L 24 B 507/07 KR ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 3 KR 230/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 B 507/07 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 13. Juni 2007 (S 3 KR 230/06 ER) wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller bedarf aufgrund einer Amytropischen Lateralsklerose und verschiedener anderer Erkrankungen unstreitig einer Behandlungspflege von 24 Stunden am Tag, insbesondere um die Atmung sicher zu stellen. Nach seiner Entlassung aus stationärer Behandlung wird der Antragsteller seit September 2006 im häuslichen Bereich durch die Beigeladene zu 1) versorgt.

Die Antragsgegnerin bewilligte unter dem 9. August 2006/16. August 2006 die Kostenübernahme für Behandlungspflege im Umfang von 19 Stunden täglich (532,00 Euro täglich). Die übrigen fünf Stunden entfielen auf die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung, für die Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung bestehe (in der Pflegestufe III maximal 1432,00 Euro monatlich). Den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem die Kostenübernahme für eine 24stündige Behandlungspflege begehrt wurde, wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 2006 zurück.

Bereits am 8. November 2006 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Potsdam den Erlass einer einstweiligen Anordnung dahin beantragt:

1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, die ärztlich verordneten Leistungen der Behandlungspflege in einem zeitlichen Unfang von 24 Stunden täglich als Sachleistung zu erbringen. 2. Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Die Mitarbeiter der Beigeladenen zu 1) führten vor Ort auf vertraglicher Grundlage mit dem Antragsteller lediglich Leistungen der Behandlungspflege aus. Leistungen der Grundpflege und der Hauswirtschaft würden durch die Mutter des Antragstellers sowie weitere Familienangehörige und selbst organisierte Pflegekräfte wahrgenommen. Bei Durchführung von Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung sei die Beobachtung des Antragstellers zum Eingreifen in einen Notfall nicht gesichert, weshalb die Antragsgegnerin auch für die Zeit der erforderlichen Grundpflege die Kosten der notwendigen Behandlungspflege zu übernehmen habe. Mangels Aufnahme der erforderlichen Leistungen der Behandlungspflege in den Leistungskatalog des 11. Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB XI) müsse die Antragsgegnerin die Behandlungspflege in vollem Umfang übernehmen. Da die erforderlichen Leistungen nicht durch im Haushalt lebende Personen erbracht werden könnten, liege auch kein Ausschluss nach § 37 Abs. 3 SGB V vor. Der von der Antragsgegnerin vorgenommene Abzug sei nur dann möglich und gerechtfertigt, wenn tatsächlich gleichzeitig Grund- und Behandlungspflege bzw. hauswirtschaftliche Leistung und Behandlungspflege durch ein und dieselbe qualifizierte Pflegekraft erbracht würde. Es bestehe auch ein Anordnungsgrund, weil der Antragsteller auf die Anwesenheit der intensiv¬medizinischen Pflegekräfte rund um die Uhr angewiesen sei. Seine finanziellen Verhältnisse gäben es jedoch nicht her, die zusätzlichen Kosten, die monatlich ca. 4.200,00 Euro bzw. 4.340,00 Euro ausmachten, zu tragen.

Die Antragsgegnerin hat sich auf den Widerspruchsbescheid bezogen, in dem dargelegt sei, dass die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Übernahme der Pflegekosten in Bezug auf die für die Grundpflege erforderliche Zeit ausschließe, was aus § 37 Abs. 2 SGB V folge. Besonders ein Gutachten des MDK vom 8. Januar 2007 lege einen Zeitaufwand für die Grundpflege von 421 Minuten pro Tag fest, sie leiste jedoch weiterhin für 19 Stunden, um weitere Verfahren zu vermeiden.

Der Beigeladene zu 2) hält sich zur Zahlung eines Differenzbetrages für nicht verpflichtet, weil der Antragsteller Anspruch auf Leistungen gegen die Antragsgegnerin habe. Die Beigeladene zu 1) erbringe jedenfalls keine Leistungen der Grundpflege, so dass diese Leistungen auch nicht in Abzug gebracht werden könnten.

Mit Beschluss vom 13. Juni 2007 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt: Er sei nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zwar zulässig, jedoch nicht begründet. Ein Anordnungsanspruch auf eine Behandlungspflege von 24 Stunden bestehe nicht. Es sei eine derartige Pflege auf der Grundlage von § 37 SGB V als Behandlungssicherungspflege erforderlich, wobei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Hinweis auf Urteil vom 10. November 2005,
B 3 KR 38/04 R) auch die notwendige Beobachtung eines Patienten zur Behandlung gehöre. Insoweit berufe die Antragsgegnerin sich auch zu Unrecht auf die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V, weil diese Richtlinien nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die erforderliche Krankenbehandlung nicht ausschließen könnten. Von den danach erforderlichen und grundsätzlich zu erbringenden Leistungen der Behandlungspflege träfe die Antragsgegnerin nur eine Leistungspflicht für höchstens 19 Stunden. Im Falle einer Kollision zwischen Grundpflege und Behandlungspflege habe die Behandlungspflege hinsichtlich der Leistungen im Rahmen der Grundpflege zurückzutreten. Das Bundessozialgericht habe in der genannten Entscheidung dargelegt:

Soweit es um das Zusammentreffen von Krankenbeobachtung und Grundpflege nach dem SGB IX geht, ist nach der Rechtsprechung des BSG (BSG E 83, 254 = SozR 3-2500 § 37 Nr. 1) davon auszugehen, dass während der Erbringung der Leistungen der Grundpflege die Behandlungspflege grundsätzlich in den Hintergrund tritt, so dass insoweit nur die Leistungspflicht der Pflegekasse besteht.

Die Zeiten, für die die Pflegekasse die notwendige Grundpflege festgelegt habe, seien auf die Leistungen der Behandlungspflege, die durch die Antragsgegnerin dem Grunde nach zu erbringen seien, anzurechnen. Insoweit komme es nicht darauf an, von wem die Pflege durchgeführt werde. Das Bundessozialgericht habe insbesondere nicht darauf abgestellt, dass im dort entschiedenen Fall die pflegende Mutter examinierte Krankenschwester gewesen sei.

Gegen den seinen Bevollmächtigten am 21. Juni 2007 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 26. Juni 2007. Das Sozialgericht stütze sich zu Unrecht auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 10. November 2005, denn es verkenne den wesentlichen Unterschied, der darin liege, dass die Mutter des Antragstellers, die vorliegend die Pflege durchführe, keine examinierte Krankenschwester sei. Die Pflege werde überwiegend von der Mutter sichergestellt, die auch nach entsprechender Anleitung kaum in der Lage sein dürfte, intensivmedizinische Behandlungspflegemaßnahmen durchzuführen, welche üblicherweise einer Krankenhausbehandlung oblägen. Folge man dem Ansatz des Sozialgerichts, würde dies bedeuten, dass die Beigeladene zu 1) die Versorgung für 19 Stunden sicherzustellen habe und danach kein intensivmedizinisch gebildeter Mitarbeiter mehr vor Ort sei.

Die Antragsgegnerin hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Begrenzung der Kostentragungspflicht nach der Entscheidung des BSG vom 10. November 2005 habe sich unter anderem daraus ergeben, dass der dortige Kläger Leistungen aus der Pflegekasse erhalten habe. Es könne keinen Unterschied machen, ob hier Leistungen der Pflegekasse in Form der Sachleistung oder Geldleistung in Anspruch genommen würden. Vorliegend würden keine Pflegesachleistungen gewährt, sondern Pflegegeld nach § 37 SGB IX in Höhe von monatlich 665,00 Euro. Eine Umstellung von Pflegegeld in Pflegesachleistungen sei vom Antragsteller bzw. seinen pflegenden Angehörigen bisher nicht gewünscht, obwohl dies zu einer finanziellen Entlastung führen würde.

Die Beigeladenen haben sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Der Senat weist sie aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Soweit mit der Beschwerde geltend gemacht wird, das Sozialgericht habe missachtet, dass vorliegend die Mutter des Antragstellers keine ausgebildete Krankenschwester sei und deshalb die erforderliche Krankenpflege während der von ihr erbrachten Grundpflegeleistung nicht erbringen könnte, ergibt sich nichts anderes. Maßgeblich ist entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – insbesondere in der Entscheidung vom 28. Januar 1999 (B 3 KR 4/98 R = BSG 83, 254-266), dass es nicht darauf ankommt, wer die Grundpflegeleistung erbringt, sondern vielmehr darauf, dass der Anspruch auf Leistungen der Grundpflege gegen die gesetzliche Pflegeversicherung besteht. Wörtlich führt das BSG hierzu aus: "Mit Einführung der Pflegeversicherung ist den Krankenkassen durch
Einfügung des Satzes 4 in § 37 Abs. 2 SGB V ausdrücklich untersagt worden, Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung nach Eintritt in Pflegebedürftigkeit zu gewähren". Der vom BSG genannte Satz 4 gilt inzwischen – wegen Einführung weiterer Sätze in § 37 Abs. 2 SGB V als Satz 6 dieser Vorschrift, ohne dass dadurch inhaltlich eine Änderung eingetreten ist. Dass Pflegebedürftigkeit entsprechend den Vorschriften des SGB XI in der Pflegestufe III besteht, ergibt sich nicht nur aus dem MDK-Gutachten vom 8. Januar 2007, sondern auch daraus, dass der Antragsteller offensichtlich Pflegegeld in Höhe von 665,00 Euro monatlich erhält (§ 37 Abs. 1 Nr. 3 SGB XI).

Es macht keinen Unterschied, ob insoweit Pflegesachleistungen nach § 36 SGB XI, oder nach § 37 SGB XI in Anspruch genommen werden. Dies liegt allein im Bereich des Antragstellers, der sein Wahlrecht entsprechend ausgeübt haben dürfte. Insoweit kann ein Anordnungsgrund im Sinne von § 86 b Abs. 2 SGG nicht gesehen werden. Wenn der Antragsteller, anstatt Pflegesachleistungen durch qualifiziertes Personal in Anspruch zu nehmen, die Auszahlung von Pflegegeld gewählt hat, kann ein die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigender, anders nicht abwendbarer Nachteil auf Seiten des Antragstellers nicht gesehen werden.

In der genannten Entscheidung vom 28. Januar 1999 hat das Bundessozialgericht auch näher dargelegt, dass es bei der Erbringung
von häuslicher Krankenpflege durch die Krankenversicherung und Pflegesachleistungen durch die gesetzliche Pflegeversicherung Sache der Beteiligten Leistungsträger sei, durch geeignete Vereinbarungen eine zweckmäßige und wirtschaftliche Aufgabenerfüllung sicher zu stellen. Auch von daher ist nicht ersichtlich, dass der notwendige Pflegebedarf für 24 Stunden nicht durch die Leistungen der Antragsgegnerin und der Pflegeversicherung insgesamt sichergestellt werden kann. Jedenfalls hat das Bundessozialgericht in der Entscheidung vom 28. Januar 1999 auch dargelegt, dass der Antragsteller Pflegeleistungen, die den Höchstbetrag aus der gesetzlichen Pflegeversicherung überschritten, selbst finanzieren müsse; erforderlichenfalls sei die Sozialhilfe - der Beigeladenen zu 2) – eintrittspflichtig. Der gesetzliche Leistungsausschluss in Bezug auf die Zeiten der Grundpflege (§ 37 Abs. 2 Satz 6 SGB V – in der Fassung des Gesetzes vom 26. März 2007- BGBl. I Seite 378), steht auch der vom Senat in der Verfügung vom 20. August 2007 angedachten Möglichkeit entgegen, lediglich den für Pflegesachleistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung vorgegebenen Höchstbetrag von 1432,00 Euro (§ 36 Abs. 3 Nr. 3 SGB IX) von den seitens der Antragsgegnerin geschuldeten Leistungen abzuziehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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