L 6 RA 90/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 38 RA 1100/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 6 RA 90/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. September 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten, die seit dem 01. Oktober 2005 Deutsche Rentenversicherung Bund Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme heißt, die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) für die Zeit vom 01. Oktober 1978 bis zum 30. Juni 1990 sowie der während dieses Zeitraums tatsächlich erzielten Arbeitsverdienste.

Der 1954 geborenen Klägerin wurde im September 1978 nach erfolgreichem Studium an der Technischen Universität D der akademische Grad eines Diplom-Ingenieurs verliehen. Vom 01. Oktober 1978 bis zum 30. Juni 1990 war sie beim VEB Kombinat Geodäsie und Kartografie Betrieb B (im Folgenden: VEB G) beschäftigt, zuletzt als Arbeitsvorbereiter/Auswerter. Seit dem 01. November 1978 gehörte sie der freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) an. Eine Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem war nicht erfolgt.

Im März 2003 beantragte sie sinngemäß beim beklagten Zusatzversorgungsträger, ihre Beschäftigungszeiten in der DDR vom 01. Oktober 1978 bis zum 30. Juni 1990 festzustellen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 31. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Februar 2004).

Durch Urteil vom 16. September 2004 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlich ausgeführt, es habe sich bei dem VEB Geodäsie und Kartografie nicht um einen volkseigenen Produktionsbetrieb gehandelt. Nach dem Statut seien Aufgaben des Kombinats die Vermessung und Schaffung sowie Erhaltung geodätischer Netze und die Herstellung topografischer Karten gewesen. Daneben sollten Ingenieurleistungen und geodätische Leistungen sowie Liegenschaftsvermessungen durchgeführt werden. Nach Auskunft des ehemaligen Mitarbeiters des Betriebes K (vom 22. Oktober 2003) sei die Hauptaufgabe die Vermessung von großen und kleinen Industrievorhaben gewesen. Die Herstellung von Karten sei daher nur eine von vielen Aufgaben des Betriebes gewesen. Der Betrieb sei daher eindeutig kein Betrieb, dessen Hauptaufgabe die Massenproduktion im fordistischen Sinne (Fließbandproduktion) gewesen sei.

Mit der Berufung, mit der die Klägerin ihren Anspruch weiterverfolgt, macht sie geltend, Hauptzweck des VEB G sei die Herstellung von Produkten für die Bauwirtschaft gewesen. Diese Produkte seien nach einheitlichen Technologien und Qualitätsmerkmalen hergestellt worden. Dass der VEB G die betrieblichen Voraussetzungen für die Anwendung der AVItech erfülle, ergebe sich auch daraus, dass die Beklagte in der Vergangenheit diesen Betrieb als volkseigenen Produktionsbetrieb angesehen habe. Insoweit berufe sie sich auf Gleichbehandlung.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. September 2004 und den Bescheid der Beklagten vom 31. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Februar 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihre Beschäftigungszeiten vom 01. Oktober 1978 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVItech sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig, da sie im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) stehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, und die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist nach einstimmiger Auffassung des Senats nicht begründet und eine mündliche Verhandlung ist nicht erforderlich. Das Rechtsmittel kann daher durch Beschluss zurückgewiesen werden, nachdem die Beteiligten dazu gehört worden sind (§ 153 Abs 4 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Zu entscheiden ist über eine von der Klägerin sinngemäß erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG), die nicht nur auf die Feststellung von Zugehörigkeitszeiten im streitigen Zeitraum gerichtet ist, sondern auch auf die Feststellung der während dieses Zeitraums tatsächlich erzielten Entgelte. Obwohl das zuletzt genannte Begehren nicht ausdrücklich Gegenstand ihres Antrags im Verwaltungsverfahren war und die Beklagte hierüber im angefochtenen Bescheid (in der Gestalt des Widerspruchbescheides) ebenso wenig ausdrücklich – negativ – entschieden hat, stehen prozessuale Gründe einer Sachentscheidung des Senats auch insoweit nicht entgegen. Denn da die für dieses Begehren entscheidende Vorfrage des Vorliegens von "Zugehörigkeitszeiten" abschlägig beschieden und damit auch die hiervon abhängigen Ansprüche auf kalenderjährliche Feststellungen von Arbeitsverdiensten abgelehnt wurden, ist davon auszugehen, dass dieses Begehren auch bei der materiell-rechtlichen Prüfung im Verwaltungsverfahren Berücksichtigung gefunden hat.

Die Klage hat keinen Erfolg, weil die Klägerin nicht vom persönlichen Anwendungsbereich des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) erfasst wird, denn sie hatte bei Inkrafttreten dieses Gesetzes am 01. August 1991 keinen Versorgungsanspruch gegen einen Versorgungsträger und keine Versorgungsanwartschaft (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG). Sie hatte auch nicht früher einmal nach den Regeln der Versorgungssysteme eine Versorgungsanwartschaft erlangt, die sie durch Ausscheiden aus dem Versorgungssystem verloren hat (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG). Die Klägerin hatte insbesondere, was ihrem Anspruch allein zum Durchbruch verhelfen könnte, auch am 01. August 1991 aus bundesrechtlicher Sicht zum 30. Juni 1990 keinen "Anspruch auf eine Versorgungszusage" im Wege einer verfassungskonformen Erweiterung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erworben.

Danach ist diese Norm auf diejenigen zu erstrecken, die am 30. Juni 1990 (den Tag vor der Schließung der Zusatzversorgungssysteme der DDR) zwar nicht in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen waren, aber aus bundesrechtlicher Sicht aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage nach der bundesrechtlichen Rechtslage zum 01. August 1991 einen "Anspruch auf Versorgungszusage" im Hinblick auf die bundesrechtlich weiter geltenden leistungsrechtlichen Regeln der Versorgungssysteme gehabt hätten (vgl. etwa BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 8 Seite 73). Dieser fiktive bundesrechtliche Anspruch auf Erteilung einer Zusage im Bereich der AVItech hängt gemäß § 1 der VO-AVItech vom 17. August 1950 (GBl 844) und § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 der Zweite Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech vom 24. Mai 1951 (GBl 487) von drei (persönlichen, sachlichen und betrieblichen) Voraussetzungen ab (vgl. BSG aaO). Generell war dieses System eingerichtet für

- Personen, die berechtigt waren eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen und - die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben, und zwar - in einem volkseigenen oder diesem gleichgestellten Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens.

Ob eine bestimmte Tätigkeit eine Versorgungszusage im rechtstaatlichen Umfeld zwingend zur Folge gehabt hätte, beurteilt sich ausschließlich nach den Texten der jeweiligen Versorgungsordnungen iVm den Durchführungsbestimmungen sowie den sonstigen sie ergänzenden bzw. ausfüllenden abstrakt-generellen Regellungen. Sie sind faktische Anknüpfungspunkte und dafür maßgeblich, ob in der DDR nach dem Stand der Versorgungssysteme am 30. Juni 1990 eine Beschäftigung ihrer Art nach von einem Versorgungssystem erfasst war (vgl. BSG Urteil vom 10. Februar 2005 – B 4 RA 47/04 R, juris). Unbeachtlich sind hingegen die Auslegung der Versorgungsordnungen durch die Staatsorgane der DDR und deren Verwaltungspraxis.

Während der Beschäftigung beim VEB G fehlte es jedenfalls an der betrieblichen Voraussetzung für eine Zugehörigkeit zur AVItech, so dass es dahingestellt bleiben konnte, ob die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Der VEB G war zwar volkseigen, aber kein industrieller Produktionsbetrieb. Industrielle Produktion in diesem Sinne ist allein die serienmäßig wiederkehrende (Massen-) Fertigung, Herstellung, Anfertigung, Fabrikation bzw. Produktion von Sachgütern oder die Errichtung von baulichen Anlagen (vgl BSG Urteil vom 18. Dezember 2004 – B 4 RA 14/03 R, juris). Für den Bereich des Bauwesens hat das BSG darüber hinaus entschieden (vgl. SozR 4-8570 § 1 Nr. 3), es sei bereits nicht ausreichend, wenn die Erbringung von Bauleistungen jeglicher Art Gegenstand des Betriebes gewesen ist. Auch Baubetriebe müssten eine industrielle Massenproduktion durchgeführt haben. Dies folge daraus, dass die DDR durch die Konzentration der Baukapazität auf große Bau- und Montagekombinate einen neuen selbständigen Zweig der Volkswirtschaft habe schaffen wollen, dessen Aufgabe die komplette Serienfertigung gleichartiger Bauwerke gewesen sei. Der Massenausstoß standardisierter Produkte habe hohe Produktionsgewinne nach den Bedingungen der Planwirtschaft ermöglichen sollen. Aus diesem Grunde sei auch allein die Tätigkeit in einem solchen (Massen-) Produktionsbetrieb von besonderer volkswirtschaftlicher Bedeutung gewesen und habe die durch die AVItech bezweckte Privilegierung der technischen Intelligenz in solchen Betrieben gerechtfertigt.

Eine industriell geprägte Massenproduktion war nicht Hauptbetriebszweck des VEB G. In dem VEB Kombinat Geodäsie und Kartographie war das Vermessungs- und Kartenwesen der DDR organisiert. Dass es sich dabei überwiegend um eine Verwaltungsaufgabe handelt, wird bereits aus dem Umstand deutlich, dass das Kombinat dem Ministerium des Innern und nicht einem Ministerium des Industriewesens unterstellt war. Nach § 4 Abs. 1 der Verordnung über das Vermessungs- und Kartenwesen vom 21. August 1980 (GBl I 267) werden die profilbestimmenden Aufgaben des Vermessungs- und Kartenwesens durch Organe und Betriebe im Verantwortungsbereich des Ministeriums des Inneren (staatliches Vermessungs- und Kartenwesen) wahrgenommen. Nach § 3 Abs. 3 des Statuts vom 01. Dezember 1980 hatte das VEB Kombinat Geodäsie und Kartographie Aufgaben der Vermessung und Kartierung des Staatsgebietes der DDR (Landesvermessung) zur Bereitstellung von Koordinaten, Schwerewerten und Höhe von Festpunkten der staatlichen geodätischen Netze, topographischen Karten und Schwerekarten sowie von Dokumentationen über den Verlauf und die Markierung der Staatsgrenze durchzuführen. Nach § 3 Abs 4 des Statuts hatte das Kombinat weiter die Herstellung und Aktualisierung großmaßstäbiger Karten unter Beachtung bodenrechtlicher Erfordernisse, die Bereitstellung ingenieurgeodätischer Erzeugnisse und Leistungen sowie die Ausführung und Bearbeitung von Liegenschaftsvermessungen zu sichern. Konkretisiert werden diese Aufgaben in der Ersten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über das Vermessungs- und Kartenwesen vom 15. September 1980 (GBl I 270). Nach § 2 Abs 1 dieser Durchführungsbestimmung waren für die Herstellung und Aktualisierung großmaßstäbiger Karten sowie die Bereitstellung ingenieurgeodätischer Erzeugnisse und Leistungen unter anderem der VEB G zuständig. Nach § 2 Abs. 2 sind ingenieurgeodätische Erzeugnisse und Leistungen gemäß Abs. 1: Lage- und Höhennetze, Absteckungen, Aufmessungen, Baukontroll- und Bauüberwachungsmessungen, großmaßstäbige Schnitte von Bauwerken, Längs- und Querprofile, Trassierungen und terrestrisch-photogrammetische Erzeugnisse. Die allenfalls zum Bereich der industriellen Produktion zählende Herstellung von Atlanten, Globen, Wanderkarten, Übersichtskarten, Verwaltungskarten, Verkehrskarten, Touristenkarten, Stadtplänen und anderen für die Öffentlichkeit bestimmten Karten oblag nach § 6 Abs. 1 iVm § 4 Abs. 1 c der Verordnung über das Vermessungs- und Kartenwesen vom 21. August 1980 (GBl I 267) ausschließlich den Betrieben im Verantwortungsbereich des Ministeriums für Kultur. In einem solchen Betrieb war die Klägerin jedoch nicht beschäftigt. Denn der VEB G war als Kombinatsbetrieb des VEB Kombinat Geodäsie und Kartographie dem Ministerium des Inneren unterstellt. Auch wenn aufgrund dieses Betriebszweckes eine starke Verflechtung des VEB G mit dem Bauwesen und der Industrie als Hauptauftraggeber für dessen Leistungen bestanden haben sollte, erfolgte durch den VEB G selber keine industrielle Produktion. Es handelt sich um Tätigkeiten, die zwar für das Bauwesen möglicherweise unabdingbare Vorbereitungs- und Begleitarbeiten darstellen, durch diese Tätigkeiten wird der ausführende Betrieb aber nicht selbst zum Produktionsbetrieb, sondern erbringt Dienstleistungen für die Produktion eines anderen Betriebes. Die Unterstützung von Produktionsbetrieben durch Übernahme von für die Produktion notwendigen Vorbereitungs- und Begleitarbeiten erfüllt, wenn sie – wie hier – in einem rechtlich selbständigen Betrieb erfolgt, nicht die betrieblichen Voraussetzungen für eine Zugehörigkeit zur AVItech. Dies ist vom BSG (vgl Urteil vom 27. Juli 2004 – B 4 RA 8/04 R, juris) ausdrücklich klargestellt worden. Dem schließt sich der erkennende Senat an.

Es liegen auch im Übrigen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sein könnten (zum Stammbetrieb Berlin, vgl. auch das rechtskräftige Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 27. April 2006 - L 17 RA 125/04, juris und zum Betriebsteil des VEB G in Erfurt vgl. auch das rechtskräftige Urteil des LSG Thüringen vom 19. Dezember 2005 – L 6 R 226/05, juris). Insbesondere kann - wie das SG zu Recht ausgeführt hat - der Auskunft des ehemaligen Mitarbeiters des VEB G K vom 22. Oktober 2003 nichts zu Gunsten einer Begründung des von der Klägerin erhobenen Anspruchs entnommen werden.

Eine andere Beurteilung des Sachverhaltes wird auch nicht durch den Einwand der Klägerin gerechtfertigt, in der Vergangenheit habe die Beklagte bei ehemaligen Kollegen die Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb angenommen und Zeiten der Zugehörigkeit im AVItech festgestellt. Er sei daher aus Gründen der Gleichbehandlung gleichzustellen. Art 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vermag eine rechtswidrige Verwaltungspraxis nicht zu rechtfertigen. Es gibt keinen Anspruch auf "Gleichheit im Unrecht" bzw. einen "Anspruch auf Fehlerwiederholung". Andernfalls könnte die Verwaltung – bewusst oder unbewusst – allein durch eine rechtswidrige Praxis geltendes Recht verdrängen oder abändern. Das stünde aber im Widerspruch zu Art 20 Abs. 3 GG, wonach die vollziehende Gewalt (und die Rechtsprechung) an Gesetz und Recht gebunden sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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