L 24 B 513/07 KR ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 73 KR 1905/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 B 513/07 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juni 2007 geändert, soweit darin festgestellt wird, dass der Antragsteller der freiwilligen Krankenversicherung beigetreten ist. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird auch insoweit abgelehnt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller hat am 18. Juni 2007 beim Sozialgericht Berlin beantragt,

den Antragsgegner durch Erlass einer einstweiligen Anordnung unter Verweis auf die zu dieser vergleichbaren Problematik bereits ergangene Rechtssprechung des Hessischen Landessozialgerichts vom 7.7.06 – L 8 KR 109/06 ER zu verpflichten, den Betreuten antragsgemäß in die freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung aufzunehmen und ihm Leistungen der Krankenversicherung zu gewähren.

Die Antragsgegnerin habe mit Bescheid vom 26. April 2007 die Aufnahme in die freiwillige Krankenversicherung mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller sei in den letzten fünf Jahren nicht mindestens 24 Monate oder unmittelbar vor dem Ende nicht ununterbrochen 12 Monate versichert gewesen und Arbeitslosengeld II (ALG II) sei zu Unrecht bezogen worden. Über den dagegen eingelegten Widerspruch sei noch nicht entschieden. Der Antragsteller habe vom 01. Januar 2005 bis zum 31. März 2007 ALG II nach dem SGB II erhalten und sei damit krankenpflichtversichert gewesen. Die Bewilligung sei seither lediglich mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben worden. Die gesetzliche Vorversicherungszeit sei damit erfüllt. Soweit die Antragsgegnerin die Auffassung vertrete, ALG II sei zu Unrecht bezogen worden, sei dies unerheblich, weil nach der Rechtsprechung des hessischen Landessozialgerichts (LSG) Bindung an die bestandskräftige Feststellung des Leistungsbezuges bestehe, wobei die Antragsgegnerin kein eigenes Prüfungsrecht habe.

Die Antragsgegnerin hat weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund gesehen. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf Übernahme der Krankenbehandlung gemäß § 264 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) gegen Kostenerstattung durch das Sozialamt. Ein Anspruch auf freiwillige Mitgliedschaft bestehe nicht, weil nach den vorliegenden Unterlagen (ärztliches Gutachten vom 01. Februar 2006) davon ausgegangen werden müsse, dass der Antragsteller bereits im Jahr 2005 nicht erwerbsfähig gewesen sei. Die Versicherungszeiten, in denen eine Versicherung allein deshalb bestanden habe, weil Arbeitslosengeld II zu Unrecht bezogen worden sei, könnten nicht berücksichtigt werden. Ein Anordnungsgrund bestehe nicht, weil weder vom Antragsteller nachgewiesen, noch erkennbar sei, dass er ohne einstweiligen Rechtsschutz schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile erleiden würde, zu deren nachträglicher Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht in der Lage wäre. Schwere Nachteile seien bereits deswegen nicht zu erwarten, weil die medizinische Versorgung des Antragstellers im Fall der Notwendigkeit einer Krankenbehandlung über § 264 Abs. 2 SGB V gesichert sei. Zwar läge eine Meldung nach dieser Vorschrift bisher nicht vor. Der Anspruch auf Übernahme der Krankenbehandlung nach dieser Rechtsvorschrift bestehe jedoch kraft Gesetzes, unabhängig von einer Meldung des Sozialhilfeträgers, solange in der Hauptsache nicht über die Frage des Beitritts zur freiwilligen Krankenversicherung entschieden sei.

Mit Beschluss vom 26. Juni 2007 hat das Sozialgericht entschieden:

Tenor:

Es wird im Wege einstweiligen Rechtsschutzes festgestellt, dass der Antragsteller der freiwilligen Krankenversicherung der Antragsgegnerin beigetreten ist.

Der Antrag der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin erstattet dem Antragsteller seine außergerichtlichen Kosten.

Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Voraussetzungen nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) seien für den Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Antragsteller sei aufgrund seiner Beitrittserklärung zum 01. April 2007 freiwilliges Mitglied der Antragsgegnerin geworden. Er habe die Voraussetzungen für den Beitritt zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung zu diesem Zeitpunkt erfüllt, denn er sei mit Ablauf des März 2007 wegen der Beendigung des Bezuges von ALG II als Mitglied der Antragsgegnerin aus der Versicherungspflicht ausgeschieden und unmittelbar vor dem Ausscheiden mindestens 12 Monate – nämlich seit 01. Januar 2005 – gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V durch den Bezug von ALG II nach dem Zweiten Buch versichert gewesen. Er habe auch den Beitritt zur Antragsgegnerin innerhalb der Frist des § 9 Abs. 2 Nr. 1 SGB V angezeigt. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin sei ALG II nicht zu Unrecht bezogen worden. Hierfür sei im Rahmen der im Anordnungsverfahren nur möglichen überschlägigen Prüfung nichts ersichtlich, zumal die Leistungsgewährung nicht rückwirkend aufgehoben worden sei. Der Bezug des ALG II sei damit zumindest formell rechtmäßig gewesen. Die Antragsgegnerin sei im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V grundsätzlich an die Entscheidung nach dem SGB II gebunden. Ein eigenes Prüfungsrecht stehe ihr nicht zu. Hinsichtlich der ausgeworfenen vorläufigen Feststellung sei auch ein Anordnungsgrund gegeben. Die Dringlichkeit entfalle entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht schon deshalb, weil die medizinische Versorgung des Antragstellers über § 264 Abs. 2 SGB V gesichert werden könne. Der Verweisung auf § 264 Abs. 2 SGB V stehe die grundsätzliche Subsidiarität der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 SGB XII) entgegen. Soweit die Antragsgegnerin eine Verpflichtung des – mit Beschluss vom 26. Juni 2007 – beigeladenen Landes Berlin festgestellt haben wolle, die Krankenbehandlung des Antragstellers von der Antragsgegnerin durchführen zu lassen und eine entsprechende Anmeldung nach § 264 Abs. 2 SGB V zu erstellen, sei keine Rechtsverletzung durch die Beigeladene ersichtlich, die mit der Unterlassung der Anmeldung verbunden sein könnte.

Gegen den ihr am 04. Juli 2007 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 17./19. Juli 2007:

Das Sozialgericht habe zu Unrecht einen Anordnungsanspruch angenommen, weil durch Art. 2a des Gesetzes vom 22. Dezember 2005 mit Wirkung vom 31. Dezember 2005 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V geändert und das Beitrittsrecht für den Fall eingeschränkt worden sei, dass ALG II zu Unrecht bezogen worden sei. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sei damit der materiell zu Unrecht erfolgte Bezug von ALG II gemeint und nicht allein der formell zu Unrecht erfolgte Bezug nach rückwirkender Aufhebung des entsprechenden Bescheides. Zudem sei ein Anordnungsgrund nicht gegeben, weil die statusrechtliche Feststellung einer freiwilligen Versicherung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht zulässig sei (Hinweis auf LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Oktober 2006, L 9 B 330/06 KR ER).

Der Antragsteller hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Die angefochtene Entscheidung sei eindeutig und klar formuliert, ebenso wie die von ihm genannte Entscheidung des hessischen LSG.

Der Beigeladene hat sich nicht zur Beschwerde geäußert.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht festgestellt, dass der Antragsteller der freiwilligen Krankenversicherung beigetreten ist. Eine derartige Feststellung hat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht zu ergehen. Das Sozialgericht hat die Voraussetzungen für den einstweiligen Rechtsschutz nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG im Rahmen einer "Regelungsanordnung" zu Unrecht als gegeben angesehen, insbesondere zu Unrecht angenommen, dass die seitens des Antragstellers begehrte Feststellung vorläufig im Anordnungsverfahren zu ergehen hat. In so weit bestehen bereits Zweifel, ob es für eine derartige Feststellung einen Anordnungsanspruch gibt, denn aus den gesetzlichen Vorschriften ergibt sich - anders als z.B. nach § 7a SGB IV - nicht, dass die Antragsgegnerin verpflichtet wäre, der Antragsstellerin gegenüber das Bestehen einer Mitgliedschaft nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V zu bestätigen. Die Mitgliedschaft nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V beginnt vielmehr gemäß § 188 SGB V mit dem schriftlich erklärten Beitritt nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht als ALG II Bezieher. Eines weiteren Handels seitens der Antragsgegnerin bedarf es insoweit nicht, ebenso wenig des diesen Beitritt feststellenden Beschlusses des Sozialgerichts.

Dies kann jedoch letztlich dahinstehen, denn ein Anordnungsgrund für die begehrte Feststellung besteht nicht. Wenn das SGG insoweit die Feststellungsklage ermöglicht (§55 SGG), müssen im Eilverfahren neben dem grundsätzlich erforderlichen Feststellungsinteresse besondere Gründe die beschleunigte Feststellung erfordern. Diese liegen hier nicht vor.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist ein Anordnungsgrund dann anzunehmen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. In so weit bedeutet die Regelung eines vorläufigen Zustandes, dass die Hauptsache grundsätzlich nicht vorweg genommen darf. Vorwegnahme der Hauptsache ist lediglich dann zulässig, wenn sonst Rechtsschutz nicht erreichbar und dies für den Antragsteller unzumutbar wäre (Meyer-Ladewig / Keller / Leiterer, SGG, 8. Auflage, §86b Rdnr. 31.) Es ist nicht ersichtlich, welcher wesentliche Nachteil dem Antragssteller bei Unterbleiben der begehrten Feststellung droht. Die Feststellung des Bestehens der Mitgliedschaft bzw. - wie beantragt - der Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung hat keinen vollstreckbaren Inhalt (Meyer-Ladewig, a.a.O. § 55 Rdnr. 19). Hierzu ist auch dem seitens des Antragstellers angeführten Beschluss des hessischen LSG nichts zu entnehmen, wo lediglich auf die zugrunde liegende Entscheidung des Sozialgerichts wie folgt hingewiesen wird: "Der Antragsteller könne wegen des Nachranges der Krankenhilfe aufgrund freiwilliger Versicherung nicht von vornherein auf die Leistungen nach dem SGB XII verwiesen werden. Insoweit könnten auch negative Kompetenzkonflikte entstehen, da die hiesige Entscheidung keine materielle Rechtskraft gegenüber dem Sozialhilfeträger entfalte. Demgegenüber seien die Interessen der Antragsgegnerin durch die gezahlten Beiträge hinreichend gewahrt." Der erkennende Senat vermag diesen Ausführungen nichts zur Eilbedürftigkeit im Hinblick auf die im hier angefochtenen Beschluss geregelte Feststellung zu entnehmen.

Allein dass der Antragsteller aufgrund von Krankheit Leistungen beanspruchen will, stellt keinen Anordnungsgrund dar, denn in so weit steht es ihm frei, bei einer notwendigen Kranken(haus)behandlung (W-Krankenhaus) den Leistungsanspruch gegenüber der Antragsgegnerin geltend zu machen. Diese wird – ggf. als vorläufige Leistung nach § 43 SGB I – über den Leistungsanspruch zu entscheiden haben und im Falle der Ablehnung wäre in so weit einstweiliger Rechtsschutz nach § 86b Abs. 2 SGG zulässig. Da in so weit effektiver Rechtsschutz möglich ist, besteht jedenfalls kein Grund dafür, vorab wegen "Dringlichkeit" das Bestehen einer Mitgliedschaft bzw. eines Beitritts des Antragstellers festzustellen.

Da nach Auffassung der Antragsgegnerin auch ein Anspruch gemäß § 264 Abs. 2 SGB V besteht und dieser nicht zur Voraussetzung haben soll, dass zuvor eine Meldung (durch den Beigeladenen) erfolgt sei, ist nicht ersichtlich, woran die ggf. erforderliche Krankenbehandlung scheitern soll. Die vom Sozialgericht angeführte Nachrangigkeit der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 SGB XII) betrifft die Frage, auf welcher Grundlage letztlich die Versicherung bzw. Leistungsgewährung erfolgt. Im Rahmen eines Anordnungsgrundes ist dies für den Betroffenen jedoch regelmäßig unerheblich, für ihn ist es zur Vermeidung erheblicher Nachteile nur erforderlich, dass er die notwendigen Leistungen erhält.

Soweit der Antragsteller beim Sozialgericht auch beantragt hatte, ihm Leistungen der Krankenversicherung zu gewähren, hat das Sozialgericht sich dazu nicht geäußert. Da der Antragsteller selbst den Beschluss nicht angefochten hat, bedarf es hierzu auch keiner Entscheidung des Senats. Hinzuweisen ist lediglich darauf, dass der konkrete Bedarf an Leistungen zunächst bei der Antragsgegnerin geltend zu machen wäre. Im Übrigen erhalten auch Berechtigte nach § 264 Abs. 2 SGB V eine Versichertenkarte (§ 264 Abs. 3 SGB V).

Mit dem 09. Senat des LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 24. Oktober 2006 – L 9 B 330/06 KR ER) ist der Senat insgesamt der Auffassung, dass die Feststellung des Status als Versicherter einer bestimmten Versichertengruppe im Wege der Regelungsanordnung nicht begehrt werden kann. Dementsprechend war der angefochtene Beschluss aufzuheben und der Antrag abzuweisen.

Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet. Das Sozialgericht hat zutreffend ausgeführt, dass der Antragsgegnerin kein eigenes subjektives Recht auf Durchführung der Anmeldung nach § 264 Abs. 2 SGB V zusteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 193 SGG. Das teilweise Unterliegen der Antragsgegnerin fällt als geringfügig nicht ins Gewicht.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden.
Rechtskraft
Aus
Saved