L 10 B 402/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 16 AS 728/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 B 402/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 09. Februar 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der 1961 geborene und in R lebende Antragsteller (Ast) bezieht seit dem 01. Januar 2005 von dem Antragsgegner (Ageg) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). So bewilligte der Ageg mit Bescheid vom 28. Juni 2006 für die Zeit vom 01. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2006 Arbeitslosengeld II (Alg II) und zwar zunächst iHv 242,26 Euro monatlich (Regelsatz iHv 345,00 EUR abzüglich eines Sanktionsbetrages von 60 vH = 207,00 EUR, Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) iHv 104,26 EUR) für die Monate Juli bis September sowie iHv 449,26 Euro monatlich (Regelsatz iHv 345,00 EUR, KdU iHv 104,26 EUR) für die Monate Oktober bis Dezember. Mit Änderungsbescheid vom 11. Juli 2006 reduzierte der Ageg auf den Widerspruch des Ast den Sanktionsbetrag auf 40 vH = 138,00 EUR, so dass im Ergebnis Alg II iHv 311,26 EUR für die Monate Juli bis September 2006 gewährt wurde. Nachdem der Ast trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen zu dem Meldetermin am 29. August 2006 nicht bei dem Ageg erschienen war, hörte dieser den Ast mit Schreiben vom 30. August 2006 zur beabsichtigten Absenkung der Regelleistung an und setzte eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme bis zum 05. September 2006; gleichzeitig forderte er ihn zur persönlichen Vorsprache am 05. September 2006 um 09:30 im Amt für Arbeitsmarkt N auf unter Beifügung eines Formblattes zu den Gründen der Abwesenheit. Am 05. September 2006 ging bei dem Ageg die vom Ast am 04. September 2006 auf dem Formblatt unterzeichnete Erklärung ein, wonach er nur gekürzte Leistungen erhalte und kein Geld für eine Busfahrkarte habe, das Gleiche gelte für den Termin am 13. September 2006 (ein von dem Ageg veranlasster Vorstellungstermin für eine MAE- Maßnahme). Weiterhin bat der Ast um Übersendung eines Fahrscheines. Daraufhin hob der Ageg mit Bescheid vom 10. Oktober 2006 die Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 01. Oktober 2006 bis zum 31. Dezember 2006 teilweise nach § 31 Abs 2 und 3 SGB II iVm § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) iHv 20 vH der Regelleistung (= 69,00 EUR) auf und setzte den Leistungsbetrag auf 380,26 EUR monatlich fest. Hiergegen erhob der Ast Widerspruch und führte aus, er möchte gerne wissen, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit er sich habe melden sollen.

Am 18. Oktober 2006 hat sich der Ast an das Sozialgericht (SG) Neuruppin mit einem einstweiligen Rechtsschutzbegehren gewandt und beantragt, den Ageg zur Aufhebung des Leistungskürzungsbescheides vom 10. Oktober 2006 und zur Gewährung des Alg II in vollem Umfang auch rückwirkend zu verpflichten. Er habe sich für sein Fernbleiben entschuldigt, da ihm keine ausreichenden Mittel zur Bestreitung der Fahrkosten zur Verfügung gestanden hätten. Trotz seiner Bitte habe ihm der Ageg weder das Fahrgeld noch Fahrscheine übermittelt, dessen Verhalten verstoße daher gegen die guten Sitten. Auf Einwände des Ageg, die den Zeitpunkt der schriftlichen Reaktion und das Fehlen einer telefonischen Abmeldung betrafen, hat der Ast weiter ausgeführt, eine Einladung für den 16. August 2006 nicht erhalten zu haben. Für den Termin vom 05. September 2006 habe er mehrfach angerufen, um sich zu entschuldigen, jedoch niemanden erreichen können. Auch nach der zwischenzeitlich aufgrund des Beschlusses des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg vom 27. November 2006 – L 18 B 941/06 AS ER – und des Ausführungsbescheides vom 20. Dezember 2006 für den Leistungszeitraum vom 01. Juli 2006 bis zum 30. September 2006 erfolgten Nachzahlung iHv 414,00 EUR liege noch Eilbedürftigkeit vor, da er nicht alle (vom Ast beigefügten) offenen Rechnungen in Bezug auf die jährlich anfallenden Unterkunftskosten (Fäkalienentsorgung, Wartungsgebühren Heizung und Gastank, Schornsteinfeger) wie auch notwendige medizinische Kosten habe begleichen können und somit für den Lebensunterhalt nichts mehr übrig geblieben sei.

In der Zeit vom 14. September 2006 bis ca Mitte Dezember 2006 hat der Ast an einer MAE-Maßnahme ("1-Euro-Job") im Umfang von 30 Stunden wöchentlich teilgenommen und zusätzliche Leistungen zum Alg II erhalten.

Das SG Neuruppin hat durch Beschluss vom 09. Februar 2007 den als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angesehenen Antrag des Ast mit der Begründung abgelehnt, es fehle an einem Anordnungsgrund, da nur höhere Leistungen für die Vergangenheit begehrt würden. Der gegenwärtige Bedarf des Ast, der seit dem 01. Januar 2007 wieder Alg II in voller Höhe erhalte, sei gedeckt. Eine existenzielle Notlage sei weder aus den Akten noch aus dem Vortrag des Ast erkennbar.

Der hiergegen eingelegten Beschwerde hat das SG nicht abgeholfen, sondern diese dem LSG zur Entscheidung vorgelegt.

Der Ast führt unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens zur Begründung aus, wegen der andauerndenen Leistungskürzungen habe er zur Begleichung seiner Rechnungen Schulden machen müssen, die er nur zum Teil durch die Nachzahlung habe tilgen können. Da der Ageg die KdU nur in 12 Monatsraten gewähre, er aber die Rechnungen sofort begleichen müsse, sei seine existenzielle Notlage nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben.

Dem Ageg ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der Leistungsakte sowie der Fallmanagerakte des Ageg, die bei Entscheidungsfindung vorgelegen haben, Bezug genommen.

II.

Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde des Ast ist zulässig, jedoch unbegründet.

Zwar hat das SG im angefochtenen Beschluss vom 09. Februar 2007 das Rechtsschutzbegehren des Ast insoweit verkannt, als es darin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG gesehen hat. Im Ergebnis hat es den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt. Das bereits erstinstanzlich vom Ast verfolgte Begehren (§ 123 SGG) ist auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches gegen den Absenkungsbescheid vom 10. Oktober 2006 und Aufhebung (Rückgängigmachung) der Vollziehung nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGG gerichtet. Nach dieser Regelung kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen; sofern der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung – wie im vorliegenden Rechtsstreit - schon vollzogen oder befolgt worden ist, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen (§ 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG). Diese Ausgangsposition ist hier gegeben, denn nach § 39 Nr. 1 SGB II, der eine Regelung im Sinne von § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG trifft, haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Jedoch liegen die sonstigen Voraussetzungen des § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGG nicht vor. Ob die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anzuordnen ist oder nicht, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Abwägung, wobei das private Interesse des Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes abzuwägen ist. Um eine Entscheidung zugunsten des Bescheidadressaten zu treffen, ist zumindest erforderlich, dass bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides bestehen (vgl zum Meinungsstand: Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2005, Rdnr 197 ff). Ist in diesem Sinne eine Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens zu bejahen, ist weiterhin Voraussetzung, dass dem Betroffenen das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann, also ein gewisses Maß an Eilbedürftigkeit besteht. Dies ist zu bejahen, wenn die Vollziehung des Aufhebungsbescheides eine für den Ast unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, d.h. er durch die Vorenthaltung der Leistung bis zur rechtskräftigen Klärung des Rechtsstreites in der Hauptsache in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten geriete oder sogar in seiner Existenz gefährdet wäre.

Vorliegend bestehen zwar gewisse Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der im Bescheid vom 10. Oktober 2006 nach §§ 31 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 (in der hier maßgeblichen Fassung bis zum 31. Dezember 2006), 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II iVm § 330 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X getroffenen Entscheidung über die Absenkung des Alg II und die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung vom 28. Juni 2006 für den Leistungszeitraum vom 01. Oktober 2006 bis zum 31. Dezember 2001. Voraussetzungen für eine Absenkung aufgrund eines Meldeverstoßes sind, dass a) der Hilfebedürftige in Kenntnis der Aufforderung zu einem Meldetermin nicht erscheint, b) der Termin rechtmäßig angeordnet war, c) er ordnungsgemäß über die Rechtsfolgen belehrt worden ist und d) für sein Fernbleiben keinen gewichtigen Grund nachweist (vgl. Berlit in LPK-SGB II, 2. Auflage, § 31 RdNr 72). Bei summarischer Prüfung dürften nach Lage der Akten und dem Vortrag der Beteiligten die zu a) bis c) genannten Voraussetzungen für eine Absenkung hinsichtlich des Meldetermins vom 29. August 2006 erfüllt sein. Soweit der Ast nunmehr behauptet, er habe die Einladung der Ageg vom 16. August 2006 zum Termin am 29. August 2006, die mit der entsprechenden Rechtsfolgenbelehrung versehen war (vgl. Kopie in der Leistungsakte Seite 113), nicht erhalten, ist dies im Hinblick auf sein vorhergehendes Verhalten nicht glaubhaft. Denn auf die konkrete Anhörung hierzu (vgl. Schreiben des Ageg vom 30. August 2006, Kopie in der Leistungsakte Seite 115) hat der Ast diesen Umstand, der ja der naheliegende Entschuldigungsgrund für sein Nichterscheinen gewesen wäre, in seinem Antwortschreiben vom 04. September 2006 mit keinem Wort erwähnt. Bedenken bestehen bzgl. der unter d) genannten Voraussetzung mit Blick auf den vom Ast im Schreiben vom 04. September 2006 genannten Entschuldigungsgrund der fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, da dem Ast im maßgeblichen Zeitraum (August/ Anfang September 2006) mit einem Gesamtbetrag von 311,26 EUR bei einem Bedarf von 449,26 EUR kein die Existenz sicherndes Einkommen zur Verfügung stand und er auch kein – im Notfall einsetzbares – Schonvermögen besaß; dies gilt auch bzgl. der Nichtwahrnehmung des Meldetermins vom 05. September 2006. Darüber hinaus bestehen Bedenken hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit der schriftlichen Meldeaufforderung vom 30. August 2006 im Hinblick darauf, ob mit der recht knapp bemessenen Frist den Postlaufzeiten im ländlichen Raum ausreichend Rechnung getragen worden ist, zumal mit der Aufforderung die Anhörung zum Meldeverstoß vom 29. August 2006 verknüpft war, für die eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme bis zum 05. September 2006 gesetzt worden war. Außerdem steht in Frage, dass § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB II nicht beachtet worden ist, wonach die Absenkung erst mit Wirkung des Kalendermonates eintritt, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes, der die Absenkung oder den Wegfall der Leistung feststellt, folgt. Diese Fragen und damit die Rechtmäßigkeit des Absenkungsbescheides abschließend zu klären ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht ohne Weiteres möglich und für eine Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nicht zwingend geboten; sie bleibt deshalb dem Widerspruchs- bzw. Klageverfahren vorbehalten.

Unter Berücksichtung seines weiteren Vorbringens kann bei (teilweiser) nicht aussichtsloser Rechtsverfolgung ein überwiegendes Interesse des Ast an der Herstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches und Rückgängigmachung der Vollziehung der Leistungsabsenkung nicht bejaht werden. So liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats wie auch bereits im Zeitpunkt der Entscheidung des SG die Rückgängigmachung der Vollziehung des Absenkungsbescheides wegen bestehender ernsthafter wirtschaftlicher Schwierigkeiten oder einer Existenzgefährdung des Ast geboten ist bzw. war. Denn der Ast bezieht bereits seit dem 01. Januar 2007 wieder den vollen Alg II-Leistungssatz, so dass sein Bedarf nach dem SGB II gedeckt ist. Im Hinblick auf die Leistungskürzung für den Zeitraum vom 01. Juli 2006 bis zum 30. September 2006 hat er zudem noch im Dezember 2006 die Nachzahlung des vollen Differenzbetrages erhalten. Daneben hat er aufgrund der MAE-Maßnahme seit dem 14. September 2006 zeitweilig über ein zusätzliches anrechnungsfreies Einkommen verfügt. Der Ast hat weder eine detaillierte, Darlehensgeber und Darlehenskonditionen bezeichnende Aufstellung zu der von ihm behaupteten Verschuldung wegen teilweiser Vorenthaltung des Alg II und zu den zwischenzeitlich erfolgten Tilgungen sowie die entsprechenden Nachweise vorgelegt, noch im Einzelnen nachvollziehbar dargelegt, inwieweit Schulden trotz der erfolgten Nachzahlung und dem zusätzlichen Einkommen sowie der in voller Höhe gewährten KdU noch bestehen. Die Vorlage von Rechnungen betreffend KdU, ohne dass aus ihnen erkennbar wird, ob diese tatsächlich noch offen oder schon beglichen sind, reicht für die Glaubhaftmachung einer die Existenz bedrohenden Verschuldung nicht aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwen¬dung.

Die Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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