L 18 B 808/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 121 AS 7743/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 B 808/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 03. Mai 2007 geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung nur verpflichtet, der Antragstellerin zu 2) für die Zeit vom 01. Mai 2007 bis 31. August 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 311,00 EUR monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Beschwerde des Antragstellers zu 1) wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt ein Viertel der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu 2) im gesamten Verfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist teilweise begründet. Die Beschwerde des Antragstellers zu 1) ist unbegründet und war daher zurückzuweisen.

Mit ihren Beschwerden wenden sich der Antragsteller zu 1) und die Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Berlin vom 03. Mai 2007, mit dem die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verpflichtet worden ist, den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) in Höhe von monatlich 1.040,29 EUR für die Zeit vom 11. März 2007 bis 31. August 2007 zu gewähren, und der weitergehende Antrag der Antragsteller abgelehnt worden ist.

Die auf die vollständige Aufhebung der Entscheidung des SG gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin ist teilweise begründet. Einer einstweiligen Anordnung über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich KdU (§§ 20, 22 Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II) für die Zeit bis 30. April 2007 steht die anderweitige Rechtshängigkeit dieses Anspruchs entgegen. Die Antragsgegnerin hatte den Antragstellern mit Bescheid vom 02. November 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich KdU für die Zeit vom 01. November 2006 bis 30. April 2007 in Höhe von 1.040,29 EUR monatlich bewilligt. Diese Leistungsbewilligung hatte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 26. Januar 2007 mit Wirkung vom 01. Februar 2007 wieder aufgehoben. Das SG Karlsruhe (S 9 AS 921/07 ER) hatte den dort am 6. Februar 2007 per Fax eingegangenen Antrag der Antragsteller auf "Weiterzahlung" des am 02. November 2006 bewilligten Arbeitslosengeldes (ALG) II mit Beschluss vom 21. Februar 2007 abgelehnt. Die Beschwerde ist bei dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (L 12 AS 1880/07 ER B) nach wie vor anhängig. Damit ist der Anspruch anderweitig rechtshängig, so dass er gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz nicht nachträglich noch beim SG anhängig gemacht werden kann. Das Gleiche gilt für die mit der Beschwerde des Antragstellers zu 1), die er bei verständiger Würdigung seines Begehrens (§ 123 SGG) nur wegen eigener Leistungsansprüche eingelegt hat, weiter verfolgten Ansprüche für die Zeit vor dem 11. März 2007; auch insoweit ist die Rechtsverfolgung wegen anderweitiger Rechtshängigkeit nicht zulässig.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist auch hinsichtlich der Leistungsansprüche des Antragstellers zu 1) für die Zeit vom 1. Mai 2007 bis 31. August 2007 begründet. Der Antragsteller zu 1) führt in seiner Beschwerdeschrift aus, dass der angefochtene Beschluss des SG ab 14. Mai 2007 aufzuheben ist, weil ihm das JobCenter Neukölln von Berlin (JC Neukölln) mit Bescheid vom 22. Mai 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich KdU für die Zeit vom 14. Mai 2007 bis 31. Oktober 2007 in Höhe von 389,00 EUR monatlich (311,00 EUR zzgl. 78,00 EUR KdU) bewilligt hat. Nunmehr hat das JC Neukölln die Leistungsbewilligung mit Bescheid vom 13. Juni 2007 mit Wirkung ab 01. Juli 2007 aufgehoben, weil es aufgrund des angefochtenen Beschlusses des SG Berlin von der örtlichen Zuständigkeit der Antragsgegnerin ausgeht. Gegen den Aufhebungsbescheid des JC Neukölln hat der Antragsteller zu 1) nach eigenen Angaben Widerspruch eingelegt und will bei dem SG Berlin um einstweiligen Rechtsschutz nachsuchen. Da für die Zeit vom 14. Mai bis 30. Juni 2007 die Existenz des Antragstellers durch die Leistungsbewilligung des JC Neukölln gesichert ist, besteht für Leistungsansprüche für diesen Zeitraum jedenfalls kein Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit). Hinsichtlich des Anspruchs auf Leistungen für die Zeit ab 1. Juli 2007 ist es dem Antragsteller zuzumuten, den Ausgang seiner Rechtsmittel und Rechtsbehelfe gegen den Aufhebungsbescheid des JC Neukölln abzuwarten. Insoweit liegt ebenfalls kein Anordnungsgrund vor.

Für Leistungsansprüche des Antragstellers zu 1) für die Zeit vom 1. bis 13. Mai 2007 ist jedenfalls ein für den Erlass einer Regelungsanordnung erforderliches Eilbedürfnis nicht dargetan. Für eine rückwirkende Leistungsgewährung für Zeiträume vor der Antragstellung bei Gericht ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren grundsätzlich kein Raum. Zwar haben die Antragsteller bereits am 12. März 2007 bei dem SG Karlsruhe, das den Rechtsstreit an das SG Berlin verwiesen hatte, um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Es sind jedoch gegenwärtig keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Nichtgewährung der Leistungen in der Vergangenheit (hier 1. bis 13. Mai 2007) in die Gegenwart fortwirkt und eine gegenwärtige Notlage bewirken würde. Vielmehr besteht erheblicher Klärungsbedarf, aus welchen Mitteln der Antragsteller seine Existenz in der Vergangenheit gesichert hatte. Denn er betreibt nach Aktenlage ein Gewerbe in S (H m S, A, D, B- u T s t G) und hatte sich sogar für den Ankauf von Grundstücken interessiert. Die bis Januar 2007 gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sollen zur Finanzierung des Gewerbes verwendet worden sein. Das JC Neukölln hatte ihm lediglich im April 2007 ein Darlehen über 300,00 EUR gewährt.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist dagegen unbegründet, soweit der Verpflichtungsausspruch des SG auch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an die Antragstellerin zu 2) für die Zeit vom 1. Mai bis 31. August 2007 in Höhe von 311,00 EUR monatlich umfasst. Denn für diesen Zeitraum rechtfertigen grundrechtlich geschützte Positionen der Antragstellerin zu 2) eine Durchbrechung des grundsätzlichen Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache im Hinblick auf Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05 = NVwZ 2005, 927). Es droht eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung der Antragstellerin zu 2); denn sie erhält seit 01. Mai 2007 bis laufend - anders als der Antragsteller zu 1) - überhaupt keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Das JC Neukölln hat mit Bescheid vom 22. Mai 2007 nur dem Antragsteller zu 1) Leistungen gewährt, nicht jedoch der Antragstellerin zu 2). Die Antragstellerin zu 2) hat am 13. Juni 2007 vom JC Neukölln lediglich ein Darlehen (§ 23 Abs. 1 SGB III) über 300,00 EUR ausgezahlt erhalten, weil sie nach G zurückkehren wollte. Auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalls ist die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den unabwendbaren Bedarf zu begrenzen. Dies ist die nach § 20 Abs. 3 SGB II abgesenkte Regelleistung in Höhe von 311,00 EUR. Im Hinblick auf KdU der Antragstellerin zu 2) für die Zeit vom 1. Mai bis 31. August 2007 ist jedoch ein Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) nicht dargetan. Insoweit ist die Beschwerde der Antragsgegnerin begründet. Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin zu 2) gegenwärtig von Obdachlosigkeit unmittelbar bedroht ist. Vielmehr scheint sie sich gegenwärtig in der Wohnung in der F aufzuhalten. Die rückständige Miete für die Monate Februar bis April 20007 für die Wohnung in G wurde von den Eltern der Antragstellerin zu 2) übernommen. Es bedarf im hiesigen Verfahren keiner Entscheidung, ob und wo beide Antragsteller ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -) haben. Die Antragsteller haben - entweder gemeinsam oder allein - Wohnraum in B und in G angemietet und ihre Haupt- und Nebenwohnsitze auf diese beiden Orte melderechtlich aufgeteilt. Die gesetzgeberische Konzeption des SGB II sieht nicht vor, dass KdU für eine Haupt- und eine Nebenwohnung gewährt werden. Mehrere Aufenthalte können nicht zu einem mehrfachen Bezug von Leistungen der Grundsicherung führen (vgl. Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 36 Rn.24). Es bestehen überdies erhebliche Zweifel an der vom Antragsteller zu 1) behaupteten Trennung der Partner. Denn die Antragstellerin zu 2) ist nach Auszahlung des Darlehens über 300,00 EUR durch das JC Neukölln am 13. Juni 2007 offenbar nicht nach G zurückgefahren. Vielmehr hat sie nach der Bescheinigung des "D T G " dort am 14. Juni 2007 (in B) wegen einer Arbeit vorgesprochen. Soweit die Antragstellerin zu 2) vorträgt, in G wohnen und in B arbeiten zu wollen, bestehen im Hinblick auf die räumliche Entfernung und die Kosten für ein Pendeln zwischen den beiden Orten erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser Behauptung.

Trotz der Zweifel über einen gewöhnlichen Aufenthalt der Antragstellerin zu 2) in G und damit an der Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach § 36 SGB II hat das SG die Antragsgegnerin zu Recht zur Leistung verpflichtet. Denn nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II iVm § 2 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -(SGB X) muss die Antragsgegnerin als bisher zuständige Behörde die Leistung noch so lange erbringen, bis sie von der nunmehr zuständigen Behörde fortgesetzt werden kann (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 26. Oktober 2006, L 7 AS 99/06, veröffentlicht in juris). Die besondere Eilbedürftigkeit gebietet, die Antragsgegnerin einstweilig zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an die Antragstellerin zu 2) für einen begrenzten Zeitraum zu verpflichten. Für den Fall ihrer Unzuständigkeit ist die Antragsgegnerin auf Erstattungsansprüche (§§ 2 Abs. 3 Satz 2 und 3, 105 SGB X) zu verweisen. Sollten für zukünftige Bewilligungsabschnitte weiterhin Zweifel über den gewöhnlichen Aufenthalt der Antragsteller bestehen, wäre zu prüfen, ob sich die örtliche Zuständigkeit nach der zum 1. August 2006 in Kraft getretene Regelung des § 36 Satz 3 SGB II bestimmen lässt, die an den tatsächlichen Aufenthalt anknüpft.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

Für den mit der Beschwerde zugleich gestellten Vollstreckungsaussetzungsantrag der Antragsgegnerin besteht nunmehr kein Rechtsschutzbedürfnis mehr. Er ist daher abzulehnen.
Rechtskraft
Aus
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