L 16 AL 367/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 4 AL 271/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 AL 367/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 27. März 2007 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Insolvenzgeld (Insg) für die Zeit vom 01. Juni 2003 bis 31. August 2003.

Die 1947 geborene Klägerin war seit 01. November 2001 als Buchhalterin bei der M K und B GmbH in L (im Folgenden: M) versicherungspflichtig beschäftigt; das Arbeitsverhältnis endete durch betriebsbedingte arbeitgeberseitige Kündigung zum 31. August 2003. Die anschließend arbeitslos gemeldete Klägerin war bei der M vom 01. September 2003 bis 30. November 2003 neben dem Leistungsbezug geringfügig im Rahmen einer Nebentätigkeit beschäftigt. Den am 20. April 2004 gestellten Insg-Antrag wegen ausgebliebener Gehaltszahlungen für die Zeit vom 01. Juni 2003 bis 31. August 2003 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. September 2005 ab mit der Begründung, dass die M ihre Betriebstätigkeit wegen Zahlungsunfähigkeit am 01. Juni 2004 vollständig eingestellt habe. Anspruch auf Insg habe danach nur für die Zeit vom 01. Oktober 2003 bis 31. Dezember 2003 bestanden; insoweit bestünden jedoch keine offenen Ansprüche auf Arbeitsentgelt.

Das Sozialgericht (SG) Cottbus hat mit Urteil vom 27. März 2007 die auf Gewährung von Insg für die Zeit vom 01. Juni 2003 bis 31. August 2003 gerichtete Klage unter Bezugnahme auf die Begründung der Beklagten in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid nach § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abgewiesen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor: Entgegen der Auffassung der Beklagten seien reine Auflösungs- und Abwicklungstätigkeiten nicht mehr als Betriebstätigkeit anzusehen. Sie habe bei ihrem Nebenjob das Buchwerk für den zu erwartenden Konkurs vorbereitet und die Listen der offenen Forderungen und Verbindlichkeiten aufgestellt. Ihr ehemaliger Arbeitgeber könne diesen Sachverhalt bestätigen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 27. März 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 21. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. September 2005 aufzuheben und die Beklagten zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 01. Juni 2003 bis 31. August 2003 Insolvenzgeld in Höhe von jeweils 1.161,37 EUR monatlich zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Betriebstätigkeit sei nach den Angaben des ehemaligen Arbeitgebers erst am 31. Mai 2004 unmittelbar vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom 16. Juni 2004 eingestellt worden.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Insg-Akte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter an Stelle des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und Abs. 4 SGG).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des SG-Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG begründet. Das erstinstanzliche Urteil leidet an wesentlichen Verfahrensmängeln.

Das Urteil des SG enthält keine hinreichenden Entscheidungsgründe i. S. von § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG. Zudem hat das SG den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht ausreichend geklärt (vgl. § 103 SGG).

Nach § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG enthält das Urteil "die Entscheidungsgründe". Letztere enthält das Urteil dann, wenn in der Begründung selbst mindestens diejenigen Erwägungen zusammengefasst sind, auf denen die Entscheidung über jeden einzelnen für den Urteilsausspruch rechtserheblichen Streitpunkt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht. Die Begründung muss derart ausführlich sein, dass die höhere Instanz das angefochtene Urteil zuverlässig nachprüfen und der unterlegene Beteiligte aus ihm ersehen kann, worauf das Gericht seine Entscheidung stützt. Zum Mindestinhalt gehört hierfür die Angabe der angewandten Rechtsnorm(en) und der für erfüllt bzw. für nicht erfüllt erachteten Tatbestandsmerkmale (BSG, Beschluss vom 03. Mai 1984 – 11 BA 188/83 = SozR 1500 § 136 Nr. 3; Urteil vom 15. November 1988 – 4/11a RA 20/87 = SozR 1500 § 136 Nr. 10). Entscheidungsgründe fehlen nach dieser Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die das Gericht seiner Entscheidung zu Grunde legt, schon dann, wenn sogar nur zu einem entscheidungserheblichen Streitpunkt die Erwägungen, die das Gericht zu seinem Urteilsausspruch geführt haben, dem Urteil selbst nicht zu entnehmen sind. Dies ist hier hinsichtlich mehrerer Punkte der Fall.

Das SG hat die angewandten Rechtsnormen nicht erwähnt und schon gar nicht klargestellt, welche Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Rechtsnormen es für erfüllt bzw. nicht für erfüllt erachtet hat. Das SG hat ausschließlich auf die Begründung der Beklagten in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 08. September 2005 gemäß § 136 Abs. 3 SGG verwiesen und im Übrigen von einer Darstellung von Entscheidungsgründen abgesehen. Nach § 136 Abs. 3 SGG, der durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl. I 50) mit Wirkung ab 01. März 1993 eingeführt worden ist, kann das Gericht zwar von einer – weiteren – Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsaktes oder des Widerspruchsbescheides folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt. Diese Regelung entspricht § 117 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung und soll unnötige Formulierungs- und Schreibarbeit verhindern (vgl. BSG, Beschluss vom 20. Januar 2000 – B 7 AL 116/99 B = SozR 3-1500 § 153 Nr. 10). Die Anwendung dieser Entlastungsvorschrift kann aber nicht dazu führen, dass das SG auf die Darstellung der Entscheidungsgründe als solche insgesamt verzichtet, zumal wenn – wie vorliegend – der entscheidungserhebliche Sachverhalt nicht hinreichend geklärt ist.

Weder die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden noch das SG in dem angegriffenen Urteil haben bislang zweifelsfrei festgestellt, welches vorliegend einschlägige Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) wann genau eingetreten sein soll. Der von der Beklagten vorgelegten Insg-Akte und der Gerichtsakte lassen sich hierzu nachvollziehbare und zweifelsfreie Feststellungen nicht entnehmen. Die Beklagte hat zwar in den angefochtenen Bescheiden ausgeführt, dass maßgebliches Insolvenzereignis die Betriebseinstellung der M am 01. Juni 2004 sei. Worauf sie diese Feststellungen stützt, ist jedoch nicht hinreichend nachzuvollziehen. Im erstinstanzlichen Verfahren hat die Beklagte dann vorgetragen, dass die Betriebstätigkeit der M zum 31. Mai 2004 eingestellt worden sei. Entsprechende Erklärungen des Arbeitgebers befinden sich in der Insg-Akte jedoch ebenso wenig wie die von der Beklagten im Schriftsatz vom 12. April 2006 zitierten Blattzahlen. Bei dieser Sachlage hätte das SG ermitteln müssen, wann welches in Betracht kommende Insolvenzereignis konkret eingetreten ist. Hierzu hätte sich eine zeugenschaftliche Vernehmung des Arbeitgebers angeboten, die auch die Klägerin in ihrer Berufungsschrift angeregt hat. Erst wenn der Zeitpunkt des einschlägigen Insolvenzereignisses feststeht, können nachvollziehbare Feststellungen zum maßgebenden Insg-Zeitraum getroffen werden. Erst dann kann auch abschließend beurteilt werden, ob die von der Klägerin geltend gemachten ausgefallenen Entgeltzahlungen in diesen Insg-Zeitraum fallen. Dabei wird das SG auch zu klären haben, ob es nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin zum 31. August 2003 tatsächlich zu einer vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit der M kam. Hierzu sind insbesondere auch Feststellungen dazu erforderlich, welche dem Betriebszweck dienlichen Tätigkeiten gegebenenfalls noch nach dem 31. August 2003 von der M veranlasst wurden. Denn reine Erhaltungs-, Abwicklungs- und Liquidationsarbeiten stehen der Beendigung der Betriebstätigkeit als solcher, worauf das SG in seinem Schreiben vom 23. Februar 2006 auch hingewiesen hatte, nicht entgegen. Zudem enthalten weder die angefochtenen Bescheide noch das SG-Urteil Feststellungen dazu, ob im Zeitpunkt der angenommenen Betriebseinstellung ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kam. Hierfür genügt es zwar, wenn alle äußeren Tatsachen und insofern der Anschein für die Masseunzulänglichkeit sprechen (vgl. BSG, Urteil vom 04. März 1999 – B 11/10 AL 3/98 R = DBlR § 141e Nr. 4524). Selbst zu diesen Mindestvoraussetzungen haben sich aber weder die Bescheide der Beklagten noch das angefochtene Urteil verhalten. Nicht zuletzt hängt von der Erfüllung der genannten Voraussetzungen auch ab, ob der vorliegend augenscheinlich gestellte Insolvenzantrag möglicherweise das Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III ausschließt (vgl. zur Sperrwirkung insoweit BSG, Urteil vom 08. Februar 2001 – B 11 AL 27/00 R = DBlR § 141b AFG Nr. 4681).

Die dargelegten Mängel des erstinstanzlichen Urteils stellen wesentliche Verfahrensmängel dar. Denn es ist davon auszugehen, dass Mängel der Urteilsbegründung und der Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts regelmäßig auch Mängel bei den Erwägungen auf dem Wege zum Urteilsspruch gewesen sind. Die Sache war daher nach pflichtgemäßem Ermessen nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG an das SG zurückzuverweisen. Dabei ist insbesondere das Interesse der Klägerin an einer insoweit umfassenden Sachverhaltsaufklärung und einer vollständigen und auch hinreichend begründeten Prüfung der von ihr geltend gemachten Klageansprüche bereits durch das erstinstanzliche Gericht berücksichtigt worden.

Die Kostenentscheidung bleibt dem SG vorbehalten.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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