L 15 B 252/07 SO ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 7 SO 71/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 B 252/07 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Dem Antragsteller wird für das Verfahren vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung gewährt und Rechtsanwalt H- B, L-Straße E beigeordnet.

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 10. September 2007 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, als Leistung der Eingliederungshilfe die Kosten für den Aufenthalt des Antragstellers in der Dauerwohneinrichtung für erwachsene mehrfachgeschädigte chronisch Abhängigkeitskranke "S L" entsprechend der Vereinbarung zwischen dem Landesamt für Soziales und Versorgung Brandenburg und der L gGmbH vom 6. Oktober 2000 zu übernehmen. Die Verpflichtung entsteht nur unter der Bedingung, dass die nach den Vorschriften des Strafgesetzbuches angeordnete Unterbringung des Antragstellers in einem psychiatrischen Krankenhaus spätestens bis zum 31. Dezember 2007 durch gerichtliche Entscheidung zur Bewährung ausgesetzt oder für erledigt erklärt wird. Falls die Bedingung erfüllt ist, beginnt die Verpflichtung am Tag nach der Beendigung der Unterbringung und besteht ab dann bis zur Verkündung oder – soweit eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht – bis zur Zustellung einer instanzbeendenden Entscheidung in dem Rechtsstreit, der gegenwärtig beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) unter dem Aktenzeichen S 7 SO 70/07 anhängig ist, längstens jedoch für die Dauer von sechs Monaten. Im übrigen wird die Beschwerde mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beschluss des Sozialgerichts insoweit neu gefasst wird, als der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zurückgewiesen wird. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu drei Vierteln zu erstatten.

Gründe:

Dem Antragsteller war für das Verfahren vor dem Landessozialgericht Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu gewähren, weil er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann und die Sache hinreichende Erfolgsaussicht bietet (§ 73a Sozialgerichtsgesetz [SGG] in Verbindung mit §§ 114 ff. Zivilprozessordnung). Die Beschwerde ist teilweise begründet. Besteht – wie im vorliegenden Fall – ein "leistungsloser" Zustand, setzt eine einstweilige Verpflichtung zur Leistung voraus, dass bei summarischer Prüfung mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch nach materiellem Recht (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG] in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 916 Zivilprozessordnung [ZPO]; Anordnungsanspruch) und eine besondere Eilbedürftigkeit feststellbar ist (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 917, 918 ZPO; Anordnungsgrund). Soweit es nicht möglich ist, den entscheidungserheblichen Sachverhalt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes abschließend zu klären, muss eine Güterabwägung vorgenommen werden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05, Breithaupt 2005, 803). Soweit der Antragsteller die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung einer Leistung der Eingliederungshilfe in Gestalt der Kosten für seinen Aufenthalt in der Dauerwohneinrichtung für erwachsene mehrfachgeschädigte chronisch Abhängigkeitskranke "Schäferhaus Ladenburg" erstrebt, sind ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund hinreichend wahrscheinlich gemacht. Der Antragsteller gehört zu den Leistungsberechtigten der Eingliederungshilfe im Sinne des § 53 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Entgegen der Ansicht des Antragsgegners kommt eine Leistungsberechtigung nicht nur auf Grund von Persönlichkeitsstörungen nach § 3 Nr. 4 Eingliederungshilfe-Verordnung, sondern auch wegen einer Suchtkrankheit nach Nr. 3 des Paragraphen in Betracht. Nach Lage der Akten, im Besonderen unter Berücksichtigung der ergänzenden Stellungnahme des M-Krankenhauses E vom 7. Dezember 2006 in der strafrechtlichen Unterbringungssache, steht neben der Diagnose "Pädophilie" ausdrücklich die einer Störung durch schädlichen Gebrauch von Alkohol im Sinne der Krankheitsbeschreibung nach ICD-10 F 10.1 sowie die einer Akzentuierung der Persönlichkeit in Richtung dissozialer und dependent-selbstunsicherer Züge. Angesichts dessen bestehen auch keine Bedenken dagegen, dass dem Antragsteller der Zugang zu der Einrichtung "S " nach den für sie geltenden Aufnahmekriterien eröffnet ist. Die Fähigkeit des Antragstellers zur Teilhabe an der Gesellschaft ist im Sinne von § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII auch wesentlich beeinträchtigt, weil die bestehenden Behinderungen den Antragsteller noch immer daran hindern, ohne fremde Hilfe ein Leben anhand der für alle geltenden Maßstäbe zu führen. Mit Blick darauf, dass die Ziele der Eingliederungshilfe weit gesteckt sind (s. § 53 Abs. 3 SGB XII), lässt sich ein Leistungsanspruch weder damit verneinen, dass deren Leistungen nicht der Vorbeugung von Straftaten dienten noch damit, dass die Bedarfe durch andere Leistungsträger (Agentur für Arbeit für mögliche Beschäftigung/Tagesstrukturierung, Suchtberatungsstelle zur Verhinderung von Alkoholmissbrauch) sicherzustellen seien. Die Eingliederungshilfe soll die Betroffenen zum mindesten in die Lage versetzen, die eigene Situation richtig einzuordnen und anderweitige Hilfeangebote zu erkennen und zu nutzen. Diese Fähigkeit weist der Antragsteller nach Lage der Akten derzeit ersichtlich noch nicht auf. Dem lässt sich schon deshalb nicht entgegen halten, dass er sich von 1994 bis 1998 allein versorgt habe, weil zum einen die Ziele der Eingliederungshilfe nicht auf die Vermittlung haushaltspraktischer Fähigkeiten beschränkt sind und zum anderen der Antragsteller erst 1999 die Straftat begangen hat, die den derzeit bestehenden Eingliederungsbedarf sichtbar gemacht hat. Die Auffassung des Antragsgegners geht abgesehen davon schon deshalb fehl, weil er sich damit als Leistungsträger auf die passive Rolle eines Entscheiders über Leistungen zurückzöge. Dass widerspricht indessen dem Leitbild des Gesetzes, welches ihm die Aufgabe überträgt, aktiv dafür zu sorgen, dass Betroffene die notwendigen Leistungen oder zumindest Beratung und Unterstützung erhalten (s. §§ 11, 18 SGB XII, 14, 15, 17 Sozialgesetzbuch Erstes Buch). Die vom Antragsteller konkret begehrte Leistung liegt schließlich innerhalb der Grenzen des ihm zustehenden Wunsch- und Wahlrechts (§§ 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch, 9 Abs. 2 SGB XII). Die Besonderheiten seiner Behinderungen erfordern zumindest im gegenwärtigen Zeitpunkt eine vollstationäre Betreuung, wie sich aus der bereits zitierten Stellungnahme des M-Krankenhauses ergibt. Der Antragsteller hat bezüglich der begehrten Leistung der Eingliederungshilfe auch ein besonders Eilbedürfnis dargelegt. Eilrechtsschutz kann ihm nicht mit der Begründung verweigert werden, dass sich selbst bei einer Leistungsverpflichtung des Antragsgegners praktisch nichts für ihn ändere. Damit wird außer acht gelassen, dass der Antragsteller derzeit einer freiheitsentziehenden Maßnahme unterliegt und dadurch in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz betroffen ist. Dies ist auch für den vorliegenden Rechtsstreit von Bedeutung: Die Gerichte sind gehalten, sich "schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen zu stellen" (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05, Breithaupt 2005, 803). Angesichts dessen ist zu berücksichtigen, dass – wie der Beschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. Dezember 2006 deutlich zum Ausdruck bringt – die Einstellung der Unterbringung oder ihre Aussetzung zur Bewährung davon abhängen kann, wie der Antragsteller nach dem Ende der Unterbringung sozial eingebettet ist. Der Freiheit der Person als einem der herausragenden Grundrechte (s. dazu etwa Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133; Beschluss vom 6. April 1995 – 2 BvR 1087/94, NJW 1995, 3048) stehen auf seiten des Antragsgegners lediglich fiskalische Interessen gegenüber. Dem Charakter des einstweiligen Rechtsschutzes sowie der Tatsache, dass der Antragsgegner die Leistung derzeit wegen der fortdauernden Unterbringung des Antragstellers noch gar nicht erbringen kann, wird durch die Verpflichtung zur Leistung unter der aufschiebenden Bedingung einer für den Antragsteller günstigen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer sowie durch die zeitliche Begrenzung der Leistung Rechnung getragen. Unbegründet ist die Beschwerde dagegen, soweit der Antragsteller "Sozialhilfe" im Sinne von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt begehrt. Der Antragsgegner hatte insoweit seine Leistungsbereitschaft bislang nicht bestritten und mit Schriftsatz vom 23. November 2007 ausdrücklich bekundet, die Leistung zu erbringen, falls die Voraussetzungen dafür vorliegen. Damit fehlt es jedenfalls an einem Anordnungsgrund. Klarstellend war jedoch die Beschlussformel des Sozialgerichts neu zu fassen, da einstweiliger Rechtsschutz nicht mittels Klage, sondern mittels Antrags geltend gemacht wird (s.§ 86b Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 193 SGG. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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