L 16 AL 213/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 77 AL 5874/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 AL 213/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 05. Februar 2007 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Insolvenzgeld (Insg) für die Zeit vom 01. September 2003 bis 30. November 2003.

Die 1964 geborene Klägerin arbeitete aufgrund eines am 12. März 2003 abgeschlossenen "Dienstvertrages zur freiberuflichen Tätigkeit" als Lehrerin bei der A B I A f M, B a L – St a l - G/ Privates Gymnasium N – (im Folgenden: A); auf den Vertrag wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen. Durch arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 03. Februar 2004 (Arbeitsgericht Berlin – 81 Ca 744/04 -) einigten sich die Klägerin und die A darauf, dass der zwischen ihnen bestehende "Dienstvertrag" am 30. November 2003 geendet habe. Am 01. April 2004 eröffnete das Amtsgericht (AG) Charlottenburg das Insolvenzverfahren über das Vermögen der A (- -). Hierüber wurden die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben des Insolvenzverwalters vom 26. April 2004, eingegangen am 27. April 2004, unterrichtet; auf dieses in den Verwaltungsakten der Beklagten befindliche Schreiben wird Bezug genommen.

Am 09. Juni 2004 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Insg für die Zeit vom 01. September 2003 bis 30. November 2003. Mit Bescheid vom 22. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2004 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab mit der Begründung, dass die Klägerin keine Arbeitnehmerin i. S. von § 183 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) gewesen sei.

Mit Urteil vom 05. Februar 2007 hat das Sozialgericht (SG) Berlin die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide antragsgemäß verurteilt, der Klägerin Insg für die Zeit vom 01. September 2003 bis 30. November 2003 zu gewähren. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Insg in dem in Rede stehenden Zeitraum nach § 183 Abs. 1 SGB III. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die Klägerin im Sinne vom § 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) abhängig beschäftigt gewesen. Die Kriterien eines derartigen Beschäftigungsverhältnisses seien bei der Lehrertätigkeit der Klägerin für die A erfüllt gewesen. Die Tätigkeiten seien ihr zugewiesen worden und die Klägerin sei in den Gesamtunterrichtsbetrieb der Schule eingebunden gewesen.

Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen dieses Urteil. Sie trägt vor: Entgegen der Auffassung des SG sei nicht von einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis auszugehen. Dies ergebe sich bereits aus dem Dienstvertrag vom 12. März 2003, in dem u.a. vereinbart gewesen sei, dass nur tatsächlich geleistete Stunden honoriert würden. Im Übrigen sei der Insg-Antrag der Klägerin verfristet. Die Klägerin habe diesen Antrag nicht innerhalb der zweimonatigen Ausschlussfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III gestellt. Diese habe vorliegend am 01. Juni 2004 geendet, während die Klägerin ihren Antrag erst am 09. Juni 2004 und damit verspätet gestellt habe. Gründe für die Gewährung einer Nachfrist seien weder erkennbar noch vorgetragen worden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 05. Februar 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Auch eine Verfristung ihres Insg-Antrages liege nicht vor. Ihre Prozessbevollmächtigten seien am 27. April 2004 über das Insolvenzereignis informiert worden. Sie habe dann innerhalb von zwei Monaten nach dem 27. April 2004 Insg beantragt, so dass eine Fristversäumnis nicht vorliege. Sie habe den Antrag nach § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes, der fehlenden Kenntnis von der Insolvenz, stellen können. Ein etwaiges Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten, die vollumfänglich zur Durchsetzung ihrer Ansprüche mandatiert gewesen seien, sei ihr nicht zuzurechnen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Insg-Akte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Insg für die Zeit vom 01. September 2003 bis 30. November 2003, weil sie ihren entsprechenden Leistungsantrag verspätet gestellt hat.

Gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insg, wenn sie im Innland beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers (Nr. 1) – dem vorliegend einzig in Betracht kommenden Insolvenzereignis – für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Abweichend von der Regelung in § 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist Insg innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen (vgl. § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III). Hat der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt, die er nicht zu vertreten hat, so wird Insg geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird. Der Arbeitnehmer hat die Versäumung der Frist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat (vgl. § 324 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 SGB III).

Maßgebendes Insolvenzereignis ist vorliegend die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der A durch Beschluss des AG Charlottenburg vom 01. April 2004 (- -). Die zweimonatige Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III beginnt bei allen Insolvenzereignissen mit deren Eintritt ohne Rücksicht darauf, ob dem Arbeitnehmer diese Ereignisse bekannt sind oder nicht (vgl. BSG, Urteil vom 10. April 1985 – 10 RAr 11/84 = SozR 4100 § 141e Nr. 8 m.w.N.; BSG, Urteil vom 04. März 1999 – B 11/10 AL 3/98 R = DBlR 4524, AFG § 141e). Eine wirksame Antragstellung bis zum Ende dieser Ausschlussfrist am 01. Juni 2004 ist nicht erfolgt; die Klägerin hat erst am 09. Juni 2004 Insg beantragt.

Da die Klägerin mit ihrem Antrag vom 09. Juni 2004 die Frist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III versäumt hat, hätte ihr die weitere Zwei-Monats-Nachfrist des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III nur zur Verfügung gestanden, wenn sie die erste Frist aus Gründen, die von ihr nicht zu vertreten sind, versäumt hätte. Dies ist indes nicht der Fall. Denn nach der Kenntnisnahme ihrer Prozessbevollmächtigten vom Eintritt des Insolvenzereignisses mit Schreiben des Insolvenzverwalters vom 26. April 2004, eingegangen am 27. April 2004, hätte die Klägerin bei Anwendung der ihr zumutbaren Sorgfalt die Möglichkeit gehabt, die Frist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III einzuhalten. Sie hat deren Versäumung somit zu vertreten, ohne dass nach der Kenntnisnahme vom Insolvenzereignis durch die Prozessbevollmächtigten am 27. April 2004 die weitere Frist des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III eröffnet war. Die Eröffnung der Zwei-Monats-Nachfrist, die mit dem Wegfall des Hindernisses beginnt, setzt nämlich voraus, dass die Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III unvertretbar versäumt ist. Fällt das Hindernis – wie hier – schon während des Laufs der ersten Frist weg, so ist damit die weitere Frist des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III nicht eröffnet. Maßgeblich bleibt vielmehr die erste Frist (vgl. zu der gleich lautenden Vorgängerregelung in § 141e Abs. 1 AFG: BSG, Urteil vom 10. April 1985 – 10 RAr 11/84 – m. w. N.).

Da die Klägerin mit ihrem Antrag somit die Frist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III versäumt hat, wäre die weitere Frist des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III nur eröffnet gewesen, wenn die Klägerin die erste Frist aus Gründen, die von ihr nicht zu vertreten sind, versäumt hat. Da sie jede Fahrlässigkeit zu vertreten hat, wäre das nur der Fall, wenn sie, ohne fahrlässig zu handeln, diese Frist nicht einhalten konnte. Anhaltspunkte hierfür sind jedoch nicht ersichtlich. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin waren zum Zeitpunkt der Kenntnisnahme vom Insolvenzereignis am 27. April 2004 vollumfänglich mandatiert, deren Rechtsansprüche durchzusetzen. Dieser allgemeine Auftrag umfasste nicht nur die Durchsetzung arbeitsrechtlicher Ansprüche, sondern ohne weiteres auch die Wahrung etwaiger Ansprüche auf Insg. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin haben diesbezüglich auch eingeräumt, dass die Klägerin davon habe ausgehen können, dass sie – ihre Prozessbevollmächtigten – ihre offenen Ansprüche auf Insg weiter verfolgen würden. Die Bevollmächtigten wären daher nach Kenntnisnahme von dem Insolvenzereignis verpflichtet und auch in der Lage gewesen, einen Insg-Antrag für die Klägerin fristgerecht zu stellen. Sie haben die hierfür vom Gesetzgeber eingeräumte Frist zumindest fahrlässig versäumt. Der Klägerin ist das Verschulden der von ihr beauftragten Bevollmächtigten zuzurechnen (vgl. dazu grundsätzlich: BSG, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 10 RAr 14/91 = SozR 3-4100 § 141e Nr. 2). Nach dem über § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbaren § 85 Abs. 2 Zivilprozessordnung steht das "Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich"; nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) ist das "Verschulden eines Vertreters dem Vertretenen zuzurechnen" (gleich lautend § 32 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz, § 110 Abs. 1 Satz 2 Abgabenordnung). Wenn der Prozessbevollmächtigte – wie vorliegend – im Rahmen des ihm erteilten Auftrags auch zur Stellung eines Antrags auf Insg befugt war, ist es gerechtfertigt, einem Arbeitnehmer bei einem entsprechenden Versäumnis seines Bevollmächtigten nicht die Nachfrist des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III zu Gute kommen zu lassen, sondern ihn auf etwaige Regressansprüche gegen diesen Bevollmächtigten zu verweisen (vgl. BSG aaO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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