L 8 RA 18/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 35 RA 3047/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 RA 18/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. März 2002 und die Bescheide der Beklagten vom 01. Juni und 10. November 1999, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Juni 2000 werden geändert. Die Beklagte wird verpflichtet, im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung Entgeltpunkte für zu bewertende beitragsfreie Zeiten in der Weise zu ermitteln, dass zusätzlich die Zeiten der Hochschulausbildung vom 01. Dezember 1956 bis 15. Mai 1959 als nicht belegungsfähige Zeiten ohne eigene Rangstellenbewertung berücksichtigt werden und den Rentenhöchstwert ab 01. Mai 1999 entsprechend höher festzustellen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits zu einem Zehntel zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe von Altersrente. Der Kläger ist im Juni geboren worden und hat sein Berufsleben, mit Ausnahme der Zeiten vom 6. März 1962 bis zum 29. Januar 1965 und 1. November 1980 bis 15. August 1986, in denen er in der damaligen Sowjetunion arbeitete, bis zum 2. Oktober 1990 in der DDR zurückgelegt. Vom 1. September 1953 an studierte er an der TechnischenHochschule D; das Studium schloss er am 15. Mai 1959 mit der Zuerkennung des akademischen Grades eines Dipolm-Biologen ab. Auf seinen Antrag vom Februar 1997 hin erging ein Kontenklärungsbescheid vom 7. Januar 1998. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein, mit dem er sich gegen die seiner Auffassung nach ungenügende Berücksichtigung von Schul- und Hochschulzeiten, die fehlende Berücksichtigung der Zeit der Aspirantur und der Arbeitsjahre in der Sowjetunion in den 1960er Jahren wandte. Während des Widerspruchsverfahrens stellte der Träger der Zusatzversorgung mit Bescheid vom 27. Januar 1999 verschiedene Zeiträume als "fiktive" Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem (Altersversorgung der Intelligenz) und die in diesen Zeiträumen tatsächlich erzielten Entgelte fest. Die Daten setzte die Beklagte in einem geänderten Kontenklärungsbescheid vom 10. Februar 1999 um. Im Übrigen wurde der anhängige Widerspruch nicht beschieden, nachdem der Kläger im Februar 1999 Altersrente für langjährig Versicherte wegen Vollendung des 63. Lebensjahres beantragt hatte. Mit Bescheid vom 1. Juni 1999 bewilligte die Beklagte die beantragte Rente mit Wirkung ab dem 1. April 1999 auf der Grundlage von 53,6031 Entgeltpunkten (Ost). Im Versicherungsverlauf war dabei der Zeitraum der Hochschulausbildung des Klägers vom 1. Dezember 1956 bis 15. Mai 1959 (30 Monate) als beitragsfreie Zeit mit dem Zusatz "Höchstdauer überschritten" ausgewiesen und wurde bei der Berechnung des belegungsfähigen Gesamtzeitraums für die Gesamtleistungsbewertung gesamtzeitraum-verlängernd berücksichtigt. Der Zeitraum fiel nicht mit anderen rentenrechtlichen Zeiten zusammen. Auch gegen den Rentenbescheid legte der Kläger Widerspruch ein und machte unter anderem geltend, dass an Stelle von 51 Monaten an Anrechnungszeiten für Schul- und Hochschulausbildung 67 Monate zu berücksichtigen zu seien. Mit Bescheiden vom 23. Juli 1999 und 19. August 1999 berechnete die Beklagte einen neuen Zahlbetrag der Rente auf Grund von Änderungen im Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnis des Klägers. Durch Bescheid vom 10. November 1999 berechnete die Beklagte die Rente mit Wirkung ab 1. Januar 2000 neu auf der Grundlage von 53,2569 Entgeltpunkten (Ost), wobei sie einerseits berücksichtigte, dass wegen eines Programmierfehlers Arbeitsentgelte auch in die Berechnung der Entgeltpunkte (Ost) eingeflossen waren, obwohl sie über der Beitragsbemessungsgrenze lagen, andererseits dass der Kläger im Februar 1970 noch nicht berücksichtigte beitragspflichtige Verdienste erzielt hatte. Den vom Kläger aufrecht erhaltenen Widerspruch gegen den Rentenbescheid vom 1. Juni 1999 und den auch gegen den Bescheid vom 10. November 1999 gerichteten Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2000 zurück. Betreffend die Anrechnungszeiten wegen Schul- und Hochschulausbildung führte sie aus, dass der Kläger nach Vollendung des 16. Lebensjahres zwar 27 Monate an Zeiten der Schulausbildung und 59 an Zeiten der Hochschulausbildung zurückgelegt habe. Berücksichtigungsfähig seien insgesamt jedoch nur 54, wobei wegen des Zusammentreffens von drei Monaten mit Beitragszeiten nur 51 Monate als beitragsfreie Zeiten zu bewerten seien. Die Beklagte sei schließlich auch berechtigt gewesen, den Rentenbescheid vom 1. Juni 1999 mit Wirkung für die Zukunft zurück zu nehmen. Mit seiner Klage vor dem Sozialgericht hat der Kläger neben anderem das Ziel verfolgt, die Beklagte zur Festsetzung eines höheren monatlichen Rentenhöchstwerts zu verurteilen und dabei Ausbildungszeiten in dem Umfang, wie er vor den Änderungen durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. September 1996 galt sowie die Arbeitszeit in der UdSSR vom 6. März 1962 bis zum 29. Januar 1965 rentensteigernd zu berücksichtigen. Durch Urteil vom 14. März 2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Betreffend die Anrechnungszeiten wegen Ausbildung hat es ausgeführt, dass es für das Begehren des Klägers keine Rechtsgrundlage gebe. Mit seiner Berufung hat der Kläger zuletzt noch geltend gemacht, dass sich seine sämtlichen Ausbildungszeiten rentensteigernd auswirken müssten. Deren Reduzierung durch das Gesetz stelle einen verfassungswidrigen Eingriff in die Versicherungsbiografie dar. Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. März 2002 sowie die Bescheide der Beklagten vom 1. Juni 1999 und 10. November 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 2000 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Berücksichtigung seiner gesamten Hochschulausbildungszeit ab 1. April 1999 eine höhere Altersrente zu gewähren. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Berücksichtigung nicht bewerteter Anrechnungszeiten wegen Ausbildung bei der Berechnung des belegungsfähigen Gesamtzeitraums im Rahmen der Gesamtleistungbewertung folge sie nicht. Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist teilweise begründet. Streitgegenstand sind die Bescheide der Beklagten vom 1. Juni 1999 und 10. November 1999 – der gemäß § 86 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden war, da er mit Wirkung ab 1. Januar 2000 einen neuen Rentenhöchstwert festsetzt – in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 2000. Der monatliche Höchstwert des Rechts auf Rente berechnet sich bei Renten auf Grund von rentenrechtlichen Zeiten, die im Beitrittsgebiet zurückgelegt worden sind, gemäß §§ 254b, 64 SGB VI, indem (1.) die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte Ost (§ 254d SGB VI), (2.) der Rentenartfaktor (§ 67 SGB VI) und (3.) der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Die Entgeltpunkte (Ost) für Beitragszeiten werden dabei ermittelt, indem der tatsächlich erzielte – gegebenenfalls der nach dem AAÜG höchstens berücksichtigungsfähige (§ 259 d SGB VI) – und mit den Werten der Anlage 10 zum SGB VI vervielfältigte Verdienst (§ 256a Abs. 2 und 3 SGB VI) durch das Durchschnittsentgelt nach Anlage 1 zum SGB VI geteilt wird (§ 256a Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Berücksichtigungsfähig sind Verdienste jedoch nur bis zur Höhe der im Bundesgebiet geltenden Beitragsbemessungsgrenzen (§ 260 Satz 2 SGB VI). Die Beklagte hat in dem Bescheid vom 1. Juni 1999 diese sogenannte Rentenformel insoweit nicht zutreffend angewandt, als sie die nicht bewerteten Zeiten der Hochschulausbildung vom 1. Dezember 1956 bis 15. Mai 1959 – 30 Monate – in den belegungsfähigen Zeitraum nach § 72 Abs. 2 und 3 SGB VI eingerechnet hat. Der Senat konnte die angefochtenen Bescheide auch unter diesem rechtlichen Aspekt prüfen, da er in dem allgemein gefassten Begehren des Klägers enthalten ist, auf Grund seiner Ausbildungszeiten eine höhere Rente zu erhalten. § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 letzter Teilsatz SGB VI in der hier anwendbaren, ab 1. Januar 1997 geltenden Fassung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25. September 1996 (BGBl. I S. 1461), nach dem Zeiten der Schulausbildung (einschließlich der Hochschulausbildung) "insgesamt jedoch höchstens bis zu drei Jahren" Anrechnungszeiten seien, regelt nicht den Tatbestand einer rentenrechtlichen Zeit, sondern eine Anrechnungsvoraussetzung (s. Bundessozialgericht [BSG] in Entscheidungssammlung Sozialrecht [SozR] 3-2600 § 58 Nr. 9 m.w.Nachw. und ausführlich nochmals in SozR 4-2600 § 54 Nr. 2). Es wäre widersprüchlich, wenn eine einerseits als rentenrechtliche Zeit qualifizierte Vorleistung andererseits als rentenrechtliche Lücke qualifiziert würde. Ob aus dem ab 1. Januar 2002 geltenden Recht abzuleiten ist, dass die ab dann in § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 letzter Teilsatz SGB VI vorgesehene "Höchstdauer" von acht Jahren zu einer Tatbestandsvoraussetzung "geworden" ist, weil der gleichzeitig in kraft getretene § 74 Satz 3 SGB III eine auf drei Jahre begrenzte "Bewertung" vorsah, kann dahingestellt bleiben. Diese Vorschriften sind, da sie im Zeitpunkt des vom Kläger begehrten Rentenbeginns zwangsläufig noch nicht galten, auch nicht entscheidungserheblich (zur Begründung der Gesetzesänderungen Bundestags-Drucksache 14/4595 S. 46 und 48, wo das damals bereits seit geraumer Zeit vorliegende Urteil des BSG in SozR 3-2600 § 58 Nr. 9 jedoch unberücksichtigt bleibt). Soweit sich durch den kürzeren belegungsfähigen Gesamtzeitraum nach § 72 Abs. 2 und 3 SGB VI zwangsläufig ein kleinerer Divisor für die Vergleichsbewertung nach § 73 SGB VI und als Folge davon eine höhere Zahl an Entgeltpunkten (Ost) für die Gesamtleistungsbewertung errechnet, und soweit diese Zahl – vorbehaltlich der Begrenzung nach § 74 SGB VI – diejenige übersteigt, welche in dem Bescheid vom 1. Juni 1999 aus technischen Gründen fehlerhaft errechnet worden war, war die Beklagte auch nicht berechtigt, den Bescheid vom 1. Juni 1999 durch den Bescheid vom 10. November 1999 mit Wirkung ab 1. Januar 2000 gemäß § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch aufzuheben, weil der erstgenannte Bescheid insoweit im Ergebnis nicht rechtswidrig war. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet. Weitere als die von der Beklagten bereits berücksichtigten Zeiten der Ausbildung an Schulen und Hochschulen können sich nicht als bewertete Anrechnungszeiten rentensteigernd auswirken. Die Beklagte hat die Zahl der Monate an bewertungsfähigen Anrechnungszeiten nach dem maßgeblichen, im Zeitpunkt der Entstehung des Rechts auf Altersrente geltenden Recht (§ 58 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI in der Fassung des Wirtschafts- und Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25. September 1999 und § 252 Abs. 4 SGB VI in der Fassung des Rentenreformgesetzes 1999) zutreffend errechnet. Die lediglich begrenzte Berücksichtigung der Ausbildungs-Anrechnungszeiten begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn vor dem Zeitpunkt, in dem ein Versicherter die Voraussetzungen für einen Rentenanspruch erfüllt, entsteht auch für "rentennahe" Jahrgänge jedenfalls aus beitragsfreien Zeiten keine Anwartschaft, die vom Grundgesetz geschützt wäre (BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2007 – 1 BvL 10/00 –). Die ab 1. Januar 2002 geltenden Rechtslage führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn § 306 SGB VI bestimmt ausdrücklich, dass aus Anlass einer Rechtsänderung die einer Rente zugrunde liegenden Entgeltpunkte grundsätzlich nicht neu bestimmt werden (s. zu dieser Vorschrift etwa BSG SozR 3-2600 § 306 Nr. 1 und SozR 3-2600 § 300 Nr. 7). Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. Im besonderen hat die Sache auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten geäußerten Kritik an der Entscheidung BSG SozR 4-2600 § 54 Nr. 2 keine grundsätzliche Bedeutung. Die vorliegend entscheidungserheblichen Vorschriften gelten seit dem 1. Januar 2002 nicht mehr, so dass kein Bedarf nach erneuter höchstrichterlicher Klärung erkennbar ist (s. stellvertretend BSG, Beschluss vom 9. Juli 2003 – B 11 AL 213/02 B – unter Hinweis auf BSG SozR 1500 § 160a Nr. 19).
Rechtskraft
Aus
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