L 19 B 116/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 106 AS 11573/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 19 B 116/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. Dezember 2006 aufgehoben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab dem 15. Dezember 2006 bis zum 31. Mai 2007 in Höhe von 221,- EUR monatlich zu gewähren. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Verfahren erster und zweiter Instanz zu erstatten. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt R R bewilligt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung - vorläufige - Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - SGB II -.

Der 1991 geborene Antragsteller ist schwedischer Staatsangehöriger bosnischer Herkunft. Das Amtsgericht K (S) übertrug mit rechtskräftigem Urteil vom 24. März 2006 das Sorgerecht über den Antragsteller von dessen Vater A H auf seinen am 1939 geborenen Großvater R H. Der Antragsteller reiste zusammen mit seinem Großvater im Juli 2006 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Das Bezirksamt N von B - Bürgeramt/Meldestelle - stellte dem Antragsteller am 27. Juli 2006 eine Bescheinigung gemäß § 5 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern - FreizügG/EU - aus. Danach ist er nach Maßgabe dieses Gesetzes zur Einreise und zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt. Der Antragsteller besucht die T-M-Oberschule. Er und sein Großvater, der eine Rente in Höhe von umgerechnet 56,- EUR von der schwedischen Versicherungskasse bezieht, lebten zunächst bei einer in Berlin wohnenden Tante des Antragstellers und Tochter des Großvaters, sie bewohnen seit Februar 2007 eine eigene Wohnung.

Der Antragsteller stellte am 15. August 2006 bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Mit Bescheid vom 28. September 2006 lehnte die Antragsgegnerin diesen Antrag ab mit der Begründung, die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen lägen nicht vor. Die Entscheidung beruhe auf § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Den gegen die versagende Entscheidung am 27. November 2006 eingelegten Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2006 als unzulässig zurück. Die Antragsgegnerin sah in dem Widerspruch des Antragstellers zugleich einen Überprüfungsantrag nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB X -, den sie mit Bescheid vom 6. Dezember 2006 ablehnte. Die Überprüfung habe ergeben, dass der Bescheid vom 28. September 2006 nicht zu beanstanden sei. Es sei weder das Recht unrichtig angewandt, noch sei von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden. Über den dagegen eingelegten Widerspruch ist nach Aktenlage noch nicht entschieden worden.

Mit Bescheid vom 13. Dezember 2006 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit – Familienkasse dem Großvater des Antragstellers Kindergeld für diesen ab September 2006 in Höhe von 154,- EUR monatlich.

Das Sozialgericht Berlin (Aktenzeichen: S 2 SO 2901/06 ER) hat mit Beschluss vom 15. Dezember 2006 in dem Verfahren wegen einstweiligen Rechtsschutzes des Großvaters des Antragstellers die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid des Landes Berlin - Bezirksamt N von B vom 28. November 2006 angeordnet. Das Land Berlin - Bezirksamt N von B gewährt dem Großvater des Antragstellers Leistungen nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches - SGB XII -.

Am 15. Dezember 2006 hatte der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Regelleistungen gemäß SGB II zu gewähren. Er halte sich erlaubt in der Bundesrepublik Deutschland auf. Der Leistungsanspruch ergebe sich aus Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens. Er sei in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, um hier die Schule zu besuchen. Grund für die Einreise sei nicht der Wunsch gewesen, hier zu arbeiten, sondern letztlich Erwägungen seines Großvaters zu seinem, des Antragstellers, Kindeswohl.

Das Sozialgericht B hat mit Beschluss vom 22. Dezember 2006 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Es hat ausgeführt, ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben. Der 15-jährige Antragsteller erfülle zwar die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 SGB II. Der Schulbesuch schließe die Erwerbsfähigkeit nicht aus. Er sei jedoch nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von den Leistungen ausgenommen. Das Aufenthaltsrecht als Arbeitssuchenden aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU stelle das einzige Aufenthaltsrecht des Antragstellers für die Bundesrepublik Deutschland dar. Ihm stünde insbesondere kein weiteres anderes Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nrn. 2, 3, 4, 5 und 6 sowie Abs. 5 FreizügG/EU zu. Auch die Tatsache, dass alleine die Inanspruchnahme von Sozialleistungen nicht zur Ausweisung des Antragstellers führen könne, habe nicht zur Folge, dass ihm Sozialleistungen zu gewähren seien. Die Präambel der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (Amtsblatt der Europäischen Union vom 30. April 2004, L 158/77 - Richtlinie 2004/38/EG -) sei insoweit nicht geeignet, dem Einzelnen unmittelbar (Sozialleistungs-)Ansprüche zu geben, diese ergäben sich allenfalls aus den Bestimmungen der Richtlinie im Einzelnen. Art. 24 der Richtlinie 2004/38/EG konstituiere ebenso wie Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens diesbezüglich die Gleichbehandlung der freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger mit Inländern. Für die Gewährung von Sozialleistungen wie dem Arbeitslosengeld II könne nicht von dem Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG abgesehen werden, soweit Arbeitnehmer und Selbstständige sowie solche Personen, deren Status als Erwerbstätige erhalten bleibe, betroffen seien. Arbeitssuchende im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG könnten dagegen europarechtskonform von Leistungen ausgeschlossen werden. Von dieser gemeinschaftsrechtlich zulässigen Einschränkung habe der Gesetzgeber in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II Gebrauch gemacht, sodass Unionsbürger, deren Aufenthalt sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe, von Sozialleistungen ausgeschlossen seien.

Gegen diesen dem Antragsteller am 19. Januar 2007 zugestellten Beschluss, der bereits am 22. Dezember 2006 per Fax übermittelt worden war, richtet sich seine am 12. Januar 2007 eingegangene Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.

Zur Begründung der Beschwerde führt der Antragsteller im Wesentlichen aus, aus der Tatsache, dass er sich bei der Antragsgegnerin als "Arbeit suchend" gemeldet habe, könne nicht geschlossen werden, dass sein Aufenthaltszweck die Arbeitssuche sei. Für einen Schüler in seinem Alter und in seiner Schulklasse sowie seiner familiären Situation sei nach den gesetzlichen Regelungen ausschließlich das JobCenter für die Gewährung von staatlichen Sozialleistungen zuständig. Die "Meldung als Arbeitssuchender" sei kein Willensakt, sondern rechtliche Konsequenz. Sein Aufenthaltsrecht folge nicht aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU, sondern direkt aus Art. 18 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft - EGV -. Ungeachtet spezieller Regelungen könne sich aus der Anwendung dieser primärrechtlichen Freizügigkeitsgarantie ein Aufenthaltsrecht ergeben. Dies führt der Antragsteller unter Hinweis auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes näher aus. Sein Ausschluss von Sozialleistungen nach dem SGB II verstoße gegen das Diskriminierungsverbot in Art. 12 EGV.

Der Antragsteller beantragt,

1. die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 22. Dezember 2006 im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Regelleistungen nach dem SGB II zu gewähren, 2. ihm Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt R R zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Sie ist begründet. Das Verfahren wird allein von dem minderjährigen Antragsteller geführt, der von seinem Großvater, dem das Sorgerecht gerichtlich übertragen worden ist (§§ 1693, 1626, 1629 Bürgerliches Gesetzbuch), vertreten wird. Dieser gehört keiner der in § 7 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 SGB II aufgezählten Personengruppen an, die eine Bedarfsgemeinschaft bilden können.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch (d. h. ein nach der Rechtslage gegebener Anspruch auf die einstweilig begehrte Leistung) wie auch ein Anordnungsgrund (im Sinne einer Eilbedürftigkeit des Verfahrens) bestehen. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Wegen des vorläufigen Charakters einer einstweiligen Anordnung soll durch sie eine endgültige Entscheidung in der Hauptsache grundsätzlich nicht vorweggenommen werden. Bei seiner Entscheidung kann das Gericht grundsätzlich sowohl eine Folgenabwägung vornehmen wie auch eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache anstellen. Drohen aber ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dann dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist allein anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 596/05 -). Handelt es sich wie hier um Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende, die der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen und damit das Existenzminimum absichern, muss die überragende Bedeutung dieser Leistungen für den Empfänger mit der Folge beachtet werden, dass ihm im Zweifel die Leistungen - ggf. vermindert auf das absolut erforderliche Minimum - aus verfassungsrechtlichen Gründen vorläufig zu gewähren sind.

Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegeben.

Eine einstweilige Regelung für den Zeitraum ab 15. Dezember 2006 bis zum 31. Mai 2007 war zu treffen, da ein Anordnungsanspruch nach summarischer Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegeben ist.

Gemäß § 19 Abs. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung. Erwerbsfähige Hilfebedürftige im Sinne des SGB II sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes dem Grunde nach vor. Der 1991 geborene Antragsteller hat das 15. Lebensjahr vollendet. Er hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Der Besuch einer allgemein bildenden Schule und der Bezug einer Wohnung – gemeinsam mit seinem Großvater – lassen erkennen, dass er sich nicht nur vorübergehend im Sinne von § 30 Abs. 3 Satz 2 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB I - hier aufhält. Als Inhaber einer Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG verfügt er auch über eine Aufenthaltsposition, die ihm - derzeit - einen Aufenthalt auf unbestimmte Dauer ermöglicht. Der Antragsteller ist auch erwerbsfähig im Sinne von § 8 SGB II. Gesundheitliche Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II sind nicht ersichtlich. Dem Antragsteller ist es auch entsprechend den Anforderungen von § 8 Abs. 2 SGB II erlaubt, eine Beschäftigung aufzunehmen, denn als schwedischer Staatsangehöriger ist er Unionsbürger und hat gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet - AufG - in Verbindung mit § 2 Abs. 2 FreizügG/EU genehmigungsfreien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Die Beschränkungen des § 284 Abs. 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB III - greifen gegenüber schwedischen Staatsangehörigen nicht ein. Der Besuch einer allgemein bildenden Schule steht der Erwerbsfähigkeit nicht entgegen (arg. § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB II). Der Antragsteller ist auch hilfebedürftig. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist hilfebedürftig derjenige, der seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, aus dem zu berücksichtigen Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Der Antragsteller verfügt nicht über Vermögen. Als Einkommen ist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II das Kindergeld zu berücksichtigen, obwohl es dem Großvater als Anspruchsberechtigten zusteht. Die Anrechnung bei dem Antragsteller begegnet vorliegend keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. insoweit Brühl in LPK-SGB II, 2. Auflage, § 11 RdNr. 19), da der Antragsteller und der Großvater, dem als Anspruchsberechtigten das Kindergeld ausgezahlt wird, in einem Haushalt leben und aus diesem Grund davon auszugehen ist, dass ihm, dem Antragsteller, das Kindergeld auch tatsächlich zufließt und zur Verfügung steht.

Der Anspruch des Antragstellers ist nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen. Danach sind von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende Ausländer ausgenommen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Nach der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales hat der Gesetzgeber mit dieser Regelung Art. 24 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b der Richtlinie 2004/38/EG umgesetzt. Nach Art. 24 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2004/38/EG genießt vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrages die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen des Mitgliedstaates. Abweichend von Absatz 1 ist nach Absatz 2 dieser Norm der Aufnahmestaat jedoch nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthaltes oder gegebenenfalls während des längeren Aufenthaltes nach Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b einen Anspruch u.a. auf Sozialhilfe zu gewähren. Nach Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b darf unbeschadet der Bestimmungen des Kapitels VI gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen auf keinen Fall eine Ausweisung verfügt werden, wenn Unionsbürger in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates eingereist sind, um Arbeit zu suchen. Aus diesen Regelungen hat der Ausschuss für Arbeit und Soziales gefolgert, dass im nationalen Recht Personen und ihre Familienangehörigen vom Bezug sozialer Leistungen ausgeschlossen werden können, wenn sich ihr Aufenthaltsrecht allein auf den Zweck der Arbeitssuche gründet.

Der Wortlaut der Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 2 1. Alternative SGB II lehnt sich an § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU an. Danach sind gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten wollen. Von den Leistungen nach dem SGB II nicht ausgeschlossen sind Unionsbürger, bei denen ein anderer Grund nach § 2 des FreizügG/EU greift (BT-Drucksache 16/688 Seite 13; Brühl in LPK-SGB II, 2. Auflage, § 7 RdNr. 19; Peters in Estelmann, § 7 RdNr. 10). Der Antragsteller kann sein Aufenthaltsrecht nicht aus einer anderen Regelung des § 2 Abs. 1 bis Abs. 5 FreizügG/EU als der des § 2 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt. FreizügG/EU ableiten. Ob das Aufenthaltsrecht des Antragstellers unmittelbar aus Art. 18 EGV folgt, kann dahingestellt bleiben.

Die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ist gemeinschaftsrechtlich auszulegen. Bei der hier im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung ergibt die gemeinschaftsrechtliche Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II, dass für Ausländer, die Unionsbürger sind, aufgrund der nach Art. 12 EGV verbotenen Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit kein Leistungsausschluss besteht, jedenfalls nicht nach Ablauf eines dreimonatigen Aufenthaltes (Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG) im Bundesgebiet.

Art. 12 S. 1 EGV verbietet (unbeschadet besonderer Bestimmungen des EGV) im Anwendungsbereich des Vertrages jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Zugleich ist die Freizügigkeit durch Art. 18 EGV für jeden Unionsbürger i. S. des Art. 17 EGV grundsätzlich gewährleistet. Der Europäische Gerichtshof - EuGH - hat in seinem Urteil vom 7. September 2004 (- C-456/02 - (Trojani), DVBl, 2005, Seite 630 ff) insoweit ausgeführt, Art. 18 Abs. 1 EGV erkenne jedem Unionsbürger das Recht zum Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten unmittelbar zu. Zwar gelte dieses Recht nicht absolut, sondern bestehe nur vorbehaltlich der im EGV und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bestimmungen. So könnten die Mitgliedsstaaten nach Art. 1 der Richtlinie 90/364 von Angehörigen eines (anderen) Mitgliedsstaats, die das Recht zum Aufenthalt in ihrem Hoheitsgebiet wahrnehmen wollten, verlangen, dass sie für sich und ihre Familienangehörigen über eine ausreichende Krankenversicherung sowie über genügende Existenzmittel verfügten, durch die sicher gestellt sei, dass sie während ihres Aufenthalts nicht die Sozialhilfe des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssten (EuGH a. a. O., Nr. 31 - 33). Derartige Beschränkungen und Bedingungen seien unter Einhaltung der einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grenzen und im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, insbesondere des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, anzuwenden (Nr. 34). Bei einem Mangel an Mitteln, die eigene Existenz zu sichern, erwachse deshalb aus Art. 18 EGV (grundsätzlich) kein Recht zum Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines (anderen) Mitgliedsstaats (Nr. 36). Halte sich allerdings der Betreffende (was im vom EuGH entschiedenen Fall durch eine amtliche Aufenthaltserlaubnis bescheinigt worden war) rechtmäßig in dem Mitgliedsstaat auf, so sei Art. 12 EGV zu beachten, wonach unbeschadet besonderer Bestimmungen des EGV im Anwendungsbereich des Vertrages jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten sei (Nr. 39 i. V. m. Nr. 37). Insoweit dürften Mitgliedsstaaten den Aufenthalt eines nicht wirtschaftlich aktiven Unionsbürgers zwar von der Verfügbarkeit ausreichender Existenzmittel abhängig machen; daraus ergebe sich jedoch keineswegs, dass einer solchen Person während ihres rechtmäßigen Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat das grundlegende Prinzip der Gleichbehandlung aus Art. 12 EGV nicht zugute komme (Nr. 40). Insofern sei zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des EuGH eine Leistung der Sozialhilfe in den Anwendungsbereich des EGV falle (Nr. 42; vgl. auch Urteil des EuGH vom 20. September 2001 - C-184/99 - (Grzelczyk), DVBl 2001, Seite 6193 ff, dort insbesondere Nr. 46). Ein nicht wirtschaftlich aktiver Unionsbürger könne sich auf Art. 12 EGV berufen, wenn er sich im Aufnahmemitgliedstaat für eine bestimmte Dauer rechtmäßig aufhalte oder eine Aufenthaltserlaubnis besitze (Nr. 43). Eine nationale Regelung bedeute eine nach Art. 12 EGV verbotene Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit, wenn sie Unionsbürgern, die sich in dem Mitgliedsstaat rechtmäßig aufhielten, ohne dessen Staatsangehörigkeit zu besitzen, die Leistungen von Sozialhilfe auch dann nicht gewähre, wenn sie die Voraussetzungen erfüllten, die für die Staatsangehörigen dieses Mitgliedsstaates gälten (Nr. 44). Der EuGH hat in seinem Urteil vom 23. März 2004 (- C-138/02 - (Collins), ZESAR 2004, Seite 490 ff) ausgeführt, dass Unionsbürger, die sich rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten, sich in allen Situationen, die in den sachlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen, auf Art. 6 EG-Vertrag (jetzt Art. 12 EGV) berufen können (Nr. 61). Die Unionsbürgerschaft sei dazu bestimmt, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein, der denjenigen unter ihnen, die sich in der gleichen Situation befinden, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und unbeschadet der insoweit ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen Anspruch auf die gleiche rechtliche Behandlung gebe (Nr. 61). Angesichts der Einführung der Unionsbürgerschaft und angesichts der Auslegung, die das Recht der Unionsbürger auf Gleichbehandlung in der Rechtsprechung erfahren habe, sei es nicht mehr möglich, vom Anwendungsbereich des Artikels 48 Abs. 2 EG-Vertrag (jetzt Art. 39 Abs. 2 EGV), der eine Ausprägung des in Art. 6 EG-Vertrag garantierten tragenden Grundsatzes der Gleichbehandlung sei, eine Leistung auszunehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates erleichtern solle (Nr. 63). Bei Anwendung dieser vom EuGH aufgestellten Grundsätze kann ein Unionsbürger, der sich in der Bundesrepublik Deutschland rechtmäßig aufhält, von Leistung nach dem SGB II, die sowohl Sozialhilfecharakter haben als auch den Zugang zu dem Arbeitsmarkt erleichtern sollen, nicht aus Gründen seiner Staatsangehörigkeit ausgeschlossen werden, wenn er ansonsten die Voraussetzungen für den Bezug der Leistungen erfüllt. Daher greift der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II vorliegend für den Antragsteller, der Unionsbürger ist und die weiteren Voraussetzungen des § 7 SGB II erfüllt, hier nicht. Der Anspruch des Antragstellers ist auch nicht gemäß § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen. Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Berufsausbildungsförderungsgesetzes oder der §§ 60 bis 62 des SGB III förderungswürdig ist, haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (§ 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II). Absatz 5 des § 7 SGB II findet jedoch nach § 7 Abs. 6 SGB II keine Anwendung auf Auszubildende, 1. die aufgrund von § 2 Abs. 1 a BAföG keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung oder aufgrund von § 64 Abs. 1 SGB III keinen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe haben oder 2. deren Bedarf sich nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG oder nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB III bemisst. Der Antragsteller besucht die 7. Klasse einer allgemein bildenden Schule und erfüllt daher nicht die oben genannten einen Leistungsausschluss kennzeichnenden Voraussetzungen.

Ausgehend von dem Bedarf des Antragstellers, der vorliegend nur die Regelleistung nach § 20 SGB II geltend macht, welche vorliegend 345,- EUR (§ 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II) beträgt, und dem bereinigten Einkommen in Höhe von 124,- EUR (Kindergeld abzüglich der Pauschale von 30,- EUR gemäß § 3 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld vom 20. Oktober 2004) besteht ein Bedarf in Höhe von 221,- EUR monatlich.

Die einstweilige Anordnung war bis zum 31. Mai 2007 zu beschränken, da nicht auszuschließen ist, dass sich die tatsächlichen und/oder rechtlichen Verhältnisse bei dem Antragsteller ändern. Bei der Verpflichtung zur Erbringung von Leistungen bis zum 31. Mai 2007 geht der Senat jedoch davon aus, dass die Antragsgegnerin einstweilen weiterhin Leistungen auch nach diesem Zeitpunkt erbringen wird, sofern sich die tatsächlichen und/oder rechtlichen Verhältnisse nicht ändern.

Ein Anordnungsgrund wurde glaubhaft gemacht. Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens, mithin der Erfüllung einer verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -). Ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung für den Zeitraum ab Anhängigkeit bis zum 31. Mai 2007 bliebe das Existenzminimum des Antragstellers noch für mehrere Monate nicht in vollem Umfange gedeckt.

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat danach hinreichende Aussicht auf Erfolg, sodass dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu entsprechen war (§ 73 a SGG i. V. m. § 114 ZPO).

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Gegen diese Entscheidung sieht das Gesetz keinen ordentlichen Rechtsbehelf vor (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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