L 29 AS 230/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 55 AS 4503/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 29 AS 230/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Es wird festgestellt, dass das unter dem Aktenzeichen L 29 AS 831/06 registrierte Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg durch die Berufungsrücknahme vom 01. Februar 2007 beendet ist. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer am 01. Februar 2007 erklärten Berufungsrücknahme. Der Kläger begehrt die Weiterführung des Berufungsverfahrens und die Zahlung von Arbeitslosengeld II in Höhe der früher bezogenen Arbeitslosenhilfe, und zwar jetzt noch für den Zeitraum vom 01. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2005.

Der 1944 geborene Kläger bezog bis zum 31. Dezember 2004 Arbeitslosenhilfe vom Arbeitsamt Berlin-Südwest, nach seinen Angaben in Höhe von 845,44 Euro monatlich.

Mit Bescheid vom 10. November 2004 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01. Januar bis 30. Juni 2005 in Höhe von 687,26 Euro monatlich.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Eingang bei dem Beklagten am 27. Dezember 2004 Widerspruch ein.

Am 21. Februar 2005 erließ der Beklagte einen Änderungsbescheid für die Zeit vom 01. April 2005 bis 30. Juni 2005 und bewilligte - nur noch - Leistungen in Höhe von 676,01 Euro monatlich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2005 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 10. November 2004 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21. Februar 2005 zurück.

Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 10. Juni 2005 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben.

Mit Urteil vom 09. August 2006 hat das Sozialgericht Berlin den Bescheid vom 21. Februar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2005 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Bezüglich der Klageabweisung hat es ausgeführt, dass ein gesetzlicher Anspruch auf Zahlung der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe der zuvor gewährten Arbeitslosenhilfezahlungen nicht bestehe, da Arbeitslosenhilfe seit dem In-Kraft-Treten des SGB II zum 01. Januar 2005 nicht mehr gewährt werde.

Gegen das dem Kläger am 21. August 2006 zugestellte Urteil des Sozialgerichts Berlin hat der Kläger am 18. September 2006 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg die unter dem Aktenzeichen L 29 AS 831/06 registrierte Berufung eingelegt, mit der er die Zahlung von Arbeitslosengeld II in Höhe von 845,44 Euro monatlich mit der Begründung begehrt hat, dass er die 58-er Regelung nicht anerkannt habe und ihm die Höhe des Geldes zugesagt worden sei. Er stehe auch heute noch dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.

Am 01. Februar 2007 hat der damalige Berichterstatter des 29. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg einen Erörterungstermin durchgeführt. In diesem hat er den Kläger auf das Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 23. November 2006, Aktenzeichen B 11 b AS 6/06 R (richtig müsste es heißen: Az. B 11b AS 1/06 R) hingewiesen. Daraufhin hat der Kläger ausweislich der Niederschrift erklärt: "Ich nehme meine Berufung zurück". Laut Niederschrift ist diese Erklärung laut diktiert und dem Kläger vorgespielt und von ihm genehmigt worden.

Mit Schreiben vom 06. Februar 2007, eingegangen beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg am 08. Februar 2007, hat der Kläger mitgeteilt, dass er die Rücknahme seines "Widerspruchs" "zurücknehmen" wolle, da er auf alle Forderungen verzichtet habe und der Richter ihn nicht richtig aufgeklärt habe. Er ist der Auffassung, dass ihm die Nachzahlung der Arbeitslosenhilfe bis zum 23. November 2006 zusteht. Das BSG habe erst zu diesem Zeitpunkt die Arbeitslosenhilfe für ältere Arbeitnehmer herabgesetzt. Der Richter habe ihn im Erörterungstermin nicht aufgeklärt, dass die Berufungsklage nicht rechtens sei. Er habe nur darauf hingewiesen, dass es ein neues Gesetz gebe und soviel geredet, dass man nicht zum Nachdenken gekommen sei.

Durch Verfügung des Vorsitzenden des 29. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. Februar 2007 ist die Sache unter dem Aktenzeichen L 29 AS 230/07 neu eingetragen worden.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass das unter dem Aktenzeichen L 29 AS 831/06 registrierte Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg durch die Berufungsrücknahme vom 01. Februar 2007 nicht beendet worden ist sowie das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 09. August 2006 und den Bescheid des Beklagten vom 10. November 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2005 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 in Höhe der ihm bis zum 31. Dezember 2004 gewährten Arbeitslosenhilfe (845,44 EUR) monatlich zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

festzustellen, dass das unter dem Aktenzeichen L 29 AS 831/06 registrierte Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg durch die Berufungsrücknahme vom 01. Februar 2007 beendet worden ist,

hilfsweise,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligen wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten und der Akten des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg zum Aktenzeichen L 29 AS 831/06 sowie die Akten des Beklagten den Kläger betreffend (Nr. der Bedarfsgemeinschaft , die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Bei einem Streit über die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme wird das Verfahren vor dem Landessozialgericht weitergeführt. Dieses entscheidet durch Urteil entweder dahin, dass der Rechtsstreit durch Zurücknahme erledigt ist, oder zur Sache (Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage, § 156 Rdnr. 6).

Der Antrag des Klägers festzustellen, dass das Berufungsverfahren durch die Berufungsrücknahme nicht beendet worden ist, hat keinen Erfolg. Der Kläger hat in dem Erörterungstermin am 01. Februar 2007 die Berufung wirksam zurückgenommen, diese Zurücknahme hat gemäß § 156 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Verlust des Rechtsmittels bewirkt. Der Kläger hat mit seiner Erklärung im Erörterungstermin eindeutig und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass eine Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg in der Hauptsache nicht mehr begehrt wird. Diese Erklärung ist ihm laut der Niederschrift über den Erörterungstermin ordnungsgemäß vorgespielt worden und er hat sie genehmigt. Durch die Zurücknahme ist das Verfahren beendet und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 09. August 2006 (Aktenzeichen S 55 AS 4503/05) ist rechtskräftig geworden. Selbst wenn zutrifft dass, wie der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 26. September 2007 vorgetragen hat, ihm die Erklärung nicht vorgespielt wurde, weil am Ende des Erörterungstermins das Diktiergerät nicht mehr funktioniert habe, ist die Rücknahme trotzdem wirksam. Die Wirksamkeit der Erklärung über die Klagerücknahme ist vom Einhalten der Förmlichkeiten des § 122 SGG in Verbindung mit § 162 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht abhängig (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O:, § 102 Rdnr. 8 mit weiteren Nachweisen). Dass eine Klagerücknahme erklärt wurde, hat der Kläger nicht bestritten.

Die von dem Kläger begehrte "Rücknahme" der Berufungsrücknahme ist nicht möglich. Bei der Berufungsrücknahme handelt es sich um eine Prozesshandlung (Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 156 Rdnr. 2). Nach allgemeiner Meinung sind die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts über die Nichtigkeit und die Anfechtung auf Prozesshandlungen nicht anwendbar (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer-, a.a.O., vor § 60 Rdnr. 12).

Der Kläger kann die Berufungsrücknahme auch nicht widerrufen. Prozesshandlungen können nur unter engen Voraussetzungen widerrufen werden. Dies ist ausnahmsweise möglich, wenn Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß den §§ 179, 180 i. V. m. den §§ 578 bis 591 ZPO vorliegen (vgl. Eschner in Jansen, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, 2. Auflage, § 102 Rdnr. 23). Solche Gründe sind im vorliegenden Rechtsstreit nicht ersichtlich, der Kläger macht derartige Gründe auch nicht geltend.

Ein Widerruf kommt auch dann in Betracht, wenn es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben, der das gesamte Recht beherrscht, unvereinbar wäre, einen Beteiligten an einer von ihm vorgenommenen Prozesshandlung festzuhalten (vgl. Bundesverwaltungsgericht - BVerwG, Beschluss vom 07. August 1998, Aktenzeichen 4 B 75/98, juris-Ausdruck Rdnr. 3 m.w.N., weitere Fundstelle NVwZ-RR 1999, 407). Unter der Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben kann auch eine Rolle spielen, ob ein Beteiligter durch eine richterliche Belehrung oder Empfehlung zu einer bestimmten Erklärung veranlasst worden ist (vgl. BVerwG, a.a.O.). Von Bedeutung kann dies jedoch nur sein, wenn der entsprechende Hinweis fehlerhaft war und der Kläger aus diesem Grund sein Rechtsmittel zurückgenommen hat. Dies ist vorliegend nicht gegeben. Der Hinweis des Berichterstatters auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. November 2006, Aktenzeichen B 11 b AS 1/06 R war zutreffend, da das Bundessozialgericht darin entschieden hatte, dass die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zugunsten der Grundsicherung für Arbeitsuchende auch bei Abgabe einer Erklärung nach § 428 Abs. 1 SGB III verfassungsgemäß ist. Der Hinweis auf die mangelnde Erfolgsaussicht in dem vergleichbaren Fall des Klägers ist daher unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht zu beanstanden.

Die Berufungsrücknahme des Klägers ist danach wirksam. Das unter dem Aktenzeichen L 29 AS 831/06 registrierte Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ist beendet. Es ist daher durch Urteil festzustellen, dass das Verfahren durch Berufungsrücknahme beendet ist (vgl. Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 156 Rdnr. 6 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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