Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 14 RA 6354/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 358/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 27. Januar 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtlichen Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von höherer großer Witwenrente aus der Versicherung des verstorbenen W E (Versicherter) auch für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 31. Dezember 1999.
Die 1919 geborene Klägerin ist die Witwe des 1976 verstorbenen Versicherten. Die Beklagte gewährte ihr aus dessen Versicherung eine Hinterbliebenenrente ab 1. Juni 1976 (Bescheid vom 11. August 1976), die wegen des Hinzutritts einer weiteren Berechtigten mit Wirkung ab 1. Mai 1977 neu festgestellt wurde (Bescheid vom 18. März 1977). Mit Bescheid vom 11. September 1992 wurde die große Witwenrente der Klägerin mit Wirkung ab 1. Juli 1992 neu berechnet. Die weitere Hinterbliebenenrentenberechtigte war die frühere Ehefrau des Versicherten FE, die von der Beklagten aus der Versicherung des Verstorbenen ab 1. August 1976 bis zu ihrem Tod am 1997 eine Hinterbliebenenrente bezog (Bescheide vom 11. März 1977 ab 1. August 1976, vom 16. September 1992 ab 1. Juli 1992 und vom 15. August 1995 ab 1. Januar 1995).
Mit Bescheid vom 28. Mai 2004 berechnete die Beklagte die bisherige große Witwenrente der Klägerin mit Wirkung ab 1. Januar 2000 neu und zahlte ab 1. Juli 2004 laufend monatlich 979,51 EUR. Für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis 30. Juni 2004 ergab sich ein Nachzahlungsbetrag von 27.205,96 EUR. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Rente neu berechnet werde, weil sich die mit der Rente zusammentreffenden anderen Ansprüche geändert hätten, ein anderer Beitragssatz zur Krankenversicherung maßgebend sei und Pflegeversicherungsbeiträge aus der Rente in anderer Höhe einzubehalten seien. Die Klägerin erhob Widerspruch mit der Begründung, dass eine sofortige Nachprüfung hätte ergeben müssen, dass ihr ab dem Sterbedatum der ersten Ehefrau ein Anspruch auf Witwenrente in voller Höhe zustehe und der Fehler offensichtlich bei der Beklagten zu suchen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2004 zurück und führte zur Begründung aus: Im Mai 2004 sei aufgrund einer erforderlichen Neuberechung wegen einer Änderung des Krankenversicherungs-Beitragssatzes festgestellt worden, dass die Witwenrente gekürzt gezahlt worden sei, obwohl die geschiedene Ehefrau des Versicherten bereits 1997 verstorben sei. § 44 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) regele die Rücknahme von rechtswidrig nicht begünstigenden Bescheiden, hier des Bescheides vom 11. September 1992. Soweit Sozialleistungen nachträglich aufgrund der Bescheidrücknahme zu erbringen sein, regele § 44 Abs. 4 SGB X, dass diese längstens für vier Jahre rückwirkend erbracht würden. Hierbei handele es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, die selbst dann gelte, wenn die Beklagte ein Verschulden treffe.
Zur Begründung ihrer auf die Neuberechnung der Rente für den Zeitraum vom 1. Juli 1997 bis 31. Dezember 1999 gerichteten Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klägerin ausgeführt, dass ihr der Anspruch als sozialrechtlicher Herstellungsanspruch (SHA) zustehe. Sie habe keinerlei Kenntnis vom Tod der geschiedenen Ehefrau ihres Mannes gehabt. Nach der Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts (BSG) folge aus der materiell-rechtlichen Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X kein allgemeiner Rechtsgedanke. Das SG Berlin hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27. Januar 2006 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klage sei vorliegend nicht begründet. Es handele sich im vorliegenden Fall nicht um die Konstellation eines SHA. Es gehe nicht um eine Nebenpflicht der Beklagten, die typischerweise unter dem Begriff der Beratung und Betreuung laufe, sondern um ihre Hauptpflicht, die der Klägerin rechtmäßig zustehende Rentenhöhe festzustellen. Da die Beklagte insoweit auch keine ihr in § 115 Abs. 6 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) übertragene Pflichtenstellung verletzt habe, erfolge die Rücknahme des Verwaltungsaktes nach § 48 Abs. 1 SGB X ab 1. Juli 1997 mit der Folge, dass nach § 48 Abs. 4 SGB X die Leistungseinschränkung des § 44 Abs. 4 SGB X zum Zuge komme.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und führt aus, dass die Beklagte eine ihr gegenüber bestehende Hinweispflicht verletzt und entgegen den Ausführungen im Tatbestand des Gerichtsbescheides nicht erst unter dem 22. Mai 2004 festgestellt habe, dass die frühere Ehefrau verstorben sei. Vielmehr sei dieser Umstand der Beklagten bereits im August 1997 bekannt gewesen.
Die Klägerin beantragt (Schriftsatz vom 9. März 2006), unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichtes Berlin vom 27. Januar 2006, den Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2004 insoweit aufzuheben, als ihre Rente nicht für den Zeitraum seit Juli 1997 bis 31. Dezember 1999 neu berechnet wurde und die Beklagte zu verpflichten, auch für diesen Zeitraum eine Neuberechnung vorzunehmen und den sich danach ergebenen Betrag auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und führt aus, dass im vorliegenden Fall kein Antrag zu stellen gewesen sei, so dass keine Nebenpflicht verletzt worden sei.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (vgl. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, mit der sie bei verständiger Würdigung ihres Klagebegehrens (vgl. § 123 SGG) die Gewährung von höherer großer Witwenrente auch für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 31. Dezember 1999 weiterverfolgt, ist nicht begründet. Die Klägerin hat für diesen Zeitraum kein Anspruch auf Gewährung von höherer großer Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes. Denn gemäß §§ 48 Abs. 4 Satz 1, 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X kann die höhere Witwenrente längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Aufhebung des Verwaltungsaktes vom 11. September 1992 mit Rentenfeststellungsbescheid vom 28. Mai 2004 wegen einer wesentlichen Änderung zu Gunsten der Klägerin erbracht werden. Aufgrund der gesetzlich normierten Nachleistungsbegrenzung besteht daher kein Anspruch auf Gewährung von höherer großer Witwenrente für die Zeit vor dem 1. Januar 2000.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt. Mit dem Tod der früheren Ehefrau des Versicherten als weitere Hinterbliebenenrentenberechtigte trat eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen zu Gunsten der Klägerin ein. Der mit Bescheid vom 11. März 1977 festgestellte Anspruch der früheren Ehefrau auf erhöhte Hinterbliebenenrente nach § 45 Abs. 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) endete gemäß §§ 300 Abs. 1, 100 Abs. 3 Satz 1 SGB VI mit Ablauf des 30. Juni 1997. Damit entfiel zugleich die Aufteilung der Rente auf mehrere Berechtigte (§ 45 Abs. 4 AVG bzw. § 91 SGB VI).
Nach ersatzlosem Wegfall der Verfahrensregelung in § 45 Abs. 4 Satz 2 AVG mit dem Inkrafttreten des SGB VI richtet sich die Änderung von Bescheiden an weitere Berechtigte nach den §§ 45 ff SGB X (vgl. KassKomm-Gürtner, SGB VI § 91 Rn. 24) mit der Folge, dass der Bescheid über die Neuberechnung der großen Witwenrente der Klägerin vom 11. September 1992 von der Beklagten von Amts wegen gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X wegen einer wesentlichen Änderung aufzuheben war. Da die Korrektur des Rentenbescheides vom 11. September 1992 erst mit Bescheid vom 28. Mai 2004 vorgenommen worden ist, dürfen Sozialleistungen (höhere große Witwenrente) nur für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht werden. Gemäß §§ 48 Abs. 4 Satz 1, 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X wird dabei der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurück genommen wird. Für Einzelansprüche der Klägerin vor dem 1. Januar 2000 erfolgt somit kraft Gesetzes eine Nachleistungsbegrenzung.
Die gesetzlich normierte Nachleistungsbegrenzung kann nicht im Wege eines SHA bzw. unter Berücksichtigung des § 115 Abs. 6 SGB VI durchbrochen werden. Der SHA greift nach den allgemeinen richterrechtlichen Grundsätzen bei einer dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnenden Pflichtverletzung ein, durch welche dem Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden entstanden ist. Auf der Rechtsfolgenseite muss durch die Vornahme einer Amtshandlung des Trägers ein Zustand hergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre (vgl. BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 8 mwN). Die Pflichtverletzung der Beklagten lag nicht in einer fehlerhaften oder unterlassenen Auskunft oder Beratung, sondern in einem Unterlassen einer von Amts wegen durchzuführenden Korrektur des Bescheides vom 11. September 1992 wegen einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen. Ein Antrag der Klägerin (§ 115 Abs. 1 SGB VI) war nicht erforderlich. Tatsächlich hatte die Beklagte auch zeitnah Kenntnis von dem Tod der früheren Ehefrau; denn die maschinelle Meldung über den amtlichen Nachweis des Todes der früheren Ehefrau wurde von einem Mitarbeiter der Beklagten unter dem 21. August 1997 bearbeitet (Blatt 147 bis 148 Verwaltungsakte Band II). Gleichwohl kann die Beklagte nicht im Wege des SHA zu einer Gewährung von Einzelansprüchen vor dem 1. Januar 2000 und damit einem rechtswidrigen Handeln verpflichtet werden. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass der seinerzeit für das Angestelltenversicherungsrecht allein zuständige 4. Senat des Bundessozialgerichts unter Aufgabe zuvor ergangener Rechtsprechung (vgl. BSG SozR 1300 § 44 Nr. 24 und 25) mit Urteil vom 2. August 2000 (B 4 RA 54/99 R = SozR 3-2600 § 99 Nr. 5) ausdrücklich klargestellt hat, dass der einzelanspruchsvernichtende Einwand aus § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X in allen Erstfeststellungsverfahren nicht gilt; dazu gehören auch Erstfeststellungen, die auf Grund eines rentenversicherungsrechtlichen Herstellungsrechts getroffen werden müssen.
Hieraus folgt jedoch kein für die Klägerin günstigeres Ergebnis; denn die Gewährung von höherer großer Witwenrente erfolgte nicht aufgrund einer Erstfeststellung, sondern aufgrund einer Korrektur eines bindenden Rentenfeststellungsbescheides nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. Dezember 2003, L 17 RJ 59/02, veröffentlich in www.sozialgerichtsbarkeit.de). In diesem Falle greift aber kraft Gesetzes die in § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X normierte Nachleistungsbegrenzung ein (so auch BSG, Urteil vom 6. März 2003, B 4 RA 38/02 R = SozR 4-2600 § 115 Nr. 1).
Es war nicht zu entscheiden, ob aufgrund der erst mehr als sechs Jahre nach Kenntnis von dem Tod der früheren Ehefrau erfolgten Korrektur mit Bescheid vom 28. Mai 2004 und der damit einhergehenden Nachleistungsbegrenzung die Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs (§ 839 Bürgerliches Gesetzbuch iVm Artikel 34 Grundgesetz - GG) erfüllt sind. Denn hierauf hat die Klägerin ihr Begehren nicht gestützt. Für die Entscheidung über einen Amtshaftungsanspruch ist zudem der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet (siehe Art. 34 Satz 3 Grundgesetz, § 17 Abs. 2 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von höherer großer Witwenrente aus der Versicherung des verstorbenen W E (Versicherter) auch für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 31. Dezember 1999.
Die 1919 geborene Klägerin ist die Witwe des 1976 verstorbenen Versicherten. Die Beklagte gewährte ihr aus dessen Versicherung eine Hinterbliebenenrente ab 1. Juni 1976 (Bescheid vom 11. August 1976), die wegen des Hinzutritts einer weiteren Berechtigten mit Wirkung ab 1. Mai 1977 neu festgestellt wurde (Bescheid vom 18. März 1977). Mit Bescheid vom 11. September 1992 wurde die große Witwenrente der Klägerin mit Wirkung ab 1. Juli 1992 neu berechnet. Die weitere Hinterbliebenenrentenberechtigte war die frühere Ehefrau des Versicherten FE, die von der Beklagten aus der Versicherung des Verstorbenen ab 1. August 1976 bis zu ihrem Tod am 1997 eine Hinterbliebenenrente bezog (Bescheide vom 11. März 1977 ab 1. August 1976, vom 16. September 1992 ab 1. Juli 1992 und vom 15. August 1995 ab 1. Januar 1995).
Mit Bescheid vom 28. Mai 2004 berechnete die Beklagte die bisherige große Witwenrente der Klägerin mit Wirkung ab 1. Januar 2000 neu und zahlte ab 1. Juli 2004 laufend monatlich 979,51 EUR. Für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis 30. Juni 2004 ergab sich ein Nachzahlungsbetrag von 27.205,96 EUR. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Rente neu berechnet werde, weil sich die mit der Rente zusammentreffenden anderen Ansprüche geändert hätten, ein anderer Beitragssatz zur Krankenversicherung maßgebend sei und Pflegeversicherungsbeiträge aus der Rente in anderer Höhe einzubehalten seien. Die Klägerin erhob Widerspruch mit der Begründung, dass eine sofortige Nachprüfung hätte ergeben müssen, dass ihr ab dem Sterbedatum der ersten Ehefrau ein Anspruch auf Witwenrente in voller Höhe zustehe und der Fehler offensichtlich bei der Beklagten zu suchen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2004 zurück und führte zur Begründung aus: Im Mai 2004 sei aufgrund einer erforderlichen Neuberechung wegen einer Änderung des Krankenversicherungs-Beitragssatzes festgestellt worden, dass die Witwenrente gekürzt gezahlt worden sei, obwohl die geschiedene Ehefrau des Versicherten bereits 1997 verstorben sei. § 44 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) regele die Rücknahme von rechtswidrig nicht begünstigenden Bescheiden, hier des Bescheides vom 11. September 1992. Soweit Sozialleistungen nachträglich aufgrund der Bescheidrücknahme zu erbringen sein, regele § 44 Abs. 4 SGB X, dass diese längstens für vier Jahre rückwirkend erbracht würden. Hierbei handele es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, die selbst dann gelte, wenn die Beklagte ein Verschulden treffe.
Zur Begründung ihrer auf die Neuberechnung der Rente für den Zeitraum vom 1. Juli 1997 bis 31. Dezember 1999 gerichteten Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klägerin ausgeführt, dass ihr der Anspruch als sozialrechtlicher Herstellungsanspruch (SHA) zustehe. Sie habe keinerlei Kenntnis vom Tod der geschiedenen Ehefrau ihres Mannes gehabt. Nach der Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts (BSG) folge aus der materiell-rechtlichen Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X kein allgemeiner Rechtsgedanke. Das SG Berlin hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27. Januar 2006 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klage sei vorliegend nicht begründet. Es handele sich im vorliegenden Fall nicht um die Konstellation eines SHA. Es gehe nicht um eine Nebenpflicht der Beklagten, die typischerweise unter dem Begriff der Beratung und Betreuung laufe, sondern um ihre Hauptpflicht, die der Klägerin rechtmäßig zustehende Rentenhöhe festzustellen. Da die Beklagte insoweit auch keine ihr in § 115 Abs. 6 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) übertragene Pflichtenstellung verletzt habe, erfolge die Rücknahme des Verwaltungsaktes nach § 48 Abs. 1 SGB X ab 1. Juli 1997 mit der Folge, dass nach § 48 Abs. 4 SGB X die Leistungseinschränkung des § 44 Abs. 4 SGB X zum Zuge komme.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und führt aus, dass die Beklagte eine ihr gegenüber bestehende Hinweispflicht verletzt und entgegen den Ausführungen im Tatbestand des Gerichtsbescheides nicht erst unter dem 22. Mai 2004 festgestellt habe, dass die frühere Ehefrau verstorben sei. Vielmehr sei dieser Umstand der Beklagten bereits im August 1997 bekannt gewesen.
Die Klägerin beantragt (Schriftsatz vom 9. März 2006), unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichtes Berlin vom 27. Januar 2006, den Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2004 insoweit aufzuheben, als ihre Rente nicht für den Zeitraum seit Juli 1997 bis 31. Dezember 1999 neu berechnet wurde und die Beklagte zu verpflichten, auch für diesen Zeitraum eine Neuberechnung vorzunehmen und den sich danach ergebenen Betrag auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und führt aus, dass im vorliegenden Fall kein Antrag zu stellen gewesen sei, so dass keine Nebenpflicht verletzt worden sei.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (vgl. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, mit der sie bei verständiger Würdigung ihres Klagebegehrens (vgl. § 123 SGG) die Gewährung von höherer großer Witwenrente auch für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 31. Dezember 1999 weiterverfolgt, ist nicht begründet. Die Klägerin hat für diesen Zeitraum kein Anspruch auf Gewährung von höherer großer Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes. Denn gemäß §§ 48 Abs. 4 Satz 1, 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X kann die höhere Witwenrente längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Aufhebung des Verwaltungsaktes vom 11. September 1992 mit Rentenfeststellungsbescheid vom 28. Mai 2004 wegen einer wesentlichen Änderung zu Gunsten der Klägerin erbracht werden. Aufgrund der gesetzlich normierten Nachleistungsbegrenzung besteht daher kein Anspruch auf Gewährung von höherer großer Witwenrente für die Zeit vor dem 1. Januar 2000.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt. Mit dem Tod der früheren Ehefrau des Versicherten als weitere Hinterbliebenenrentenberechtigte trat eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen zu Gunsten der Klägerin ein. Der mit Bescheid vom 11. März 1977 festgestellte Anspruch der früheren Ehefrau auf erhöhte Hinterbliebenenrente nach § 45 Abs. 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) endete gemäß §§ 300 Abs. 1, 100 Abs. 3 Satz 1 SGB VI mit Ablauf des 30. Juni 1997. Damit entfiel zugleich die Aufteilung der Rente auf mehrere Berechtigte (§ 45 Abs. 4 AVG bzw. § 91 SGB VI).
Nach ersatzlosem Wegfall der Verfahrensregelung in § 45 Abs. 4 Satz 2 AVG mit dem Inkrafttreten des SGB VI richtet sich die Änderung von Bescheiden an weitere Berechtigte nach den §§ 45 ff SGB X (vgl. KassKomm-Gürtner, SGB VI § 91 Rn. 24) mit der Folge, dass der Bescheid über die Neuberechnung der großen Witwenrente der Klägerin vom 11. September 1992 von der Beklagten von Amts wegen gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X wegen einer wesentlichen Änderung aufzuheben war. Da die Korrektur des Rentenbescheides vom 11. September 1992 erst mit Bescheid vom 28. Mai 2004 vorgenommen worden ist, dürfen Sozialleistungen (höhere große Witwenrente) nur für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht werden. Gemäß §§ 48 Abs. 4 Satz 1, 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X wird dabei der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurück genommen wird. Für Einzelansprüche der Klägerin vor dem 1. Januar 2000 erfolgt somit kraft Gesetzes eine Nachleistungsbegrenzung.
Die gesetzlich normierte Nachleistungsbegrenzung kann nicht im Wege eines SHA bzw. unter Berücksichtigung des § 115 Abs. 6 SGB VI durchbrochen werden. Der SHA greift nach den allgemeinen richterrechtlichen Grundsätzen bei einer dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnenden Pflichtverletzung ein, durch welche dem Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden entstanden ist. Auf der Rechtsfolgenseite muss durch die Vornahme einer Amtshandlung des Trägers ein Zustand hergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre (vgl. BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 8 mwN). Die Pflichtverletzung der Beklagten lag nicht in einer fehlerhaften oder unterlassenen Auskunft oder Beratung, sondern in einem Unterlassen einer von Amts wegen durchzuführenden Korrektur des Bescheides vom 11. September 1992 wegen einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen. Ein Antrag der Klägerin (§ 115 Abs. 1 SGB VI) war nicht erforderlich. Tatsächlich hatte die Beklagte auch zeitnah Kenntnis von dem Tod der früheren Ehefrau; denn die maschinelle Meldung über den amtlichen Nachweis des Todes der früheren Ehefrau wurde von einem Mitarbeiter der Beklagten unter dem 21. August 1997 bearbeitet (Blatt 147 bis 148 Verwaltungsakte Band II). Gleichwohl kann die Beklagte nicht im Wege des SHA zu einer Gewährung von Einzelansprüchen vor dem 1. Januar 2000 und damit einem rechtswidrigen Handeln verpflichtet werden. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass der seinerzeit für das Angestelltenversicherungsrecht allein zuständige 4. Senat des Bundessozialgerichts unter Aufgabe zuvor ergangener Rechtsprechung (vgl. BSG SozR 1300 § 44 Nr. 24 und 25) mit Urteil vom 2. August 2000 (B 4 RA 54/99 R = SozR 3-2600 § 99 Nr. 5) ausdrücklich klargestellt hat, dass der einzelanspruchsvernichtende Einwand aus § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X in allen Erstfeststellungsverfahren nicht gilt; dazu gehören auch Erstfeststellungen, die auf Grund eines rentenversicherungsrechtlichen Herstellungsrechts getroffen werden müssen.
Hieraus folgt jedoch kein für die Klägerin günstigeres Ergebnis; denn die Gewährung von höherer großer Witwenrente erfolgte nicht aufgrund einer Erstfeststellung, sondern aufgrund einer Korrektur eines bindenden Rentenfeststellungsbescheides nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. Dezember 2003, L 17 RJ 59/02, veröffentlich in www.sozialgerichtsbarkeit.de). In diesem Falle greift aber kraft Gesetzes die in § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X normierte Nachleistungsbegrenzung ein (so auch BSG, Urteil vom 6. März 2003, B 4 RA 38/02 R = SozR 4-2600 § 115 Nr. 1).
Es war nicht zu entscheiden, ob aufgrund der erst mehr als sechs Jahre nach Kenntnis von dem Tod der früheren Ehefrau erfolgten Korrektur mit Bescheid vom 28. Mai 2004 und der damit einhergehenden Nachleistungsbegrenzung die Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs (§ 839 Bürgerliches Gesetzbuch iVm Artikel 34 Grundgesetz - GG) erfüllt sind. Denn hierauf hat die Klägerin ihr Begehren nicht gestützt. Für die Entscheidung über einen Amtshaftungsanspruch ist zudem der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet (siehe Art. 34 Satz 3 Grundgesetz, § 17 Abs. 2 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
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