Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
30
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 6 AL 118/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 30 AL 57/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 22. Februar 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten beider Rechtszüge nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) vom 19. August 2002 bis zum 31. Juli 2003 und damit einhergehend um eine Erstattung von 1 365,06 EUR.
Die Klägerin bezog bis zum 18. August 2002 Arbeitslosengeld (Alg) nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 210,00 EUR mit einem wöchentlichen Leistungssatz von 79,59 EUR (Leistungsgruppe D; Prozentsatz 67 v. H.; Leistungsentgelt VO 2002; Bewilligungsbescheid vom 30. Juli 2002).
Die Klägerin beantragte am 08. August 2002 die Bewilligung von Alhi nach Ablauf des Alg-Bewilligungszeitraumes. In dem Antragsformular gab sie u. a. an, dass seit Beginn 2002 auf ihrer Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse V eingetragen gewesen und ihr jüngstes Kind N im Juli 2000 geboren sei. Sie erklärte mit eigenhändiger Unterschrift, das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Die Beklagte bewilligte der Klägerin Alhi ab 19. August 2002 mit einem wöchentlichen Leistungssatz von 95,20 EUR (weiter nach einem unveränderten wöchentlichen Bemessungsentgelt von 210,00 EUR, der Leistungsgruppe C, einem Prozentsatz von 57 v. H. und der Leistungsentgelt VO 2002 - Bewilligungsbescheid vom 23. August 2002). Ab 01. Januar 2003 betrug der wöchentliche Leistungssatz 94,71 EUR wiederum nach einem nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 210,00 EUR (Leistungsgruppe C; Prozentsatz 57 v. H.; Leistungsentgelt VO 2003; Zahlungsnachweis Nr. Nr. 2 vom 11. August 2003).
Nachdem der Beklagten aufgefallen war, dass der Bewilligung von Alhi ab 19. August 2002 die Leistungsgruppe C statt der Leistungsgruppe D zugrunde gelegt worden war, hörte sie die Klägerin durch zwei Schreiben vom 15. August 2003 an. Die Klägerin habe seit dem 19. August 2002 aufgrund eines Fehlers (statt richtigerweise nach der Steuerklasse V nach der Steuerklasse III) Alhi in Höhe von 95,20 EUR wöchentlich statt zutreffend 67,62 EUR und ab 1. Januar 2003 in Höhe von 94,71 wöchentlich statt zutreffend in Höhe von 67,20 EUR wöchentlich erhalten.
In ihrer am 03. September 2003 bei der Beklagten eingegangenen Stellungnahme führte die Klägerin aus, sie habe zur Kenntnis genommen, dass sich der Prozentsatz hinsichtlich der Bewilligung von Alhi auf 57 v. H. reduziert gehabt habe. Aus der Tatsache, dass sich der Leistungssatz erhöht gehabt habe, habe sie allerdings nicht schließen können, dass hier ein irgendwie gearteter Fehler zugrunde gelegen habe. Sie sei vielmehr davon ausgegangen, dass von Seiten der Beklagten die Bedürftigkeit der Familie, also insbesondere von ihr, so eingeschätzt worden sei, dass ihr der nun ausgewiesene Betrag zustehen würde, und ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hinreichend berücksichtigt worden seien. Weiter sei sie davon ausgegangen, dass der Bescheid lediglich aus dem Deckblatt bestanden habe. Zwar seien Hinweise mit dem Bescheid übermittelt worden. Sie sei davon ausgegangen, dass mit dem Wort "Hinweise" keinesfalls eine Berechnungsgrundlage oder Teile des Bescheides gemeint sein könnten. Sie habe sich keine Gedanken darüber gemacht, dass sie irgendwelche Hinweise einer Prüfung habe unterziehen sollen oder diese hätte gar beachten müssen. Jedenfalls habe sie sich die Rückseite des Bescheides überhaupt nicht angesehen. Sie habe nicht zu vertreten, dass sie den zugestandenen Fehler eines Mitarbeiters der Beklagten hätte ausbessern können.
Durch Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 08. September 2003 nahm die Beklagte die Bewilligung von Alhi für die Zeit ab 19. August 2002 teilweise zurück, weil die Klägerin Alhi nach der Steuerklasse III in Höhe von 95,20 EUR wöchentlich und ab 01. Januar 2003 in Höhe von 94,71 EUR erhalten habe. Ihr hätte jedoch ab 19. August 2002 nur Alhi in Höhe von 67,62 EUR wöchentlich und ab 01. Januar 2003 in Höhe von 67,20 EUR wöchentlich nach der Steuerklasse V zugestanden. Ein überzahlter Betrag in Höhe von 1 365,06 EUR sei zu erstatten.
Den hiergegen am 23. September 2003 eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2004 als unbegründet zurück; wegen der Einzelheiten dieses Widerspruchsbescheides wird auf Bl. 151 bis 153 der Leistungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Die Klägerin hat am 11. Februar 2004 Klage vor dem Sozialgericht Potsdam erhoben und ihr Begehren weiter geltend gemacht.
Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 22. Februar 2006 den Bescheid der Beklagten vom 08. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2004 aufgehoben. Die Klägerin habe den von der Beklagten verursachten Fehler bei der Bewilligung von Alhi nicht grob fahrlässig erkennen können. Wegen der weiteren Einzelheiten des Urteils des Sozialgerichts Potsdam wird auf Bl. 40 bis 46 der Gerichtsakten verwiesen.
Gegen das der Beklagten am 02. Mai 2006 zugestellte Urteil hat sie am 17. Mai 2006 Berufung eingelegt und geltend gemacht, auf die Bedeutung der Steuerklasse für die Höhe der zu bewilligenden Leistung werde sowohl im Merkblatt für Arbeitslose als auch im Bewilligungsbescheid selbst ausdrücklich hingewiesen. Wenn die Klägerin diese Hinweise nicht beachtet und die entsprechenden Angaben auf dem Bewilligungsbescheid nicht zur Kenntnis genommen habe, so könne dies nicht als bloße Fahrlässigkeit bewertet werden. Sie gehe davon aus, die Klägerin habe grob fahrlässig gehandelt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 22. Februar 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, von Seiten der Beklagten würden hier höhere Anforderungen als an sie gestellt werden, als die Beklagte an ihre eigenen Mitarbeiter zu stellen gedenkt. Sie (Klägerin) sei davon ausgegangen, bei Bewertung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und ihrer Bedarfsstruktur sei der seinerzeit festgesetzte Alhi Leistungsbetrag zutreffend gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vorbringen der Beteiligten und wegen des Verfahrens wird auf die Gerichtsakten sowie die Leistungsakten (Stammnummer ) Bezug genommen. Die Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht Potsdam hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Verwaltungsentscheidungen der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Beklagte hat die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 19. August 2002 bis 31. Juli 2003 gemäß § 45 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III zu Recht teilweise zurückgenommen.
Nach § 45 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Abs. 1). Er darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (Abs. 2 Satz 1). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Abs. 2 Satz 2). Auf Vertrauen kann der Begünstigte sich nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 1. Halbsatz). Liegen die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vor, ist § 330 Abs. 2 SGB III auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
§ 45 SGB X kommt im Falle der Klägerin zur Anwendung, weil die Bewilligung von Alhi ab 19. August 2002 mit Bewilligungsbescheid vom 23. August 2002 unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe C (Lohnsteuerklasse III) anstelle der zutreffenden Leistungsgruppe D (Lohnsteuerklasse V) von Anfang an rechtswidrig im Sinne der Vorschrift war.
Nach § 198 Satz 2 Nr. 4 SGB III in der hier anzuwendenden im Jahre 2002 geltenden Fassung sind auf die Alhi die Vorschriften über das Alg insbesondere hinsichtlich des Leistungsentgelts und der Leistungsgruppe entsprechend anzuwenden, soweit die Besonderheiten der Arbeitslosenhilfe nicht entgegenstehen.
Nach § 137 Abs. 1 SGB III in der vorliegend anzuwendenden vom 01. Januar 1998 bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes (BGBl. I S. 5948, = a.F.) richtet sich die als gewöhnlicher Abzug zugrunde zu legende Steuer nach der Leistungsgruppe, der der Arbeitslose zuzuordnen ist. Nach Abs. 2 der genannten Vorschrift sind zuzuordnen:
1. Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse I oder IV eingetragen ist, der Leistungsgruppe A,
2. Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse II eingetragen ist, der Leistungsgruppe B,
3. Arbeitnehmer, a) auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse III eingetragen ist oder b) die von ihrem im Ausland lebenden und daher nicht eingeschränkt einkommenssteuerpflichtigen Ehegatten nicht dauernd getrennt leben, wenn sie darlegen und nachweisen, dass der Arbeitslohn des Ehegatten weniger als 40 % des Arbeitslohns beider Ehegatten beträgt, wobei bei der Bewertung des Arbeitslohnes des Ehegatten die Einkommensverhältnisse des Wohnsitzstaates zu berücksichtigen sind, der Leistungsgruppe C,
4. Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse V eingetragen ist, der Leistungsgruppe D sowie
5. Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse VI eingetragen ist, weil sie noch aus einem weiteren Dienstverhältnis Arbeitslohn beziehen, der Leistungsgruppe E.
Nach § 137 Abs. 3 SGB III a. F. richtet sich die Zuordnung nach der Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch entstanden ist, auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitslosen eingetragen war. Spätere Änderungen der eingetragenen Lohnsteuerklasse werden mit Wirkung des Tages berücksichtigt, an dem erstmals die Voraussetzungen für die Änderungen vorlagen. Das Gleiche gilt, wenn auf der für spätere Kalenderjahre ausgestellten Lohnsteuerkarte eine andere Lohnsteuerklasse eingetragen wird.
Zu Beginn des Jahres 2002 war in die Lohnsteuerkarte der Klägerin die Lohnsteuerklasse V eingetragen, wie sich aus dem Alhi-Antragsformular vom 08. August 2002 ergibt. Insoweit ist die Bewilligung von Alhi ab 19. August 2002 mit der Berücksichtigung der Steuerklasse III (Leistungsgruppe C) anstelle der Steuerklasse V (Leistungsgruppe D) von Anfang an rechtswidrig gewesen, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist. Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Voraussetzungen von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X gegeben sind.
Die Klägerin hatte in ihrem Antrag vom 08. August 2002 richtige Angaben gemacht, so dass sie am Zustandekommen der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides nicht mitgewirkt im Sinne der Regelungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 und 2 SGB X hat. Sie muss sich jedoch im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB III vorhalten lassen, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt zu haben.
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X). Grobe Fahrlässigkeit setzt also eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes, das heißt eine besonders grobe und auch subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung voraus, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Anzulegen ist bei der Prüfung des Vorliegens der groben Fahrlässigkeit nicht ein objektiver, sondern ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab (BSG Urteil vom 24. April 1997 11 RAr 89/96 m. w. N. in Arbeit und Beruf AuB 1997, 282). Subjektiv unentschuldbar ist ein Verhalten, wenn schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Hierbei sind auch die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit und das Einsichtsvermögen des Betroffenen zu berücksichtigen. Unter Beachtung dieser individuellen Gegebenheiten hat die Klägerin grob fahrlässig gehandelt. Bei Kenntnisnahme des Inhalts des Alhi-Bewilligungsbescheides vom 23. August 2002 sowie der Erläuterung zur Höhe des Alg im Verhältnis zur Alhi ausweislich des Merkblattes 1 für Arbeitslose, hätte die Klägerin erkennen müssen, dass die Leistungsgruppe C für die Berechnung der Höhe der Alhi nur dann hätte rechtmäßig zugrunde gelegt werden dürfen, wenn auf ihrer Lohnsteuerkarte die Steuerklasse III eingetragen wäre. Dass der Klägerin aber bewusst gewesen war, dass dort die Steuerklasse V eingetragen war, ergibt sich ohne weiteres aus ihren handschriftlichen Eintragungen in ihrem Antrag vom 08. August 2002. Hinzu kommt, dass unter Ziffer 4. zu den Hinweisen zur Höhe des Leistungsentgeltes eine Berechnung enthalten ist, aus der sich ergibt, welche Abzüge vom Bemessungsentgelt in welcher Höhe berücksichtigt worden sind. Bei Kenntnisnahme dieser Hinweise war ohne weiteres erkennbar, dass die Höhe der zu berücksichtigenden Lohnsteuer entscheidenden Einfluss auf die Höhe der Alhi hat.
Aber selbst wenn die Klägerin den Inhalt des jeweiligen Bescheides sowie deren Hinweise nicht zur Kenntnis genommen hätte, hätte sie gegen die Obliegenheit verstoßen, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Auch wenn dies nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist (so insbesondere BSG vom 8. Februar 2001 –Az. B 11 AL 21/00 R = SozR 3-1300 § 45 Nr. 45), ändert dies nicht an der Beurteilung der Rechtslage. Die Beteiligten haben sich nämlich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren (vgl. BSGE 34, 124, 127 = SozR Nr. 25 zu § 29 RVO; BSGE 77, 175, 180 = SozR 3-4100 § 105 Nr. 2). Hierzu hat das BSG in seiner Entscheidung vom 8. Februar 2001 –Az. B 11 AL 21/00 R = SozR 3-1300 § 45 Nr. 45- wörtlich ausgeführt: "Eine Obliegenheit, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, besteht, auch wenn sie nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. In verschiedenen Zusammenhängen hat das BSG aus dem Sozialrechtsverhältnis hergeleitet, dass die Beteiligten "sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren" haben (vgl BSGE 34, 124, 127 = SozR Nr 25 zu § 29 RVO; BSGE 77, 175, 180 = SozR 3-4100 § 105 Nr 2; zur näheren Begründung auch Krause, Das Sozialrechtsverhältnis, Schriftenreihe des deutschen Sozialgerichtsverbandes Band XVIII 1980, 12, 25). In die gleiche Richtung deutet die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Buchholz 436.36 § 20 BAföG Nr 24; für Beamte vgl BVerwGE 40, 212, 217). Allerdings dürfte ein Antragsteller, der zutreffende Angaben gemacht hat, im Allgemeinen nicht zu Gunsten der Fachbehörde gehalten sein, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Der Antragsteller darf davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt (vgl BVerwGE 92, 81, 84). Das gilt auch, soweit Antragsteller über ihre Rechte und Pflichten durch Merkblätter aufgeklärt werden, die abstrakte Erläuterungen über Voraussetzungen von Ansprüchen und deren Bemessung enthalten. Andernfalls würde Begünstigten durch Merkblätter das Risiko für die sachgerechte Berücksichtigung von eindeutigen Tatsachen durch eine Fachbehörde aufgebürdet. Auch bei der Berücksichtigung der Vielfalt von Aufgaben und der Vielzahl der zu bearbeitenden Vorgänge ist es aber gerade die Aufgabe der Fachbehörde, wahrheitsgemäße tatsächliche Angaben von Antragstellern rechtlich einwandfrei umzusetzen (vgl die entsprechenden Erwägungen in einem anderen, aber vergleichbaren rechtlichen Zusammenhang in BSGE 64, 233, 236 ff = SozR 4100 § 145 Nr 4) und dies Betroffenen in der Begründung des Bescheids deutlich zu machen. Eine Bescheidbegründung, die den zugrunde gelegten Sachverhalt wiedergibt (hier zB: Da in Ihrer Lohnsteuerkarte 1994 zu Beginn des Jahres die Steuerklasse III eingetragen war und ist, erhalten Sie das Alg nach der Leistungsgruppe C) macht im übrigen gegebenenfalls auch den mit einer bestimmten Rechtsmaterie nicht vertrauten Antragsteller darauf aufmerksam, dass der Bewilligungsbescheid nicht in Ordnung ist, zB weil der zugrunde gelegte Sachverhalt (hier: Steuerklasse III) nicht dem angegebenen und wahren (Steuerklasse V) entspricht."
Danach durfte die Klägerin zwar grundsätzlich davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und ihre wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt. Dies spricht jedoch im vorliegenden Fall nicht gegen die Annahme grob fahrlässiger Nichtkenntnis der Rechtswidrigkeit. Dies ergibt sich aus der textlichen Fassung der Bewilligungsbescheide, die den Maßgaben des BSG entsprechen, wonach gerade nicht abstrakte Erklärungen abgegeben werden, sondern einer vermeintlich eingetragenen Lohnsteuerklasse eine klar definierte Zuordnung zu den Leistungsgruppen im Sinne des § 137 Abs. 2 SGB III gegeben wird ( "Die Zuordnung der Leistungsgruppe C erfolgt aufgrund derauf Ihrer Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse III"). Das Erkennen eines unmittelbaren Zusammenhangs der Leistungsgruppe D mit der Eintragung einer Lohnsteuerklasse V bedarf nicht etwa besonderer Fachkenntnisse eines Juristen oder Steuerfachmannes, sondern erklärt sich selbst und war im Übrigen der Klägerin durch den Alg-Bewilligungsbescheid vom 30. Juli 2002 bekannt; vgl. dort unter 3. Dass dies nicht mehr zum Regelungsgehalt des Bescheides gehörte, ändert nichts an der Beurteilung der Sachlage. Die Obliegenheitsverletzung ergibt sich gerade aus den Hinweisen zu dem Bewilligungsbescheid.
Die Beklagte hat die Bewilligung von Alhi für die hier streitbefangene Zeit auch innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X teilweise zurückgenommen.
Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat die Klägerin die zu Unrecht erbrachten Leistungen zu erstatten. Die von der Beklagten geltend gemachte Erstattungsforderung von 1.365,06 EUR ist auch der Höhe nach rechtmäßig. Die von der Beklagten auf Bl. 120 f. der Leistungsakten aufgeführte Berechnung der Erstattungsforderung hat der Senat geprüft und er kommt nach eigener Berechnung zu keinem abweichenden Betrag als dem geltend gemachten Erstattungsbetrag von 1.365,06 EUR.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Revision war nicht zuzulassen, wie die Voraussetzungen für eine Zulassung nicht vorgelegen haben (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) vom 19. August 2002 bis zum 31. Juli 2003 und damit einhergehend um eine Erstattung von 1 365,06 EUR.
Die Klägerin bezog bis zum 18. August 2002 Arbeitslosengeld (Alg) nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 210,00 EUR mit einem wöchentlichen Leistungssatz von 79,59 EUR (Leistungsgruppe D; Prozentsatz 67 v. H.; Leistungsentgelt VO 2002; Bewilligungsbescheid vom 30. Juli 2002).
Die Klägerin beantragte am 08. August 2002 die Bewilligung von Alhi nach Ablauf des Alg-Bewilligungszeitraumes. In dem Antragsformular gab sie u. a. an, dass seit Beginn 2002 auf ihrer Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse V eingetragen gewesen und ihr jüngstes Kind N im Juli 2000 geboren sei. Sie erklärte mit eigenhändiger Unterschrift, das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Die Beklagte bewilligte der Klägerin Alhi ab 19. August 2002 mit einem wöchentlichen Leistungssatz von 95,20 EUR (weiter nach einem unveränderten wöchentlichen Bemessungsentgelt von 210,00 EUR, der Leistungsgruppe C, einem Prozentsatz von 57 v. H. und der Leistungsentgelt VO 2002 - Bewilligungsbescheid vom 23. August 2002). Ab 01. Januar 2003 betrug der wöchentliche Leistungssatz 94,71 EUR wiederum nach einem nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 210,00 EUR (Leistungsgruppe C; Prozentsatz 57 v. H.; Leistungsentgelt VO 2003; Zahlungsnachweis Nr. Nr. 2 vom 11. August 2003).
Nachdem der Beklagten aufgefallen war, dass der Bewilligung von Alhi ab 19. August 2002 die Leistungsgruppe C statt der Leistungsgruppe D zugrunde gelegt worden war, hörte sie die Klägerin durch zwei Schreiben vom 15. August 2003 an. Die Klägerin habe seit dem 19. August 2002 aufgrund eines Fehlers (statt richtigerweise nach der Steuerklasse V nach der Steuerklasse III) Alhi in Höhe von 95,20 EUR wöchentlich statt zutreffend 67,62 EUR und ab 1. Januar 2003 in Höhe von 94,71 wöchentlich statt zutreffend in Höhe von 67,20 EUR wöchentlich erhalten.
In ihrer am 03. September 2003 bei der Beklagten eingegangenen Stellungnahme führte die Klägerin aus, sie habe zur Kenntnis genommen, dass sich der Prozentsatz hinsichtlich der Bewilligung von Alhi auf 57 v. H. reduziert gehabt habe. Aus der Tatsache, dass sich der Leistungssatz erhöht gehabt habe, habe sie allerdings nicht schließen können, dass hier ein irgendwie gearteter Fehler zugrunde gelegen habe. Sie sei vielmehr davon ausgegangen, dass von Seiten der Beklagten die Bedürftigkeit der Familie, also insbesondere von ihr, so eingeschätzt worden sei, dass ihr der nun ausgewiesene Betrag zustehen würde, und ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hinreichend berücksichtigt worden seien. Weiter sei sie davon ausgegangen, dass der Bescheid lediglich aus dem Deckblatt bestanden habe. Zwar seien Hinweise mit dem Bescheid übermittelt worden. Sie sei davon ausgegangen, dass mit dem Wort "Hinweise" keinesfalls eine Berechnungsgrundlage oder Teile des Bescheides gemeint sein könnten. Sie habe sich keine Gedanken darüber gemacht, dass sie irgendwelche Hinweise einer Prüfung habe unterziehen sollen oder diese hätte gar beachten müssen. Jedenfalls habe sie sich die Rückseite des Bescheides überhaupt nicht angesehen. Sie habe nicht zu vertreten, dass sie den zugestandenen Fehler eines Mitarbeiters der Beklagten hätte ausbessern können.
Durch Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 08. September 2003 nahm die Beklagte die Bewilligung von Alhi für die Zeit ab 19. August 2002 teilweise zurück, weil die Klägerin Alhi nach der Steuerklasse III in Höhe von 95,20 EUR wöchentlich und ab 01. Januar 2003 in Höhe von 94,71 EUR erhalten habe. Ihr hätte jedoch ab 19. August 2002 nur Alhi in Höhe von 67,62 EUR wöchentlich und ab 01. Januar 2003 in Höhe von 67,20 EUR wöchentlich nach der Steuerklasse V zugestanden. Ein überzahlter Betrag in Höhe von 1 365,06 EUR sei zu erstatten.
Den hiergegen am 23. September 2003 eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2004 als unbegründet zurück; wegen der Einzelheiten dieses Widerspruchsbescheides wird auf Bl. 151 bis 153 der Leistungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Die Klägerin hat am 11. Februar 2004 Klage vor dem Sozialgericht Potsdam erhoben und ihr Begehren weiter geltend gemacht.
Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 22. Februar 2006 den Bescheid der Beklagten vom 08. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2004 aufgehoben. Die Klägerin habe den von der Beklagten verursachten Fehler bei der Bewilligung von Alhi nicht grob fahrlässig erkennen können. Wegen der weiteren Einzelheiten des Urteils des Sozialgerichts Potsdam wird auf Bl. 40 bis 46 der Gerichtsakten verwiesen.
Gegen das der Beklagten am 02. Mai 2006 zugestellte Urteil hat sie am 17. Mai 2006 Berufung eingelegt und geltend gemacht, auf die Bedeutung der Steuerklasse für die Höhe der zu bewilligenden Leistung werde sowohl im Merkblatt für Arbeitslose als auch im Bewilligungsbescheid selbst ausdrücklich hingewiesen. Wenn die Klägerin diese Hinweise nicht beachtet und die entsprechenden Angaben auf dem Bewilligungsbescheid nicht zur Kenntnis genommen habe, so könne dies nicht als bloße Fahrlässigkeit bewertet werden. Sie gehe davon aus, die Klägerin habe grob fahrlässig gehandelt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 22. Februar 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, von Seiten der Beklagten würden hier höhere Anforderungen als an sie gestellt werden, als die Beklagte an ihre eigenen Mitarbeiter zu stellen gedenkt. Sie (Klägerin) sei davon ausgegangen, bei Bewertung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und ihrer Bedarfsstruktur sei der seinerzeit festgesetzte Alhi Leistungsbetrag zutreffend gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vorbringen der Beteiligten und wegen des Verfahrens wird auf die Gerichtsakten sowie die Leistungsakten (Stammnummer ) Bezug genommen. Die Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht Potsdam hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Verwaltungsentscheidungen der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Beklagte hat die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 19. August 2002 bis 31. Juli 2003 gemäß § 45 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III zu Recht teilweise zurückgenommen.
Nach § 45 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Abs. 1). Er darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (Abs. 2 Satz 1). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Abs. 2 Satz 2). Auf Vertrauen kann der Begünstigte sich nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 1. Halbsatz). Liegen die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vor, ist § 330 Abs. 2 SGB III auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
§ 45 SGB X kommt im Falle der Klägerin zur Anwendung, weil die Bewilligung von Alhi ab 19. August 2002 mit Bewilligungsbescheid vom 23. August 2002 unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe C (Lohnsteuerklasse III) anstelle der zutreffenden Leistungsgruppe D (Lohnsteuerklasse V) von Anfang an rechtswidrig im Sinne der Vorschrift war.
Nach § 198 Satz 2 Nr. 4 SGB III in der hier anzuwendenden im Jahre 2002 geltenden Fassung sind auf die Alhi die Vorschriften über das Alg insbesondere hinsichtlich des Leistungsentgelts und der Leistungsgruppe entsprechend anzuwenden, soweit die Besonderheiten der Arbeitslosenhilfe nicht entgegenstehen.
Nach § 137 Abs. 1 SGB III in der vorliegend anzuwendenden vom 01. Januar 1998 bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes (BGBl. I S. 5948, = a.F.) richtet sich die als gewöhnlicher Abzug zugrunde zu legende Steuer nach der Leistungsgruppe, der der Arbeitslose zuzuordnen ist. Nach Abs. 2 der genannten Vorschrift sind zuzuordnen:
1. Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse I oder IV eingetragen ist, der Leistungsgruppe A,
2. Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse II eingetragen ist, der Leistungsgruppe B,
3. Arbeitnehmer, a) auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse III eingetragen ist oder b) die von ihrem im Ausland lebenden und daher nicht eingeschränkt einkommenssteuerpflichtigen Ehegatten nicht dauernd getrennt leben, wenn sie darlegen und nachweisen, dass der Arbeitslohn des Ehegatten weniger als 40 % des Arbeitslohns beider Ehegatten beträgt, wobei bei der Bewertung des Arbeitslohnes des Ehegatten die Einkommensverhältnisse des Wohnsitzstaates zu berücksichtigen sind, der Leistungsgruppe C,
4. Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse V eingetragen ist, der Leistungsgruppe D sowie
5. Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse VI eingetragen ist, weil sie noch aus einem weiteren Dienstverhältnis Arbeitslohn beziehen, der Leistungsgruppe E.
Nach § 137 Abs. 3 SGB III a. F. richtet sich die Zuordnung nach der Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch entstanden ist, auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitslosen eingetragen war. Spätere Änderungen der eingetragenen Lohnsteuerklasse werden mit Wirkung des Tages berücksichtigt, an dem erstmals die Voraussetzungen für die Änderungen vorlagen. Das Gleiche gilt, wenn auf der für spätere Kalenderjahre ausgestellten Lohnsteuerkarte eine andere Lohnsteuerklasse eingetragen wird.
Zu Beginn des Jahres 2002 war in die Lohnsteuerkarte der Klägerin die Lohnsteuerklasse V eingetragen, wie sich aus dem Alhi-Antragsformular vom 08. August 2002 ergibt. Insoweit ist die Bewilligung von Alhi ab 19. August 2002 mit der Berücksichtigung der Steuerklasse III (Leistungsgruppe C) anstelle der Steuerklasse V (Leistungsgruppe D) von Anfang an rechtswidrig gewesen, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist. Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Voraussetzungen von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X gegeben sind.
Die Klägerin hatte in ihrem Antrag vom 08. August 2002 richtige Angaben gemacht, so dass sie am Zustandekommen der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides nicht mitgewirkt im Sinne der Regelungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 und 2 SGB X hat. Sie muss sich jedoch im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB III vorhalten lassen, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt zu haben.
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X). Grobe Fahrlässigkeit setzt also eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes, das heißt eine besonders grobe und auch subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung voraus, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Anzulegen ist bei der Prüfung des Vorliegens der groben Fahrlässigkeit nicht ein objektiver, sondern ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab (BSG Urteil vom 24. April 1997 11 RAr 89/96 m. w. N. in Arbeit und Beruf AuB 1997, 282). Subjektiv unentschuldbar ist ein Verhalten, wenn schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Hierbei sind auch die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit und das Einsichtsvermögen des Betroffenen zu berücksichtigen. Unter Beachtung dieser individuellen Gegebenheiten hat die Klägerin grob fahrlässig gehandelt. Bei Kenntnisnahme des Inhalts des Alhi-Bewilligungsbescheides vom 23. August 2002 sowie der Erläuterung zur Höhe des Alg im Verhältnis zur Alhi ausweislich des Merkblattes 1 für Arbeitslose, hätte die Klägerin erkennen müssen, dass die Leistungsgruppe C für die Berechnung der Höhe der Alhi nur dann hätte rechtmäßig zugrunde gelegt werden dürfen, wenn auf ihrer Lohnsteuerkarte die Steuerklasse III eingetragen wäre. Dass der Klägerin aber bewusst gewesen war, dass dort die Steuerklasse V eingetragen war, ergibt sich ohne weiteres aus ihren handschriftlichen Eintragungen in ihrem Antrag vom 08. August 2002. Hinzu kommt, dass unter Ziffer 4. zu den Hinweisen zur Höhe des Leistungsentgeltes eine Berechnung enthalten ist, aus der sich ergibt, welche Abzüge vom Bemessungsentgelt in welcher Höhe berücksichtigt worden sind. Bei Kenntnisnahme dieser Hinweise war ohne weiteres erkennbar, dass die Höhe der zu berücksichtigenden Lohnsteuer entscheidenden Einfluss auf die Höhe der Alhi hat.
Aber selbst wenn die Klägerin den Inhalt des jeweiligen Bescheides sowie deren Hinweise nicht zur Kenntnis genommen hätte, hätte sie gegen die Obliegenheit verstoßen, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Auch wenn dies nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist (so insbesondere BSG vom 8. Februar 2001 –Az. B 11 AL 21/00 R = SozR 3-1300 § 45 Nr. 45), ändert dies nicht an der Beurteilung der Rechtslage. Die Beteiligten haben sich nämlich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren (vgl. BSGE 34, 124, 127 = SozR Nr. 25 zu § 29 RVO; BSGE 77, 175, 180 = SozR 3-4100 § 105 Nr. 2). Hierzu hat das BSG in seiner Entscheidung vom 8. Februar 2001 –Az. B 11 AL 21/00 R = SozR 3-1300 § 45 Nr. 45- wörtlich ausgeführt: "Eine Obliegenheit, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, besteht, auch wenn sie nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. In verschiedenen Zusammenhängen hat das BSG aus dem Sozialrechtsverhältnis hergeleitet, dass die Beteiligten "sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren" haben (vgl BSGE 34, 124, 127 = SozR Nr 25 zu § 29 RVO; BSGE 77, 175, 180 = SozR 3-4100 § 105 Nr 2; zur näheren Begründung auch Krause, Das Sozialrechtsverhältnis, Schriftenreihe des deutschen Sozialgerichtsverbandes Band XVIII 1980, 12, 25). In die gleiche Richtung deutet die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Buchholz 436.36 § 20 BAföG Nr 24; für Beamte vgl BVerwGE 40, 212, 217). Allerdings dürfte ein Antragsteller, der zutreffende Angaben gemacht hat, im Allgemeinen nicht zu Gunsten der Fachbehörde gehalten sein, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Der Antragsteller darf davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt (vgl BVerwGE 92, 81, 84). Das gilt auch, soweit Antragsteller über ihre Rechte und Pflichten durch Merkblätter aufgeklärt werden, die abstrakte Erläuterungen über Voraussetzungen von Ansprüchen und deren Bemessung enthalten. Andernfalls würde Begünstigten durch Merkblätter das Risiko für die sachgerechte Berücksichtigung von eindeutigen Tatsachen durch eine Fachbehörde aufgebürdet. Auch bei der Berücksichtigung der Vielfalt von Aufgaben und der Vielzahl der zu bearbeitenden Vorgänge ist es aber gerade die Aufgabe der Fachbehörde, wahrheitsgemäße tatsächliche Angaben von Antragstellern rechtlich einwandfrei umzusetzen (vgl die entsprechenden Erwägungen in einem anderen, aber vergleichbaren rechtlichen Zusammenhang in BSGE 64, 233, 236 ff = SozR 4100 § 145 Nr 4) und dies Betroffenen in der Begründung des Bescheids deutlich zu machen. Eine Bescheidbegründung, die den zugrunde gelegten Sachverhalt wiedergibt (hier zB: Da in Ihrer Lohnsteuerkarte 1994 zu Beginn des Jahres die Steuerklasse III eingetragen war und ist, erhalten Sie das Alg nach der Leistungsgruppe C) macht im übrigen gegebenenfalls auch den mit einer bestimmten Rechtsmaterie nicht vertrauten Antragsteller darauf aufmerksam, dass der Bewilligungsbescheid nicht in Ordnung ist, zB weil der zugrunde gelegte Sachverhalt (hier: Steuerklasse III) nicht dem angegebenen und wahren (Steuerklasse V) entspricht."
Danach durfte die Klägerin zwar grundsätzlich davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und ihre wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt. Dies spricht jedoch im vorliegenden Fall nicht gegen die Annahme grob fahrlässiger Nichtkenntnis der Rechtswidrigkeit. Dies ergibt sich aus der textlichen Fassung der Bewilligungsbescheide, die den Maßgaben des BSG entsprechen, wonach gerade nicht abstrakte Erklärungen abgegeben werden, sondern einer vermeintlich eingetragenen Lohnsteuerklasse eine klar definierte Zuordnung zu den Leistungsgruppen im Sinne des § 137 Abs. 2 SGB III gegeben wird ( "Die Zuordnung der Leistungsgruppe C erfolgt aufgrund derauf Ihrer Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse III"). Das Erkennen eines unmittelbaren Zusammenhangs der Leistungsgruppe D mit der Eintragung einer Lohnsteuerklasse V bedarf nicht etwa besonderer Fachkenntnisse eines Juristen oder Steuerfachmannes, sondern erklärt sich selbst und war im Übrigen der Klägerin durch den Alg-Bewilligungsbescheid vom 30. Juli 2002 bekannt; vgl. dort unter 3. Dass dies nicht mehr zum Regelungsgehalt des Bescheides gehörte, ändert nichts an der Beurteilung der Sachlage. Die Obliegenheitsverletzung ergibt sich gerade aus den Hinweisen zu dem Bewilligungsbescheid.
Die Beklagte hat die Bewilligung von Alhi für die hier streitbefangene Zeit auch innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X teilweise zurückgenommen.
Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat die Klägerin die zu Unrecht erbrachten Leistungen zu erstatten. Die von der Beklagten geltend gemachte Erstattungsforderung von 1.365,06 EUR ist auch der Höhe nach rechtmäßig. Die von der Beklagten auf Bl. 120 f. der Leistungsakten aufgeführte Berechnung der Erstattungsforderung hat der Senat geprüft und er kommt nach eigener Berechnung zu keinem abweichenden Betrag als dem geltend gemachten Erstattungsbetrag von 1.365,06 EUR.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Revision war nicht zuzulassen, wie die Voraussetzungen für eine Zulassung nicht vorgelegen haben (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
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