L 9 KR 24/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 75 KR 1318/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 24/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. November 2003 wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat der Beigeladenen zu 4) ihre außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Tätigkeit der Klägerin als Kurierfahrerin für die Beigeladene zu 4) in der Zeit vom 1. Februar 1990 bis zum 30. Juni 1999 eine abhängige Beschäftigung darstellte.

Die Beigeladene zu 4) ist Herstellerin von Brillengläsern und unterhält jedenfalls seit dem Jahr 1992 in der Nähe von B ein Auslieferungslager; davor bestand ein solches Lager in B. Von diesen Auslieferungslagern holte im hier streitbefangenen Zeitraum die Klägerin entweder selbst oder durch Einsatz von angestellten Kraftfahrern täglich die auszuliefernden Brillengläser ab und verbrachte sie in das ihr selbst gehörende Warenlager in B. Von diesem aus erfolgte die Verteilung an verschiedene Optikerbetriebe.

Die Auslieferung hatte täglich vormittags zu erfolgen, in der Regel bis um 11.00 Uhr vormittags; spätestens um 12.00 Uhr mittags musste die Ware bei den Optikern eintreffen; Tourenpläne gab die Beigeladene zu 4) der Klägerin nicht vor. Die Klägerin beschäftigte im hier streitbefangenen Zeitraum regelmäßig mindestens 8 teilzeitbeschäftigte Fahrer zur Auslieferung, einen Teil der Auslieferungsfahrten unternahm sie selbst. Daneben setzte sie gelegentlich auch weitere Fahrer ein. Alle Auslieferungsfahrer waren geringfügig Beschäftigte und unterlagen nicht der Pflicht zur Sozialversicherung. Die Entscheidung, wie viele Kraftfahrer die Klägerin beschäftigte und in welchem zeitlichen Umfang sie diese jeweils einsetzte, oblag der Klägerin selbst.

Die Abrechnung der Klägerin gegenüber der Beigeladenen zu 4) erfolgte in der Regel durch Rechnungen, die ca. zweimal monatlich erstellt wurden. Die Auslieferungsentgelte handelte die Klägerin mit der Beigeladenen zu 4) jeweils aus. Als Ergebnis dieser Verhandlungen vergütete die Beigeladene zu 4) die Leistungen der Klägerin für Auslieferungsfahrten in B (Ost) regelmäßig durch vereinbarte Pauschaltarife, während die Auslieferungen in B (West) regelmäßig durch Stückentgelte vergütet wurden.

Vor dem hier streitbefangenen Zeitraum hatte die Klägerin in abhängiger Beschäftigung vergleichbare Kurierfahrten durchgeführt und später die Gewerbebetriebe der früheren Auftraggeber übernommen.

Auf den Antrag der Klägerin auf Überprüfung ihrer Versicherungspflicht stellte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Juni 2001 fest, die Klägerin sei im streitbefangenen Zeitraum nicht abhängig beschäftigt gewesen. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2002 zurück.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 7. November 2003 nach Vernehmung mehrerer Zeugen abgewiesen: Die Klägerin sei bei der Beigeladenen zu 4) im streitbefangenen Zeitraum nicht abhängig beschäftigt worden. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V), § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch/Sechstes Buch, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch/Elftes Buch und § 168 Abs. 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz bzw. § 25 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Drittes Buch seien jeweils Arbeiter und Angestellte versicherungspflichtig, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt seien. Die Beschäftigung sei in § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Viertes Buch (SGB IV) definiert als die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Die Arbeitnehmereigenschaft richte sich danach, ob eine persönliche Abhängigkeit von einem Arbeitgeber bestehe. Die persönliche Abhängigkeit erfordere insbesondere die Eingliederung in den Betrieb und die Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Ort, Dauer und Art der Arbeitsausführung. Maßgebend sei das Gesamtbild der Arbeitsleistung. An diesen Maßstäben gemessen sei die Klägerin nicht abhängig beschäftigt gewesen, sie sei insbesondere nicht in den Betrieb der Beigeladenen zu 4) in irgendeiner Weise eingegliedert oder einem Weisungsrecht unterworfen gewesen. So habe die Klägerin insbesondere Zeit, Dauer und Ort der Arbeitsleistung weitgehend selbst bestimmen können. Auch wenn die Beigeladene zu 4 der Klägerin einen engen zeitlichen Spielraum vorgegeben habe, sei die Klägerin ansonsten in ihren Entscheidungen weitgehend frei gewesen. Sie habe im Übrigen die Leistung im Wesentlichen nicht in eigener Person, sondern unter Einsatz von Arbeitnehmern erbracht. Die Klägerin habe darüber hinaus auch in vollem Umfang das Unternehmerrisiko getragen. Sie sei auch nach außen hin erkennbar als Unternehmerin aufgetreten. Eine gesetzliche Vermutung für das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung ergebe sich auch nicht aus § 7 Abs. 4 SGB IV.

Gegen dieses ihr am 14. Januar 2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13. Februar 2004 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Sie macht geltend, es habe eine abhängige Beschäftigung vorgelegen. Die Klägerin sei verpflichtet gewesen, die Arbeitsleistung in eigener Person zu erbringen. Sie sei persönlich in den Betrieb der Beigeladenen zu 4) eingegliedert gewesen, die ihr enge Vorgaben gemacht habe. Die Klägerin habe weder für ein Konkurrenzunternehmen tätig werden dürfen, noch habe sie nennenswerten Einfluss auf die Preisgestaltung besessen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. November 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 2002 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin ihre Tätigkeit für die Beigeladene zu 4) in der Zeit vom 1. Februar 1990 bis zum 30. Juni 1999 im Rahmen einer nichtselbstständigen Beschäftigung ausgeübt hat.

Die Beklagte und die Beigeladene zu 4) beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladenen zu 2) und 3) teilen den Rechtsstandpunkt der Klägerin, ohne eigene Anträge zu stellen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Niederschrift zum Termin zur Erörterung des Sachverhalts mit dem Berichterstatter vom 20. Januar 2006 sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten, welche im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG), in der Sache jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Die Befugnis der Beklagten zum Erlass der streitbefangenen Bescheide folgt aus § 7a Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch/Viertes Buch (SGB IV), denn die Beklagte wurde im Rahmen eines Anfrageverfahrens zur Feststellung einer abhängigen Beschäftigung tätig. Die Bescheide sind auch inhaltlich nicht zu beanstanden, denn die Klägerin war im streitbefangenen Zeitraum nicht bei der Beigeladenen zu 4) abhängig beschäftigt.

Eine solche abhängige Beschäftigung ist in § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV definiert als die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach Satz 2 der Vorschrift sind Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Hieran fehlte es bei der Klägerin, denn diese war im streitbefangenen Zeitraum nicht in den Betrieb der Beigeladenen zu 4) eingegliedert und unterlag auch nicht deren Weisungen. Der Senat weist insoweit die Berufung der Klägerin aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht diesbezüglich gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Auch das weitere Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren vermag nicht zu einer anderen Entscheidung zu führen. Zwar war die Klägerin in der Tat im hier streitbefangenen Zeitraum von der Beigeladenen zu 4) wirtschaftlich vollständig abhängig, weil sie keine weiteren Auftraggeber besaß. Es fehlte jedoch an einer persönlichen Abhängigkeit durch Eingliederung in den Betrieb der Beigeladenen. Soweit die Klägerin geltend macht, die einzelnen Lieferungen seien bereits durch die Beigeladene zu 4) nach Touren vorsortiert worden, liegen hierin keine Tourenpläne im Sinne einer Ausübung des Direktionsrechts eines Arbeitgebers. Die Beigeladene zu 4) hat gegenüber der Klägerin gerade nicht festgelegt, in welcher Reihenfolge diese die einzelnen Optikerbetriebe anzufahren hatte. Dass eine räumliche Vorsortierung der Waren die Auslieferung erleichterte, führt nicht zu der Ausübung eines arbeitgeberseitigen Direktionsrechts durch die Beigeladene zu 4).

Soweit die Klägerin vorträgt, sie habe im Ergebnis gegenüber der Beigeladenen zu 4) keine eigenen Preisvorstellungen durchsetzen können, unterstreicht dies zwar die wirtschaftliche Abhängigkeit der Klägerin von der Beigeladenen zu 4), spricht aber nicht für eine Weisungsgebundenheit bzw. betriebliche Eingliederung. Denn tatsächlich wurden Preisabsprachen – wenn auch z. T. mit für die Klägerin nicht befriedigenden Ergebnissen - durchgeführt, es fand kein einseitiges Diktat eines Entgelts durch die Beigeladene zu 4) statt.

Die Tatsache, dass die Klägerin neben ihrer Tätigkeit für die Beklagte sonst nicht werbend am Markt tätig war, insbesondere auch kein eigenes Firmenschild führte oder ihre unternehmerische Tätigkeit nach außen sichtbar kenntlich machte, spricht gleichfalls nicht entscheidend gegen die Einstufung ihrer Tätigkeit als selbständige. So ist allgemein anerkannt, dass auch bei nur einem Auftraggeber eine selbständige Tätigkeit ausgeübt werden kann (vgl. § 2 Satz 1 Nr. 9 Buchst. b) Sozialgesetzbuch/Sechstes Buch, der hierbei ausdrücklich von einer selbständigen Tätigkeit ausgeht). Entscheidend ist auch in diesem Zusammenhang wieder, dass die Klägerin stets über einen unternehmerischen Entscheidungsspielraum verfügte und von diesem auch Gebrauch machte. So oblag es allein ihrer eigenen unternehmerischen Entscheidung, sich für einen einzigen Auftraggeber zu entscheiden. Sie hätte indessen ihre Tätigkeit für die Beigeladene zu 4) nicht gefährdet, wenn sie sich zur Annahme sonstiger Aufträge entschieden hätte, und hat somit aus eigenem Willen auf diese – mögliche – Ausweitung ihrer unternehmerischen Tätigkeit verzichtet. Umgekehrt war sie auch nicht verpflichtet, alle Aufträge der Beigeladenen zu 4) auszuführen. Wie sich insbesondere aus der Zeugenvernehmung der Tochter der Klägerin durch das Sozialgericht sowie die Anhörung der Klägerin im Termin zur Erörterung des Sachverhalts mit dem Berichterstatter ergibt, war die Klägerin sowohl rechtlich als auch tatsächlich in der Lage, ihr unerwünschte Aufträge der Beigeladenen zu 4) abzulehnen.

Schließlich spricht auch der Einsatz eigener Arbeitnehmer in beträchtlicher Zahl durch die Klägerin gegen deren abhängige Beschäftigung. Zwar verkennt der Senat nicht, dass der Einsatz nicht versicherungspflichtiger, geringfügig beschäftigter (Sub-)Arbeitnehmer nicht schlechthin ein Ausschlusskriterium für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung darstellt, doch hier war eine besonders kritische Prüfung alle Umstände des Einzelfalles vorzunehmen. Hierbei fiel für den Senat entscheidend ins Gewicht, dass die Klägerin auch hinsichtlich der Beschäftigung von Arbeitnehmern weiterhin über einen beträchtlichen unternehmerischen Entscheidungsspielraum verfügte. So konnte sie völlig frei von Vorgaben oder Weisungen der Beigeladenen zu 4) entscheiden, ob und in welchem Umfang sie Arbeitskräfte einsetzte. Insbesondere konnte sie in alleiniger Verantwortung darüber befinden, ob sie versicherungspflichtige oder nicht versicherungspflichtige Arbeitskräfte beschäftigte. Soweit der Umfang der vorzunehmenden Auslieferungsfahrten deren alleinige Ausführung durch die Klägerin in Person nicht zuließ, war es wiederum allein die unternehmerische Entscheidung der Klägerin, eine Ausweitung des Geschäftsbetriebes durch Einsatz von Arbeitskräften vorzunehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit §§ 154, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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