L 16 R 839/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 17 R 589/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 839/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. April 2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 Nummer 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 01. Januar 1983 bis 30. September 1985 als Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVTI) sowie die entsprechenden Arbeitsentgelte festzustellen.

Der 1936 geborene Kläger erwarb nach einem Studium an der T U (TU) D in der früheren Deutschen Demokratischen Republik (DDR) den akademischen Grad "Diplom-Chemiker" (Urkunde vom 15. März 1965). Er war ab 15. Februar 1970 wie folgt beschäftigt: bis zum 31. Dezember 1974 bei dem F für die G, E und t M in B (wissenschaftlicher Mitarbeiter), vom 01. Januar 1975 bis 31. Dezember 1982 bei dem I für die G und G (wissenschaftlicher Mitarbeiter), vom 01. Januar 1983 bis 30. September 1985 bei dem V B (VEB) W-T Z (W) der G und G (wissenschaftlicher Mitarbeiter) und anschließend bis 30. Juni 1990 und darüber hinaus bei der A der W der DDR – Z für P C – (wissenschaftlicher Mitarbeiter). Mit Wirkung vom 01. November 1986 war der Kläger der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) beigetreten. Eine Versorgungszusage hatte er nicht erhalten.

Mit Bescheid vom 10. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Januar 2005 stellte die Beklagte die Zeiten vom 15. Februar 1970 bis 31. Dezember 1982 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nummer 4 der Anlage 1 zum AAÜG und die Zeiten vom 01. Oktober 1985 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nummer 5 der Anlage 1 zum AAÜG sowie die insoweit erzielten Arbeitsentgelte fest; sie lehnte es ab, auch die Zeit vom 01. Januar 1983 bis 30. September 1985 als Zugehörigkeitszeit zum Zusatzversorgungssystem Nummer 4 der Anlage 1 zum AAÜG bzw. als Zugehörigkeitszeit zur AVTI festzustellen, weil der Kläger insoweit nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens beschäftigt gewesen sei.

Mit der Klage hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verpflichten, Zugehörigkeitszeiten zur AVTI, hilfsweise zur Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen (AVI), vom 01. Januar 1983 bis 30. September 1985 festzustellen. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat diese Klage mit Urteil vom 27. April 2007 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Vormerkung der geltend gemachten Zeiten nach § 5 Abs. 1 AAÜG. Er unterfalle als Diplom-Chemiker im streitgegenständlichen Zeitraum nicht dem persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl. I S. 844; AVTI-VO) i. V. mit § 1 der 2. Durchführungsbestimmung (2. DB) zur AVTI-VO vom 24. Mai 1951 (GBl. S. 487). Die Beschäftigung bei dem V W der G und G in dem in Rede stehenden Zeitraum werde auch nicht von dem Anwendungsbereich der Verordnung über die AVI vom 12. Juli 1951 (GBl. S. 675) erfasst. Denn ein VEB könne kein Forschungsinstitut im Sinne von § 6 AVI-VO darstellen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger (nur) noch sein Begehren auf Vormerkung von Zugehörigkeitszeiten zur AVTI vom 01. Januar 1983 bis 30. September 1985 weiter. Er trägt vor: Sein an der TU D absolviertes Chemiestudium gewährleiste, dass er über eine Qualifikation verfüge, die mindestens mit der eines Chemie-Ingenieurs gleichzusetzen sei. Er habe unmittelbar nach Abschluss seines Studiums als Prüfingenieur gearbeitet. Mit der von ihm erworbenen Qualifikation sei grundsätzlich auch ein Einsatz als Ingenieur oder Techniker möglich gewesen. Im Übrigen sei in der früheren DDR geregelt worden, dass mit Chemikern Einzelverträge abgeschlossen werden sollten, die automatisch den Anspruch auf eine zusätzliche Altersversorgung gesichert hätten.

Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich der Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. April 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Januar 2005 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, die Beschäftigungszeiten vom 01. Januar 1983 bis 30. September 1985 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz und die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren zum Verfahren eingereichte Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Zusatzversorgungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung des Klägers, mit der dieser (nur) noch seine erstinstanzlich erhobenen und statthaften Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs. 1 SGG) auf Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zur AVTI nebst der insoweit erzielten Arbeitsentgelte vom 01. Januar 1983 bis 30. September 1985 weiter verfolgt, ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen mit den genannten Klagen durchsetzbaren Anspruch gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 i. V. mit Abs. 1 AAÜG auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie gegebenenfalls der entsprechenden Arbeitsentgelte gemäß § 8 Abs. 2 AAÜG in dem in Rede stehenden Zeitraum.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Feststellung von Tatbeständen gleichgestellter Pflichtbeitragszeiten vom 01. Januar 1983 bis 30. September 1985 ist § 5 Abs. 1 AAÜG. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind indes nicht erfüllt. Zeiten der Zugehörigkeit des Klägers zur AVTI in der Zeit vom 01. Januar 1983 bis 30. September 1985 liegen nicht vor, und zwar unabhängig davon, ob die Vorschriften des AAÜG überhaupt auf den Kläger Anwendung finden. Dem Kläger war nämlich in der früheren DDR weder eine Versorgungszusage erteilt worden, noch hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 10. Februar 2003 eine positive Statusentscheidung über die Anwendbarkeit des AAÜG getroffen. Aus der bloßen Anwendung der Vorschriften des AAÜG kann auf eine derartige eigenständige Feststellung nicht geschlossen werden (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 S. 10; BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 – B 4 RA 11/04 R – veröffentlicht in juris). Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob bei dem Kläger die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erteilung einer "fiktiven" Versorgungszusage in erweiternder Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG nach dem bei Inkrafttreten des AAÜG am 01. August 1991 gültigen Bundesrecht und aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen tatsächlichen Umstände aus bundesrechtlicher Sicht vorgelegen haben. Denn selbst wenn dies zu unterstellen wäre, stünde dem Kläger kein Anspruch auf Feststellung der geltend gemachten Zugehörigkeitszeiten zur AVTI als Tatbestände gleichgestellter Pflichtbeitragszeiten nach § 5 AAÜG zu.

Nach dem hier allein in Betracht zu ziehenden Versorgungssystem der AVTI liegt eine Zeit der Zugehörigkeit zu diesem Versorgungssystem nur vor, wenn der Kläger 1. die Berechtigung hatte, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und 2. eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt hat (sachliche Voraussetzung), und zwar 3. in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs. 1 der 2. DB) oder in einem durch § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung; vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 S. 40 und Nr. 8 S. 74; Urteil vom 10. April 2002 – B 4 RA 32/01 R – veröffentlicht in juris). Dabei sind die jeweiligen Versorgungsordnungen i. V. mit den einschlägigen DB sowie den sonstigen, sie ergänzenden bzw. ausfüllenden abstrakt-generellen Regelungen lediglich faktische Anknüpfungspunkte dafür, ob in der DDR nach dem Stand der Versorgungssysteme am 30. Juni 1990 (vgl. § 5 Abs. 2 AAÜG) eine Beschäftigung ihrer Art nach von einem Versorgungssystem erfasst war. Es kommt insoweit weder auf die Auslegung der Versorgungsordnungen durch die Staatsorgane der DDR noch auf deren Verwaltungspraxis an (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 3 S. 22; BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 – B 4 RA 11/04 R –).

Mit seiner Beschäftigung in der Zeit vom 01. Januar 1983 bis 30. September 1985 erfüllte der Kläger jedenfalls nicht die persönliche Voraussetzung für eine Zeit der Zugehörigkeit zur AVTI. Denn er war in dieser Zeit nach dem Stand der Versorgungssysteme am 30. Juni 1990 nicht befugt, den Titel eines Ingenieurs oder Technikers zu tragen (vgl. BSG, Urteil vom 31. Juli 2002 – B 4 RA 62/01 R – veröffentlicht in juris). Zwar gehören nach § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB der technischen Intelligenz u. a. "Ingenieure und Techniker" aller Spezialgebiete an. Nicht entscheidend ist bei diesen Berufen, welche Tätigkeiten ein Beschäftigter verrichtete, denn bezüglich der Berufsgruppen der Ingenieure und Techniker erfüllte ein Beschäftigter in der DDR die persönlichen Voraussetzungen nur, wenn ihm aufgrund eines staatlichen Akts das Recht verliehen worden war, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 8 S. 77) oder "Techniker" (vgl. BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004 – B 4 RA 35/04 R – veröffentlicht in juris ) zu führen. Eine solche Berechtigung war dem Kläger – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - nicht zuerkannt worden (vgl. zum Diplom-Chemiker: BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 8). Der Kläger war im Übrigen auch nicht berechtigt, die Berufsbezeichnung "Konstrukteur" zu führen und er war nach seinem Vorbringen auch nicht als Konstrukteur tätig. Er hatte in dem in Rede stehenden Zeitraum keine konkrete Arbeitsaufgabe in dem Arbeitsbereich "Konstruktion" (vgl. zum Ganzen: BSG, Urteil vom 23. August 2007 – B 4 RS 1/06 R – veröffentlicht in juris). § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB benennt die Berufsgruppe der Diplom-Chemiker, in die der Kläger einzuordnen ist, nicht (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 8).

Auch die Ausübung einer ingenieurtechnischen Tätigkeit erlaubt es nicht, den Kläger im Wege der Analogie einem Ingenieur gleichzustellen. Denn eine erweiternde Auslegung über die in der 2. DB genannten Berufsgruppen hinaus ist auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten weder geboten noch erlaubt (sog. Analogieverbot; vgl. BSG aaO). Diese Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt (vgl. z. B. Beschluss vom 04. August 2004 – 1 BvR 1557/01 = SozR 4-8570 § 5 Nr. 4; Beschluss vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04 = SozR 4-8560 § 22 Nr. 1). Der Kläger kann sich auch nicht auf eine in der 2. DB vorgesehene einzelvertragliche (Ermessens-)Entscheidung berufen, ebenso wenig wie auf andere Regelungen, die eine einzelvertragliche – mögliche – Einbeziehung in ein Versorgungssystem vorsahen. Denn eine Einzel-(Ermessens-)Entscheidung könnte allein aus der Sicht der DDR und nach deren Maßstäben getroffen werden. Sie darf infolgedessen auf Grund dieser bundesrechtlich nicht nachvollziehbaren Grundlage nicht rückschauend ersetzt werden (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 4).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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