L 21 B 1094/07 R

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 32 R 5364/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 21 B 1094/07 R
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juni 2007 aufgehoben. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits für das Klage- und Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger, der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des vor dem Sozialgericht Berlin geführten Rechtsstreits aufzuerlegen.

Dem Kläger wurde mit Bescheid vom 31. August 2004 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit gewährt. Gegen den Bescheid erhob der Kläger am 28. September 2004 Widerspruch. Auf seinen Antrag vom 24. November 2004 gewährte die Beklagte ihm später mit Bescheid vom 21. Februar 2005 eine Altersrente als Vollrente ab 01. Oktober 2004. Gegen diesen Bescheid wandte sich der Kläger erneut mit Widerspruch vom 30. März 2005. Mit einem weiteren Bescheid vom 08. März 2006 wurde die Rente offenbar neu festgestellt. Hiergegen erhob der Kläger am 22. März 2006 Widerspruch, nachdem er zuvor über seine Verfahrensbevoll- mächtigte mit Schreiben vom 18. Januar 2006 um Sachstandsmitteilung gebeten hatte. Die Beklagte wandte sich mit Schreiben vom 07. Juni 2006 an den Kläger und wies daraufhin, dass der Bescheid vom 08. März 2006 nach § 86 Sozialgerichtsgesetz – SGG – Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens geworden sei. Zur Prüfung der Anerkennung von Kinderberücksichtigungszeiten wurde der Kläger gebeten klarzustellen, für welchen Zeitraum er die Berücksichtigung begehre. Unter dem 09. Juni 2006 wurde dieses Schreiben von der Verfahrensbevollmächtigten beantwortet.

Mit Schreiben vom 12. Oktober 2006 wandte sich die Verfahrensbevollmächtigte des Klägers an die Beklagte und wies darauf hin, dass am 22. März 2006 Widerspruch eingelegt worden sei. Eine Entscheidung sei trotz Ablaufs von drei Monaten ohne sachlichen Grund bisher nicht erfolgt. Die Beklagte wurde aufgefordert, bis spätestens 20. Oktober 2006 einen Widerspruchsbescheid zu erlassen. Nach Ablauf dieser Frist werde Untätigkeitsklage erhoben. Dem Kläger (nicht der Verfahrensbevollmächtigten) wurde daraufhin mit Schreiben vom 16. Oktober 2006 mitgeteilt, dass die Überprüfung der angefochtenen Bescheide abgeschlossen sei und die Widersprüche an die Widerspruchsstelle abgegeben worden seien. Der Kläger wurde gebeten, die Entscheidung der Widerspruchsstelle abzuwarten.

Am 21. November 2006 hat der Kläger über seine Verfahrens- und Prozessbevollmächtigte Untätigkeitsklage beim Sozialgericht Berlin erhoben und geltend gemacht, dass eine Bescheidung ohne sachlichen Grund nicht erfolgt sei. Das Schreiben vom 16. Oktober 2006 lasse keinen zureichenden Grund für eine Nichtbescheidung erkennen.

Nachdem die Beklagte am 21. November 2006 einen Widerspruchsbescheid erlassen hatte, erklärte die Prozessbevollmächtigte des Klägers am 12. Februar 2007 die Untätigkeitsklage für erledigt. Mit der Begründung, dass bei Erledigung einer Untätigkeitsklage die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zur Last fielen, da mit einer Bescheidung des Widerspruchs vor Klageerhebung habe gerechnet werden dürfen und kein zureichender Grund für die Nichtbescheidung vorgelegen habe, hat der Kläger noch beantragt,

die Beklagte zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu verpflichten.

Die Beklagte ist dem Antrag mit der Begründung entgegengetreten, die Untätigkeitsklage sei nicht begründet gewesen, außergerichtliche Kosten seien von ihr nicht zu erstatten. Der Kläger sei zuletzt mit Schreiben vom 16. Oktober 2006 über die Abgabe der Angelegenheit an die Widerspruchsstelle informiert worden. Die Untätigkeitsklage sei erst am 21. November 2006 erhoben worden. Allein die Tatsache, dass der Widerspruch seit über acht Monaten nicht beschieden worden sei, stelle keinen Grund für eine Klageerhebung nach § 88 SGG dar. Dem Kläger sei es vor Erhebung der Untätigkeitsklage zuzumuten gewesen, bei der Deutschen Rentenversicherung Bund Gründe für eine Verzögerung zu erfragen.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 20. Juni 2007, der Prozessbevollmächtigen des Klägers am 09. Juli 2007 zugegangen, entschieden, dass die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten haben, und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass zwar bei Erledigung einer Untätigkeitsklage ohne Entscheidung die außergerichtlichen Kosten in der Regel der Beklagten aufzuerlegen seien, wenn der Antragsteller mit einer Bescheidung nach den ihm bekannten Umständen habe rechnen dürfen. Mit einer Entscheidung dürfe nicht rechnen, wer aus Zwischennachrichten der Behörde die Gründe für eine Nichtbescheidung bzw. für eine Verzögerung habe erkennen können. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers habe vorliegend von der Beklagten mit Telefax-Nachricht vom 16. Oktober 2006 eine Zwischennachricht erhalten, mit der sie gebeten worden sei, die Entscheidung der Widerspruchsstelle abzuwarten. Dieses Schreiben hätte Veranlassung geben müssen, vor Erhebung der Klage bei der Beklagten über den allgemeinen Hinweis hinaus konkretere Äußerungen zu erfragen. Dass diese Nachfrage nicht erfolgt sei, wirke sich bei der Kostenentscheidung zu Lasten des Klägers aus.

Mit der hiergegen am 24. Juli 2007 erhobenen Beschwerde verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er beantragt schriftsätzlich,

die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten, hilfsweise dem Kläger Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der Entscheidung wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG ist darüber, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, auf Antrag durch Beschluss zu entscheiden, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Ob eine einseitige Erledigungserklärung durch einen der Beteiligten, wie hier durch den Kläger, im Sozialgerichtsverfahren die Hauptsache erledigt oder nicht, kann dahinstehen, weil in der von der Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 12. Februar 2007 abgegebenen Prozesserklärung jedenfalls eine Rücknahme der Klage zu sehen ist, welche den Rechtsstreit erledigt hat (§ 102 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung ist grundsätzlich nach sachgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu treffen. Wesentlich sind dabei die Erfolgsaussichten der Klage und die Frage, wer Anlass für die Klageerhebung gegeben hat. Danach hat hier die Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Bei Erledigung einer Untätigkeitsklage nach § 88 SGG hat die Beklagte in der Regel die außergerichtlichen Kosten zu erstatten, wenn die Klage nach der Sperrfrist erhoben worden ist und später der begehrte Verwaltungsakt ergeht (Meyer-Ladewig/Leitherer in: Meyer/ Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. § 193 Rn.: 13c). Dies entspricht der Wertung des § 88 SGG und den dort für die Klage auf Vornahme eines Verwaltungsaktes bzw. auf Erlass eines Widerspruchsbescheides geregelten Fristen, bei denen davon auszugehen ist, dass innerhalb dieser Fristen ein Antragsteller bzw. Widerspruchsführer mit einer Entscheidung rechnen durfte. Im vorliegenden Fall hat der Kläger jedenfalls nach Ablauf der Frist von drei Monaten nach Einlegung des (letzten) Widerspruchs vom 22. März 2006 bzw. nach über 24 Monaten nach Einlegung des ersten Widerspruchs vom 28. September 2004 seine Untätigkeitsklage erhoben.

Dass die beklagte Behörde die Kostenlast trifft, wenn vor Klageerhebung mit einer Entscheidung gerechnet werden durfte, gilt jedenfalls soweit dem Kläger nichts Gegenteiliges seitens der Beklagte unter Angabe eines abweichenden Grundes (§ 88 Abs. 1 Satz 2 SGG) mitgeteilt worden ist. Dabei kommt es für die Kostenbelastung der Beklagten vor allem darauf an, ob sie einen zureichenden Grund dafür hatte, den bei ihr gestellten Antrag nicht vor Klageerhebung zu bescheiden, und erst in zweiter Linie - wenn nämlich feststeht, dass die Beklagte einen derartigen Grund hatte -, ob der Kläger mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte. Erst wenn ein zureichender Grund vorliegt, ist es von Bedeutung, ob dem Kläger der Grund für die Verzögerung bekannt war oder bekannt sein musste (Weides/Bertrams, NVwZ 1988, 673, 679 m.w.N. zu § 163 VwGO).

Ob ein zureichender Grund für eine Nichtbescheidung vorliegt, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Ein solcher Grund kann z.B. dann vorliegen, wenn die Behörde vorübergehend besonders belastet ist oder besondere Schwierigkeiten des Sachverhalts eine längere Bearbeitungszeit als die nach § 88 Abs. 2 SGG vorgesehene beanspruchen. Ein solcher zureichender Grund für die Nichtbescheidung des Widerspruchs vor Erhebung der Untätigkeitsklage ist hier nicht ersichtlich. Nach dem Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten war nach Einreichung weiterer Unterlagen zur Klärung eines entscheidungserheblichen Sachverhalts (Einreichung des Scheidungsurteils des Klägers mit Schriftsatz vom 23. April 2005) und Klarstellung des Zeitraumes, für den der Kläger die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten begehrt hatte, mit Schreiben vom 09. Juni 2006 keine Sachbearbeitung mehr erfolgt. Die Mitteilung an den Kläger vom 16. Oktober 2006 mit dem Inhalt, dass nach Überprüfung der angefochtenen Bescheide die Widersprüche zur Entscheidung an die Widerspruchsstelle abgegeben worden sei, lässt keinen Grund für eine Nichtbescheidung der Widersprüche bis zur Erhebung der Untätigkeitsklage erkennen. Ein solcher Grund wird auch von der Beklagten nicht vorgetragen. Soweit sie der Auffassung ist, dass allein in der Tatsache, dass der Widerspruch eines Betroffenen der Widerspruchsstelle zur Entscheidung übergeben worden ist, Gründe für eine weitere Nichtbescheidung liegen, kann dem nicht gefolgt werden. Die Abgabe an eine zur Entscheidung berufene Stelle stellt gerade keinen Grund für die Nichtbescheidung dar.

Die Beklagte hat dem Kläger auch mit Schreiben vom 16. Oktober 2007 keine Gründe für eine weitere Nichtbescheidung mitgeteilt. Die bloße Zwischennachricht über den Sachstand der Bearbeitung war zu diesem Zeitpunkt – nach Ablauf der Sperrfrist des § 88 Abs. 2 SGG – zur Darlegung eines zureichenden Grundes für die Nichtbescheidung nicht ausreichend. Zwar mag es dem Kläger zuzumuten gewesen sein, vor Erhebung der Untätigkeitsklage bei der Beklagten weitere Gründe für die Nichtbescheidung bzw. die weitere Bearbeitungszeit zu erfragen. Eine Verpflichtung hierzu folgt daraus jedoch nicht. In besonderen Fällen kann zwar die Erhebung einer Untätigkeitsklage rechtsmissbräuchlich sein, wenn eine formale Rechtsposition ohne eigenen Nutzen genutzt wird (vgl. hierzu: LSG Bremen v. 03.07.1996, L 4 BR 39/95, juris). Solche besonderen Umstände sind hier nicht ersichtlich. Dabei war zu berücksichtigen, dass der Kläger über seine Verfahrensbevollmächtigte der Beklagten bereits mit Schreiben vom 12. Oktober 2006 mitgeteilt hatte, dass, soweit ein Widerspruchsbescheid am 20. Oktober 2006 nicht erlassen worden sei, eine Untätigkeitsklage erhoben werde. Auf die daraufhin erfolgte Mitteilung mit Schreiben vom 16. Oktober 2006, die Widersprüche seien der Widerspruchsstelle vorgelegt worden, hat der Kläger von der Erhebung der Untätigkeitsklage zum angekündigten Zeitpunkt (obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits die Frist des § 88 Abs. 2 SGG verstrichen war) Abstand genommen und die Untätigkeitsklage erst einen weiteren Monat später erhoben. Von einer Ausnutzung einer formalen Rechtsposition kann unter diesen Umständen nicht ausgegangen werden, auch wenn eine weitere Nachfrage bei der Beklagten seitens des Klägers vor Erhebung der Klage nicht mehr erfolgt ist.

Nach allem war der Beschluss des Sozialgerichts aufzuheben und der Beklagten die außergerichtlichen Kosten für das Verfahren vor dem Sozialgericht aufzuerlegen.

Da der Kläger damit hinsichtlich seines Hauptantrages obsiegt hat, war über den hilfsweise gestellten, auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin gerichteten Antrag nicht mehr zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Eine gesonderte Kostenentscheidung war erforderlich, da hier mit der Beschwerde eine Entscheidung in dem Antragsverfahren nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG bei Erledigung der Hauptsache angefochten war. In diesen Fällen hat eine Kostenentscheidung zu ergehen (Meyer-Ladewig: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005 § 176 Rn. 5; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Auflage, X Rn. 58; Mählicke in: HK-SGG, § 176 Rn. 5; Jansen, Sozialgerichtsgesetz, 2. Auflage 2005, § 176 Rn. 9; LSG Niedersachsen-Bremen v. 27.03.2007, L5 B 3/06 VG, juris, Rn.: 18; LSG Rheinland-Pfalz vom 06.08.2007, L 3 B 307/06 AS, juris; a.A. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz v. 12. 02.2007, L 4 B 246/06 R, juris).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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