Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 103 AS 8928/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 B 653/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. April 2007 geändert. Es wird festgestellt, dass der Widerspruch der Antragstellerin zu 1) gegen den Aufrechnungsbescheid des Antragsgegners vom 16. März 2007 aufschiebende Wirkung hat. Die Aufhebung der Vollziehung des Aufrechnungsbescheides vom 16. März 2007 wird angeordnet. Der Antrag des Antragstellers zu 2) auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes wird abgelehnt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin zu 1) die Kosten des gesamten einstweiligen Rechtschutzverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
Die gemäß § 172 Abs. 1 und § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. April 2007, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet.
Der Antrag des Antragstellers zu 2) auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 16. März 2007 ist bereits unzulässig. Der Antragsteller zu 2) ist durch diesen Bescheid nicht beschwert. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin zu 1) mit den Leistungsbescheiden vom 16. März 2007 für den Bewilligungszeitraum vom 1. April 2007 bis zum 31. Januar 2008 u. a. Arbeitslosengeld II in Höhe der monatlichen Regeleistung von 345,00 EUR und dem am 14. Juli 1998 geborenen Antragsteller zu 2) u. a. Sozialgeld in Höhe der monatlichen Regelleistung für nicht erwerbsfähige Angehörige des Hilfebedürftigen bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres von 207,00 EUR (§ 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Zweites Buch Sozialgesetz - SGB II -) bewilligt.
Mit Bescheid vom 16. März 2007 hat der Antragsgegner dann ausschließlich das der Antragstellerin zu 1) gewährte Arbeitslosengeld II mit den Ansprüchen des ehemals für sie zuständigen Trägers der Sozialhilfe nach § 65 e Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 43 SGB II in Höhe von 103,50 EUR monatlich "aufgerechnet" (richtig: verrechnet, vgl. §§ 28 Viertes Buch Sozialgesetzbuch, 51 Erstes Buch Sozialgesetzbuch und Conradis in LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 65e RdNr. 1). Eine Aufrechnung mit dem dem Antragsteller zu 2) gewährten Sozialgeld ist in diesem Bescheid nicht erfolgt.
Der Beschluss des Sozialgerichts war im Übrigen insoweit abzuändern, als festzustellen war, dass der Widerspruch der Antragstellerin zu 1) gegen den Aufrechnungsbescheid des Antragsgegners vom 16. März 2007 aufschiebende Wirkung hat.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin zu 1) gegen den Aufrechnungsbescheid des Antragsgegners war im vorliegenden Fall nicht anzuordnen, weil dieser Widerspruch nach § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG, nach dem Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat. Diese aufschiebende Wirkung entfällt nach § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Eine solche Ausnahmeregelung normiert § 39 Nr. 1 SGB II. Danach haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben.
Entscheidungen über Leistungen der Grundsicherung sind solche, mit denen eine der in § 4 SGB II normierten Leistungen gewährt, entzogen oder gemindert wird (Eicher in Spellbrink, SGB II, § 39 RdNrn.10 ff.). Eine Entscheidung über die Aufrechnung gegen einen Anspruch des SGB II enthält keine solche Entscheidung über eine Leistung der Grundsicherung. Denn die Aufrechnung greift nicht in den Bestand des rechtsbegründenden Bewilligungsbescheides ein. Der Anspruch als solcher wird durch die Aufrechnung weder entzogen noch gemindert, sondern setzt diesen sogar voraus, weil durch die Aufrechnung der Anspruch des Hilfebedürftigen auf die SGB II Leistung erfüllt wird (Eicher, a. a. O., § 39 Rdnr. 15). Durch die Aufrechnung bleibt dieser Anspruch selbst unberührt. Soweit die entgegenstehende Auffassung (vgl. Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II - Std.: 11. Erg-Lfg. V/07 -, § 39 RdNr. 45) u. a. damit begründet wird, dass die sofortige Vollziehbarkeit eine abschreckende Wirkung auf unrechtmäßiges Verhalten habe, ist ein solche Auslegung nach Auffassung des Senates weder mit der Systematik des § 39 SGB II vereinbar noch nach dem Sinn Zweck des § 86 a SGG geboten.
§ 39 Nr. 1 SGB II ist mit der Rechtsfolge der sofortigen Vollziehbarkeit des entsprechenden Verwaltungsaktes als Ausnahmetatbestand von dem in § 86 a Abs. 1 Satz1 SGB II normierten Grundsatz, dass Widerspruch und Klage aufschiebende Wirkung haben, nicht erweiternd auszulegen (Conradis in LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 39 RdNrn. 5 und 8). Die aufschiebende Wirkung ist zudem Ausprägung des Grundsatzes der Garantie des effizienten Rechtsschutzes und damit ein fundamentaler Grundsatz des öffentlich-rechtlichen Verfahrens. Sämtlichen in § 86a Abs. 2 SGG geregelten Fällen, in denen als Ausnahme von der Regel, dass Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, diese aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes nicht eintreten soll, ist gemein, dass die Funktionsfähigkeit der Leistungsträger gesichert werden soll. Dazu mag es erforderlich sein, dass die Leistungsträger ihnen (auch vermeintlich) zustehende laufende Zahlungen wie beispielsweise Beiträge fordern können, selbst wenn die Rechtmäßigkeit der Forderung nicht abschließend geklärt ist, und umgekehrt die weitere Gewährung von Leistungen verweigern können, wenn Zweifel am Bestehen eines entsprechenden Anspruchs bestehen. Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Leistungsträger ist es jedoch nicht notwendig, dass ein Leistungsträger einen bestandskräftig festgestellten Erstattungsanspruch (eines anderen Leistungsträgers) im Wege eines sofort vollziehbaren Aufrechnungsbescheides realisiert (vgl. bereits Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 25. August 2006 - L 5 549/06 AS ER - zur Parallelproblematik der Erstattung von SGB II Leistungen).
Hat der Widerspruch der Antragstellerin zu 1) gegen den Aufrechnungsbescheid damit aufschiebende Wirkung, besteht grundsätzlich kein Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Im vorliegenden Fall besteht allerdings die Besonderheit, dass der Antragsgegner offensichtlich die Auffassung vertritt, dass der Widerspruch der Antragstellerin zu 1) gegen den Bescheid vom 16. März 2007 keine aufschiebende Wirkung hat. Denn er hat jedenfalls nicht von der ihm insoweit gegebenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, die sofortige Vollziehung des Aufrechnungsbescheides gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG anzuordnen, sondern er hat trotz des gegen den Aufrechnungsbescheid erhobenen Widerspruchs diesen faktisch vollzogen. Er hat das der Antragstellerin zu 1) bewilligte Arbeitslosengeld II bereits beginnend ab dem 1. April 2007 mit einem Betrag von 103,50 EUR verrechnet. Im Übrigen vertritt der Antragsgegner auch in diesem einstweiligen Rechtsschutzverfahren diese Rechtsauffassung. Denn er hat nicht beantragt, den Antrag wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses abzulehnen, weil er der Auffassung sei, dass der Widerspruch aufschiebende Wirkung habe, sondern er hat beantragt, die (nicht eingetretene) aufschiebende Wirkung nicht anzuordnen, weil das Vollzugsinteresse an dem angefochtenen Bescheid das Interesse der Antragstellerin zu 1) an der Aussetzung des Vollzuges überwiege.
In derartigen Fällen, in denen ein Verwaltungsakt trotz (möglicherweise) eingetretener aufschiebender Wirkung, faktisch vollzogen wird oder Streit über die aufschiebende Wirkung besteht, gewährleistet das Gericht einstweiligen Rechtsschutz im Wege der Feststellung, dass der eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat (Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO - Std.: 13. Erg.-Lfg./April 2006 -, § 80 RdNr. 241, Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage 2005, § 80 RdNr. 181 und Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 86 b RdNrn. 9 b und 12).
Soweit der Antragsgegner den Bescheid vom 16. März 2007 allerdings bereits vollzogen hat, war nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen. Diese bedeutet Rückgängigmachung der erfolgten Vollziehungshandlungen bzw. deren unmittelbaren Folgen (Keller, a. a. O., § 86 b RdNr. 10). Dabei entscheidet das Gericht aufgrund einer Interessenabwägung, bei der das Verhalten der Behörde und in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen sind (Keller, a. a. O., § 86 b RdNrn. 10 ff.).
Der Senat kann im vorliegenden Fall zurückstellen, dass der Antragsgegner sich über die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin zu 1) gegen den Bescheid vom 16. März 2007 hinweggesetzt hat. Denn es bestehen keine ernstlichen Zweifel an den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Das Sozialgericht hat zutreffend die erheblichen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides des Antragsgegners vom 16. März 2006 dargelegt. Nach § 65 e Satz 1 SGB II kann der zuständige Träger der Leistungen nach diesem Buch mit Zustimmung des Trägers der Sozialhilfe dessen Ansprüche gegen den Hilfebedürftigen mit Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Voraussetzungen des § 43 Satz 1 aufrechnen. Nach § 65 e Satz 2 SGB II ist die Aufrechnung wegen eines Anspruchs nach Satz 1auf die ersten zwei Jahre der Leistungsgewährung nach diesem Buch beschränkt. Da die Antragstellerin seit dem 1. Januar 2005 ununterbrochen Leistungen nach dem SGB II bezieht, endete in ihrem Fall die Aufrechnungsmöglichkeit mit Ablauf des 31. Dezember 2006. Der Bescheid des Antragsgegners vom 16. März 2007, der eine Aufrechnung beginnend ab dem 1. April 2007 verfügt, ist damit rechtswidrig.
Soweit der Antragsgegner insoweit vorträgt, dass aufgrund dessen, dass § 65 e SGB II durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BGBl. I 1706) in das SGB II eingefügt worden und mit Wirkung zum 1. August 2006 in Kraft getreten sei, sie die Möglichkeit haben müsse, den im Gesetz normierten Zeitraum von zwei Jahren vollständig auszuschöpfen, kann sie damit keinen Erfolg haben. Zu Recht hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass der Wortlaut der Norm insoweit einer Auslegung nicht zugänglich ist und der Gesetzgeber für die Bestandfälle, also für die Hilfebedürftigen, die bereits vor dem 1. August 2006 Leistungen nach dem SGB II bezogen haben, keine Übergangsregelung geschaffen hat.
Mit § 65 e SGB II sollte im Übrigen für so genannte Altfälle aus dem Bundssozialhilfegesetz (BSHG) eine Regelungslücke geschlossen werden. Denn nach der ab 1. Januar 2005 geltenden Rechtslage war eine Aufrechnung mit Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nur mit Ansprüchen der SGB II Leistungsträger möglich, weil § 43 SGB II nach der Systematik und nach dem Sinn der Regelung nur so verstanden werden konnte, dass ausschließlich mit Ansprüchen nach dem SGB II aufgerechnet werden konnte und nicht so, dass andere Träger, wie die Bundesagentur für Arbeit oder kommunale Träger ihre Ansprüche mit den Ansprüchen der Hilfebedürftigen nach dem SGB II aufrechnen konnten. Daraus folgte eine Regelungslücke für Altfälle aus dem BSHG in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung (BT-Drucks. 16/1410, Seite 31).Der Gesetzgeber empfand es vor diesem Hintergrund als sachgerecht, den früheren Trägern der Sozialhilfe in einer dem § 43 SGB II vergleichbaren Ausgangssituation eine Verrechnungsmöglichkeit zu geben, um auf diese Weise für die Altfälle Kontinuität zu schaffen (BT-Drucks. a. a. O.). Nach § 25 a Abs. 1 Satz 2 BSHG in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung war "die Aufrechnungsmöglichkeit wegen eines Anspruchs auf zwei Jahre beschränkt". Eine dem § 65e Satz 2 SGB II vergleichbare Regelung hinsichtlich des Beginns des Aufrechnungszeitraumes enthielt weder der § 25 a Abs. 1 Satz 2 BSHG noch findet sich eine entsprechende Regelung in den Parallelvorschriften des § 43 Satz 3 SGB II oder des § 26 Abs.2 Satz 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch. Dementsprechend umstritten war und ist diese Frage (vgl. Berlit, a. a. O., § 65e RdNr. 6 m. w. Nachw.). Der Gesetzgeber hat sich in Kenntnis dieser umstrittenen Frage für eine bis dahin nicht diskutierte Lösung entschieden und den Aufrechnungszeitraum auf die "ersten zwei Jahre der Leistungserbringung beschränkt", ohne eine Übergangsregelung für Hilfebedürftige zu schaffen, die seit dem 1. Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II beziehen. Er hat sich danach für eine von den bis zum Inkrafttreten des § 65 e SGB II vertretenen Auffassungen abweichende Regelung entschieden. Bei Personen die, die wie die Antragstellerin zu 1) seit dem 1. Januar 2005 ununterbrochen Leistungen nach dem SGB II bezogen haben, endete der Aufrechnungszeitraum daher zum 31. Dezember 2006 (Berlit, a. a. O., § 65 Rdnr. 7, a. A. insoweit allerdings ohne Begründung im Sinne des Beginns des Aufrechnungszeitraumes von zwei Jahren mit Inkrafttreten des § 65e SGB II mit Wirkung vom 1. August 2006 an: Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II - Std.: 11. Erg-Lfg. V/07 -, § 65 e RdNr. 42).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Die gemäß § 172 Abs. 1 und § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. April 2007, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet.
Der Antrag des Antragstellers zu 2) auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 16. März 2007 ist bereits unzulässig. Der Antragsteller zu 2) ist durch diesen Bescheid nicht beschwert. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin zu 1) mit den Leistungsbescheiden vom 16. März 2007 für den Bewilligungszeitraum vom 1. April 2007 bis zum 31. Januar 2008 u. a. Arbeitslosengeld II in Höhe der monatlichen Regeleistung von 345,00 EUR und dem am 14. Juli 1998 geborenen Antragsteller zu 2) u. a. Sozialgeld in Höhe der monatlichen Regelleistung für nicht erwerbsfähige Angehörige des Hilfebedürftigen bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres von 207,00 EUR (§ 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Zweites Buch Sozialgesetz - SGB II -) bewilligt.
Mit Bescheid vom 16. März 2007 hat der Antragsgegner dann ausschließlich das der Antragstellerin zu 1) gewährte Arbeitslosengeld II mit den Ansprüchen des ehemals für sie zuständigen Trägers der Sozialhilfe nach § 65 e Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 43 SGB II in Höhe von 103,50 EUR monatlich "aufgerechnet" (richtig: verrechnet, vgl. §§ 28 Viertes Buch Sozialgesetzbuch, 51 Erstes Buch Sozialgesetzbuch und Conradis in LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 65e RdNr. 1). Eine Aufrechnung mit dem dem Antragsteller zu 2) gewährten Sozialgeld ist in diesem Bescheid nicht erfolgt.
Der Beschluss des Sozialgerichts war im Übrigen insoweit abzuändern, als festzustellen war, dass der Widerspruch der Antragstellerin zu 1) gegen den Aufrechnungsbescheid des Antragsgegners vom 16. März 2007 aufschiebende Wirkung hat.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin zu 1) gegen den Aufrechnungsbescheid des Antragsgegners war im vorliegenden Fall nicht anzuordnen, weil dieser Widerspruch nach § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG, nach dem Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat. Diese aufschiebende Wirkung entfällt nach § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Eine solche Ausnahmeregelung normiert § 39 Nr. 1 SGB II. Danach haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben.
Entscheidungen über Leistungen der Grundsicherung sind solche, mit denen eine der in § 4 SGB II normierten Leistungen gewährt, entzogen oder gemindert wird (Eicher in Spellbrink, SGB II, § 39 RdNrn.10 ff.). Eine Entscheidung über die Aufrechnung gegen einen Anspruch des SGB II enthält keine solche Entscheidung über eine Leistung der Grundsicherung. Denn die Aufrechnung greift nicht in den Bestand des rechtsbegründenden Bewilligungsbescheides ein. Der Anspruch als solcher wird durch die Aufrechnung weder entzogen noch gemindert, sondern setzt diesen sogar voraus, weil durch die Aufrechnung der Anspruch des Hilfebedürftigen auf die SGB II Leistung erfüllt wird (Eicher, a. a. O., § 39 Rdnr. 15). Durch die Aufrechnung bleibt dieser Anspruch selbst unberührt. Soweit die entgegenstehende Auffassung (vgl. Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II - Std.: 11. Erg-Lfg. V/07 -, § 39 RdNr. 45) u. a. damit begründet wird, dass die sofortige Vollziehbarkeit eine abschreckende Wirkung auf unrechtmäßiges Verhalten habe, ist ein solche Auslegung nach Auffassung des Senates weder mit der Systematik des § 39 SGB II vereinbar noch nach dem Sinn Zweck des § 86 a SGG geboten.
§ 39 Nr. 1 SGB II ist mit der Rechtsfolge der sofortigen Vollziehbarkeit des entsprechenden Verwaltungsaktes als Ausnahmetatbestand von dem in § 86 a Abs. 1 Satz1 SGB II normierten Grundsatz, dass Widerspruch und Klage aufschiebende Wirkung haben, nicht erweiternd auszulegen (Conradis in LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 39 RdNrn. 5 und 8). Die aufschiebende Wirkung ist zudem Ausprägung des Grundsatzes der Garantie des effizienten Rechtsschutzes und damit ein fundamentaler Grundsatz des öffentlich-rechtlichen Verfahrens. Sämtlichen in § 86a Abs. 2 SGG geregelten Fällen, in denen als Ausnahme von der Regel, dass Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, diese aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes nicht eintreten soll, ist gemein, dass die Funktionsfähigkeit der Leistungsträger gesichert werden soll. Dazu mag es erforderlich sein, dass die Leistungsträger ihnen (auch vermeintlich) zustehende laufende Zahlungen wie beispielsweise Beiträge fordern können, selbst wenn die Rechtmäßigkeit der Forderung nicht abschließend geklärt ist, und umgekehrt die weitere Gewährung von Leistungen verweigern können, wenn Zweifel am Bestehen eines entsprechenden Anspruchs bestehen. Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Leistungsträger ist es jedoch nicht notwendig, dass ein Leistungsträger einen bestandskräftig festgestellten Erstattungsanspruch (eines anderen Leistungsträgers) im Wege eines sofort vollziehbaren Aufrechnungsbescheides realisiert (vgl. bereits Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 25. August 2006 - L 5 549/06 AS ER - zur Parallelproblematik der Erstattung von SGB II Leistungen).
Hat der Widerspruch der Antragstellerin zu 1) gegen den Aufrechnungsbescheid damit aufschiebende Wirkung, besteht grundsätzlich kein Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Im vorliegenden Fall besteht allerdings die Besonderheit, dass der Antragsgegner offensichtlich die Auffassung vertritt, dass der Widerspruch der Antragstellerin zu 1) gegen den Bescheid vom 16. März 2007 keine aufschiebende Wirkung hat. Denn er hat jedenfalls nicht von der ihm insoweit gegebenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, die sofortige Vollziehung des Aufrechnungsbescheides gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG anzuordnen, sondern er hat trotz des gegen den Aufrechnungsbescheid erhobenen Widerspruchs diesen faktisch vollzogen. Er hat das der Antragstellerin zu 1) bewilligte Arbeitslosengeld II bereits beginnend ab dem 1. April 2007 mit einem Betrag von 103,50 EUR verrechnet. Im Übrigen vertritt der Antragsgegner auch in diesem einstweiligen Rechtsschutzverfahren diese Rechtsauffassung. Denn er hat nicht beantragt, den Antrag wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses abzulehnen, weil er der Auffassung sei, dass der Widerspruch aufschiebende Wirkung habe, sondern er hat beantragt, die (nicht eingetretene) aufschiebende Wirkung nicht anzuordnen, weil das Vollzugsinteresse an dem angefochtenen Bescheid das Interesse der Antragstellerin zu 1) an der Aussetzung des Vollzuges überwiege.
In derartigen Fällen, in denen ein Verwaltungsakt trotz (möglicherweise) eingetretener aufschiebender Wirkung, faktisch vollzogen wird oder Streit über die aufschiebende Wirkung besteht, gewährleistet das Gericht einstweiligen Rechtsschutz im Wege der Feststellung, dass der eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat (Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO - Std.: 13. Erg.-Lfg./April 2006 -, § 80 RdNr. 241, Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage 2005, § 80 RdNr. 181 und Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 86 b RdNrn. 9 b und 12).
Soweit der Antragsgegner den Bescheid vom 16. März 2007 allerdings bereits vollzogen hat, war nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen. Diese bedeutet Rückgängigmachung der erfolgten Vollziehungshandlungen bzw. deren unmittelbaren Folgen (Keller, a. a. O., § 86 b RdNr. 10). Dabei entscheidet das Gericht aufgrund einer Interessenabwägung, bei der das Verhalten der Behörde und in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen sind (Keller, a. a. O., § 86 b RdNrn. 10 ff.).
Der Senat kann im vorliegenden Fall zurückstellen, dass der Antragsgegner sich über die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin zu 1) gegen den Bescheid vom 16. März 2007 hinweggesetzt hat. Denn es bestehen keine ernstlichen Zweifel an den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Das Sozialgericht hat zutreffend die erheblichen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides des Antragsgegners vom 16. März 2006 dargelegt. Nach § 65 e Satz 1 SGB II kann der zuständige Träger der Leistungen nach diesem Buch mit Zustimmung des Trägers der Sozialhilfe dessen Ansprüche gegen den Hilfebedürftigen mit Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Voraussetzungen des § 43 Satz 1 aufrechnen. Nach § 65 e Satz 2 SGB II ist die Aufrechnung wegen eines Anspruchs nach Satz 1auf die ersten zwei Jahre der Leistungsgewährung nach diesem Buch beschränkt. Da die Antragstellerin seit dem 1. Januar 2005 ununterbrochen Leistungen nach dem SGB II bezieht, endete in ihrem Fall die Aufrechnungsmöglichkeit mit Ablauf des 31. Dezember 2006. Der Bescheid des Antragsgegners vom 16. März 2007, der eine Aufrechnung beginnend ab dem 1. April 2007 verfügt, ist damit rechtswidrig.
Soweit der Antragsgegner insoweit vorträgt, dass aufgrund dessen, dass § 65 e SGB II durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BGBl. I 1706) in das SGB II eingefügt worden und mit Wirkung zum 1. August 2006 in Kraft getreten sei, sie die Möglichkeit haben müsse, den im Gesetz normierten Zeitraum von zwei Jahren vollständig auszuschöpfen, kann sie damit keinen Erfolg haben. Zu Recht hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass der Wortlaut der Norm insoweit einer Auslegung nicht zugänglich ist und der Gesetzgeber für die Bestandfälle, also für die Hilfebedürftigen, die bereits vor dem 1. August 2006 Leistungen nach dem SGB II bezogen haben, keine Übergangsregelung geschaffen hat.
Mit § 65 e SGB II sollte im Übrigen für so genannte Altfälle aus dem Bundssozialhilfegesetz (BSHG) eine Regelungslücke geschlossen werden. Denn nach der ab 1. Januar 2005 geltenden Rechtslage war eine Aufrechnung mit Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nur mit Ansprüchen der SGB II Leistungsträger möglich, weil § 43 SGB II nach der Systematik und nach dem Sinn der Regelung nur so verstanden werden konnte, dass ausschließlich mit Ansprüchen nach dem SGB II aufgerechnet werden konnte und nicht so, dass andere Träger, wie die Bundesagentur für Arbeit oder kommunale Träger ihre Ansprüche mit den Ansprüchen der Hilfebedürftigen nach dem SGB II aufrechnen konnten. Daraus folgte eine Regelungslücke für Altfälle aus dem BSHG in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung (BT-Drucks. 16/1410, Seite 31).Der Gesetzgeber empfand es vor diesem Hintergrund als sachgerecht, den früheren Trägern der Sozialhilfe in einer dem § 43 SGB II vergleichbaren Ausgangssituation eine Verrechnungsmöglichkeit zu geben, um auf diese Weise für die Altfälle Kontinuität zu schaffen (BT-Drucks. a. a. O.). Nach § 25 a Abs. 1 Satz 2 BSHG in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung war "die Aufrechnungsmöglichkeit wegen eines Anspruchs auf zwei Jahre beschränkt". Eine dem § 65e Satz 2 SGB II vergleichbare Regelung hinsichtlich des Beginns des Aufrechnungszeitraumes enthielt weder der § 25 a Abs. 1 Satz 2 BSHG noch findet sich eine entsprechende Regelung in den Parallelvorschriften des § 43 Satz 3 SGB II oder des § 26 Abs.2 Satz 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch. Dementsprechend umstritten war und ist diese Frage (vgl. Berlit, a. a. O., § 65e RdNr. 6 m. w. Nachw.). Der Gesetzgeber hat sich in Kenntnis dieser umstrittenen Frage für eine bis dahin nicht diskutierte Lösung entschieden und den Aufrechnungszeitraum auf die "ersten zwei Jahre der Leistungserbringung beschränkt", ohne eine Übergangsregelung für Hilfebedürftige zu schaffen, die seit dem 1. Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II beziehen. Er hat sich danach für eine von den bis zum Inkrafttreten des § 65 e SGB II vertretenen Auffassungen abweichende Regelung entschieden. Bei Personen die, die wie die Antragstellerin zu 1) seit dem 1. Januar 2005 ununterbrochen Leistungen nach dem SGB II bezogen haben, endete der Aufrechnungszeitraum daher zum 31. Dezember 2006 (Berlit, a. a. O., § 65 Rdnr. 7, a. A. insoweit allerdings ohne Begründung im Sinne des Beginns des Aufrechnungszeitraumes von zwei Jahren mit Inkrafttreten des § 65e SGB II mit Wirkung vom 1. August 2006 an: Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II - Std.: 11. Erg-Lfg. V/07 -, § 65 e RdNr. 42).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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