L 28 B 1102/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 87 AS 5703/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 B 1102/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. April 2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die statthafte und zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), der das Sozialgericht (SG) Berlin nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist nicht begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Voraussetzungen einer solchen Anordnung, die das SG im angefochtenen Beschluss im Einzelnen zutreffend dargelegt hat, liegen hier nicht vor.

Soweit der Antragsteller geltend macht, die ihm gewährte Regelleistung sei in verfassungswidriger Weise zu niedrig bemessen, besteht kein Anordnungsanspruch. Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 23. November 2006 (B 11b AS 1/06 R, kostenfrei abrufbar über www.sozialgerichtsbarkeit.de) über die Verfassungsmäßigkeit der in Streit stehenden Norm (§ 20 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch [SGB II]) befunden. Die vom Gesetzgeber gewählte Art der Bedarfsermittlung und deren Ergebnis, also die Zugrundelegung eines Regelsatzes in Höhe von 345,- Euro für allein stehende Personen, sind danach verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Es ist auch im Hinblick auf die geltend gemachte Übernahme weiterer Kosten für Unterkunft und Heizung ein Anordnungsanspruch nicht ohne weiteres erkennbar.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die Prüfung der angemessenen Unterkunftskosten im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II setzt nach der Rechtsprechung des BSG vom 7. November 2006 (B 7 b AS 18/06 R; ebenfalls zitiert nach www.sozialgerichtsbarkeit.de), von der abzuweichen der Senat nach erster Prüfung keinen Anlass sieht, eine Einzelfallprüfung voraus, wobei zunächst die maßgebliche Größe der Unterkunft zu bestimmen ist, und zwar typisierend (mit der Möglichkeit von Ausnahmen) anhand der landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen über die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus. In Berlin erscheint damit für eine Person eine 1 bis 1,5-Zimmer-Wohnung angemessen, vgl. insoweit die zur Umsetzung von § 5 Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG) i.V.m. § 27 Abs. 1 bis 5 Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) erlassenen Arbeitshinweise der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 15. Dezember 2004 (Mitteilung Nr 8 / 2004), und zwar mit einer Größe bis zu 50 m², vgl. insoweit die im Land Berlin maßgeblichen Richtlinien für den öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau [Wohnungsbauförderungsbestimmungen 1990 - WFB 1990 -] vom 16. Juli 1990 [Amtsblatt für Berlin 1990, 1379 ff.] in der Fassung der Verwaltungsvorschriften zur Änderung der WFB 1990 vom 13. Dezember 1992 [VVÄndWFB 1990;Amtsblatt 1993, 98 f].

Sodann ist der Wohnstandard festzustellen, wobei dem Hilfebedürftigen lediglich ein einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung zusteht. Als Vergleichsmaßstab ist regelmäßig die Miete am Wohnort heranzuziehen. Letztlich kommt es darauf an, dass das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, der Angemessenheit entspricht (so genannte Produkttheorie, vgl. BSG v. 7. November 2006, a.a.O.).

Die Wohnung liegt nach dem Berliner Mietspiegel 2007 in einer einfachen, also den Lebensverhältnissen des Antragstellers angemessenen Wohnlage. Für den Mietpreis von Wohnungen mit dem Baujahr von 1919 bis 1949 und mit Sammelheizung, Bad und Innentoilette (mithin von sanierten Altbauten) ergibt sich in dieser Wohnlage ein Mittelwert von 4,77 Euro pro Quadratmeter. Hinzu kommen die Betriebskosten, für die sich im Jahr 2005 ein durchschnittlicher Wert in Höhe von 1,67 Euro für sog. kalte Betriebskosten und in Höhe von 0,59 Euro für die Kosten der Heizung errechnet hat (vgl. Berliner Betriebskostenübersicht 2005 der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung). Ausgehend von diesen Zahlen ergibt sich eine Angemessenheitsgrenze für Bruttowarmmiete in Höhe von 351,- Euro; wenn man zugunsten des Antragstellers abweichend vom Berliner Mietspiegel aufgrund der Preissteigerungen in den letzten Jahren von zusätzlichen "warmen" Betriebskosten von mittlerweile durchschnittlich 2,74 Euro pro m² ausgeht (vgl. Betriebskostenspiegel 2006 des Deutschen Mieterbundes unter http://www.mieterbund.de/presse/2006/pm 2006 12 14-2.html), ergibt sich eine Angemessenheitsgrenze für Bruttowarmmieten in Höhe von 375,50 Euro. Wohnungen in angemessener Größe (zwischen 40 und 50 m²) sind im Nahbereich zur derzeitigen Wohnung des Antragstellers (2 bis 5 km) auf dem Wohnungsmarkt zu diesem Preis verfügbar, was schon eine überschlägige Kontrolle der derzeit im Internet inserierten Wohnungsangebote ergibt. Selbst wenn die angemessenen Kosten nach alledem um 15,50 Euro höher liegen sollten, als die vom Antragsgegner in Ansatz gebrachten Kosten aus den AV-Wohnen (360,- Euro), übersteigen sie den derzeit gezahlten Betrag also um weniger als 5 %. Soweit die innegehabte Wohnung über Ausstattungsmerkmale verfügt, die den Mietkostenansatz über dem derzeitigen Mittelwert des Mietkostenspiegels im Wohnumfeld des Antragstellers rechtfertigen, ist dies - ebenso wie der Wunsch des Klägers in einer 2-Zimmer Wohnung zu leben - bei Bestimmung der angemessenen Wohnkosten nach dem SGB II nach der Rechtsprechung des BSG unerheblich. Die Aufgabe dieser Wohnung wird ihm - wenn er nicht bereit ist, den die angemessenen Wohnkosten übersteigenden Teil aus eigenen Mitteln zu zahlen - auf Dauer zugemutet.

Ein Anordnungsgrund besteht jedenfalls nicht, selbst wenn sich im Ergebnis der Hauptsache geringfügig höhere angemessene Wohnkosten im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II ergeben sollten. Wesentliche Nachteile, die mit einem Abwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache verbunden sind, drohen dem Antragsteller nicht. Dies gilt jedenfalls für die Zeit bis zur Entscheidung des Senats. Denn in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO], 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 RdNrn. 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes scheidet damit in aller Regel aus, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat. Der Antragsteller hat keine konkreten Umstände vorgetragen, die hier ausnahmsweise zur Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume führen könnten. Bislang konnten der Lebensunterhalt und die Unterkunftskosten aus den zur Verfügung stehenden Einnahmen offenbar im Wesentlichen gedeckt werden.

Es ist aber auch für den Zeitraum bis zum 30. September 2007, über den der Antragsgegner entschieden hat und der allein Gegenstand der Überprüfung durch den Senat ist, nicht erkennbar, dass erhebliche Nachteile drohen. Der Antragsteller hat nicht einmal vorgetragen, dass bislang Mietrückstände überhaupt entstanden sind. Selbst wenn in den folgenden Monaten Schulden beim Vermieter entstehen sollten, ist eine Schuldenlage, die den Vermieter zur Kündigung nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a) oder b) i.V.m. § 569 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) berechtigen würde oder die zu ansonsten nicht hinnehmbaren Einschränkungen in der Lebensführung der Antragsteller zwingen würde, nicht unmittelbar bevorstehend. Der Senat brauchte nach alledem die von den Senaten des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg uneinheitlich beurteilte Frage nicht zu entscheiden, ob schon das Vorliegen einer Kündigungslage nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB (Mietrückstand in Höhe von zwei Monatsmieten), erst der Ausspruch einer solchen Kündigung, die Rechtshängigkeit einer Räumungsklage (mit der letzten Möglichkeit der Abwendung der Kündigung in der Frist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) oder gar erst das Vorliegen eines Räumungstitels einen Anordnungsgrund im Hinblick auf drohende Mietschulden darstellen kann. Allein die Verfahrensdauer des Hauptsacheverfahrens vermag einen Anordnungsgrund nicht zu begründen.

Da der Antragsteller vor dem Hintergrund seines gesamten Vortrags offenbar derzeit nicht beabsichtigt, die innegehabte Wohnung zu verlassen, kommt es auf seine Ausführungen zur vermeintlichen Verpflichtung des Antragsgegners, eine Zusicherung zu Umzugskosten (§ 22 Abs. 3 SGB II) abzugeben, ohne ein konkretes anderes Wohnungsangebot geprüft zu haben, nicht an. Am Rande weist der Senat daraufhin, dass die Frage, ob und in welcher Höhe der Antragsgegner bei einem Auszug Kosten für die vertraglich vereinbarten Schönheitsreparaturen zu übernehmen hätte, sich im Rahmen der Zusicherung nach § 22 Abs. 3 SGB II nicht stellt, da solche Kosten nicht zu den Wohnungsbeschaffung- und Umzugskosten gehören, sondern zum Unterkunftsbedarf i. S. von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II (h. M. vgl. nur Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11. September 2006 - L 9 AS 409/06 ER -, zitiert nach www.sozialgerichtsbarkeit.de m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved