L 28 B 643/07 AS PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 65 AS 11418/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 B 643/07 AS PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. März 2007 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die nach § 172 und § 173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) zulässige Beschwerde des Klägers, der das Sozialgericht Berlin nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin.

Die Gewährung von Prozesskostenhilfe setzt nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung (oder Rechtsverteidigung) hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Daher beurteilt das angerufene Gericht die Erfolgsaussicht regelmäßig ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffes. Steht eine höchstrichterliche Klärung von im Hauptsacheverfahren noch entscheidungserheblichen Fragen aus, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht seines Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten. Denn dadurch würde der unbemittelten Partei im Gegensatz zu der bemittelten die Möglichkeit genommen, ihren Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus in die höhere Instanz zu bringen (vgl. zuletzt Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 14. Juni 2006 - 2 BvR 626/06 -, BvR 656/06, zitiert nach Juris, RdNr. 13 m. w. Nachw.).

An diesen Grundsätzen gemessen hat die Klage des Klägers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der 1961 geborene Kläger, der nach Aktenlage jedenfalls bis Ende 2005 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bezogen hat, begehrt mit seiner Klage die (rückwirkende) Gewährung eines Mehrbedarfes für gehbehinderte Erwerbsunfähige unter 60 Jahren in Höhe von 58, 65 EUR monatlich in entsprechender Anwendung des § 30 Abs. 1 Nr. 2 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII). Er meint, dass er einen Anspruch auf diesen Mehrbedarf hätte, sofern er Leistungen nach dem SGB XII und nicht Leistungen nach dem SGB II beziehen würde. Dass eine entsprechende Rechtsgrundlage im SGB II fehle, sei mit dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Grundgesetz) nicht zu vereinbaren. Es liege daher eine verfassungswidrige Regelungslücke vor, die durch eine analoge Anwendung des § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII auszufüllen sei.

Der Senat kann sich dem nicht anschließen. Der Kläger verkennt, dass es Regelungszweck der Mehrbedarfsregelung in § 21 SGB II wie auch der Regelung in § 30 Abs. 1 SGB XII ist, Bedarfe für bestimmte Personengruppen abzudecken, die aufgrund einer besonderen Lebenssituation durch die Regelsätze (§ 20 SGB II und § 28 SGB XII) nicht abgedeckt sind. Um eine für die Verwaltung aufwändige und auch für die Leistungsberechtigten belastende Bedarfsermittlung im Einzellfall weitgehend zu vermeiden, wird daher für diese Personengruppen ein genereller Mehrbedarf anerkannt, welcher zusätzlich zu den Regelsätzen als Mehrbedarfzuschlag geleistet wird. Der gesetzlich geregelte Mehrbedarf gründet sich somit auf einer außergewöhnlichen, überdurchschnittlichen Bedarfssituation, welche typischerweise bei gewissen persönlichen Merkmalen oder Lebenssituationen auftritt (vgl. Falterbaum in Hauck/Noftz, SGB XII (Std.: 9. Erg-Lfg. V/07), § 39 RdNr. 1 und Münder in LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 21 RdNr. 1).

Der in § 30 Abs. 1 SGB XII normierte Mehrbedarf begründet sich dementsprechend vor allem aus der verminderten Leistungsfähigkeit und der verminderten Beweglichkeit älterer Personen (Falterbaum a. a. O., RdNr. 10). Denn hiernach wird für Personen, die das 65 Lebensjahr vollendet haben (Nr. 1) oder für Personen, die unter 65 Jahren und voll erwerbsgemindert nach dem Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) sind, und einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 des Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit dem Merkzeichen G besitzen, ein abweichender Mehrbedarf von 17 vom Hundert des maßgeblichen Regelsatzes anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht.

Der Kläger gehört nicht zur Personengruppe des § 30 Abs. 1 Nr.1 SGB XII. Er ist 1961 geboren und hat erst sein 45. Lebensjahr vollendet. Der Senat kann im Ergebnis offen lassen, ob der Kläger, der über einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 SGB IX mit den Merkzeichen G und B verfügt, erwerbsgemindert im Sinne des SGB VI ist, und damit zur Personengruppe des § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII gehört. Hierfür spricht jedenfalls das Gutachten des ärztlichen Dienstes des Antragsgegners vom 8. August 2005. Danach verfügt der Kläger lediglich noch über ein Leistungsvermögen von weniger als 3 Stunden täglich auf Dauer. Nach seinen Angaben im Beschwerdeverfahren ist sein Antrag auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auch nicht mangels Erwerbsminderung abgelehnt worden, sondern wegen "nicht erfüllter Anwartschaft zum Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsminderung". Sollte der Kläger jedenfalls nicht mehr erwerbsfähig im Sinne von §§ 7 Abs. 1 Nr. 2, 8 SGB II sein, hat er von dem Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit keinen Anspruch mehr auf Leistungen nach dem SGB II, sondern, sofern nicht ein vorrangiger Leistungsanspruch besteht, nach dem SGB XII und insoweit auch Anspruch auf den begehrten Mehrbedarf. Entgegenstehende bestandskräftige Entscheidungen des Antragsgegners sind ggf. nach §§ 44 ff. des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) zu korrigieren. Ist der Kläger hingegen erwerbsfähig, fehlt es an der den Mehrbedarf im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII rechtfertigenden besonderen Lebenssituation des Hilfebedürftigen, seiner verminderten Leistungsfähigkeit (vgl. Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 21 RdNr. 3).

Sofern in der Literatur eine entsprechende Anwendung des § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII für erwerbsunfähige Sozialgeldbezieher im Sinne von § 28 SGB II diskutiert wird, muss der Senat hierzu nicht abschließend Stellung nehmen. Denn der Kläger gehört nicht zu dieser Personengruppe.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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