L 18 B 1294/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 7204/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 B 1294/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juni 2007 geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Bescheide vom 12. März 2007 und 20. März 2007 wird angeordnet, soweit die von dem Antragsgegner für die Zeit vom 1. April 2007 bis 30. Juni 2007 verlautbarte Absenkung der Regelleistungen der Antragstellerin einen Betrag von 93,- EUR monatlich übersteigt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Antrag- stellerin im gesamten Verfahren.

Gründe:

Wegen der Dringlichkeit der Sache war in entsprechender Anwendung von § 155 Abs.2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Vorsitzenden zu entscheiden.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet; im Übrigen ist sie nicht begründet und war zurückzuweisen.

Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Bescheide vom 12. März 2007 und 20. März 2007 über die Absenkung des Arbeitslosengeldes (Alg) II nach Maßgabe des § 31 Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 01. April bis 30. Juni 2007 um 30 vom Hundert (v.H.) bzw. 60 v.H. der ihr zustehenden Regelleistung (monatlich 93,- bzw. 187,- EUR) anzuordnen.

Statthafte Antragsart ist insoweit ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Juli 2006 - L 13 AS 1709/06 ER-B -; LSG Niedersachsen, Beschluss vom 30. Januar 2006 - L 9 AS 17/06 ER -; beide veröffentlicht in juris). Denn die Sanktion nach § 31 SGB II tritt nicht kraft Gesetzes ein (vgl. Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 31 Rn. 55). Vielmehr regeln die in den Absenkungsbescheiden enthaltenen Verwaltungsakte Beginn, Dauer und Höhe der Absenkung (§ 31 Abs. 6 Satz 2 SGB II) und greifen in den Bestand der Bescheide vom 21. März 2007 bzw. 07. Mai 2007 über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bis zum 31. Oktober 2007 ein. Damit hat der Widerspruch gegen den Absenkungsbescheid gemäß § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Dies gilt unabhängig davon, ob die Absenkung verfahrensrechtlich eine Aufhebung der Leistungsbewilligung nach § 48 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) erfordert oder die Absenkung nach § 31 SGB II die §§ 45 ff SGB X verdrängt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Juli 2006, aaO). Gegenstand des Verfahrens ist dabei (nur) ein Antrag der Antragstellerin, nicht aber der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Denn die in Rede stehenden Bescheide regeln lediglich die Absenkung des der Antragstellerin zustehenden (individuellen) Alg II-Anspruchs.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Bescheide vom 12. März 2007 bzw. 20. März 2007 hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die im einstweiligen Rechtsschutz über die aufschiebende Wirkung von Widerspruch bzw. Klage zu treffenden gerichtlichen Entscheidungen sind auch in den Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges - wie hier nach § 39 Nr. 1 SGB II - stets das Ergebnis einer Folgenabwägung. Dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin ist gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Absenkungsbescheide vom 12. März 2007 und 20. März 2007 der Vorrang zu gewähren, soweit der Antragsgegner mit dem Bescheid vom 12. März 2007 eine Sanktion wegen des Nichtabschlusses einer Eingliederungsvereinbarung (EGV) verlautbart hat. Denn bei summarischer Prüfung bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Absenkungsbescheides; die Vollziehung hat angesichts des existenzsichernden Charakters der SGB II-Leistungen für die Antragstellerin zudem eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge (Rechtsgedanke des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG). Die Frage, ob nach einer durch Verwaltungsakt erlassenen EGV noch eine Sanktion wegen des Nichtabschlusses einer EGV gemäß § 31 Abs. 1 Satz Nr. 1a SGB II in Betracht kommt, ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt. Sie geht jedenfalls von ihrer Zweckrichtung her ins Leere, da der Zweck der Sanktion, den Antragsteller zum Abschluss einer EGV zu bewegen, dann nicht mehr erreicht werden kann, wenn – wie hier – eine EGV durch Verwaltungsakt (vgl. Bescheid vom 27. Februar 2007) bei Verlautbarung der Sanktion bereits vorliegt.

Hinsichtlich des weiteren Sanktionsbescheides vom 20. März 2007 bestehen in Bezug auf eine Absenkung der Regelleistung - dann nur um 30 v.H. – demgegenüber keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Auf die Ausführungen des SG in dem angefochtenen Beschluss (S. 2 drittletzter Absatz Zeile 1 bis S. 3 Ende des dritten Absatzes) wird insoweit Bezug genommen. Im Übrigen gilt hinsichtlich dieses Absenkungsbetrags von maximal 93,- EUR monatlich, dass ein Abwarten auf die Hauptsacheentscheidung nicht mit unzumutbaren Nachteilen für die Antragstellerin verbunden ist. Denn der vorrangige Einsatz nicht anrechenbaren Einkommens des mit der Antragstellerin in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden T G in dem vorliegend streitigen Zeitraum vom 1. April 2007 bis 30. Juni 2007 (= 147,- EUR monatlich), das den verbleibenden monatlichen Sanktionsbetrag übersteigt, kann nach einer etwaigen zusprechenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren ausgeglichen werden (vgl. hierzu Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 30. März 2007 – 1 BvR 535/07 -).

Weitere Sanktionsbescheide sind nicht Gegenstand des vorliegenden Antragsverfahrens, ebenso wenig der Bescheid vom 27. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2007 über die EGV. Soweit die Antragstellerin mit ihrer Beschwerdeschrift die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Schadensersatz bzw. Schmerzensgeld geltend macht, ist der Antrag bereits mangels funktionaler Zuständigkeit des Landessozialgerichts (vgl. § 29 SGG) unzulässig. Derartige Anträge wären bei den hierfür erstinstanzlich zuständigen Gerichten zu stellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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