Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 112 KR 1765/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 B 477/07 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. Juni 2007 geändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller hat am 05. Juni 2007 beim Sozialgericht Berlin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, dem Antragssteller gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in die freiwillige gesetzliche Krankenversicherung aufzunehmen.
Die Antragsgegnerin habe mit Bescheid vom 07. Mai 2007 die Aufnahme in die freiwillige Krankenversicherung mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller sei in den letzten fünf Jahren nicht mindestens 24 Monate oder unmittelbar vor dem Ende nicht ununterbrochen 12 Monate versichert gewesen und Arbeitslosengeld II (ALG II) sei zu Unrecht bezogen worden. Über den dagegen eingelegten Widerspruch sei noch nicht entschieden. Der Antragsteller habe sich vom 06. Januar 2005 bis zum 31. Januar 2007 durchgehend im ALG II – Bezug nach dem SGB II befunden und sei damit krankenpflichtversichert gewesen. Die gesetzliche Vorversicherungszeit sei damit erfüllt. Soweit die Antragsgegnerin die Auffassung vertrete, ALG II sei zu Unrecht bezogen worden, sei die Frage der dauerhaften Erwerbs(un)fähigkeit weder arbeitsamtsärztlich, noch rentenärztlich untersucht worden. Bis zu einer solchen Feststellung sei und bleibe der ALG II - Bezug rechtmäßig. Ihm sei nicht zuzumuten, das Widerspruchsverfahren bei der Antragsgegnerin und ein sich ggf. daran anschließendes gerichtliches Hauptsacheverfahren abzuwarten, da für ihn als Pflegeheimbewohner bereits seit dem 01. Februar 2007 kein Krankenversicherungsschutz mehr bestehe und eine Klärung dringend erforderlich sei.
Die Antragsgegnerin hat weder einen Anordnungsspruch noch einen Anordnungsgrund gesehen. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf Übernahme der Krankenbehandlung gemäß § 264 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) gegen Kostenerstattung durch das Sozialamt. Ein Anspruch auf freiwillige Mitgliedschaft bestehe nicht, weil nach den vorliegenden Unterlagen (psychiatrisches Gutachten vom 05. Dezember 2006, ärztliches Gutachten vom 15. Dezember 2006) davon ausgegangen werden müsse, dass der Antragsteller bereits im Jahr 2005 nicht erwerbsfähig gewesen sei. Die Versicherungszeiten, in denen eine Versicherung allein deshalb bestanden habe, weil Arbeitslosengeld II zu Unrecht bezogen worden sei, könnten nicht berücksichtigt werden. Ein Anordnungsgrund bestehe nicht, weil weder vom Antragsteller nachgewiesen, noch erkennbar sei, dass er ohne einstweiligen Rechtsschutz schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile erleiden würde, zu deren nachträglicher Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht in der Lage wäre. Schwere Nachteile seien bereits deswegen nicht zu erwarten, weil die medizinische Versorgung des Antragstellers im Fall der Notwendigkeit einer Krankenbehandlung über § 264 Abs. 2 SGB V gesichert sei. Zwar läge eine Meldung nach dieser Vorschrift bisher nicht vor, der Anspruch auf Übernahme der Krankenbehandlung nach dieser Rechtsvorschrift bestehe jedoch kraft Gesetzes, unabhängig von einer Meldung des Sozialhilfeträgers, solange in der Hauptsache nicht über die Frage des Beitritts zur freiwilligen Krankenversicherung entschieden sei.
Mit Beschluss vom 28. Juni 2007 hat das Sozialgericht entschieden:
Tenor:
Es wird vorläufig festgestellt, dass der Antragsteller seit 01. Februar 2007 bei der Antragsgegnerin freiwillig krankenversichert ist. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) könne das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr bestehe, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentliche erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG seien einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheine (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setze gemäß §§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung (ZPO) voraus, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht seien. Dies treffe bezogen auf eine vorläufige Feststellung, dass der Antragsteller kraft seiner Beitrittsanzeige bei der Antragsgegnerin freiwillig krankenversichert sei (zur sachdienlichen Auslegung eines Schutzbegehrens in diesem Sinne: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Oktober 2006 – L 9 B 330/06 KR ER) zu. Der Antragsteller sei aufgrund seiner Beitrittserklärung zum 01. Februar 2007 freiwilliges Mitglied der Antragsgegnerin geworden. Er habe die Voraussetzungen für den Beitritt zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung zum 01. Februar 2007 erfüllt, denn er sei mit Ablauf des Januar 2007 wegen der Beendigung des Bezuges von ALG II als Mitglied der Antragsgegnerin aus der Versicherungspflicht ausgeschieden (§ 190 Abs. 12 SGB V) und sei unmittelbar vor dem Ausscheiden mindestens 12 Monate – nämlich seit 01. Februar 2006 – gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V durch den Bezug von ALG II nach dem Zweiten Buch versichert gewesen. Er habe auch den Beitritt zur Antragsgegnerin innerhalb der Frist des § 9 Abs. 2 Nr. 1 SGB V angezeigt. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin sei ALG II nicht zu Unrecht bezogen worden. Rechtsgrund für den Leistungsbezug seien die bindenden Bewilligungsbescheide des Job Centers Mitte, die dieser Leistungsträger nicht rückwirkend aufgehoben habe. Der Bezug des ALG II sei damit zumindest formell rechtmäßig gewesen. Die Antragsgegnerin sei im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V grundsätzlich an die Entscheidung des Job Centers nach dem SGB II gebunden. Hinsichtlich der ausgeworfenen vorläufigen Feststellung sei auch ein Anordnungsgrund gegeben. Die Dringlichkeit entfalle entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht schon deshalb, weil die medizinische Versorgung des Antragstellers über § 264 Abs. 2 SGB V gesichert werden könne. Der Verweisung auf § 264 Abs. 2 SGB V stehe die grundsätzliche Subsidiarität der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 SGB XII) entgegen. Soweit die Antragsgegnerin Verpflichtung des – mit Beschluss vom 05. Juni 2007 – beigeladenen Landes Berlin festgestellt haben wolle, die Krankenbehandlung des Antragstellers von der Antragsgegnerin durchführen zu lassen und eine entsprechende Anmeldung zu erstellen, gebe es dafür keine gesetzliche Grundlage.
Gegen den ihr am 05. Juli 2007 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 17./19. Juli 2007:
Das Sozialgericht habe zu Unrecht einen Anordnungsanspruch angenommen, weil durch Art. 2a des Gesetzes vom 22. Dezember 2005 mit Wirkung vom 31. Dezember 2005 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V geändert und das Beitrittsrecht für den Fall eingeschränkt worden sei, dass ALG II zu Unrecht bezogen worden sei. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sei damit der materiell zu Unrecht erfolgte Bezug von ALG II gemeint und nicht allein der formell zu Unrecht erfolgte Bezug nach rückwirkender Aufhebung des entsprechenden Bescheides. Zudem sei ein Anordnungsgrund nicht gegeben, weil die statusrechtliche Feststellung einer freiwilligen Versicherung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht zulässig sei (Hinweis auf LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Oktober 2006, L 9 B 330/06 KR ER).
Der Antragsteller hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Es werde bestritten, dass er während des ALG II Bezuges dauerhaft erwerbsunfähig gewesen sein solle. Soweit die Beschwerdeführerin rüge, dass eine Regelung nicht im vorläufigen Verfahren statthaft sei, habe sie selbst ein Hauptsacheverfahren bisher dadurch verhindert, dass sie den Ablehnungsbescheid erst am 07. Mai 2007 erlassen und über den Widerspruch bis heute nicht entschieden habe.
Der Beigeladene hält den angefochtenen Beschluss ebenfalls für zutreffend.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht "vorläufig festgestellt", dass der Antragsteller seit 01. Februar 2007 bei der Antragsgegnerin freiwillig krankenversichert ist. Eine derartige Feststellung hat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht zu ergehen. Das Sozialgericht hat die Voraussetzungen für den einstweiligen Rechtsschutz nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG im Rahmen einer "Regelungsanordnung" zutreffend dargelegt. Es hat jedoch zu Unrecht angenommen, dass die seitens des Antragstellers begehrte Feststellung vorläufig im Anordnungsverfahren zu ergehen hat. Insoweit bestehen bereits Zweifel, ob es für eine derartige Feststellung einen Anordnungsanspruch gibt, denn aus den gesetzlichen Vorschriften ergibt sich nicht, dass die Antragsgegnerin verpflichtet wäre, der Antragsstellerin gegenüber das Bestehen einer Mitgliedschaft nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V zu bestätigen. Die Mitgliedschaft nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V beginnt vielmehr gemäß § 188 SGB V mit dem schriftlich erklärten Beitritt nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht als ALG II Bezieher. Eines weiteren Handels seitens der Antragsgegnerin bedarf es insoweit nicht. Von daher ist nicht ersichtlich, auf welcher Rechtsgrundlage vorliegend das "vorläufige" Bestehen des Versicherungsverhältnisses ausgesprochen werden soll.
Dies kann jedoch letztlich dahinstehen, denn ein Anordnungsgrund für die begehrte Feststellung besteht nicht.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist ein Anordnungsgrund dann anzunehmen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Insoweit bedeutet die Regelung eines vorläufigen Zustandes, dass die Hauptsache grundsätzlich nicht vorweg genommen darf. Vorwegnahme der Hauptsache ist lediglich dann zulässig, wenn sonst Rechtsschutz nicht erreichbar und dies für den Antragsteller unzumutbar wäre (Meyer-Ladewig / Keller / Leiterer, SGG, 8. Auflage, §86b Rdnr. 31.) Es ist nicht ersichtlich, welcher wesentliche Nachteil dem Antragssteller bei Unterbleiben der begehrten Feststellung droht. Die Feststellung des Bestehens der Mitgliedschaft bzw. - wie beantragt - der Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung hat keinen vollstreckbaren Inhalt (Meyer-Ladewig, a.a.O. § 55 Rdnr. 19). Allein dass der Antragsteller möglicherweise aufgrund von Krankheit Leistungen beanspruchen will, stellt keinen Anordnungsgrund dar, denn insoweit steht es ihm frei, bei entsprechendem Bedarf den Leistungsanspruch gegenüber der Antraggengerin geltend zu machen. Diese wird – ggf. als vorläufige Leistung nach § 43 SGB I – über den Leistungsanspruch zu entscheiden haben und im Falle der Ablehnung wäre insoweit einstweiliger Rechtsschutz nach § 86b Abs. 2 SGG zulässig. Da insoweit effektiver Rechtsschutz möglich ist, besteht jedenfalls kein Grund dafür, vorab wegen "Dringlichkeit" das Bestehen einer Mitgliedschaft des Antragstellers festzustellen.
Da nach Auffassung der Antragsgegnerin auch ein Anspruch gemäß § 264 Abs. 2 SGB V besteht und dieser nicht zur Voraussetzung haben soll, dass zuvor eine Meldung (durch den Beigeladenen) erfolgt sei, ist nicht ersichtlich, woran die ggf. erforderliche Krankenbehandlung scheitern soll. Die vom Sozialgericht angeführte Nachrangigkeit der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 SGB XII) betrifft die Frage, auf welcher Grundlage letztlich die Versicherung bzw. Leistungsgewährung erfolgt. Im Rahmen eines Anordnungsgrundes ist dies für den Betroffenen jedoch regelmäßig unerheblich, für ihn ist es zur Vermeidung erheblicher Nachteile nur erforderlich, dass er die notwendigen Leistungen erhält. Auch von daher bedarf es der begehrten Feststellung einer "Versicherung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V" nicht.
Mit dem 09. Senat des LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 24. Oktober 2006 – L 9 B 330/06 KR ER) ist der Senat insgesamt der Auffassung, dass die Feststellung des Status als Versicherter einer bestimmten Versichertengruppe im Wege der Regelungsanordnung nicht begehrt werden kann. Dementsprechend ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und der Antrag abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden
Gründe:
I.
Der Antragsteller hat am 05. Juni 2007 beim Sozialgericht Berlin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, dem Antragssteller gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in die freiwillige gesetzliche Krankenversicherung aufzunehmen.
Die Antragsgegnerin habe mit Bescheid vom 07. Mai 2007 die Aufnahme in die freiwillige Krankenversicherung mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller sei in den letzten fünf Jahren nicht mindestens 24 Monate oder unmittelbar vor dem Ende nicht ununterbrochen 12 Monate versichert gewesen und Arbeitslosengeld II (ALG II) sei zu Unrecht bezogen worden. Über den dagegen eingelegten Widerspruch sei noch nicht entschieden. Der Antragsteller habe sich vom 06. Januar 2005 bis zum 31. Januar 2007 durchgehend im ALG II – Bezug nach dem SGB II befunden und sei damit krankenpflichtversichert gewesen. Die gesetzliche Vorversicherungszeit sei damit erfüllt. Soweit die Antragsgegnerin die Auffassung vertrete, ALG II sei zu Unrecht bezogen worden, sei die Frage der dauerhaften Erwerbs(un)fähigkeit weder arbeitsamtsärztlich, noch rentenärztlich untersucht worden. Bis zu einer solchen Feststellung sei und bleibe der ALG II - Bezug rechtmäßig. Ihm sei nicht zuzumuten, das Widerspruchsverfahren bei der Antragsgegnerin und ein sich ggf. daran anschließendes gerichtliches Hauptsacheverfahren abzuwarten, da für ihn als Pflegeheimbewohner bereits seit dem 01. Februar 2007 kein Krankenversicherungsschutz mehr bestehe und eine Klärung dringend erforderlich sei.
Die Antragsgegnerin hat weder einen Anordnungsspruch noch einen Anordnungsgrund gesehen. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf Übernahme der Krankenbehandlung gemäß § 264 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) gegen Kostenerstattung durch das Sozialamt. Ein Anspruch auf freiwillige Mitgliedschaft bestehe nicht, weil nach den vorliegenden Unterlagen (psychiatrisches Gutachten vom 05. Dezember 2006, ärztliches Gutachten vom 15. Dezember 2006) davon ausgegangen werden müsse, dass der Antragsteller bereits im Jahr 2005 nicht erwerbsfähig gewesen sei. Die Versicherungszeiten, in denen eine Versicherung allein deshalb bestanden habe, weil Arbeitslosengeld II zu Unrecht bezogen worden sei, könnten nicht berücksichtigt werden. Ein Anordnungsgrund bestehe nicht, weil weder vom Antragsteller nachgewiesen, noch erkennbar sei, dass er ohne einstweiligen Rechtsschutz schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile erleiden würde, zu deren nachträglicher Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht in der Lage wäre. Schwere Nachteile seien bereits deswegen nicht zu erwarten, weil die medizinische Versorgung des Antragstellers im Fall der Notwendigkeit einer Krankenbehandlung über § 264 Abs. 2 SGB V gesichert sei. Zwar läge eine Meldung nach dieser Vorschrift bisher nicht vor, der Anspruch auf Übernahme der Krankenbehandlung nach dieser Rechtsvorschrift bestehe jedoch kraft Gesetzes, unabhängig von einer Meldung des Sozialhilfeträgers, solange in der Hauptsache nicht über die Frage des Beitritts zur freiwilligen Krankenversicherung entschieden sei.
Mit Beschluss vom 28. Juni 2007 hat das Sozialgericht entschieden:
Tenor:
Es wird vorläufig festgestellt, dass der Antragsteller seit 01. Februar 2007 bei der Antragsgegnerin freiwillig krankenversichert ist. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) könne das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr bestehe, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentliche erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG seien einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheine (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setze gemäß §§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung (ZPO) voraus, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht seien. Dies treffe bezogen auf eine vorläufige Feststellung, dass der Antragsteller kraft seiner Beitrittsanzeige bei der Antragsgegnerin freiwillig krankenversichert sei (zur sachdienlichen Auslegung eines Schutzbegehrens in diesem Sinne: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Oktober 2006 – L 9 B 330/06 KR ER) zu. Der Antragsteller sei aufgrund seiner Beitrittserklärung zum 01. Februar 2007 freiwilliges Mitglied der Antragsgegnerin geworden. Er habe die Voraussetzungen für den Beitritt zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung zum 01. Februar 2007 erfüllt, denn er sei mit Ablauf des Januar 2007 wegen der Beendigung des Bezuges von ALG II als Mitglied der Antragsgegnerin aus der Versicherungspflicht ausgeschieden (§ 190 Abs. 12 SGB V) und sei unmittelbar vor dem Ausscheiden mindestens 12 Monate – nämlich seit 01. Februar 2006 – gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V durch den Bezug von ALG II nach dem Zweiten Buch versichert gewesen. Er habe auch den Beitritt zur Antragsgegnerin innerhalb der Frist des § 9 Abs. 2 Nr. 1 SGB V angezeigt. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin sei ALG II nicht zu Unrecht bezogen worden. Rechtsgrund für den Leistungsbezug seien die bindenden Bewilligungsbescheide des Job Centers Mitte, die dieser Leistungsträger nicht rückwirkend aufgehoben habe. Der Bezug des ALG II sei damit zumindest formell rechtmäßig gewesen. Die Antragsgegnerin sei im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V grundsätzlich an die Entscheidung des Job Centers nach dem SGB II gebunden. Hinsichtlich der ausgeworfenen vorläufigen Feststellung sei auch ein Anordnungsgrund gegeben. Die Dringlichkeit entfalle entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht schon deshalb, weil die medizinische Versorgung des Antragstellers über § 264 Abs. 2 SGB V gesichert werden könne. Der Verweisung auf § 264 Abs. 2 SGB V stehe die grundsätzliche Subsidiarität der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 SGB XII) entgegen. Soweit die Antragsgegnerin Verpflichtung des – mit Beschluss vom 05. Juni 2007 – beigeladenen Landes Berlin festgestellt haben wolle, die Krankenbehandlung des Antragstellers von der Antragsgegnerin durchführen zu lassen und eine entsprechende Anmeldung zu erstellen, gebe es dafür keine gesetzliche Grundlage.
Gegen den ihr am 05. Juli 2007 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 17./19. Juli 2007:
Das Sozialgericht habe zu Unrecht einen Anordnungsanspruch angenommen, weil durch Art. 2a des Gesetzes vom 22. Dezember 2005 mit Wirkung vom 31. Dezember 2005 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V geändert und das Beitrittsrecht für den Fall eingeschränkt worden sei, dass ALG II zu Unrecht bezogen worden sei. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sei damit der materiell zu Unrecht erfolgte Bezug von ALG II gemeint und nicht allein der formell zu Unrecht erfolgte Bezug nach rückwirkender Aufhebung des entsprechenden Bescheides. Zudem sei ein Anordnungsgrund nicht gegeben, weil die statusrechtliche Feststellung einer freiwilligen Versicherung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht zulässig sei (Hinweis auf LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Oktober 2006, L 9 B 330/06 KR ER).
Der Antragsteller hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Es werde bestritten, dass er während des ALG II Bezuges dauerhaft erwerbsunfähig gewesen sein solle. Soweit die Beschwerdeführerin rüge, dass eine Regelung nicht im vorläufigen Verfahren statthaft sei, habe sie selbst ein Hauptsacheverfahren bisher dadurch verhindert, dass sie den Ablehnungsbescheid erst am 07. Mai 2007 erlassen und über den Widerspruch bis heute nicht entschieden habe.
Der Beigeladene hält den angefochtenen Beschluss ebenfalls für zutreffend.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht "vorläufig festgestellt", dass der Antragsteller seit 01. Februar 2007 bei der Antragsgegnerin freiwillig krankenversichert ist. Eine derartige Feststellung hat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht zu ergehen. Das Sozialgericht hat die Voraussetzungen für den einstweiligen Rechtsschutz nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG im Rahmen einer "Regelungsanordnung" zutreffend dargelegt. Es hat jedoch zu Unrecht angenommen, dass die seitens des Antragstellers begehrte Feststellung vorläufig im Anordnungsverfahren zu ergehen hat. Insoweit bestehen bereits Zweifel, ob es für eine derartige Feststellung einen Anordnungsanspruch gibt, denn aus den gesetzlichen Vorschriften ergibt sich nicht, dass die Antragsgegnerin verpflichtet wäre, der Antragsstellerin gegenüber das Bestehen einer Mitgliedschaft nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V zu bestätigen. Die Mitgliedschaft nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V beginnt vielmehr gemäß § 188 SGB V mit dem schriftlich erklärten Beitritt nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht als ALG II Bezieher. Eines weiteren Handels seitens der Antragsgegnerin bedarf es insoweit nicht. Von daher ist nicht ersichtlich, auf welcher Rechtsgrundlage vorliegend das "vorläufige" Bestehen des Versicherungsverhältnisses ausgesprochen werden soll.
Dies kann jedoch letztlich dahinstehen, denn ein Anordnungsgrund für die begehrte Feststellung besteht nicht.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist ein Anordnungsgrund dann anzunehmen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Insoweit bedeutet die Regelung eines vorläufigen Zustandes, dass die Hauptsache grundsätzlich nicht vorweg genommen darf. Vorwegnahme der Hauptsache ist lediglich dann zulässig, wenn sonst Rechtsschutz nicht erreichbar und dies für den Antragsteller unzumutbar wäre (Meyer-Ladewig / Keller / Leiterer, SGG, 8. Auflage, §86b Rdnr. 31.) Es ist nicht ersichtlich, welcher wesentliche Nachteil dem Antragssteller bei Unterbleiben der begehrten Feststellung droht. Die Feststellung des Bestehens der Mitgliedschaft bzw. - wie beantragt - der Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung hat keinen vollstreckbaren Inhalt (Meyer-Ladewig, a.a.O. § 55 Rdnr. 19). Allein dass der Antragsteller möglicherweise aufgrund von Krankheit Leistungen beanspruchen will, stellt keinen Anordnungsgrund dar, denn insoweit steht es ihm frei, bei entsprechendem Bedarf den Leistungsanspruch gegenüber der Antraggengerin geltend zu machen. Diese wird – ggf. als vorläufige Leistung nach § 43 SGB I – über den Leistungsanspruch zu entscheiden haben und im Falle der Ablehnung wäre insoweit einstweiliger Rechtsschutz nach § 86b Abs. 2 SGG zulässig. Da insoweit effektiver Rechtsschutz möglich ist, besteht jedenfalls kein Grund dafür, vorab wegen "Dringlichkeit" das Bestehen einer Mitgliedschaft des Antragstellers festzustellen.
Da nach Auffassung der Antragsgegnerin auch ein Anspruch gemäß § 264 Abs. 2 SGB V besteht und dieser nicht zur Voraussetzung haben soll, dass zuvor eine Meldung (durch den Beigeladenen) erfolgt sei, ist nicht ersichtlich, woran die ggf. erforderliche Krankenbehandlung scheitern soll. Die vom Sozialgericht angeführte Nachrangigkeit der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 SGB XII) betrifft die Frage, auf welcher Grundlage letztlich die Versicherung bzw. Leistungsgewährung erfolgt. Im Rahmen eines Anordnungsgrundes ist dies für den Betroffenen jedoch regelmäßig unerheblich, für ihn ist es zur Vermeidung erheblicher Nachteile nur erforderlich, dass er die notwendigen Leistungen erhält. Auch von daher bedarf es der begehrten Feststellung einer "Versicherung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V" nicht.
Mit dem 09. Senat des LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 24. Oktober 2006 – L 9 B 330/06 KR ER) ist der Senat insgesamt der Auffassung, dass die Feststellung des Status als Versicherter einer bestimmten Versichertengruppe im Wege der Regelungsanordnung nicht begehrt werden kann. Dementsprechend ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und der Antrag abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden
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