L 10 AS 1403/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 53 AS 4714/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 1403/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. November 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Mit der Klage begehrt der Kläger Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab 01. Januar 2005.

Der 1945 in B geborene und damals im Bezug von Arbeitslosengeld stehende Kläger beantragte am 08. Oktober 2004 die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II. In seinem Antrag gab er an, Eigentümer eines 1.490 qm großen Grundstücks in der V Allee in B-K (Verkehrswert 135.000,00 Euro), zweier Eigentumswohnungen (Wohnung Nr. 3 erworben am 08. August 1990 für 230.000,- DM; Wohnung Nr. erworben am 10. Juli 1992 für 185.000,- DM) und eines Ladenlokals (Gewerberäume Nr. erworben am 27. Mai 1985 für 365.000,- DM) im Haus Mstraße in B-C zu sein. Weiter gab er eine Lebensversicherung bei der A (Rückkaufwert am 12. Juli 2004: 7.179,20 Euro) und zwei Versicherungen bei der I Lebensversicherungs aG (LV 9.205.886/6-0020: Rückkaufwert am 21. Mai 2004: 12.271,62 Euro; LV 9.203.291/1-0020: Rückkaufwert am 24. Juni 2004: 21.975,92 Euro) an. Er bewohne die Wohnung Nr. 6 selbst. Ein Zimmer habe er an seine Ehefrau, von der er – so sein Vortrag - seit 1992 dauernd getrennt lebe, untervermietet.

Mit Bescheid vom 02. Februar 2005 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen ab, da das zu berücksichtigende Vermögen von insgesamt 34.247,54 Euro die Grundfreibeträge von 31.430,00 Euro übersteige. Den mit Schreiben vom 16. Februar 2005 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2005 zurück, da der Kläger seine Hilfebedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht habe. Der Gesamtwert der Immobilien belaufe sich auf cirka 225.000,- Euro.

Mit der am 17. Juni 2005 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Er sei hilfebedürftig. Der Grundbesitz stehe zum Verkauf an. Das Finanzamt sei Gläubiger der Lebensversicherungen. Er lebe von den Mieteinnahmen i.H.v. monatlich 180,- Euro, er besitze kein Telefon, kein Fernsehgerät und kein Auto.

Mit Urteil vom 11. November 2005 hat das Sozialgericht (SG) Berlin die Klage abgewiesen. Der Kläger habe für die Zeit ab 01. Januar 2005 keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, denn er sei wegen zu hohen Vermögens offenbar nicht hilfebedürftig. Es könne dahin stehen, ob die sofortige Verwertung seiner Immobilien (noch) kurzfristig möglich sei. Jedenfalls würden die Rückkaufwerte der Lebensversicherungen die Freibeträge nach § 12 Abs. 2 SGB II übersteigen. Dass die Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich sei oder für den Kläger eine besondere Härte bedeuten würde, sei nicht erkennbar. Im Übrigen seien die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Klägers völlig ungeklärt. Es sei nicht nachvollziehbar, dass er seinen Lebensunterhalt mit 180,- Euro Untermieteinnahmen bestreite. Es liege die Möglichkeit nahe, dass der Kläger von seiner angeblich getrennt lebenden Ehefrau, mit der er in einer Wohnung lebe und die ihn im Klageverfahren vertrete, unterstützt werde.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Die Vermögensverhältnisse seien unrichtig gewürdigt worden. Versicherungsnehmer der Lebensversicherung bei der I Versicherung AG (Vs Nr. 9.203.291/35) sei die frühere Einzelfirma seiner Ehefrau gewesen. Ausweislich des Schreibens der Versicherung vom 11. Januar 2006 sei der Rückkaufswert von 7.027,- Euro sowie das Überschussguthaben von 16.070,05 Euro abzüglich einer Forderung des Finanzamtes C (Pfändungsgläubigers) in Höhe von 163,45 Euro an die Versicherungsnehmerin und nicht an ihn ausgezahlt worden. Auch bei der weiteren Lebensversicherung bei der I Versicherung (VS-Nr. 9.205.886/6-35) mit einem Rückkaufswert per 01. Januar 2006 von 6.196,- Euro und einem Überschussbeitrag von 6.712,37 Euro sei die Einzelfirma seiner Ehefrau Versicherungsnehmerin. Der Wert von 13.046,12 Euro sei an seine von ihm getrennt lebende Ehefrau ausgezahlt worden. Die weitere Lebensversicherung bei der A sei in Höhe von 7.515,60 Euro vom Finanzamt gepfändet. Die Eigentumswohnung Nr. 6 sei am 09. Dezember 2005 zu einem Kaufpreis von 55.000,- Euro verkauft worden. Der Kaufpreis sei in vollem Umfang an die Berliner Bank abgetreten worden. Es verbleibe eine Restforderung der Bank in Höhe von 4.240,- Euro. Die Wohnung Nr. 3 und das Geschäftseigentum Nr. 4 seien zu einem Preis von 290.000,- Euro verkauft worden. Er habe nach Abzug der Kosten und eines Treuhandbetrages cirka 92.000,- Euro erhalten. Am 14. August 2006 habe er insgesamt 100.000,- Euro an einen Verwandten im I überwiesen, von dem er erhebliche Geldbeträge als Darlehen erhalten habe. Dieser Betrag setze sich zusammen aus dem Restkaufpreis von 92.059,- Euro sowie einem Teil der an seine Ehefrau ausgezahlten Versicherungssumme der I Lebensversicherung, die diese an ihn weitergeleitet habe. Bei dem Grundstück in der V Allee sei die Zwangsversteigerung angeordnet worden. Der Schuldensaldo belaufe sich auf 116.083,66 Euro. Seine Ehefrau wohne nicht mehr in seiner Wohnung. Seit 01. Januar 2005 sei er in wechselnden Zeiträumen im Ausland und in Deutschland, vornehmlich in B. Seit 19. Januar 2007 erhalte er eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. November 2005 sowie den Bescheid vom 02. Februar in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit ab dem 01. Januar 2005 Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Durch die zwischenzeitlich erfolgten Verkäufe und des Transfers eines Teils des Erlöses ins Ausland sei der Nachweis erbracht worden, dass der Kläger über verwertbares Vermögen verfügt habe. Im Fall des Obsiegens könne dem Kläger allenfalls die darlehensweise Gewährung von Leistungen zuerkannt werden, wobei die Fälligkeit des Darlehens mit der Erzielung des Veräußerungserlöses eingetreten wäre.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte, der Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Verwaltungsakte der Bundesagentur für Arbeit Bezug genommen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.

II.

Die zulässige Berufung ist nach einstimmiger Auffassung der Berufsrichter des Senats nicht begründet und eine mündliche Verhandlung ist nicht erforderlich. Das Rechtsmittel kann daher durch Beschluss zurückgewiesen werden, nachdem die Beteiligten dazu gehört worden sind (§ 153 Abs. 4 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Das SG Berlin hat die zutreffend als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage erhobene Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 02. Februar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2005 ist rechtmäßig. Dem Kläger steht im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats für die Zeit ab 01. Januar 2005 kein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II (mehr) zu.

Nach § 7 Abs. 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Nach § 12 Abs. 1 SGB II sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 4 SGB II auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde. In diesen Fällen sieht das Gesetz die Gewährung eines Darlehens vor (§ 9 Abs. 4 bzw. § 23 Abs. 5 SGB II).

Aufgrund der Vermögensverhältnisse des Klägers wäre wegen der fehlenden Möglichkeit der sofortigen Verwertung bis zum Verkauf der Immobilien bzw. bis zum wirtschaftlichen Erhalt der Kaufpreiszahlung zu einem nicht exakt feststehenden Zeitpunkt vor dem 14. August 2006 allenfalls eine Darlehensgewährung nach § 9 Abs. 4 bzw. § 23 Abs. 5 SGB II in Betracht gekommen. Nach Verwertung des Vermögens scheidet eine Darlehensgewährung im Ergebnis aus.

Bei Antragstellung war der Kläger u. a. dinglich Berechtigter an der Eigentumswohnung Nr. und des Gewerbeeigentums Nr. im Hause Mstraße in B, welche mit Kaufvertrag vom 11. April 2006 zu einem Preis von 290.000,- Euro veräußert wurden. Nach Überweisung der abgetretenen Summe gemäß Treuhandauftrag und Abzug der Kosten verblieben dem Kläger nach seinen eigenen Angaben 92.059,- Euro. Diesen Betrag zuzüglich weiterer knapp 8.000,- Euro, die der Kläger von seiner Ehefrau aus einer zwischenzeitlich an sie ausgezahlten Lebensversicherung erhielt, überwies der Kläger am 14. August 2006 an Herrn A N H aus M im I. Unabhängig von der Frage der Werthaltigkeit des weiteren Vermögens (z.B. Grundbesitz und Lebensversicherungen) und dessen Verwertbarkeit wäre damit für den Kläger in den Monaten bis zum Erhalt der Kaufpreissumme günstigstenfalls die Gewährung eines Darlehens in Betracht gekommen, weil seine Hilfebedürftigkeit (zu der sich weitere Feststellungen nach dem Argumentationszusammenhang erübrigen) bis zum Erhalt des Veräußerungserlöses allein auf der fehlenden Möglichkeit der sofortigen Verwertung beruht hätte.

Nach der tatsächlich erfolgten Verwertung und dem Erhalt liquider Mittel ist eine Verurteilung zur Gewährung eines Darlehens für in der Vergangenheit liegende Zeiträume nicht mehr möglich. Mit der Gewährung von Leistungen in Form eines Darlehens bei fehlender Möglichkeit der sofortigen Verwertung von Vermögensgegenständen wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Antragsteller aktuell nicht über liquide Mittel verfügt. Ihm soll daher mit einem Darlehen - belastet mit der Rückzahlungsverpflichtung – für die Zwischenzeit unter die Arme gegriffen werden. Eine solche vorläufige Hilfe kann aber dann nicht mehr rückwirkend verlangt werden, wenn der zu überbrückende Sachverhalt (der Verwertungsvorgang) nicht mehr vorliegt und der Sachverhalt, an den die Rückforderung anknüpfen würde, bereits verwirklicht ist. § 9 Abs. 4 SGB II bzw. § 23 Abs. 5 SGB II bestimmt eine Vorleistungspflicht der Beklagten, wobei der Vorleistungstatbestand der aktuell fehlenden Verwertung vorhandenen Vermögens unter der auflösenden Bedingung der tatsächlichen späteren Verwertung steht; diese Bedingung ist hier eingetreten.

Das Ergebnis ist zudem aus dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. § 242 Bürgerliches Gesetzbuch) zu begründen. Eine Ausprägung des Grundsatzes besagt, dass eine Leistung nicht beansprucht werden kann, die sogleich zurückgewährt werden muss. Eben diese Situation besteht für den Zeitraum bis der Kläger die Verfügungsmöglichkeit über den Kaufpreis erlangte, denn bis dahin standen ihm Leistungen allenfalls darlehensweise zu (dazu oben) und mit dem Zufluss der Mittel ist der Rückzahlungsanspruch des Leistungsträgers begründet.

Für den mit der Berufung weiter geltend gemachten Zeitraum nach der Verwertung steht dem Anspruch entgegen, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland nicht hinreichend nachgewiesen ist. Für die Zeit ab dem 01. August 2006 bestimmt nunmehr § 7 Abs. 4a SGB II, dass Leistungen nach diesem Buch nicht erhält, der sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001 (ANBA 2001, 1476) definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält. Es ist ungeklärt, in welchen Zeiträumen sich der Kläger, der für Zeiträume nach dem Auszug aus der Wohnung Mstraße keine neue Wohnanschrift in der Bundesrepublik Deutschland angegeben hat, in Deutschland aufhielt, mit der Folge, dass ein "gewöhnlicher" Aufenthalt nicht feststellbar ist. Dazu ist auch nicht mehr weiter vorgetragen worden, nachdem der Senat die Rechtserheblichkeit dieses Gesichtspunktes im Prozesskostenhilfebeschluss vom 25. Juni 2007 verdeutlicht hatte. Eine etwaige Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners ist weder vorgetragen noch nachgewiesen worden. Nach den Angaben seines Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 04. März 2007 hielt sich der Kläger seit dem 01. Januar 2005 in wechselnden Zeiträumen im Ausland und in Deutschland auf. So war er nach seinen eigenen Angaben in der Klagebegründung im Jahr 2005 in Portugal. Im Januar 2006 soll der Kläger dann zusammen mit seiner Ehefrau aus der Wohnung Mstraße ausgezogen sein. Die Ehefrau wohnt seitdem in der S Straße. Im Juli 2006 befand sich der Kläger wohl zusammen mit seiner Ehefrau nicht in Deutschland (vgl. Schriftsatz vom 22. Juli 2006, woraus im Übrigen auch Zweifel erwachsen, ob die von dem Kläger vorgetragene Trennung der Eheleute während des hier strittigen Zeitraumes noch andauerte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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