Urteile vom 9. und 10. April 2002 in SozR 3-8570 § 1 Nr. 2, 3, 4, 5, 6, 7 und 8). Die Voraussetzungen, wann unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung eine solche erweiternde Anwendung vorzunehmen ist, sind im vorliegenden Fall zusammengefasst folgende: Anzuwenden sind insoweit – als allein in Betracht kommende Regelungen - § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (AVItech-VO) vom 17. August 1950 und § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 sowie § 2 2.Durchführungsbestimmung (2.DB) zur AVItech-VO vom 24. Mai 1951. Danach hängt der Anspruch von drei (persönlichen, sachlichen und betrieblichen) Voraussetzungen ab. Generell war die AVItech eingerichtet für (1.) Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen, und (2.) die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben, und zwar (3.) in einem volkseigenen Produktionsbetrieb (Industrie, Bauwesen) oder einem diesem gleichgestellten Betrieb.

Der Kläger war als Ingenieur zwar berechtigt, eine Berufsbezeichnung zu führen, deren Träger nach § 1 Abs. 1 Satz 1 2.DB als Angehörige der technischen Intelligenz im Sinne des § 1 AVI-tech-VO galten. Ob er darüber hinaus auch noch eine entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt hatte, kann dahinstehen. Jedenfalls war er am Stichtag nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb (Industrie oder Bauwesen) oder in einem diesem gleichgestellten Betrieb tätig, und zwar schon deshalb, weil er die DDR bereits im Februar 1981 verlassen hatte. Danach wurde er von den Regelungen über die AVItech nicht –jedenfalls nicht mehr- erfasst. Der Senat verweist insoweit auf die Maßgeblichkeit der Sachlage am 30. Juni 1990 und macht sich die diesbezügliche, dem Kläger (über seine Bevollmächtigten) bekannte BSG-Rechtssprechung als überzeugend zu eigen. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht erkennen können, dass diese Rechtssprechung Grundrechte der Betroffenen verletzt und hat deshalb die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04, 203/05, 445/05 und 1144/05 - =SozR 4-8560 § 22 Nr. 1).

Bei dieser Sach- und Rechtslage bedarf keiner Entscheidung, ob der Kläger im streitbefangenen Zeitraum überhaupt in einem Produktionsbetrieb beschäftigt gewesen ist, was Zweifeln unterliegt. Denn sein Arbeitgeber dürfte nicht der VEB BMK Ost (Stammbetrieb) sondern der Kombinatsbetrieb Forschung und Projektierung gewesen sein und dies im Übrigen – entgegen seinem Antrag – jedenfalls erst seit dem 1. Dezember 1975.

Soweit der Kläger die Verfassungswidrigkeit des RÜG und der darauf beruhenden Rechtssprechung – insbesondere zu den Voraussetzungen der Zugehörigkeit zur AVItech – geltend macht, verweist der Senat auf die Ausführungen des BSG in den Urteilen vom 9. April 2002 – B 4 RA 3/02 R -, SozR 3 – 8570 § 1 Nr. 7, und vom 29. Juli 2004 – B 4 RA 12/04 R – sowie (speziell zur Stichtagsproblematik) auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Oktober 2005 a.a.O.). Danach hat sich die höchstrichterliche Rechtssprechung eingehend mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit befasst und sie bejaht. Im Hinblick darauf lässt sich auch keine Menschenrechtswidrigkeit feststellen. Der Senat schließt sich dem als überzeugend an und vermag den dies in Frage stellenden Darlegungen des Klägers nicht zu folgen. Schon deshalb bedurfte es auch keiner Beiladung der Beklagten in ihrer Eigenschaft als Rentenversicherungsträger und keiner weiteren Beweiserhebung durch den Senat. Ebenso wenig war der Rechtsstreit zum Ruhen zu bringen oder auszusetzen. Nach Auffassung des Senats kann Ansprechpartner der Ausführungen des Klägers zur "Rechts-, Verfassungs- und Menschenrechtswidrigkeit" der auf dem RÜG beruhenden Rechtsprechung nur der Gesetzgeber sein.

Die Kostenentscheidung nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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