L 7 B 97/06 KA ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 1 KA 121/06ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 B 97/06 KA ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 26. Juni 2006 wird zurückgewiesen. Der im Beschwerdeverfahren von der Antragstellerin gestellte Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr weitere 5.803,21 Euro vorläufig wieder auszuzahlen, wird abgelehnt. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens vor dem Landessozialgericht. Der Streitwert wird unter gleichzeitiger Änderung des Beschlusses des Sozialgerichts Potsdam vom 26. Juni 2006 für beide Instanzen auf jeweils 18.648,92 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 26. Juni 2006 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die bei ihm gestellten Anträge abgelehnt, mit denen die Antragstellerin geltend gemacht hat, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 1. November 2004 und 14. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2005 anzuordnen und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr den bereits einbehaltenen Betrag in Höhe von 31.494,62 Euro vorläufig wieder auszuzahlen. Da dem Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, kein Erfolg beschieden ist, kann auch der ergänzend erst im Beschwerdeverfahren gestellte Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr weitere 5.803,21 Euro vorläufig wieder auszuzahlen, keinen Erfolg haben.

Der von der Antragstellerin vorrangig verfolgte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage ist zulässig, wobei insbesondere gegen die Statthaftigkeit dieses Antrages keine Bedenken bestehen. Sie setzt nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG eine Fallkonstellation voraus, in der - abweichend von dem in § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG geregelten Grundsatz - Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, weil sie sich gegen einen Verwaltungsakt richten, der entweder nach § 86 a Abs. 2 Nr. 1-4 SGG kraft Gesetzes oder nach § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG kraft behördlicher Vollziehungsanordnung schon vor Eintritt seiner Unanfechtbarkeit sofort vollziehbar ist. Eine solche Fallkonstellation im Sinne des § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG liegt hier vor. Denn die von der Antragstellerin in dem nach wie vor bei dem Sozialgericht Potsdam anhängigen Rechtsstreit S 1 KA 123/05 zu Recht mit der Anfechtungsklage angegriffenen Bescheide vom 1. November 2004 und 14. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2005, mit denen die Antragsgegnerin die der Antragstellerin für die Quartale II/00 bis IV/00 erteilten Honorarbescheide zu ihren Lasten geändert und hiernach überzahltes Honorar von ihr zurückgefordert hat, gehören gemäß § 85 Abs. 4 Satz 9 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) zu den kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Verwaltungsakten im Sinne des § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z. B. den ebenfalls von der Antragstellerin erstrittenen Beschluss vom 31. Januar 2006 - L 7 B 1046/05 KA ER - m. w. N.).

Der zulässige Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage ist jedoch unbegründet. Wie der Senat in Fällen der hier vorliegenden Art wiederholt entschieden hat (vgl. erneut den soeben zitierten Beschluss vom 31. Januar 2006), ist im Rahmen der Begründetheitsprüfung - bezogen auf den insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts - eine Interessenabwägung vorzunehmen, bei der unter Beachtung der vom Gesetzgeber getroffenen Grundentscheidung, den Eintritt der aufschiebenden Wirkung abweichend von dem in § 86 a Abs. 1 SGG geregelten Grundsatz nach § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG in Verbindung mit § 85 Abs. 4 Satz 9 SGB V gerade auszuschließen, die jeweiligen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen sind. Ergibt diese Abwägung, dass das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs das öffentliche Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung seines Bescheides überwiegt, ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen. Dies wiederum ist in aller Regel dann der Fall, wenn sich der angegriffene Bescheid als offensichtlich rechtswidrig erweist und dies mit einer subjektiven Rechtsverletzung des Belasteten einhergeht, weil an der sofortigen Vollziehung eines mit der Rechtsordnung nicht im Einklang stehenden Bescheides kein öffentliches Interesse besteht. Umgekehrt überwiegt das öffentliche Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung seines Bescheides das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs grundsätzlich dann, wenn gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides offensichtlich keine Bedenken bestehen. In diesem Fall ist die aufschiebende Wirkung in der Regel nicht anzuordnen. Lässt sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides indes nicht hinreichend sicher beantworten, kommt es unter Berücksichtigung der oben dargestellten Grundentscheidung des Gesetzgebers für die Begründetheit des Antrages entscheidend auf die sonstigen Interessen der Beteiligten an. Grundsätzlich hat hierbei zu gelten, dass die an das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu stellenden Anforderungen im Sinne einer dynamischen Betrachtung um so höher sein müssen, je geringer die Erfolgsaussichten des von ihm in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs zu bewerten sind. Nicht außer Betracht gelassen werden dürfen in diesem Zusammenhang die wechselseitig eintretenden Folgen, die jeweils entstünden, wenn sich die durch das Gericht getroffene Eilentscheidung im Hauptsacheverfahren als unzutreffend erweisen sollte.

Gemessen an diesen Grundsätzen, die der Senat trotz eventuell missverständlich formulierter Obersätze letztlich auch in seinem von der Antragstellerin erstrittenen Beschluss vom 31. Januar 2006 - L 7 B 1046/05 KA ER - angewandt hat (vgl. insoweit die Ausführungen auf Seite 4 und 5 des amtlichen Entscheidungsumdrucks), muss dem Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen, der Erfolg versagt bleiben. Denn die Erfolgsaussichten dieser Klage erweisen sich aus den vom Sozialgericht für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide angeführten Gründen, auf die in diesem Zusammenhang Bezug genommen wird, im für die Antragstellerin günstigsten Fall in dem Sinne als offen, dass der Erfolg der Klage genauso wahrscheinlich erscheint wie ihr Misserfolg. Dies bedeutet, dass es unter Berücksichtigung der in § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG in Verbindung mit § 85 Abs. 4 Satz 9 SGB V zum Ausdruck kommenden Grundentscheidung des Gesetzgebers im Rahmen der nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG anzustellenden Interessenabwägung entscheidend auf die - erkennbaren - außerhalb der Rechtmäßigkeitsprüfung liegenden - konkreten - Interessen der Beteiligten ankommt, die bezogen auf den insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats gegeneinander abzuwägen sind. Gegenüberzustellen sind damit im vorliegenden Fall auf der einen Seite das Interesse der Antragsgegnerin, die Honorarverteilung der Vertragsärzte zu gewährleisten, der als Teil des Finanzierungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung besondere Bedeutung zukommt, sowie auf der anderen Seite das Interesse der Antragstellerin, den Fortbestand ihrer Praxis und damit zugleich ihre wirtschaftliche Existenz zu sichern. Diese Gegenüberstellung führt hier dazu, dass das Interesse der Antragstellerin hinter dem Interesse der Antragsgegnerin zurückzutreten hat. Denn die finanzielle Situation der Antragstellerin erweist sich nach den von ihr vorgelegten Unterlagen zwar weiterhin als äußerst angespannt. Diese Situation hängt jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht entscheidend von der sofortigen Vollziehbarkeit der mit der Klage angefochtenen Bescheide ab. Denn das mit den Bescheiden zurückgeforderte Honorar ist von der Antragsgegnerin bereits im Oktober 2005 mit der Honorarabrechnung für das Quartal II/05 verrechnet worden, wobei der zunächst noch verbliebene Schuldsaldo bereits im Juli 2006 mit der - wieder einen Zahlbetrag ausweisenden - Honorarabrechnung für das Quartal I/06 getilgt worden ist. Dieser Umstand, der sich im Übrigen auch schon im Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts nachhaltig abgezeichnet hat, schließt einen Vorrang der privaten Interessen der Antragstellerin vor den öffentlichen Interessen der Antragsgegnerin jedenfalls vor dem Hintergrund aus, dass die Antragstellerin ihre Praxis trotz der seit Jahren bestehenden erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten weiterbetreiben konnte und sie seit der Honorarabrechnung für das Quartal II/06 Honorarzahlungen nunmehr wieder in ungeschmälerter Höhe erhält.

Kommt nach allem die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der von der Antragstellerin erhobenen Klage nicht in Betracht, kann auch der von ihr im Verfahren vor dem Sozialgericht bzw. dem Landessozialgericht weiterhin verfolgte - und von der Anordnung der aufschiebenden Wirkung abhängende - unselbständige Folgenbeseitigungsanspruch auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur vorläufigen Auskehrung der bereits einbehaltenen Beträge in Höhe von 31.494,62 Euro und 5.803,21 Euro nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 und 2 der Verwaltungsgerichtsordnung. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 4, 63 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes. Hierbei hat der Senat unter gleichzeitiger Änderung des erstinstanzlichen Streitwertbeschlusses den Streitwert angesichts des nur vorläufigen Charakters des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens für jede der beide Instanzen auf die Hälfte des sich aus den angefochtenen Bescheiden ergebenden Streitwerts in der Hauptsache festgesetzt und dem Umstand, dass die Antragstellerin ihren Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage mit einem Antrag auf Folgenbeseitigung verbunden hat, im Hinblick auf die Unselbständigkeit des zuletzt genannten Antrags bei der Streitwertfestsetzung unberücksichtigt gelassen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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