L 28 AS 680/07 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 116 AS 2038/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 AS 680/07 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. März 2007 wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat den Antragstellern auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die gemäß § 172 und § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragsgegners, der das Sozialgericht Berlin nicht abgeholfen hat, ist unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antragsgegner zu Recht im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig, jeweils auf Darlehensbasis einen Betrag von 889,72 EUR für weitere Umzugskosten sowie von 1000,50 EUR für die Kosten der Auszugsrenovierung zu gewähren.

Im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren sind die Grundsätze anzuwenden, die das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung zum Zweiten Buch des Sozialgesetzbuch (SGB II) entwickelt hat (Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005,927 ff.). Die danach zu treffende Entscheidung kann sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden, wobei Art 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens stellt. Soll die Entscheidung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientiert werden, ist das erkennende Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, insbesondere dann, wenn das einstweilige Verfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, wie dies im Streit um Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand der Folgenabwägung zu entscheiden, die daran ausgerichtet ist, eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen zu verhindern, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert. Die Sicherung des Existenzminimums (verwirklicht durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende) ist eine grundgesetzliche Gewährleistung in diesem Sinne (vgl. auch Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 12. Dezember 2006 - L 10 B 1052/06 AS ER -).

Im vorliegenden Fall ist eine abschließende und vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage auf der Grundlage der in diesem einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorhandenen präsenten Beweismittel nicht möglich. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs auf Übernahme der Umzugskosten ist § 22 Abs. 3 SGBII. Danach können Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten bei vorheriger Zusicherung durch den örtlich zuständigen kommunalen Träger übernommen werden (Satz 1 1. Halbsatz). Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann (Satz 2). Dabei ist der Hilfebedürftige im Rahmen seiner Obliegenheit, alle Möglichkeiten zur Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit auszuschöpfen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II), verpflichtet, den Umzug selbst zu organisieren und durchzuführen. Ist dies dem Hilfebedürftigen aus Gründen, die in seiner Person liegen, nicht möglich, kommt die Übernahme der Aufwendungen für einen gewerblichen Umzug in Betracht (Berlit in LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 22 RdNrn. 102). Die Übernahme der Kosten steht im Ermessen des Leistungsträgers und setzt dessen vorherige Zusicherung der Übernahme voraus. Wurde der Umzug durch den Leistungsträger veranlasst, kann die Zusicherung nur in so genannten atypischen Fällen versagt werden (Berlit, a. a. O., § 22 RdNrn. 96).

Vorliegend streiten die Beteiligten nicht über das "ob" einer Kostenübernahme, sondern über die Höhe der erstattungsfähigen Umzugskosten. Die von dem Antragsgegner in diesem Zusammenhang als ermessenslenkende Norm angewandte AV-Wohnen vom 30. Mai 2006 (ABL. S. 2062) bestimmt in Ziffer 9.4 (9) Buchst. b insoweit, dass Kosten für den Umzug durch eine Umzugsfirma übernommen werden, wenn Gründe vorliegen, die die Einschaltung einer Umzugsfirma rechtfertigen. Hierbei ist die Vorlage von drei Kostenvoranschlägen erforderlich. Die Antragstellerin zu 1), die allein erziehende Mutter des 1994 geborenen Antragstellers zu 2), hat insoweit substantiiert die Gründe dargelegt, warum es ihr nicht möglich war, den zwischenzeitlich durchgeführten Umzug in eigener Regie durchzuführen. Auch hätten ihr weder Freunde noch Angehörige zur Verfügung gestanden, die den Umzug für sie hätten durchführen können. Die Antragsteller haben auch vorab drei Kostenvorschläge vorgelegt. Demgegenüber war es nach Auffassung des Antragsgegners der Antragstellerin zu 1) grundsätzlich zumutbar, den Umzug in eigener Regie durchzuführen. Er hat deshalb einen Pauschalbetrag von 250,00 EUR für die anfallenden Umzugskosten gewährt. Soweit der Antragsgegner in diesem Zusammenhang meint, die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, dass keine "freiwilligen Helfer im Bekannten-, Verwandten- und Freundeskreis" zur Verfügung gestanden hätten, ist bereits fraglich, wie die Antragsteller eine negative Tatsache glaubhaft machen oder gar beweisen sollen. Der Antragsgegner verhält sich hierzu nicht. Zudem dürfte der Verweis auf einen Pauschalbetrag in Höhe von 250,00 EUR für Umzugskosten, der weder im SGB II noch in der AV-Wohnen eine gesetzliche Grundlage findet, sondern ausweislich der Verwaltungsakte des Antragsgegners auf eine Festlegung der TL (Teamleiter?)- Runde vom 14. September 2005 beruht, schwerlich mit dem der Verwaltung in § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II eingeräumten so genannten gebundenen Ermessen zu vereinbaren sein, nach dem die Verwaltung, wenn der Umzug wie im vorliegenden Fall von dem Antragsgegner veranlasst worden ist, nur in besonderen Ausnahmefällen von der gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolge abweichen kann. Das Sozialgericht hat zudem zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Umzug mit über 30 cbm Umzugsgut und einem Abtrageweg von 250 m wohl kaum mit einem Betrag von 250,00 EUR zu finanzieren ist.

Entsprechendes gilt im Übrigen auch für die Übernahme der streitbefangenen Kosten der Auszugsrenovierung, wobei höchstrichterlich noch nicht geklärt ist, ob die Kosten für die Auszugsrenovierung von der Regelleistung umfasst sind oder ob diese Kosten zu den Umzugskosten zu rechnen sind.

Die danach zu treffende Folgenabwägung führt zu der von den Antragstellern begehrten Entscheidung. Hierbei waren die Folgen gegeneinander abzuwägen, die auf der einen Seite entstehen würden, wenn das Gericht eine einstweilige Anordnung nicht erließe, sich jedoch im Verfahren der Hauptsache herausstellte, dass der Anspruch doch bestanden hätte, und auf der anderen Seite entstünden, wenn das Gericht die beantragte einstweilige Anordnung erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellte, dass der Anspruch nicht bestand. Sollte die erstgenannte Alternative erfüllt sein, d. h. sollte eine einstweilige Anordnung im Ergebnis zu Unrecht abgelehnt werden, so entstünden den Antragstellern schwerwiegende Nachteile. Die Antragsteller wären den Forderungen der Umzugsunternehmen ausgesetzt, die sie aus den laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht erfüllen könnten. Es droht ihnen eine gerichtliche Auseinandersetzung mit entsprechenden Folgekosten. Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass die Antragsteller erstinstanzlich obsiegt und im Vertrauen auf diese Entscheidung den Umzug haben durchführen lassen.

Demgegenüber wiegen die Folgen, die bei einer zu Unrecht ergangenen einstweiligen Anordnung zum Nachteil des Antragsgegners einträten, weniger schwer. Zwar entstünde ihm in diesem Falle ein finanzieller Schaden. Diesen könnte er aber nach § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 945 Zivilprozessordnung von den Antragstellerin ersetzt verlangen, wenn sich im anschließenden Verfahren der Hauptsache herausstellte, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis nicht begründet war. Im Übrigen hat das Sozialgericht den Antragsgegner lediglich verpflichtet, die Umzugskosten und die Kosten der Umzugsrenovierung auf Darlehensbasis zu übernehmen. In entsprechender Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II dürfte der Antragsgegner berechtigt sein, das Darlehen durch monatliche Aufrechnung in Höhe von bis zu 10 v. H. der an die Antragsteller zu zahlenden Regelleistung zu tilgen. Jedenfalls führt die Abwägung eines bloßen finanziellen Schadens des Antraggegners auf der einen Seite, die grundgesetzliche Gewährleistung der Existenzsicherung der Antragsteller, verwirklicht durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf der anderen Seite, zu der von den Antragstellern begehrten Anordnung. Die Beschwerde des Antragsgegners deshalb zurückzuweisen.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war indes abzulehnen. Im Hinblick auf den in diesem Beschluss ausgesprochenen Kostenerstattungsanspruch der Antragsteller für das Beschwerdeverfahren besteht kein Rechtsschutzbedürfnis mehr an der Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Der Antrag des Antragsgegners, die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts gemäß § 199 Abs. 2 SGG auszusetzen, ist mit Erlass dieses Beschlusses erledigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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