L 24 B 417/07 KR ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 86 KR 1062/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 B 417/07 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. Mai 2007 (S 86 KR 1062/07 ER) geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. März 2007 wird festgestellt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Das Sozialgericht hat – nach Überprüfung durch den Senat zutreffend - folgenden Sachverhalt festgestellt:

Die Beteiligten streiten über die Aussetzung eines Bescheides über das Ende der Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG).

Die Antragstellerin war nach dem Recht der Künstlersozialversicherung versicherungspflichtig. Im Dezember 2006 befragte die Antragsgegnerin die Antragstellerin im Rahmen einer Stichprobenprüfung nach ihren Einkünften der Jahre 2002 bis 2005. Die Antragstellerin legte der Antragsgegnerin daraufhin die geforderten Einkommenssteuerbescheide vor. Die Antragsgegnerin hörte die Antragsstellerin sodann mit Schreiben vom 12. Dezember 2006 zu einer möglichen Aufhebung der bisherigen Bescheide über die Versicherungspflicht an, weil angesichts der nachgewiesenen bisherigen Einkünfte nicht zu erwarten sei, dass die Antragstellerin im Kalenderjahr 2007 ein Arbeitseinkommen aus ihrer selbständigen künstlerischen Tätigkeit erzielen werde, dass 3.900 Euro übersteigt. Mit Bescheid vom 20. März 2007 stellte die Antragsgegnerin das Ende der Versicherungspflicht nach dem KSVG ab dem 01. April 2007 fest. Hiergegen hat die Antragstellerin Widerspruch erhoben.

Mit dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung begehrt die Antragstellerin eine vorläufige Regelung in Bezug auf die weitere Versicherung. Sie trägt vor, dass für das laufende Kalenderjahr ein höheres Arbeitseinkommen aus publizistischer / künstlerischer Tätigkeit als 3.900,00 EUR zu erwarten sei. Ein Abwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache sei ihr wegen der höheren finanziellen Belastung durch eine selbst finanzierte Kranken- und Pflegeversicherung nicht zuzumuten.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 22. März 2007 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. März 2007 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.

Sie hält ihre Prognoseentscheidung weiterhin für zutreffend. Eine für die Antragstellerin günstigere Einkommensprognose für das laufende Kalenderjahr sei nicht glaubhaft gemacht.

Mit Beschluss vom 25. Mai 2007 hat das Sozialgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs abgelehnt: Rechtsgrundlage für den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage sei § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 86a Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Anfechtungsklagen gegen Entscheidungen der Versicherungsträger über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten (§ 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG) hätten keine aufschiebende Wirkung, wobei das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen könne. Dies solle dann erfolgen, wenn "ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit" des angegriffenen Verwaltungsakts bestünden oder die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Die Antragstellerin habe die Entscheidung über die Versicherungspflicht zu Recht nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. §§ 3,8 Abs. 2 Satz 2 KSVG zum 01. April 2007 aufgehoben, denn die Antragstellerin sei spätestens ab 01. April 2007 nach § 3 KSVG versicherungsfrei. Die vorliegenden Unterlagen rechtfertigten die Annahme, dass die Antragstellerin aus selbständiger künstlerischer und publizistischer Tätigkeit voraussichtlich ein Einkommen erziele, das im Kalenderjahr 3900.- Euro nicht übersteige. Die Antragsgegnerin habe die Werte aus den bisherigen Einkommensteuerbescheiden zutreffend bewertet. Eine günstigere Prognose für 2007 sei nicht glaubhaft.

Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 31. Mai 2007 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsstellerin vom 28. Juni 2007. Das Sozialgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass sie als bildende Künstlerin auf Grund zu geringen Gewinns in zwei aufeinander folgenden Jahren den Kriterien des KSVG für Versicherungspflicht nicht mehr entspräche. Besonders die Prognose zur zukünftigen Einkommensentwicklung sei unzutreffend.

Die Antragsgegnerin hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin (65240459V505 BÜVO) Bezug genommen. In der Verwaltungsakte enthalten ist der Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. Mai 1986 über die Feststellung der Versicherungspflicht nach dem KSVG.

II. Die gemäß § 172 SGG zulässige Beschwerde ist im Wesentlichen begründet. Insoweit hat das Sozialgericht den Antrag der Antragstellerin allerdings verkürzt zugrunde gelegt, denn begehrt wurde tatsächlich (Schriftsatz v. 29. März 2007), die aufschiebende Wirkung "bis zur Rechtskraft des Bescheides" herzustellen und die "sofortige Vollziehung" bis dahin auszusetzen. Eine Herstellung der aufschiebenden Wirkung "bis zur Rechtskraft" kann die Antragstellerin jedoch nicht verlangen, weil es zunächst der Widerspruchstelle der Antragsgegnerin obliegt, eine Entscheidung über den Widerspruch und ggf. eine "sofortige Vollziehbarkeit" herbeizuführen. Erst wenn insoweit ein Widerspruchsbescheid vorliegt – der auch zugunsten der Antragstellerin ausfallen könnte – ergäbe sich ggf. ein Rechtschutzbedürfnis für weitergehende Anordnungen durch das Gericht.

Das Sozialgericht hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf das Widerspruchsverfahren zu Unrecht abgelehnt. Es ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 1 i.V.m. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG erfüllt sein müssten. Dies ist nicht der Fall. Die Antragstellerin hat gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. März 2007 am 22. März 2007 Widerspruch eingelegt. Dieser Widerspruch hat Kraft Gesetzes (§ 86a Abs. 1 SGG) aufschiebende Wirkung. Die Antragsgegnerin bezeichnet ihre Entscheidung vom 20. März 2007 zwar als "Bescheid über das Ende der Versicherungspflicht bzw. Zuschussberechtigung nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG)". Die Bescheidregelung stellt aber nach dem Verfügungssatz des Bescheides folgendes fest:

"Sehr geehrte Frau Vogel, Sie sind ab 01. April 2007 nach dem KSVG versicherungsfrei. Das bedeutet, dass ab dem genannten Zeitpunkt keine soziale Absicherung nach den Vorschriften des KSVG mehr besteht."

Der Bescheid vom 20. März 2007 regelt dementsprechend nicht die Versicherungspflicht nach § 1 KSVG sondern die "Versicherungsfreiheit kraft Gesetzes" nach § 3 KSVG. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, dass sich die Antragsgegnerin in der weiteren Begründung ihres Bescheides darauf bezieht, dass das Einkommen aus künstlerischer Tätigkeit 3900.- Euro im Kalenderjahr nicht übersteige. Ein Bescheid, der andere Entscheidungen als über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten enthält, hier insbesondere über die "soziale Absicherung" der Antragstellerin, unterliegt nicht der Regelung des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG. Die Regelungen dieser Vorschriften stellen eine eng auszulegende Ausnahme von der Grundregel des § 86a Abs. 1 SGG dar (Meyer-Ladewig-Keller-Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 8. Auflage, § 86a Rdnr. 12). Sie sollen die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Leistungsträger sichern (Hennig, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, § 86a, Rdnr. 15), weshalb sie grundsätzlich nur soweit gehen dürften, wie dies zur Sicherung der entsprechenden Einnahmen des Leistungsträgers erforderlich ist. Insoweit spricht die Vorschrift auch von "Versicherungs-Pflichten" was darauf hindeutet, dass vorrangig Pflichten des Versicherten in Bezug auf die Versicherung gegenüber dem Versicherungsträger gemeint sein dürften, nicht aber das Versicherungsverhältnis insgesamt, wenn auch grundsätzlich auch Feststellungsbescheide zur Versicherungspflicht gemeint sein dürften (Hennig, a.a.O.). Hier geht es jedoch nicht um einen Feststellungsbescheid in Bezug auf die Versicherungspflicht, sondern um die Aufhebung des hierzu ergangenen Bescheides vom 23. Mai 1986 und damit über die Aufhebung eines bindend gewordenen Bescheides nach § 48 SGB X wegen Änderung der Verhältnisse. Auch von daher ist nicht ersichtlich, weshalb im Falle der Antragstellerin die aufschiebende Wirkung nach § 86a Abs. 2 Nr.1 SGG entfallen sollte. Aus Sicht der Antragstellerin geht es nicht darum, sie von entsprechenden (Beitrags-) Pflichten freizustellen, sondern darum, die Wirkungen des früheren Bescheides zur Versicherungspflicht aufrecht zu erhalten, also Beitragszuschüsse zu erhalten, und insbesondere auch Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung. Dieser bindend festgestellte Versicherungsschutz kann der Antragstellerin jedenfalls nicht unter Bezugnahme auf § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG verweigert werden.

Zwar tritt - wenn die aufschiebende Wirkung nicht nach § 86a Abs. 2 SGG entfällt - die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs (und einer nachfolgenden Anfechtungsklage) gemäß § 86a Abs. 1 SGG kraft Gesetzes ein. Wenn jedoch die Antragsgegnerin (und auch das Sozialgericht) der Auffassung sind, dass dies nicht der Fall ist, kann der Senat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs feststellen (deklaratorischer Beschluss – vgl. hierzu Meyer-Ladewig a.a.O. § 86b, Rdnr. 15).

§ 86a Abs. 1 SGG schreibt die aufschiebende Wirkung in Fällen der vorliegenden Art auch für eine Anfechtungsklage vor, wenn kein Fall des Abs. 2 dieser Vorschrift vorliegt. Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine weitergehende – bzw. erneute – Anordnung, dann unter Zugrundelegung des vom Sozialgericht angewandten Prüfmaßstabes ergäbe sich nur im Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG durch die Widerspruchstelle.

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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