L 15 B 55/07 SO ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 50 SO 20/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 B 55/07 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. Februar 2007 aufgehoben.

Der Antragsgegner wird im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin Sozialhilfe in Höhe von 78,00 Euro monatlich zuzüglich der anteiligen Kosten für Unterkunft in Höhe von 156,98 Euro monatlich vom 08. Januar bis 17. Mai 2007 zu gewähren.

Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt J R, M Straße, B für das Verfahren vor dem Sozialgericht und für das Beschwerdeverfahren bewilligt.

Kosten des Beschwerdeverfahrens bezüglich der Gewährung von Prozesskostenhilfe sind nicht zu erstatten. Im Übrigen hat der Antragsgegner der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Gründe:

I.

Die zulässige, auf die Gewährung von Sozialhilfe gerichtete Beschwerde der Antragstellerin ist begründet.

Das Sozialgericht - SG - hat richtig ausgeführt, dass für die nach § 86 b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG – begehrte Entscheidung das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes zumindest glaubhaft zu machen ist. Diese Voraussetzungen sind entgegen der Auffassung des Sozialgerichts jedoch vorliegend gegeben.

Die Antragstellerin hat nach summarischer Prüfung Anspruch auf (ergänzende) Leistungen der Sozialhilfe in dem tenorierten Umfang, sodass der Antragsgegner entsprechend zu verpflichten ist. Diese Verpflichtung war aber erst ab dem Zeitpunkt des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes auszusprechen, da Bedarfe, die in der Zeit vor der gerichtlichen Geltendmachung entstanden sind, jedenfalls im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich außer Betracht bleiben. Dies entspricht auch dem Beschwerdebegehren der Antragstellerin.

Die der Antragstellerin nach summarischer Prüfung zustehenden Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII (i. V. m. §§ 27 Abs. 1, 29 SGB XII) in Form des notwendigen Lebensunterhaltes und der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sind nicht in Anwendung des § 23 Abs. 3 SGB XII ausgeschlossen. Es lässt sich nach Auffassung des Senats nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass die Antragstellerin eingereist ist, um Sozialhilfe zu erlangen. Zwar ist dem SG und dem Antragsgegner zuzugeben, dass die Einkommenssituation der Antragstellerin auch unter Berücksichtigung ihres ergänzenden Vorbringens nicht erst jetzt, sondern bereits bei der Einreise im Jahre 2004 entgegen der Auffassung der Antragstellerin keine ausreichende Grundlage zur künftigen Bestreitung ihres Lebensunterhaltes aus eigenen Mitteln bot. Denn sie hatte nach der am 31. März 2004 aus gesundheitlichen Gründen beantragten Aufhebung der Pflegschaft für ihren Enkel nur noch als regelmäßige Einkünfte ihre Witwen- und Altersrente, nicht dagegen das offenbar nur noch bis Juni 2004 gezahlte Pflegegeld oder das Kindergeld zu erwarten. Auch bot die von ihr noch in Tschechien abgeschlossene Reisekrankenversicherung für die Zeit vom 17. Juli 2004 bis 16. Juli 2005 ersichtlich nicht den für einen dauernden Umzug nach B zu ihrer Tochter erforderlichen und in ihrer Erklärung vom 18. Januar 2005 gegenüber der Ausländerbehörde bestätigten (umfassenden) Versicherungsschutz. Angesichts dessen war von vornherein absehbar, dass die Antragstellerin – ihre bereits in Berlin wohnende Tochter konnte ihren Unterhalt ohne Gefährdung des eigenen Unterhalts ersichtlich nicht sichern – ebenso wie ihre Tochter auf öffentliche Leistungen angewiesen sein würde. Dieser Umstand führt aber noch nicht zur Anwendung des § 23 Abs. 3 SGB XII. Denn die Vorhersehbarkeit des Bezuges von (ergänzender) Sozialhilfe ist insofern nicht ausreichend. Die Erlangung von Sozialhilfe muss vielmehr von prägender Bedeutung für die Einreise gewesen sein (vgl. Bürk in LPK- SGB XII, Rdnr. 33 zu § 23 m. w. N.). Angesichts der familiären Situation der Antragsstellerin ist davon jedoch nicht auszugehen. Das SG hat die insofern bestimmende Situation der Antragstellerin im Kern auch gesehen, allerdings im Hinblick auf das – unzutreffende – Vorbringen der Antragstellerin, ihr Sohn sei verstorben und sie sei deshalb zu ihrer einzigen Familienangehörigen, ihrer Tochter, nach Berlin gezogen, die familiäre Situation geringer gewichtet. Ihr schließlich im Januar 2005 verstorbener Sohn stellte, wie sich ihren Angaben und dem Akteninhalt entnehmen lässt, zum Zeitpunkt ihrer Übersiedelung nach Berlin (wobei allerdings der genaue Zeitpunkt unklar ist: Die Anmeldung für sich und ihren Enkel erfolgte bereits im März 2004 bei ihrer Tochter, während gegenüber der Ausländerbehörde eine Einreise am 17. Juli 2004 genannt wurde; letzteres erscheint im Hinblick auf den erst am 31. März 2004 bei dem zuständigen tschechischen Gericht gestellten Antrag auf Aufhebung der Pflegschaft für den Enkel plausibler) keine Unterstützung für die Antragstellerin dar. Denn offenbar kümmerte sich dieser – aus den Akten nicht entnehmbaren Gründen - um seinen behinderten Sohn nicht hinreichend, sodass den Großeltern – also der Antragstellerin und ihrem im Dezember 2003 verstorbenen Ehemann – die Pflegschaft übertragen werden musste, obwohl sie alle – wie dem Antrag auf Aufhebung der Pflegschaft zu entnehmen ist - in einem Hause wohnten. Insofern muss man es als folgerichtig ansehen, dass nach der offensichtlich erfolgten Aufhebung der der Antragstellerin übertragenen Pflegschaft für den behinderten Enkel nicht dessen Vater, sondern nunmehr der Tochter der Antragstellerin die Vormundschaft und damit die Verantwortung für den Enkel übertragen wurde. Dass die Antragstellerin daher, wie sie selbst angegeben hat, vorrangig wegen der für sie selbst erforderlichen Unterstützung und zur Aufrechterhaltung des Kontaktes zu ihrem Enkel nach Berlin gekommen ist, begegnet nach alledem keinen durchgreifenden Bedenken.

Im Übrigen ist aber zu beachten, dass die Regelung des § 23 Abs. 3 SGB XII nur zur Folge hat, dass kein Rechtsanspruch auf Sozialhilfe besteht. Sie schließt dagegen nicht aus, dass zumindest im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens ein Anspruch auf die unabweisbar gebotene Hilfe besteht (vgl. Birk in LPK-SGB XII, Rdnr. 34 zu § 23). Solche Leistungen stehen nach den Ausführungsvorschriften des Beklagten sogar den vom Asylbewerber-Leistungsgesetz erfassten – und zur Ausreise verpflichteten – Personen zu. Erst recht dürften daher entsprechende Leistungen für EU-Ausländer in Betracht kommen, noch dazu, wenn diese – wie vorliegend die Antragstellerin – im Besitz einer das gemeinschaftliche Aufenthaltsrecht feststellenden Bescheinigung sind.

Soweit der Antragsgegner auf die auf § 7 Abs. 4 SGB II gestützte ablehnende Entscheidung des zuerst angegangenen JobCenters Treptow-Köpenick und damit möglicherweise auf die Regelung des § 43 SGB I verweist, ist ihm entgegenzuhalten, dass ein negativer Kompetenzkonflikt bei ansonsten geklärtem Leistungsanspruch hier nicht vorliegt. Denn dass sich das JobCenter zu Unrecht auf § 7 Abs. 4 SGB II und damit den Altersrentenbezug der Antragstellerin bezogen hat, ist nicht erkennbar, auch wenn die Antragstellerin keine SGB VI-Rente bezieht. Jedenfalls ist nichts dafür ersichtlich, dass nicht auch die nach tschechischem Recht gewährte Altersrente zumindest als öffentlich-rechtliche Leistung ähnlicher Art anzusehen ist und damit ebenfalls zur Anwendung des § 7 Abs. 4 SGB II führt (vgl. Brühl/Schoch in LPK – SGB II, Rdnr. 78 zu § 7; Eicher/Spellbrink, SGB II, Rdnr. 39 zu § 7).

Einem Leistungsanspruch der Antragstellerin steht auch nicht ihr Aufenthaltsstatus entgegen. Sie ist – trotz des Hinweises des Antragsgegners an die Ausländerbehörde – weiterhin im Besitz des Aufenthaltstitels, der ihr Aufenthaltsrecht nach Gemeinschaftsrecht als EU-Bürgerin feststellt, und die Ausländerbehörde sieht ersichtlich keinen Anlass, von der ihr im Rahmen des § 5 Abs. 5 Freizügigkeitsgesetz/EU eingeräumten Befugnis, einen solchen Aufenthaltstitel zurückzunehmen, Gebrauch zu machen.

Neben dem danach zu bejahenden Anordnungsanspruch liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Denn wie aus den vorgelegten Unterlagen zur finanziellen Situation der Tochter hervorgeht, hat diese nur unter Außerachtlassung ihrer Verpflichtungen gegenüber anderen Forderungsinhabern aus den ihr gewährten öffentlichen Leistungen den Unterhalt ihrer Mutter, der Antragstellerin, sichern können mit der Folge einer drohenden Räumungsklage. Ihr Vermieter hat ihr nunmehr mit Schreiben vom 17. April 2007 nur noch eine kurze Zahlungsfrist eingeräumt und Klage nach der bereits am 14. September 2006 erfolgten fristlosen Kündigung angedroht, sodass auch die besondere Eilbedürftigkeit zu bejahen ist, weil damit auch der Antragstellerin der Verlust der – gemeinsamen – Wohnung droht.

Der tenorierte Betrag ergibt sich daraus, dass der Antragstellerin, die bei ihrer Arbeitslosengeld II beziehenden Tochter wohnt, nur ein Regelsatz als Familienangehörige in Höhe von 276,00 Euro monatlich abzüglich der nach ihren Angaben gewährten Rentenbezüge von 198,00 Euro monatlich sowie anteilige Unterkunftskosten zugestanden werden können. Die Leistungsverpflichtung war im Hinblick auf die vom Antragsgegner eingeräumte Zahlungsverpflichtung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ab dem 18. Mai 2007 (Vollendung des 65. Lebensjahres) zu begrenzen.

II.

Die danach gegebene Erfolgsaussicht des Begehrens der Antragstellerin begründet die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht und im Beschwerdeverfahren.

III.

Die Kostenentscheidung bezüglich der Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 127 Abs. 4 der Zivilprozessordnung. Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar gemäß § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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