L 30 AL 1288/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
30
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 19 AL 180/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 30 AL 1288/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Voraussetzungen des § 71 II Satz 2 Nr. 2 SGB II zur Berücksichtigung eines Freibetrages sind erfüllt, wenn die Ausbildung außerhalb des Tagespendelbereichs des Wohnorts der Eltern notwendig ist, weil innerhalb des Tagespendelbereichs geeignete Ausbildungsstellen nicht zur Verfügung stehen und wenn die Aufnahme der zu fördernden Ausbildung kausal für den Auszug ist.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 05. Oktober 2005 wird zurückgewiesen, soweit die Klägerin Berufsausbildungsbeihilfe von mehr als monatlich 6,80 Euro zusätzlich für den Zeitraum vom 01. August 2003 bis 31. Januar 2005 begehrt. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt höhere Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) für die Zeit vom 01. August 2003 bis 31. Januar 2005.

Die geborene Klägerin absolvierte in der Zeit vom 01. Oktober 2000 bis Juli 2003 ein Studium, das sie ohne Abschluss beendete. Anlässlich dieses Studiums war sie am 25. Januar 2001 aus der Wohnung ihrer Mutter in F M in eine eigene Wohnung nach C gezogen.

Am 14. August 2003 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von BAB für die Ausbildung zur Steuerfachangestellten bei der Steuerberatungsgesellschaft B & P in der K in C. Laut Bescheinigung der Ausbildungsstätte vom 21. August 2003 betrug die Ausbildungsvergütung für die Zeit vom 1. August 2003 bis 30. Juli 2004 (richtig müsste es wohl heißen: 31. Juli 2004) 340 Euro monatlich und für die Zeit vom 1. August 2004 bis 31. August 2005 380 Euro monatlich. Die tägliche Arbeitszeit betrug laut Ausbildungsvertrag vom 21. Juli 2003 acht Stunden. Außerdem bezog die Klägerin laut Leistungsmitteilung des Rentenservices der Deutschen Post AG (ohne Datum) Waisenrente, die ab 1. Juli 2003 115, 64 Euro monatlich betrug. Die von der Klägerin für ihre Wohnung in der B in C zu zahlende Miete belief sich laut Bescheinigung des Vermieters, der G", vom 25. August 2003 seit dem 25. Januar 2001 auf 259,87 Euro monatlich einschließlich Nebenkosten. Laut Antrag entstanden der Klägerin für die Monatskarte für öffentliche Verkehrsmittel innerhalb Cottbus 22 Euro monatlich und für Familienheimfahrten 6,80 Euro monatlich.

Laut Einkommensteuerbescheid des Finanzamts C vom 15. Oktober 2002 verfügte die Mutter der Klägerin im Jahr 2001 über Einkünfte in Höhe von 75.109 DM (38.402,62 Euro). Laut ihren Angaben in der "Erklärung über ihre Einkünfte" vom 17. August 2003 wurden ihr im maßgeblichen Kalenderjahr, dem Jahr 2001, vermögenswirksame Leistungen von ihrem Arbeitgeber erbracht.

Zum Zeitpunkt der Antragstellung auf BAB durch die Klägerin wohnte im Haushalt der Mutter noch die Schwester der Klägerin, die die 12. Klasse des F in F besuchte (Bescheinigung des F von 28. März 2003 über den Besuch der 11. Klassenstufe).

Mit Bescheid vom 28. Oktober 2003 bewilligte die Beklagte der Klägerin BAB in Höhe von 40 Euro monatlich für die Zeit vom 01. August 2003 bis 31. Januar 2005. Dabei legte sie einen Bedarf der Klägerin in Höhe von 540 Euro zugrunde. Von diesem Betrag setzte sie 281,01 Euro als zu berücksichtigendes Einkommen der Klägerin und 218,78 Euro als zu berücksichtigendes Einkommen der Mutter der Klägerin ab, so dass sich ein auf 40 Euro abgerundeter Zahlbetrag ergab.

Mit ihrem am 12. November 2003 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch bemängelte die Klägerin u. a., dass kein Freibetrag für eine auswärtige Unterbringung berücksichtigt worden sei. Sie sei im Januar 2001 nach C gezogen, weil die Vorlesungen ihres damaligen Studiums über den ganzen Tag verteilt gewesen seien und die letzte um 21.00 Uhr geendet habe. Eine Ankunft in F wäre dann fahrplanbedingt erst um 22.30 Uhr erfolgt. Eine optimale Vorbereitung auf Seminare und Klausuren wäre unter diesen Umständen nicht möglich gewesen. Ein Wiedereinzug bei ihrer Mutter sei aus Platzgründen nicht möglich. In der Zweieinhalbzimmerwohnung lebe auch noch ihre Schwester, die die 12. Klasse des Gymnasiums besuche.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04. Februar 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte aus, dass die Voraussetzungen des § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch III (SGB III) für die Einräumung eines weiteren Freibetrages nicht erfüllt seien. Dieser Freibetrag sei nur zu gewähren, wenn die Vermittlung einer geeigneten beruflichen Ausbildungsstelle nur bei Unterbringung des Auszubildenden außerhalb des Haushalts der Eltern oder eines Elternteils möglich sei. Es komme dabei nur darauf an, ob die Entfernung zwischen elterlicher Wohnung und Ausbildungsstätte so groß sei, dass ein tägliches Pendeln für den Auszubildenden nicht möglich oder unzumutbar sei. Dieser Sachverhalt liege nicht vor.

Am 05. März 2004 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Cottbus erhoben. Die Beklagte habe zu Unrecht den weiteren Freibetrag in Höhe von monatlich 52 Euro gemäß § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III außer Acht gelassen. Dieser sei ihr zu gewähren, da sie auf Grund der im Widerspruchsverfahren vorgetragenen Umstände bereits räumlich nicht in der Lage sei, wiederum Wohnsitz bei ihrer Mutter zu nehmen. Auf die Auslegung der Beklagten, dass hier die Unterbringung im elterlichen Wohnhaus nur dann ausgeschlossen werde, wenn ihr diese auf Grund der Entfernung zwischen elterlicher Wohnung und Ausbildungsstätte nicht zumutbar sei, könne allein auf Grund des Wortlautes der gesetzlichen Regelung nicht geschlossen werden. Vorliegend werde auf den zusätzlichen Aufwand abzustellen sein, den sie durch die gesonderte Wohnung habe und der auch letztendlich durch die Berücksichtigung der Unterkunftskosten beim Unterhaltsbedarf noch nicht den tatsächlichen Bedarf abdecke.

Das Sozialgericht hat dem Vorbringen der Klägerin den Antrag entnommen,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 28. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Februar 2004 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 01. August 2003 bis 31. Januar 2005 Berufsausbildungsbeihilfe in Höhe von 311,00 Euro/Monat zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie auf ihren Widerspruchsbescheid verwiesen.

Mit Gerichtsbescheid vom 05. Oktober 2005 hat das Sozialgericht Cottbus die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Beklagte die Einkommen der Klägerin und ihrer Mutter ordnungsgemäß angerechnet und zu Recht davon abgesehen habe, einen weiteren Freibetrag von 52 Euro bei der Ausbildungsvergütung der Klägerin und einen weiteren Freibetrag von 510 Euro bei dem Einkommen der Mutter zu berücksichtigen. Im Unterschied zu § 64 Abs. 1 Nr. 2 SGB III komme es für die Sonderfreibeträge nach § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III darauf an, dass der Auszubildende überhaupt von der elterlichen Wohnung aus eine Ausbildungsstätte für die von ihm gewünschte Berufsausbildung hätte erreichen können. Das Gericht sei davon überzeugt, dass die Klägerin von der Wohnung ihrer Mutter in der M in F in zumutbarer Weise den Ausbildungsbetrieb in der K in C ebenso wie die Unterrichtsstätte in der E in C hätte erreichen können.

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 27. Oktober 2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 24. November 2005 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt und vorgetragen, dass der Gerichtsbescheid insoweit angefochten werde, als das Gericht davon abgesehen habe, einen weiteren Freibetrag von 52 Euro bei ihrer Ausbildungsvergütung und einen weiteren Freibetrag von 510 Euro bei dem Einkommen ihrer Mutter zu berücksichtigen. Das Gericht habe sich überhaupt nicht mit ihrem Vortrag auseinandergesetzt, dass in der Wohnung ihrer Mutter in F überhaupt keine Aufnahme für sie mehr möglich gewesen sei. Bezüglich der von der Beklagten zitierten Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Hessen sei bereits vom Sachverhalt her ein deutlicher Unterschied dahingehend festzustellen, dass dort der Kläger zwar ebenfalls eine eigene Mietwohnung bewohnt habe, sich diese Wohnung jedoch in demselben Haus befunden habe, in dem die Eltern gewohnt hätten. Zudem habe die Entfernung zur Ausbildungsstätte und zur Berufsschule nur 7,5 km betragen. Im vorliegenden Fall habe sie nach zuvor schon während des Studiums aus Studiengründen gewechselten Wohnortes ihr Ausbildungsverhältnis in C aufgenommen. Es habe mithin triftige berufliche Gründe gegeben, den Wohnsitz zu verlagern. Der Freibetrag diene gerade dem Ausgleich der erhöhten Kosten für ihre eigene Wohnung. Insoweit könne es in der konkreten Situation auch nicht sachgerecht sein und auch nicht der Auslegung des Anwendungsbereiches des § 71 SGB III entsprechen, sie für einen, zuvor aus beruflichen Zwecken genommenen, eigenen Wohnraum auf die zum Zeitpunkt des Förderzeitraumes ohnehin objektiv nicht mehr vorhandene Wohnungssituation bei der Mutter zu verweisen. Auch der Entscheidung des Sächsischen Landessozialgerichts vom 19. April 2006 (Az. L 1 B 142/05 AL-ER) sei nicht zu folgen. Sie verweise auf ein Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 25. Juni 2004, Aktenzeichen L 10 AL 55/03.

In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat vom 10. Mai 2007 hat die Vertreterin der Beklagten einen Betrag von 6,80 Euro monatlich als weiteren Bedarf der Klägerin für die streitbefangene Zeit vom 1. August 2003 bis 31. Januar 2005 als Kosten der monatlichen Familienheimfahrt bei der Berechnung der BAB anerkannt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 04. Oktober 2005 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Februar 2004 und der Erklärung der Beklagten vom 10. Mai 2007 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum 01. August 2003 bis 31. Januar 2005 höhere Berufsausbildungsbeihilfe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf die ihrer Auffassung nach überzeugenden Ausführungen im erstinstanzlichen Gerichtsbescheid. Ergänzend verweist sie auf das Urteil des LSG Hessen vom 27. Dezember 2000, Aktenzeichen L 6 AL 845/00. Danach lägen die Voraussetzungen nach § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III nicht vor, wenn ausschließlich soziale Gründe es verhinderten, in der Wohnung der Eltern/des Elternteils zu bleiben, von denen die Vermittlungsmöglichkeiten in eine geeignete berufliche Ausbildungsstelle nicht betroffen seien. Die Klägerin wohne während ihrer Ausbildung im eigenen Haushalt und habe hierfür ausschließlich soziale Gründe vorgetragen. Die Vorschrift des § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III diene insbesondere der Förderung der Berufsmobilität von Auszubildenden in der betrieblichen Berufsausbildung. Es dürfte im Falle der Klägerin unstreitig sein, dass dieser Förderungszweck nicht erreicht werde.

Der Senat hat von der Klägerin den Mietvertrag über die Wohnung ihrer Mutter in F sowie eine Wohnungsskizze angefordert und erhalten. Danach handelt es sich um eine Dreizimmerwohnung von 57,14 m², die einzelnen Zimmer haben eine Größe von 18,84 m², 11,90 m² und 9,09 m².

Der Senat hat am 7. Mai 2007 telefonisch eine Auskunft des Verkehrsbüros C eingeholt. Danach betrug der Preis für eine Monatskarte für Auszubildende in Cottbus für die Zeit ab August 2003 22,20 Euro. Die Klägerin hat im Termin zur mündlichen Verhandlung erklärt, dass es sich bei den von ihr im Antrag auf BAB angegebenen Fahrtkosten von 22 Euro monatlich um die Kosten für die Monatskarte in C handele.

Auf Befragen des Gerichts hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 10. Mai 2007 angegeben, dass sie von der Wohnung ihrer Mutter in F bis zum Bahnhof etwa 10 bis 15 Minuten Fußweg bräuchte und die Bahn von F nach C etwa 20 Minuten fahre. Vom Bahnhof in C zur Arbeitsstelle in der K bräuchte sie etwa eine Viertelstunde.

Auf Anforderung des Gerichts hat die Beklagte am 27. April 2007 eine Kopie des Bescheides vom 2. Februar 2005 übersandt, mit dem der Antrag der Klägerin auf BAB für die Zeit ab 1. Februar 2005 abgelehnt worden war. Gegen diesen Bescheid wurde kein Widerspruch eingelegt. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 10. Mai 2007 erklärt, dass dieser Bescheid nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sein soll.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen.

Die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten (Stammnr.) hat dem Gericht vorgelegen und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig. Im Hinblick auf die Summe der begehrten weiteren BAB ist insbesondere die Berufungssumme von 500 Euro überschritten.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch - soweit ihr nicht durch die Erklärung der Vertreterin der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 10. Mai 2007 abgeholfen worden ist - nicht begründet. Zutreffend hat das Sozialgericht Cottbus die Klage gegen den Bescheid vom 28. Oktober 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Februar 2004 abgewiesen, da die Bescheide – unter Berücksichtigung der genannten Erklärung - rechtmäßig sind.

Nicht zu entscheiden war, ob der Klägerin auch für die Zeit ab dem 1. Februar 2005 bis zum Ausbildungsende BAB zusteht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Bescheid vom 2. Februar 2005 analog § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens S 19 AL 180/04 des Sozialgerichts Cottbus geworden ist. In der Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung ist eine Beschränkung der Anfechtung auf den Bescheid vom 28. Oktober 2003 zu sehen. Eine solche Beschränkung ist im Rahmen der Dispositionsbefugnis über den Streitgegenstand zulässig (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, 8. Aufl., § 96 Rdnr. 11 a).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung höherer BAB für die Zeit vom 01. August 2003 bis 31. Januar 2005. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, bei der Berechnung der BAB Freibeträge von 52 Euro bezüglich des Einkommens der Klägerin und von 510 Euro bezüglich des Einkommens der Mutter der Klägerin zu berücksichtigen.

Die Voraussetzungen für die Gewährung von BAB nach den §§ 59, 60, 63 Abs. 1 Nr. 1 und 64 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 i. V. mit Satz 2 Nr. 1 SGB III (alle in der Fassung des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes - AFRG - vom 24. März 1997 – BGBl. I S. 594) sind - unstreitig - erfüllt. Die Ausbildung der Klägerin zur Steuerfachangestellten ist förderungsfähig, sie ist Deutsche, hat das 18. Lebensjahr vollendet und wohnt außerhalb des Haushalts ihrer Eltern.

Die Beklagte hat den Bedarf der Klägerin gemäß § 65 Abs. 1 SGB III i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) in der Fassung des Ausbildungsförderungsreformgesetzes (AföRG) vom 19. März 2001, BGBl. I S. 930 - unter Berücksichtigung ihrer Erklärung in der mündlichen Verhandlung - zutreffend auf 546, 80 Euro festgelegt. Es ergibt sich folgende Berechnung:

310,00 Euro Bedarf gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 BAföG + 133,00 Euro Höherer Bedarf bei Wohnen außerhalb des elterlichen Haushalts gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG

443, 00 Euro + 64,00 Euro Erhöhungsbetrag gemäß § 13 Abs. 3 BAföG + 22,00 Euro Fahrtkosten gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 1 SGB III (Monatskarte für Auszubildende in Cottbus) + 6,80 Euro Familienheimfahrt gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 2 SGB III + 11,00 Euro Arbeitskleidung gemäß § 68 Abs. 3 SGB III 546,80 Euro

Die Beklagte hat auch die Einkommensanrechnung gemäß § 71 SGB III in der Fassung des 1. SGB III-Änderungsgesetzes vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2970) i. V. m. den §§ 21 ff. BAföG zutreffend vorgenommen. Es ergibt sich folgende Berechnung für das Einkommen der Klägerin:

2.081,52 Euro Waisenrente (115,64 Euro monatlich x 18) - 2.016,00 Euro Freibetrag gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 a BAföG i. H. v.112 Euro monatlich x 18 65,52 Euro: 18 = 3,64 Euro monatlich.

Weiter ist gemäß § 23 Abs. 3 BAföG die Ausbildungsvergütung aus einem Ausbildungsverhältnis voll anzurechnen. Es ergibt sich folgende Berechnung:

4.080,00 Euro Monatliche Ausbildungsvergütung von 340 Euro monatlich x 12 + 2.280,00 Euro Monatliche Ausbildungsvergütung von 380 Euro monatlich x 6 6.360,00 Euro - 1.367,40 Euro Sozialpauschale (21,5 % von 6360 Euro) gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BAföG 4.992,60 Euro: 18 = 277,37 Euro monatlich (gerundet)

277,37 Euro Einkommen aus Ausbildungsvergütung + 3,64 Euro Einkommen aus Waisenrente 281,01 Euro Anzurechnendes Einkommen monatlich.

Auch das anzurechnende Einkommen der Mutter der Klägerin hat die Beklagte zutreffend festgelegt. Es ergibt sich folgende Berechnung (die in Klammern gesetzten DM-Beträge wurden mit dem Faktor 1,95583 in Euro umgerechnet):

38.402,62 Euro (75.109 DM) Einkünfte entsprechend dem Einkommensteuerbescheid für 2001

- 214,80 Euro (420, 11 DM) Vermögenswirksame Leistungen gemäß § 21 Abs. 4 Nr. 4 BAföG i.V. mit Ziffer 21.4.8a der allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Bundesausbildungsförderungsgesetz vom 15. 10. 1991 (GMBl S. 770) in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung vom 22. Juli 1999 (GMBl S. 459), errechnet aus 35 DM =17, 90 Euro-gerundet- monatlich x 12 38.187,82 Euro

- 7.403,42 Euro Steuern und Solidaritätszuschlag

30.784,40 Euro

- 8.210,38 Euro Sozialpauschale gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BAföG (21,5 % von 38.187,82 Euro)

22.574,02 Euro: 12 = 1.881,17 Euro (gerundet) monatliches Einkommen der Mutter.

Von dem monatlichen Einkommen der Mutter hat die Beklagte auch zutreffend die Freibeträge abgesetzt. Es ergibt sich folgende Berechnung:

1.881,17 Euro Monatliches Einkommen der Mutter - 960,00 Euro Grundfreibetrag (§ 25 Abs. 1 Nr. 2 BAföG)

921,17 Euro

- 435,00 Euro Freibetrag für ein weiteres Kind (§ 25 Abs. 3 Nr. 2 BAföG) 486,17 Euro

- 267,39 Euro Anrechnungsfreier Betrag gemäß § 25 Abs. 4 Nr. 1 und 2 BAföG (55 % von 486,17 Euro)

218,78 Euro Anzurechnendes Einkommen der Mutter

Die zu zahlende BAB ergibt sich wie folgt:

546,80 Euro Bedarf - 281,01 Euro Anzurechnendes Einkommen der Klägerin - 218,78 Euro Anzurechnendes Einkommen der Mutter 47,01 Euro (abgerundet 47 Euro).

Bei der Abfassung des Tenors hat der erkennende Senat übersehen, dass sich nach Erhöhung des Bedarfs um 6,80 Euro eine andere Rundung ergibt, so dass irrtümlich ein nur um 6,80 Euro statt um 7,00 Euro höherer Anspruch der Klägerin auf BAB tenoriert wurde.

Damit hat die Beklagte die der Klägerin monatlich zustehende BAB –unter Berücksichtigung ihrer Erklärung vom 10. Mai 2007- zutreffend berechnet. Zusätzliche Freibeträge nach § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2005 geltenden Fassung des Job-AQTIV-Gesetzes vom 10. Dezember 2001 (BGBl. I 3443) sind nicht zu berücksichtigen. § 71 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 SGB III lauten:

Für die Ermittlung des Einkommens und dessen Anrechnung sowie die Berücksichtigung von Freibeträgen gelten § 11 Abs. 4 sowie die Vorschriften des Vierten Abschnitts des Bundesausbildungsförderungsgesetzes mit den hierzu ergangenen Rechtsverordnungen entsprechend. Abweichend von § 23 Abs. 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bleiben 52,00 Euro der Ausbildungsvergütung und abweichend von § 25 Abs. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zusätzlich 510,00 Euro anrechnungsfrei, wenn die Vermittlung einer geeigneten beruflichen Ausbildungsstelle nur bei Unterbringung des Auszubildenden außerhalb des Haushalts der Eltern oder eines Elternteils möglich ist.

Der Senat geht davon aus, dass die Voraussetzungen des § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III nur erfüllt sind, wenn der Auszubildende auf Grund der Tatsache, dass eine geeignete Ausbildungsstelle am Wohnort der Eltern nicht vermittelt werden kann, also aus Gründen, die in den Risikobereich der Beklagten fallen (zum Beispiel Mangel an Ausbildungsplätzen), außerhalb des Haushalts der Eltern untergebracht werden muss (so auch Fuchsloch in Gagel, SGB III, § 71 Rdnr. 111). Dies ergibt sich aus Sinn und Zweck der Vorschrift des § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III. Mit dieser sollten, wie sich aus der Bundestagsdrucksache 13/4941 zu § 71 (S. 167) ergibt, nach dem Willen des Gesetzgebers "aus arbeitsmarkt- und berufsbildungspolitischen Gründen im Wesentlichen die Regelungen des geltenden Anordnungsrechts zur Förderung der beruflichen Mobilität von Auszubildenden in der betrieblichen Berufsausbildung und zur stärkeren Ausschöpfung des regional unterschiedlichen Ausbildungsplatzangebots übernommen" werden. Daraus ergibt sich, dass Zweck der Vorschrift sein soll, einen Anreiz zur Aufnahme einer Ausbildung in größerer Entfernung vom Elternhaus (Förderung der beruflichen Mobilität) bei schlechtem Ausbildungsangebot in der Region (Ausschöpfung des regional unterschiedlichen Ausbildungsplatzangebots) zu schaffen (so auch Sächsisches LSG, Beschluss vom 19. April 2006, Aktenzeichen L 1 B 142/05 AL - ER, juris-Ausdruck Rdnr. 37, 38).

Wie sich aus der zitierten Bundestagsdrucksache ergibt, wollte der Gesetzgeber das früher geltende Recht (§ 16 Abs. 4 der vom Verwaltungsrat der Beklagten erlassenen "Anordnung über die individuelle Förderung der beruflichen Ausbildung" -A Ausbildung-) "im Wesentlichen" übernehmen. Zu der genannten Vorschrift hatte das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 28. November 1985 (Az. 11b/7 RAr 103/84 - dokumentiert in juris - weitere Fundstellen: SozR 4440 § 16 Nr. 4 sowie MDR 1986, 699) entschieden, dass, wenn die Ausbildung in generell geeigneter Weise überhaupt am Wohnort der Eltern erfolgen kann, der Gesamtfreibetrag nicht erhöht wird, selbst wenn eine auswärtige Unterbringung des Auszubildenden aus sonstigen Gründen geboten wäre. Die auswärtige Unterbringung muss aus Gründen erfolgen, die in den Risiko- und Aufgabenbereich der Bundesanstalt für Arbeit (jetzt Bundesagentur für Arbeit) fallen.

Nach Auffassung des Senats ergibt sich daher aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III, dass zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen: Erstens muss die Ausbildung außerhalb des Tagespendelbereichs des Wohnorts der Eltern notwendig sein, weil innerhalb des Tagespendelbereiches geeignete Ausbildungsstellen nicht zur Verfügung stehen; zweitens muss die Aufnahme der zu fördernden Ausbildung kausal sein für den Auszug, da sonst der Zweck der Vorschrift, nämlich der Mobilitätsanreiz, nicht erfüllt wird. Beide Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Die Ausbildungsstelle befindet sich im zumutbaren Tagespendelbereich des Wohnorts der Eltern. Der zumutbare Pendelbereich ergibt sich aus § 121 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 SGB III in der Fassung des 2. SGB III-Änderungsgesetzes vom 21. Juli 1999 (BGBl. I S. 1648). Diese Vorschrift lautet:

Aus personenbezogenen Gründen ist einem Arbeitslosen eine Beschäftigung auch nicht zumutbar, wenn die täglichen Pendelzeiten zwischen seiner Wohnung und der Arbeitsstätte im Vergleich zur Arbeitszeit unverhältnismäßig lang sind. Als unverhältnismäßig lang sind im Regelfall Pendelzeiten von insgesamt mehr als zweieinhalb Stunden bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden und Pendelzeiten von mehr als zwei Stunden bei einer Arbeitszeit von sechs Stunden und weniger anzusehen. Sind in einer Region unter vergleichbaren Arbeitnehmern längere Pendelzeiten üblich, bilden diese den Maßstab.

Nach den Angaben der Klägerin würde der Fußweg von der Wohnung ihrer Mutter in Ft bis zum Bahnhof F etwa 10 bis 15 Minuten betragen. Die Bahn braucht nach Angabe der Klägerin etwa 20 Minuten von F nach C. Dies entspricht der in der Fahrplanauskunft der Deutschen Bahn AG (zu finden im Internet unter www.fahrplanauskunft.de) angegebenen Fahrzeit. Vom Bahnhof in C zu ihrer Ausbildungsstelle bräuchte die Klägerin nach eigenen Angaben etwa 15 Minuten, was eine Anreisezeit von insgesamt etwa 50 Minuten ergibt; einschließlich Wartezeiten ist von einer Stunde Anreisezeit auszugehen. Für Hin- und Rückfahrt ergibt dies eine Pendelzeit von zwei Stunden. Die für die Klägerin nach § 121 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 SGB III zumutbare Pendelzeit von zweieinhalb Stunden bei einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden ist damit unterschritten.

Auch die zweite Voraussetzung der Berücksichtigung der genannten Freibeträge ist nicht erfüllt. Die zu fördernde Ausbildung ist nicht kausal dafür, dass die Klägerin nicht mehr im Haushalt ihrer Eltern wohnt. Sie war bereits vor der Aufnahme der Ausbildung zur Steuerfachangesellten in eine eigene Wohnung gezogen.

Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin hat bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 71 Abs. 2 Satz 2 SGB III unberücksichtigt zu bleiben, dass der Auszug der Klägerin aus dem Haushalt der Mutter aus durchaus nachvollziehbaren Gründen geschah. Ein Anspruch der Klägerin auf BAB ist gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. mit Satz 2 Nr. 1 SGB III nur gegeben, weil sie nicht mehr im Haushalt ihrer Eltern lebt. Daraus lässt sich ablesen, dass auch der Gesetzgeber davon ausgeht, dass es erwachsenen Kindern nicht ohne weiteres zuzumuten ist, während einer Ausbildung weiter bei den Eltern zu wohnen. Dies ist auch daraus zu ersehen, dass die Tatsache der Erforderlichkeit der Unterbringung außerhalb des Haushalts der Eltern bei der Bedarfsberechnung berücksichtigt worden ist, indem ein erhöhter Bedarf bezüglich der Unterkunftskosten anzusetzen ist (vgl. § 13 Abs. 2 Nr. 2 und Absatz 3 BAföG). Eine höhere Leistung, die sich durch Berücksichtigung der in Rede stehenden Freibeträge ergeben würde, soll also eine andere Funktion als die Bedarfsdeckung haben, nämlich den Anreiz bilden, für einen Ausbildungsplatz das gewohnte Umfeld zu verlassen, um überhaupt eine Ausbildung aufnehmen zu können.

Auch die Berücksichtigung der Argumentation des 10. Senats des LSG Berlin in dessen von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin in Bezug genommenen Urteil vom 25. Juni 2004 (Aktenzeichen L 10 AL 55/03), dokumentiert in juris, ändert nichts an dem gefundenen Ergebnis. In dem dort entschiedenen Fall lagen besondere Umstände in der Person des Klägers vor (Möglichkeit der Gewährleistung des Erfolgs einer beruflichen Bildung nicht ohne gleichzeitige Stabilisierung der Persönlichkeit). Der 10. Senat des LSG Berlin hatte angenommen, dass es im Risikobereich der Beklagten liege, dass ein entsprechender Ausbildungsplatz für den Kläger, der diese gleichzeitige Stabilisierung gewährleistete, am Wohnort der Eltern des dortigen Klägers nicht vorhanden war. Das LSG Berlin folgte damit der oben zitierten Rechtsprechung des BSG, eine Divergenz zwischen dem 10. Senat des LSG Berlin und dem erkennenden Senat in der vorliegenden Sache ist damit bezüglich der oben genannten ersten Voraussetzung für die Berücksichtigung des Freibetrags nicht gegeben. Allerdings folgt der erkennende Senat dem 10. Senat des LSG Berlin insoweit nicht, als dieser angenommen hat, dass es nicht relevant sei, dass sich der dortige Kläger schon vor längerer Zeit vor Aufnahme der Ausbildung am Ort der Ausbildungsstelle aufgehalten hat. Entgegen der dort genannten Auffassung geht es bei § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III nicht um die Deckung des durch die auswärtige Unterbringung verursachten erhöhten Bedarfs. Dieser ist, wie oben bereits erläutert, bereits berücksichtigt worden. Zweck des bei § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III ist die Schaffung eines zusätzlichen Anreizes zum Verlassen des elterlichen Haushalts, um überhaupt eine Ausbildung zu ermöglichen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
Rechtskraft
Aus
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