L 28 B 1097/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 115 AS 1037/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 B 1097/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. März 2007 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die gemäß § 172 und § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. März 2007, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu Recht abgelehnt.

Der Antragsgegner war nicht im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom "23. Juli 2006 fortlaufend" zu gewähren. Es besteht insoweit keine besondere Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich machen würde.

In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Randnummern 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, S. 1236 und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, S. 803). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.

Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Absatz 4 GG in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine - stattgebende - Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen.

Im Hinblick hierauf kann mit dem Gesuch nach einstweiligen Rechtsschutz durch eine Entscheidung des Senats lediglich eine (vorläufige) Nachzahlung von Leistungen für einen im Zeitpunkt der Zustellung dieses Beschlusses gänzlich abgelaufenen, also in der Vergangenheit liegenden Zeitraum - vom 23. Juli 2006 bis zum 30. April 2007 - erreicht werden. Denn ausweislich der Verwaltungsakte des Antragsgegners hat der Antragsteller am 2. Mai 2007 eine Beschäftigung bei einer Personalservice GmbH mit einem monatlichen Bruttolohn in Höhe von 973,42 EUR aufgenommen. Es ist insoweit auch nicht vorgetragen worden, dass zu befürchten steht, dass dem Antragsteller durch ein Zuwarten auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile entstünden, die durch eine Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig gemacht werden könnten. Entsprechende Anhaltspunkte sind auch nach Aktenlage nicht ersichtlich. Dies bedeutet, dass insoweit effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren erlangt und dem Antragsteller ein Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache zugemutet werden kann.

Im Übrigen dürfte der Antragsteller aber auch keinen Anordnungsanspruch haben. Der Senat sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab und weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG) zurück.

Soweit der Kläger sich nunmehr im Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung erstmals auf einen "schwerwiegenden sozialen Grund" im Sinne des § 22 Abs. 2a Satz 3 SGB II beruft und geltend macht, dass die "Platzverhältnisse bei seiner Mutter (in Dessau) zu beengt" gewesen seien, kann er damit keinen Erfolg haben. Denn er ist nicht wegen beengter Platzverhältnisse in der elterlichen Wohnung in Dessau nach Berlin verzogen, sondern wegen der beabsichtigten Aufnahme einer Ausbildung in Berlin. Dies hat der Antragsteller sowohl gegenüber dem Antragsgegner mit Erklärung vom 6. Oktober 2006 ("Ich erkläre wahrheitsgemäß, dass ich nach Berlin gezogen bin, um eine Ausbildung zu beginnen") als auch in seinem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 15. Januar 2007 ("Ich bin am 23.7.06 von Dessau nach Berlin verzogen, weil ich eine Lehrstelle als Fachinformatiker bekommen habe") vorgetragen. Der Antragsteller muss sich hieran festhalten lassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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