L 26 B 660/07 AS PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
26
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 55 AS 11008/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 26 B 660/07 AS PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. März 2007 wird aufgehoben. Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin I Sch, H Straße, B beigeordnet. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die statthafte und zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), der das Sozialgericht (SG) Berlin nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist begründet. Der Klägerin ist für das Verfahren vor dem SG Berlin nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 114 Satz 1, 115, 119 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist nach den genannten Vorschriften davon abhängig, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Daher beurteilt das angerufene Gericht die Erfolgsaussicht regelmäßig ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffes. Steht eine höchstrichterliche Klärung von im Hauptsacheverfahren noch entscheidungserheblichen Fragen aus, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht seines Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten. Denn dadurch würde der unbemittelten Partei im Gegensatz zu der bemittelten die Möglichkeit genommen, ihren Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus in die höhere Instanz zu bringen (vgl. zuletzt Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 14. Juni 2006 - 2 BvR 626/06 -, BvR 656/06, zitiert nach juris, RdNr. 13 mwN).

Vorliegend wird vom SG zu entscheiden sein, ob die Beklagte verpflichtet ist, eine Zusicherung nach § 22 Abs. 2 SGB II in der seit dem 1. August 2006 geltenden Fassung zu erteilen. Danach gilt für einen Wohnungswechsel, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige (bzw. der erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihm eine Bedarfsgemeinschaft bildenden Personen, § 7 Abs. 2, 3 SGB II) vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen soll (Satz 1). Dieser ist nach Satz 2 der Vorschrift zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Wird die Zusicherung erteilt, d.h. die Erforderlichkeit des Umzugs (und die Angemessenheit der Kosten) von der Behörde akzeptiert und festgestellt, begründet sie den Anspruch auf die Übernahme der vollen Kosten der neuen Wohnung und der Umzugskosten dem Grunde nach. Entgegen der Auffassung des SG im angefochtenen Beschluss bestehen für die Klägerin im Ergebnis dieser Prüfung durchaus hinreichende Erfolgsaussichten.

Mit der Erforderlichkeit des Umzugs ist die erste Voraussetzung an eine Kostenübernahmezusicherung als unbestimmter Rechtsbegriff gefasst, der der Auslegung bedarf. Das SG und die Beklagte gehen insoweit davon aus, dass es bei der Prüfung der von der Klägerin als Grund für einen Umzug geltend gemachten unzumutbaren Enge in der derzeit von ihr und ihrem Ehemann bewohnten 1,5 Zimmer-Wohnung allein auf die Maßstäbe der Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II vom 7. Juni 2005 in der Fassung der Änderungsvorschriften vom 30. Juni 2006 (AV-Wohnen; veröffentlicht im Amtsblatt für Berlin 2005 3743 und 2006, 2062) ankomme (hier also die Mindestgrößen für Wohnraum ohne Nebenräume in 9.4 Abs. 5 Buchstabe f der Vorschriften).

Diesem rechtlichen Ausgangspunkt kann nicht ohne weiteres gefolgt werden. Ob ein Grund vorliegt, der einen Umzug erforderlich macht, ist nach erster Einschätzung des Senats vielmehr nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. Sauer in Jahn, SGB II, § 22 RdNr 41 und im Anschluss daran LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 18. Dezember 2006 - L 10 B 1091/06 AS ER, zitiert nach juris, dort RdNr. 10). Der erwerbsfähige Hilfebedürftige muss hinsichtlich der Aufwendungen für seine Unterkunft zwar Beschränkungen auch dann hinnehmen, wenn er einen Wechsel zwischen Wohnungen beabsichtigt, deren Kosten angemessen sind. Ihm wird auferlegt, auf Gestaltungen, die er als Verbesserung seiner Lebensumstände ansieht, zu verzichten und Wünsche zurückzustellen, auch wenn er nicht mehr anstrebt als bei einem bereits bestehenden oder aus zwingenden Gründen neu abzuschließenden Mietvertrag als Leistung nach §§ 19, 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu erbringen ist. Dies gebietet aber eine Auslegung, die nur maßvolle Beschränkungen mit sich bringt. Das folgt bereits aus dem Wortlaut, wonach nicht etwa zwingende Gründe zu verlangen sind. Die Angabe allgemeingültiger Mindestwerte für die Wohnfläche, deren Unterschreitung zum Umzug "berechtigen", dürfte dabei schwerlich möglich sein, auch wenn die Wohnflächenobergrenzen im Rahmen der Angemessenheitsprüfung des § 22 Abs. 1 SGB II abstrakt auf Grundlage der im sozialen Mietwohnungsbau anerkannten Wohnraumgrößen zu bestimmen sind. Dies schon deshalb, weil die Zimmeraufteilung und verschiedenste den "Wohnwert" bestimmende Umstände höchst unterschiedlich sein können (vgl. LSG Berlin-Brandenburg a.a.O.). Im Übrigen bezieht sich die Angabe von einer Mindestwohnfläche von 30 qm ohne Nebenräume zur Bestimmung einer unzumutbaren Enge in den AV-Wohnen offensichtlich auf die Richtlinien für den öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau (Wohnungsbauförderungsbestimmungen 1990 - WFB 1990 -) vom 16. Juli 1990 (Amtsblatt für Berlin 1990, 1379 ff) in der Fassung der Verwaltungsvorschriften zur Änderung der WFB 1990 vom 13. Dezember 1992 (VVÄndWFB 1990; Amtsblatt für Berlin 1993, 98 f), wonach die Wohnfläche für den vorgeschriebenen Raum zur Erfüllung allgemeiner Wohnzwecke (Wohnzimmer) 18 qm nicht unterschreiten soll und jedes weitere Zimmer nicht kleiner als 12 qm sein soll, eine 2-Zimmer-Wohnung mithin eine Mindestwohnfläche ohne Nebenräume von 30 qm haben soll (vgl. Abschnitt II Zif. 1 Buchst b) der Anlage 1 zur WFB 1990). Es handelt es sich vorliegend aber nicht um eine derart aufgeteilte 2 Zimmer-Wohnung, die für einen 2- Personenhaushalt förderfähig wäre, denn der Schlafraum ist kleiner als 10 qm. Zudem wird auch die Mindestgröße für förderfähige 2 Zimmer-Wohnungen (ohne Nebenräume) von der innegehabten Wohnung (nach dem bisher vorliegenden Grundriss, der im Hinblick auf die dort handschriftlich eingetragenen Flächenmaße im Hauptsacheverfahren zu überprüfen wäre) nur um 66 Quadratzentimeter überschritten. Hinzu kommt, dass auch die nach den Vorschriften der Wohnungsbauförderung zwingend vorgeschriebene Mindestgröße für Küchen nicht erreicht wird (hier 4,69 qm statt 8 qm), was zu einer weiteren Einschränkung der Nutzbarkeit der Wohnung durch 2 Personen führt, die bei der Prüfung der Erforderlichkeit eines Umzuges nach erster Auffassung des Senats nicht unbeachtet bleiben darf. Schließlich wird der vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entwickelte Gedanke zu prüfen sein, ob und inwieweit der finanzielle Mehraufwand durch die in Rede stehende, noch anzumietende Wohnung in angemessenem Verhältnis zum Gewicht des Grundes für den Umzug und zum Ausmaß der Verbesserungen steht (vgl. etwa BVerwGE 97, 110). Ein Obsiegen der Klägerin im Ergebnis der erst im Hauptsacheverfahren durchzuführenden abschließenden tatsächlichen und rechtlichen Würdigung des Streitstoffes unter Berücksichtigung der aufgezählten Gesichtspunkte erscheint dabei durchaus möglich. Hinreichende Erfolgsaussichten bestehen mithin.

Die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erscheint erforderlich, § 121 Abs. 2 ZPO. Der Rechtsstreit ist für die Klägerin von erheblicher Bedeutung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 73 a SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177).
Rechtskraft
Aus
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