L 10 B 1895/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 104 AS 25229/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 B 1895/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. Oktober 2007 insoweit aufgehoben, als die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet worden ist, den Antragstellern 1108,50 EUR auf Darlehensbasis zu zahlen. Deren Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden auch insoweit abgelehnt. Außergerichtlichen Kosten sind nicht zu erstatten. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwältin B R bewilligt.

Gründe:

I.

Die in Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragsteller (Ast), allein erziehende und allein das Sorgerecht innehabende Mutter (Ast 1) und ihr 1994 geborener Sohn (Ast 2), beziehen laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie begehren im Wege einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin (Agegn), die Kosten für einen Laptop der Firma Apple nebst Zubehör in Höhe von insgesamt 1108,50 EUR als Zuschuss, hilfsweise als Darlehen, zu übernehmen.

Der Ast 2 besucht seit diesem Schuljahr eine von drei siebten Klassen der F-B-Oberschule in S-Z. Eine dieser drei Klassen ist eine so genannte "MacBook-Klasse". In einer solchen Klasse arbeiten die Schüler im Rahmen eines Projektes zur Förderung von Medienkompetenz, das bislang von vier Berliner Oberschulen mit Unterstützung der Schulaufsicht praktiziert wird, im Unterricht und zuhause mit einem Laptop der Firma Apple, den sie bzw. ihre Eltern käuflich erwerben müssen. Lieferant der Geräte ist die HSG Consult GmbH (C-GmbH), die zudem die Fortbildung der beteiligten Lehrer begleitet. Nach Angaben des Schulleiters der F-B-Oberschule ist der Einsatz eines anderen (preiswerteren) Laptops nicht praktikabel, da die Unterrichtsdauer Geräte mit beträchtlicher Akku-Leistung erfordert und die Schüler mit denselben Programmen arbeiten sollten. Die Teilnahme an dem Schulprojekt ist freiwillig, ein besonderes Auswahlverfahren hat für das laufende Schuljahr jedenfalls an der F-B-Oberschule, wo 25 Schüler an der "MacBook-Klasse" teilnehmen, nicht stattgefunden.

Dort wurde das Projekt für das laufende Schuljahr wie folgt in Gang gesetzt: Nach elterlicher Anmeldung für die "MacBook-Klasse" kaufte die Schule (für das Land Berlin als Körperschaft des öffentlichen Rechts) die Geräte im Wege einer Sammelbestellung bei der C-GmbH zum (Vorzugs-)Grundpreis von 969,- EUR pro Stück. Unter dem 06. September 2007 bestellte die Ast 1 für den Ast 2 außerdem – für die Teilnahme an der "MacBook-Klasse" nicht zwingend erforderliches - Zubehör (u. a. ergänzende Software und eine Schutzhülle) zum Preis von insgesamt 139,50 EUR, das wiederum von der Schule bei der C-GmbH erworben wurde. Die Laptops nebst Zubehör wurden den Schülern am 12. Oktober 2007, dem letzten Schultag vor den Herbstferien, ausgehändigt. Auch der Ast 2 erhielt ein Gerät mit den nachbestellten Zusatzprodukten, obwohl die Ast 1 den Kaufpreis von insgesamt 1108,50 EUR (969,- EUR + 139,50 EUR) noch nicht – wie vorgesehen – auf ein Konto der Schule überwiesen hatte. Der Betrag ist bis heute offen, die übrigen 24 Laptops sind nach Angaben der Ast hingegen bezahlt. Der Unterricht mit den MacBooks begann am 22. Oktober 2007.

Den am 07. September 2007 bei der Agegn eingegangenen Antrag auf Übernahme der Kosten von 1108,50 EUR lehnte diese mit - angefochtenem - Bescheid vom 10. September 2007 mit der Begründung ab, der geltend gemachte Bedarf sei von der Regelleistung abgedeckt und im Übrigen nicht unabweisbar im Sinne von § 23 Abs. 1 SGB II.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Agegn mit Beschluss vom 16. Oktober 2007 im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, den Ast die begehrten 1108,50 EUR auf Darlehensbasis zu zahlen, und den auf zuschussweise Leistungsgewährung gerichteten Eilantrag abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Bei dem Laptop handele es sich um einen Gegenstand, der aus der Regelleistung des § 20 SGB II zu finanzieren sei. Es liege diesbezüglich auch ein unabweisbarer Bedarf im Sinne von § 23 Abs. 1 SGB II vor, da der Ast 2 das Gerät im bereits laufenden Schuljahr benötige. Dass es sich um ein freiwilliges Schulprojekt handele, sei unerheblich. Aus Gründen der Chancengleichheit müsse auch einem Bezieher von Leistungen nach dem SGB II die Teilnahme an dem Projekt ermöglicht werden. Es bestehe ein Anordnungsgrund, da für den Ast 2, der bei Verweigerung der Kostenübernahme die "MacBook-Klasse" verlassen müsse, ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren zu spät käme.

II.

Die Beschwerde der Agegn gegen die Verpflichtung zur darlehensweisen Leistungsgewährung ist begründet. Das SG hat sie zu Unrecht zur einstweiligen Leistung an die Ast verpflichtet.

Der Anordnungsanspruch ist ausgehend vom ursprünglichen Bedarf zu beurteilen. Dies war der Bedarf des Ast 2, ihm einen Laptop bestimmten Typs nebst Zubehör zur Verfügung zu stellen bzw. die Beschaffungskosten zu übernehmen. Es geht damit um den Bedarf des Schülers, bezüglich dessen im vorliegenden Anordnungsverfahren zu fragen ist, ob er im Hauptsacheverfahren mit jedenfalls überwiegender Wahrscheinlichkeit obsiegen, ihm mithin voraussichtlich ein Anspruch auf den Laptop zugesprochen werden wird (Anordnungsanspruch, dazu 1.), und ob für die begehrte einstweilige Regelung Eilbedürftigkeit besteht (Anordnungsgrund, dazu 2.). Dass der Laptop hier im Vorgriff auf die nunmehr geltend gemachte Leistungserbringung beschafft und dem Ast 2 zur Verfügung gestellt worden ist (von der Schule aufgrund der "Kostenzusage" der Ast 1), verschiebt die Zuordnung des Anspruchs nicht; insbesondere ist die materiellrechtlich und prozessual zu beurteilende Bedarfslage nicht in der Weise "ausgewechselt", dass es nunmehr auf die rechtlichen Voraussetzungen und die Dringlichkeit dafür ankäme, ob die Verbindlichkeiten, die die Ast 1 gegenüber der Schule eingegangen ist, zu decken sind. Die Erwägungen zum Anordnungsgrund haben dabei allerdings die reale Sachlage zu berücksichtigen, die durch die tatsächliche Überlassung des Laptops geprägt ist.

1. Die Prüfung eines Anspruchs des Ast 2 auf den in Rede stehenden Laptop nebst Zubehör bzw auf Übernahme der Beschaffungskosten, wirft schwierige Fragen auf, die in diesem Eilverfahren nicht beantwortet werden müssen. So könnte es an einer Hilfebedürftigkeit des Ast 2 fehlen, weil eine anderweitige Hilfsmöglichkeit besteht (vgl. §§ 9 Abs. 1, 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Es erscheint angesichts der grundsätzlichen Lehr- bzw Lernmittelfreiheit (vgl. § 1 Abs. 1 und 2 der Berliner Lernmittelverordnung) nicht fern liegend, dass eine - öffentliche – Schule, die eine mit erheblichen Kosten verbundene "MacBook-Klasse" anbietet, trotz Freiwilligkeit der Teilnahme dafür Vorsorge zu treffen hat, dass der Zugang nicht ausnahmslos Schülern versperrt ist, deren Eltern die Kosten nicht aufbringen können. Man wird angesichts dessen zum Nachweis der Hilfebedürftigkeit wohl verlangen können, dass sich die Ast bei der Schule nachdrücklich um eine kostenfreie (etwa leihweise) Überlassung der notwendigen Ausstattung mit dem Laptop bemühen. Dass solche Selbsthilfebemühungen (vgl. dazu Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 9 Rdnr 17ff) bereits in hinreichendem Umfang stattgefunden hätten, ist nicht erkennbar. Sie erscheinen auch nicht etwa im Hinblick darauf als aussichtslos, dass der Schulleiter den Ast im Schreiben vom 02. November 2007 mitgeteilt hat, es bestehe keine Möglichkeit der Ausleihe von MacBooks durch die Schule. Denn hierbei handelt es sich um eine allgemeine Erklärung, die offenbar weder die dargestellte Problematik der "MacBook-Klassen" ohne Zugangsmöglichkeit unabhängig von der Finanzlage der Eltern noch die hier eingetretene Besonderheit berücksichtigt, dass das fragliche (als einziges unbezahlt gebliebene) Gerät bereits von der Schule gekauft ist und daher zur Ausleihe zur Verfügung stünde.

Ferner bedarf es für die begehrte (darlehensweise) Leistungserbringung abweichend vom Regelsatz gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II einer eingehenderen Prüfung, ob es sich bei dem Laptop nebst Zubehör um einen Bedarf handelt, der von der Regelleistung umfasst ist. Das versteht sich gerade auch in Ansehung des Alters des Ast 2, des Preises und der Qualität des in Rede stehenden Geräts nebst - für die Teilnahme an der Klasse nicht zwingend erforderlichem - Zubehör sowie des Umstandes, dass es als Unterrichtsmittel an einer öffentlichen Schule benötigt wird, keineswegs von selbst.

All dies kann hier dahin stehen und einer Prüfung im Hauptsacheverfahren bleiben.

2. Denn es ist ein Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der begehrten einstweiligen gerichtlichen Regelung - nicht glaubhaft gemacht.

Der Ast 2 hat den Laptop nunmehr bereits seit mehreren Wochen und verwendet ihn längst im Unterricht. Mit der Übergabe des Geräts vor gut einem Monat ist allem Anschein nach auch das Eigentum daran entweder an den Ast 2 oder die allein sorgeberechtigte Ast 1 übergegangen, die es offenbar selbst oder in seiner Vertretung von der Schule bzw dem Land Berlin käuflich erworben hat. Dass sich letzteres das Eigentum bis zur (vollständigen) Kaufpreiszahlung vorbehalten hätte (vgl. § 449 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)), ist nicht erkennbar. Nach erfolgtem Übergang von Besitz und Eigentum an dem Laptop nebst Zubehör könnte die erforderliche Dringlichkeit nur noch im Hinblick auf ein mögliches Herausgabeverlangen von Seiten der Schule nach einem etwaigen Rücktritt vom Vertrag wegen ausbleibender Kaufpreiszahlung oder im Hinblick auf das Risiko weiterer Kosten im Falle einer gerichtlichen Geltendmachung des Zahlungsanspruchs oder gar einer Vollstreckung bestehen. Dass die Schule bzw das Land Berlin in absehbarer Zeit derlei Maßnahmen ergreifen könnte, ist hier indes auch nicht ansatzweise ersichtlich, geschweige denn glaubhaft gemacht. Das bisherige Verhalten der Schule, die mit der Aushändigung des Gerätes ohne Sicherung des Zahlungsanspruchs in Vorleistung gegangen ist und die Ast 1 soweit ersichtlich bislang nicht zur Zahlung oder gar Rückgabe des MacBooks gedrängt hat, spricht im Gegenteil eher dafür, dass sie bereit sein wird, das laufende Hauptsacheverfahren abzuwarten. Zudem wird ein zurückgegebener (gebrauchter) Laptop für die Schule von nur begrenztem Nutzen und sie bestrebt sein, einen damit einher gehenden Klassenwechsel des Ast 2 im laufenden Schuljahr nach Möglichkeit zu vermeiden. Schließlich wird die Schule womöglich auch im Hinblick auf die dargestellte öffentlich-rechtliche Problematik des vorliegenden Projektes einstweilen von der Beschreitung des Zivilrechtsweges bzw der Erzwingung eines Klassenwechsels absehen, zumal hier nur der Kaufpreis für einen Laptop aussteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Den bedürftigen Ast war schon angesichts der stattgebenden Entscheidung erster Instanz Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung ihrer Bevollmächtigten zu gewähren.

Diese Entscheidungen sind nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved