L 10 B 470/07 AS PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 6 AS 499/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 B 470/07 AS PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 10. Januar 2007 aufgehoben. Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Neuruppin Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt R W, O Chaussee, B beigeordnet. Monatsraten oder Beiträge aus dem Vermögen sind nicht zu zahlen.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Der Klägerin ist Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des im Tenor bezeichneten Rechtsanwalts zu gewähren, da sie nach ihren - hier mit Blick auf § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 127 Abs. 1 Satz 3 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht näher darzulegenden - persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung auch nur teilweise oder in Raten aufzubringen (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114, 115 ZPO).

Gegenstand (iS von § 95 SGG) der von der Klägerin erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage, mit der sie ausschließlich die Gewährung höherer Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU; § 22 Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) hier noch in der ursprünglichen Fassung der Norm durch das 4. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, im Folgenden ohne Zusatz zitiert; zur Teilbarkeit des Streitgegenstandes insoweit Bundessozialgericht (BSG) Urteil vom 07. November 2006 - B 7b AS 8/06 R - abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de) für die Zeit vom 01. Juli 2005 bis zum 31. Dezember 2005 begehrt, ist der diesen Leistungszeitraum umfassende Bescheid vom 17. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. November 2005. Die für die Folgezeiträume ergangenen Bewilligungsbescheide sind hingegen weder in direkter noch in analoger Anwendung des § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden (BSG Urteile vom 07. November 2006 – B 7b AS 14/06 R – und vom 23. November 2006 – B 11b AS 9/06 R - abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de)

Der Klage kann auch eine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO) nicht abgesprochen werden. Hinreichend ist die Erfolgsaussicht bereits dann, wenn sie nur für einen Teil des geltend gemachten Anspruchs besteht (Knittel in Hennig u.a. SGG, RdNr 13 zu § 73a). Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg ist gegeben, wenn bei summarischer Prüfung des Sach- und Streitstandes eine "reale Chance zum Obsiegen" besteht, während sie bei einer "nur entfernten Erfolgschance" abzulehnen ist.

Die Höhe der der Klägerin zustehenden KdU, deren generelle Anspruchsberechtigung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht zweifelhaft sein dürfte, beurteilt sich nach § 22 Abs. 1 SGB II. Danach werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind (Satz 1). Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (Satz 2).

Ob die von der Klägerin im streitigen Zeitraum zusammen mit ihrem derzeit noch bevollmächtigten, nicht als Rechtsanwalt zugelassenen Mitbewohner (im Folgenden R genannt), der selbst Arbeitslosengeld II bezieht, innegehabte 93 qm große Dreizimmerwohnung mit hierauf entfallenden monatlichen Kosten von 620,00 EUR (430,00 EUR Grundmiete, Betriebskostenvorauszahlung 40,00 EUR und 170,00 EUR Heizkostenvorauszahlungen) angemessen ist, so dass ihr nach dem so genannten Kopfteilprinzip monatliche KdU von 310,00 EUR abzüglich eines Warmwasseranteils zustünden (statt – ausgehend von einer 60 qm Wohnung – lediglich 196,42 EUR (157,20 Unterkunft + 46,20 EUR Heizkosten – 6,98 EUR Warmwasseranteil)), ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht in erster Linie anhand der von ihr erlassenen Handlungsrichtlinien zu den KdU im Rahmen der Umsetzung des SGB II zu bestimmen. Die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit obliegt im Streitfalle vielmehr den Gerichten; eine Rechtsverordnung zur näheren Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung (Verordnungsermächtigung in § 27 Nr 1 SGB II) ist bisher nicht ergangen.

Die Prüfung der Angemessenheit setzt nach der Rechtsprechung des BSG (ua Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 10/06 R – RdNr 24 ff, abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de) eine Einzelfallprüfung voraus. Dabei ist zunächst die maßgebliche Größe der Unterkunft zu bestimmen, und zwar typisierend (mit der Möglichkeit von Ausnahmen) anhand der landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen über die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus. Nach der Ziff. 4.1 der insoweit in Brandenburg maßgeblichen Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr zum Wohnraumförderungs- und Wohnungsbindungsgesetz vom 15. Oktober 2002 beträgt die angemessene Wohnfläche für einen Haushalt mit einer Person bis zu 50 qm Wohnfläche oder zwei Wohnräume und für einen Haushalt mit zwei Personen bis zu 65 qm Wohnfläche oder zwei Wohnräume. Sodann ist der Wohnstandard festzustellen, wobei dem Hilfebedürftigen lediglich ein einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung zusteht. Letztlich kommt es darauf an, dass das Produkt aus Wohnfläche und dem diesem Standard entsprechenden qm-Preis, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, der Angemessenheit entspricht (so genannte Produkttheorie). Gibt es – insbesondere in Kleinst-Gemeinden – keinen Wohnungsmarkt, muss auf größere räumliche Bereiche abgestellt werden. Diese sind so zu wählen, dass dem grundsätzlich zu respektierenden Recht des Leistungsempfängers auf Verbleib in seinem sozialen Umfeld ausreichend Rechnung getragen wird. Schließlich ist im Rahmen einer konkreten Angemessenheitsprüfung festzustellen, dass eine andere bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugängig ist. Andernfalls sind die Aufwendungen für die tatsächlich gemietete Unterkunft als angemessen anzusehen.

Unter Zugrundelegung der aufgezeigten Kriterien wird das Sozialgericht (SG) zunächst zu prüfen haben, ob die Klägerin im streitigen Zeitraum tatsächlich – wovon die Beklagte nunmehr ausgeht – eine alleinstehende Hilfebedürftige (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) war mit der Folge, dass sie eine eigene Bedarfsgemeinschaft bildete (§ 7 Abs. 3 Nr. 1 SGB II), oder ob sie – so die anfangs von der Beklagten vertretene Auffassung - Mitglied einer aus ihr und R bestehenden Bedarfsgemeinschaft war, weil sie mit ihm in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebte (§ 7 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3b SGB II; zu den Voraussetzungen einer eheähnlichen Gemeinschaft vgl. ausführlich Urteil des Senats vom 15. Dezember 2006 – L 10 AS 1404/05 – abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Diese Prüfung entfällt nicht etwa deshalb, weil die Beklagte der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 2005 die monatliche Regelleistung in einer Höhe (331,00 EUR statt 298,00 EUR wie noch im Ausgangsbescheid vom 17. Juni 2005) bewilligt hat, wie sie nur alleinstehenden Personen in den neuen Bundesländern zustand (§ 20 Abs. 2 SGB II) und sie in der Begründung dieses Bescheides dargelegt hat, welche Gesichtspunkte hierfür für sie maßgebend waren. Abgesehen davon, dass die entsprechenden Ausführungen nur den Zweck hatten, die Erhöhung des monatlichen Regelleistung zu begründen, weshalb sie schon deshalb keine Bindungswirkung (iS von § 77 SGG) im Rahmen der Entscheidung über die KdU erzeugen können, bei der es sich ebenso wie bei der Entscheidung über die Regelleistung um eine eigenständige, abgrenzbare Verfügung (Verwaltungsakt iS des § 31 SGB X) handelt (vgl BSG Urteil vom 07. November 2006 - B 7b AS 8/06 R – RdNr 19 ff aaO), nehmen Begründungselemente einer Leistung (hier: Höhe der Regelleistung) ohnedies anders als die Entscheidung über Art, Dauer (Beginn und Ende) und Höhe der Leistung als Teil des Verfügungssatzes (iSv § 31 SGB X) nicht an der Bindungswirkung eines Bewilligungsbescheides teil (BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 1).

Sollte das SG zu dem Ergebnis kommen, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum mit R eine Bedarfsgemeinschaft bildete, wäre nach der zitierten maßgeblichen Verwaltungsvorschrift des Landes Brandenburg von einer Unterkunftsgröße von 65 qm (statt lediglich 60 qm wie von der Antragsgegnerin angenommen) auszugehen, so dass im Weiteren geprüft werden müsste, wie hoch die Miete am Wohnort der Klägerin für eine entsprechend große, einfache und hinsichtlich des Ausstattungsgrades am unteren Segment liegende Wohnung lag. Dabei wird das SG insbesondere auch zu klären haben, auf welche Weise der räumliche Vergleichsmaßstab für den Mietwohnungsstandard zu bilden ist (Beschränkung auf S oder die Gemeinde M Land, die im Jahre 2003 u.a. aus der bis dahin selbständigen Gemeinde S entstand?). Wäre die Miete für eine solche (fiktive) Wohnung günstiger als die der tatsächlich innegehabte Wohnung, wäre die Beklagte nur dann berechtigt, die Unterkunftsleistungen für die Klägerin anhand dieser fiktiven Wohnung nach Maßgabe der Kopfteilmethode zu berechnen, sofern eine solche fiktive Wohnung tatsächlich für die Klägerin und R verfügbar war; ansonsten wäre sie verpflichtet die – entsprechend anteilig – die tatsächlich angefallenen Unterkunftskosten zu übernehmen.

Sollte das SG sich jedoch davon überzeugen können, dass die Beklagte zu Recht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Klägerin während des streitigen Zeitraums alleinstehend war, kommt es vorrangig auf die von den Beteiligten in den Mittelpunkt des Streits gerückte Rechtsfrage an, ob der angemessene Wohnbedarf eines Hilfebedürftigen in einer Wohngemeinschaft (WG) bei einer "2er WG" sich – so die Auffassung der Beklagten - nach der Hälfte der Mietobergrenze einer aus zwei Mitgliedern bestehenden Bedarfsgemeinschaft richtet (hier also ausgehend von 65 qm) oder ob der maximale Anspruch eines Hilfebedürftigen sich in einem solchen Falle nach der für eine aus einer Person bestehenden Bedarfsgemeinschaft richtet (hier also ausgehend von 50 qm), so die Klägerin. Die Beantwortung dieser Rechtsfrage muss zumindest als offen bezeichnet werden. Für den Standpunkt der Klägerin dürfte immerhin sprechen, dass die Auffassung der Beklagten dazu führen würde, dass eine anerkannte Methode zur Senkung unangemessener Unterkunftskosten, nämlich die Untervermietung, in vielen Fällen nicht dazu führen könnte, eine Wohnung zu halten, während nach der Lösung der Klägerin durch Untervermietung an eine Person und Unterkunftskostenerstattung nach dem Kopfteilprinzip in aller Regel eine Wohnung gehalten werden könnte, deren Kosten zuvor für eine Person noch als unangemessen erachtet werden mussten. Es dürfte viel dafür sprechen, es als eine zulässige Dispositionsmöglichkeit eines Hilfeempfängers anzusehen, ob er unter Inkaufnahme eines gewissen Verlustes von Privatsphäre sich den Vorteil "erkauft" auf insgesamt mehr Quadratmetern zu wohnen (vgl. auch Groth/Siebel-Huffmann, Die Leistungen für die Unterkunft nach § 22 SGB II, NZS 2007, 69, 73 f und SG Osnabrück Beschluss vom 01. August 2005 – S 22 AS 243/05 ER- abrufbar unter www.tacheles-sozialhilfe.de). Je nach dem wie sich das SG entscheidet, hat die weitere Prüfung dann nach dem bereits dargestellten Schema des BSG zu verlaufen.

Diese Entscheidung ist nicht mit einer Beschwerde an das BSG anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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