L 12 RA 11/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 35 RA 2049/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 12 RA 11/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 1. November 2002 und der Bescheid der Beklagten vom 21. März 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2002 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Dauer ab Juni 1998 zu gewähren. Die Berufung im Übrigen wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger zwei Drittel der ihm entstandenen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger erstrebt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1958 in N geborene Kläger besitzt die griechische Staatsangehörigkeit; er lebt seit 1997 oder 1998 wieder in Griechenland.

In Deutschland, wo er seit 1966 lebte, war er ab September 1973 versicherungspflichtig beschäftigt. Nach dem Abschluss einer Lehre als Kraftfahrzeug-Mechaniker arbeitete er anschließend in diesem Beruf. Von Februar 1982 bis März 1984 besuchte er die Meisterschule und bestand im März 1984 die Meisterprüfung im Kraftfahrzeugmechaniker-Handwerk. Anschließend war er bis Ende 1985 als Kraftfahrzeug-Mechaniker-Meister beschäftigt. Ab dem 3. Januar 1986 (bis zum 25. März 1986) bezog der Kläger Arbeitslosengeld.

Im Februar 1986 wurden dem Kläger wegen eines Magenkrebses der Magen und die Milz entfernt und eine Dünndarmschlinge als Magenersatz eingepflanzt. In der Folge kam es zu erheblichen Wundheilungsproblemen mit lange andauernden Fisteln, 1987 zu einem Darmverschluss und in der Zwischenzeit zu Ernährungsstörungen mit häufigen Magenbeschwerden, Völlegefühl und mangelnder Gewichtszunahme. Der Kläger war nach der Operation noch längere Zeit krank. Vom 16. April bis 28. August sowie vom 15. September bis zum 31. Oktober 1987 bezog der Kläger wieder Arbeitslosengeld. Er war dann vom 1. November 1987 bis zum 20. Juni 1988 erneut als Kraftfahrzeug-Mechaniker-Meister (vollschichtig) beschäftigt. Ab dem 5. August 1988 bezog er wieder (bis zum 1. April 1989) Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung; er übernahm in dieser Zeit die Pflege und Erziehung der 1985 und 1988 geborenen Kinder.

Vom 30. Dezember 1989 bis 3. Februar 1990 gewährte ihm die Beklagte ein stationäres Heilverfahren (Kurklinik O in B); eine sozialmedizinische Beurteilung ist dem Entlassungsbericht vom 3. Februar 1990 nicht zu entnehmen. Eine Beschäftigung nahm der Kläger nicht wieder auf.

Der Kläger war dann nach seinen Angaben "halbtags" in einem von seiner Frau ab 1. August 1992 angemeldeten Gewerbe ("Fa. S"; An- und Verkauf von Kraftfahrzeugen und Anhängern sowie Ersatzteilen) tätig. Nach den Bescheiden für 1992 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag bzw. für 1993 über Einkommensteuer erzielte die Ehefrau aus diesem Gewerbebetrieb Einkünfte in Höhe von 10.000,- DM (1992) bzw. 15.000,- DM (1993); der Kläger erzielte danach in beiden Jahren keine Einkünfte (weder aus Gewerbebetrieb noch aus nichtselbständiger Arbeit). Das Gewerbe wurde zum 1. Dezember 1994 abgemeldet.

Im Februar 1996 beantragte der Kläger, ihm eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte ließ den Kläger daraufhin zunächst von dem Internisten Dr. med. G G untersuchen, der dabei einen Zustand nach Gastrektomie, Splenektomie und Passage-rekonstruktion nach Longmire im Februar 1986, ein Dumping-Syndrom, eine rezidivierende Ileus- und Subileussymptomatik sowie eine depressive Verstimmung feststellte. In seiner letzten beruflichen Tätigkeit als "Kfz-Meister" sei der Kläger nur zwei Stunden bis unter halbschichtig belastbar. Arbeiten unter Stress ohne Unterbrechung mit unregelmäßiger Arbeitszeit und schwere körperliche Tätigkeiten könnten nicht mehr verrichtet werden. Eine Bürotätigkeit mit geregelter Arbeitszeit sei noch halb- bis untervollschichtig möglich. Die Frage, seit wann diese Einschränkungen der Leistungsfähigkeit bestünden, beantwortete der Sachverständige mit "entfällt" (Gutachten vom 17. Juni 1996).

Außerdem ließ die Beklagte den Kläger durch die Ärztin für Psychiatrie Dr. med. E Sch untersuchen, die in ihrem Gutachten vom 19. August 1996 eine chronische depressive Entwicklung feststellte. Neben den Einschränkungen der beruflichen Belastbarkeit durch das Dumpingsyndrom nach der Gastrektomie sei die Erwerbsfähigkeit im Wesentlichen durch die chronifizierte depressive Entwicklung beeinträchtigt. Einer Berufsausübung als Kfz-Me-chaniker erscheine der Kläger nicht mehr gewachsen. Durchführbar erschienen noch leichte Büro- oder Verwaltungstätigkeiten ohne besonderen Leistungs- oder Zeitdruck in unterhalbschichtigem Umfang. Diese Einschränkungen bestünden seit Antragstellung.

Mit Bescheid vom 10. September 1996 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ab. Der Kläger sei seit dem 15. Januar 1995 auf Dauer erwerbsunfähig. Jedoch habe er in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der verminderten Erwerbsfähigkeit nicht drei Jahre Pflichtbeitragszeiten.

Den vom Kläger eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 1997 zurück. Klage erhob der Kläger nicht.

Am 4. Juni 1998 beantragte der Kläger – beim griechischen Träger – erneut die Gewährung einer Rente. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. März 2001 wiederum ab, da in den fünf Jahren vor dem Eintritt der Erwerbsminderung am 15. Januar 1995 keine Pflichtbeiträge und auch keine ausreichenden Anwartschaftserhaltungszeiten vorhanden seien.

Zur Begründung seines dagegen eingelegten Widerspruchs führte der Kläger an, dass er bereits seit Februar 1986 berufs- bzw. erwerbsunfähig sei und nicht erst seit dem 15. Januar 1995.

Nach Zurückweisung seines Widerspruchs (Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 2002) hat der Kläger am 18. März 2002 Klage erhoben, zu deren Begründung er darauf hingewiesen hat, dass seine Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit bereits am 2. Juni 1992 eingetreten sei; dies ergebe sich aus seinem Schwerbehindertenausweis.

Das Sozialgericht hat – ohne weitere Ermittlungen – die Klage durch Gerichtsbescheid vom 1. November 2002 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Sein entsprechender Versicherungsschutz in der deutschen Rentenversicherung sei seit Jahren erloschen, da er zwischen 1990 und 1995 keinen Pflichtbeitrag gezahlt habe. Als Folge der Krebserkrankung und der damit verbundenen Entfernung des Magens sei der Kläger einige Zeit nicht in der Lage gewesen, seine Arbeit auszuüben. Er sei daher arbeitsunfähig gewesen und habe Anspruch auf Leistungen der Krankenversicherung besessen. Daraus folge jedoch kein Anspruch auf Zahlung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Dies setze voraus, dass die berufliche Leistungsfähigkeit dauerhaft eingeschränkt sei und der Betroffene auch keine andere zumutbare Tätigkeit mehr ausüben könne. Beides sei bei dem Kläger jedenfalls vor Januar 1995 nicht der Fall. Bereits 1988 sei ein organisch unauffälliger Befund festgestellt worden. Nach dem vom Kläger vorgelegten Gutachten der Landesversicherungsanstalt Württemberg sei seine Erwerbsfähigkeit seinerzeit nicht gemindert gewesen; es sei lediglich eine Kur empfohlen worden, um einer "Gefährdung" der Erwerbsfähigkeit entgegenzuwirken. Auch sein Hausarzt hielte den Kläger weiterhin für erwerbsfähig. Möglicherweise habe er nicht in seinem bisherigen Beruf als Kraftfahrzeug-Mechaniker-Meister arbeiten können. Berufsunfähigkeit liege jedoch erst dann vor, wenn kein zumutbarer Beruf mehr ausgeübt werden könne. Tatsächlich habe der Kläger jedoch sogar wieder als Kraftfahrzeug-Mechani-ker-Meister gearbeitet, und zwar zumindest halbtags zwischen 1992 und 1994. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass er seinerzeit auf Kosten seiner Gesundheit gearbeitet habe. Dies ergebe sich aus dem Gutachten des Internisten Dr. G vom 17. Juni 1996, worin dieser auf die bisherige Krankheitsgeschichte des Klägers eingehe und dabei durchaus würdige, dass dieser durch ein Dumping-Syndrom und eine Ileus-Symptomatik belastet gewesen sei. Er komme jedoch zu dem Schluss, dass er durch Diät die Symptomatik verhindern könne. Nachdem im Januar 1994 die letzte Ileus-Symptomatik aufgetreten sei, sei das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben nicht ganz nachvollziehbar. Möglicherweise spiele doch die depressive Symp-tomatik infolge der familiären Problematik eine große Rolle. Die Ärztin für Psychiatrie Dr. Sch habe ebenfalls in ihrem Gutachten vom 19. August 1996 festgestellt, dass die Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit im Wesentlichen auf der aktuellen familiären Belastung des Klägers beruhe und nicht auf der zurückliegenden Krebserkrankung. Danach könne keine Berufsunfähigkeit vor Januar 1995 festgestellt werden.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist dem Kläger am 28. November 2002 in seinem Heimatort zugegangen. Mit seiner am 15. Februar 2003 eingelegten Berufung verfolgt er sein Begehren weiter. Er führt aus, dass er nach seiner Erkrankung im Jahr 1986 das Haus und die Kinder versorgt habe. Seine Frau sei in dieser Zeit außer in den jeweils zwölf Monaten "Mutterschaftszeit" für die beiden (1985 bzw. 1988 geborenen) Kinder bis August 1994 halbtags beschäftigt gewesen. Er habe sich nach der Gastrektomie als 28-Jähriger lange nicht seine Schwerbehinderung eingestehen können, auch wenn der Heilungsprozess langwierig und schwierig gewesen sei. Die im November 1987 aufgenommene (vollzeitige) Beschäftigung als Kraftfahrzeug-Meister habe ihn überfordert, wie er im Nachhinein erkannt habe. Er hätte alle zwei Stunden eine Stunde Pause machen müssen. Schwierigkeiten mit der Geschäftsleitung hätten zu übermäßigem Stress und einer Verhärtung des Arbeitsklimas geführt. Nach einer erneuten Darmoperation und mehrwöchiger Erkrankung sei ihm gekündigt worden. Eine Halbtagstätigkeit habe er nicht finden können. In dem von seiner Frau angemeldeten Betrieb, der im selben Gebäude wie die Familienwohnung gelegen habe, habe er Pausen nach eigener Einteilung machen können; seine Frau habe halbtags geholfen. Der Kläger hat neuere medizinische Unterlagen sowie ein Konvolut verschiedener ärztlicher und anderer Schriftstücke überreicht.

Dem schriftlichen Vorbringen des Klägers ist zu entnehmen, dass er beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 1. November 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. März 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen Erwerbs-, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte räumt – nach Auswertung der vom Kläger überreichten ärztlichen Unterlagen und der vom Senat eingeholten weiteren Befundberichte – ein, dass das Leistungsvermögen des Klägers ab Februar 1986 in seiner letzten beruflichen Tätigkeit auf zwei Stunden bis unterhalbschichtig und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf halb- bis untervollschichtig herabgesetzt gewesen sei. Daraus folge jedoch kein Rentenanspruch wegen Erwerbsunfähigkeit. Der Kläger habe bis 1988 seine Tätigkeit vollschichtig ausgeübt; eine Tätigkeit auf Kosten der Gesundheit sei nicht erkennbar. Ferner habe er im Betrieb seiner Ehefrau als selbständiger Kfz-Meister gearbeitet. Aufgrund der Selbständigkeit dürfte bereits seit Beginn der Tätigkeit im Betrieb seiner Ehefrau im August 1992 keine Erwerbsunfähigkeit vorgelegen haben. Auch ein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit liege nicht vor. Zwar habe der Kläger im Betrieb seiner Ehefrau halbtags gearbeitet, so dass es sich offenbar nicht um einen "leistungsgerechten" Arbeitsplatz gehandelt habe. Damit sei der Teilzeitarbeitsmarkt nicht verschlossen; der Kläger sei so zu behandeln, als hätte er einen Teilzeitarbeitsplatz mit der ihm möglichen Arbeitszeit innegehabt. Rechtlich unerheblich sei, dass die längere Arbeitszeit ihn möglicherweise überfordert habe (Hinweis auf Urteil des Bundessozialgerichts vom 14. September 1978 – 11 RA 86/77 –, SozR 2200 § 1247 Nr. 22).

Unklar bliebe, warum der Kläger 1988 seine Beschäftigung aufgegeben habe. Wie das Sozialgericht dargelegt habe, dürfte die Aufgabe dieser Beschäftigung jedenfalls nicht auf dauerhaften gesundheitlichen Gründen beruhen. Ferner seien die Angaben des Klägers zu seiner Tätigkeit im Betrieb seiner damaligen Ehefrau sowohl in zeitlicher wie auch hinsichtlich der qualitativen Anforderungen zu unbestimmt bzw. nicht ausreichend geklärt. Ebenso sei ungeklärt, ob die gesetzliche Lohnhälfte erreicht oder überschritten worden sei. Es lasse sich nicht klar beurteilen, ob diese Tätigkeit dem Leistungsvermögen des Klägers entsprochen habe. Dafür spreche dessen Aussage gegenüber der Gutachterin Dr. Sch, wonach er sich seine Arbeit nach Belastbarkeit habe einteilen können. Dass sich die Beschaffung einer Arbeitgeberauskunft möglicherweise problematisch gestalte, gehe nicht zu Lasten der Beklagten.

Der Senat hat Befundberichte von den den Kläger damals behandelnden Ärzten bzw. deren Praxisnachfolgern Dr. med. K Sch (Nachfolger des den Kläger damals behandelnden Dr. med. D W) und Dr. med. E S eingeholt sowie die Schwerbehinderten-Akte des Versorgungsamts S beigezogen. Die frühere Ehefrau des Klägers, die zu dem von ihr angemeldeten Gewerbe und der Tätigkeit des Klägers befragt werden sollte, hat mitgeteilt, dass sie von ihrem Recht Gebrauch mache, das Zeugnis zu verweigern.

Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, insbesondere das vom Kläger überreichte und der Beklagten zur Einsicht überlassene Konvolut, sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Einheitsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann ungeachtet dessen, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung weder erschienen noch vertreten ist, in der Sache entscheiden, worauf der Kläger in der am 28. September 2007 unter seiner Anschrift zur Post gegebenen Terminsmitteilung, die damit als am 5. Oktober 2007 zugestellt gilt (§§ 63 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG], 184 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung [ZPO]), hingewiesen worden ist.

Die zulässige (§§ 143, 144 Abs. 1 und 151 Abs. 2 SGG; BSG, Beschluss vom 3. August 1960 – 3 RJ 244/58 –, SozR Nr. 11 zu § 151 SGG) Berufung des Klägers, über die anstelle des nicht mehr bestehenden Landessozialgerichts Berlin das in Übereinstimmung mit § 28 Abs. 2 SGG durch den Staatsvertrag über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg vom 26. April 2004 errichtete Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zu entscheiden hat, auf das das Verfahren gemäß Artikel 28 des Staatsvertrages am 1. Juli 2005 in dem Stand, indem es sich an diesem Tag befunden hat, übergegangen ist, ist teilweise begründet.

Der Kläger kann von der – seit dem 1. Oktober 2005 unter dem Namen "Deutsche Rentenversicherung Bund" fortgeführten (§ 1 Satz 1 des als Artikel 82 des Gesetzes zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung [RVOrgG] vom 9. Dezember 2004 [BGBl. I S. 3242] verkündeten Gesetzes zur Errichtung der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See) – Beklagten zwar nicht die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, jedoch die einer Rente wegen Berufsunfähigkeit verlangen.

Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit hatte nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden (und inhaltlich mit dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden übereinstimmenden) Recht, wer berufsunfähig war, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hatte und vor Eintritt der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt hatte (§ 43 Abs. 1 Satz 1 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs [SGB VI] in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung bzw. § 23 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes [AVG]). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Der Kläger war – zumindest ab Juni 1988 – berufsunfähig. Berufsunfähig war nach § 43 Abs. 2 SGB VI (in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung; auch insoweit inhaltlich übereinstimmend § 23 Abs. 2 AVG) ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken war. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen war, umfasste alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprachen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden konnte. Berufsunfähig war nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben konnte, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen war.

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass das Leistungsvermögen des Klägers ab Februar 1986 – nach Entfernung von Magen und Milz und Einpflanzung eines künstlichen Ersatzmagens – in seinem "bisherigen Beruf" als Kraftfahrzeug-Mechaniker-Meister auf zwei Stunden täglich bis unterhalbschichtig und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf halb- bis untervollschichtig gesunken war. Dies räumt – nunmehr (Schriftsatz vom 5. April 2006) – auch die Beklagte nach Auswertung der im Berufungsverfahren eingeholten Befundberichte und der weiteren vom Kläger überreichten ärztlichen Unterlagen ein. Der Senat hat keine Veranlassung, an dieser Einschätzung der über medizinische Sachkunde verfügenden Beklagten zu zweifeln. Diese wird insbesondere durch das Gutachten des von ihr beauftragten Internisten Dr. G G, der den Kläger im Juni 1996 untersucht und danach ein in diesem Ausmaß herabgesetztes Leistungsvermögen beschrieben hat, nicht in Frage gestellt, sondern gestützt. Zwar hat dieser Arzt die ihm gestellte Frage, seit wann diese aus der Sicht seines Fachgebiets bestehenden Leistungseinschränkungen bestehen, nicht beantwortet – und die Beklagte hat es seinerzeit unterlassen, dem nachzugehen. Die vorliegenden weiteren medizinischen Unterlagen, insbesondere die vom Senat eingeholten Befundberichte, geben jedoch keinen Hinweis, dass diese internistische Leistungsbeurteilung vom Juni 1996 auf eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes und des Leistungsvermögens des Klägers zwischen Februar 1986 und Juni 1996 zurückzuführen ist. Vielmehr sprechen sie dafür, dass nach der Entfernung von Magen und Milz und der Einpflanzung eines Ersatzmagens das Leistungsvermögen des Klägers erheblich herabgesetzt war und ungeachtet vorübergehender Verbesserungen (Gewichtszunahme), aber auch Verschlechterungen (Darmverschlingung, Fistelbildung) blieb, auch wenn – entgegen ursprünglicher Befürchtungen – keine erneute Krebserkrankung auftrat. Insbesondere hatte der Kläger infolge der Einpflanzung des Ersatzmagens dauerhaft erhebliche Probleme mit der Nahrungsaufnahme, so dass sein Leistungsvermögen danach zwar nicht vollständig aufgehoben, aber bereits nach der Operation im Februar 1986 in dem dann 1996 von dem Internisten Dr. Günther beschriebenen Ausmaß herabgesetzt war – was möglicherweise in der Tat der damals noch junge Kläger und Vater, der gerade seine Meisterprüfung abgelegt hatte, nicht wahrhaben wollte und dementsprechend versuchte, eine seine Kräfte übersteigende Beschäftigung wieder aufzunehmen.

In den fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit im Februar 1986 hat der Kläger auch drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung; ebenso hat er die allgemeine Wartezeit von 60 Monaten erfüllt (§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 SGB VI a. F.).

Letztlich unentschieden bleiben kann, ob die Berufsunfähigkeit des Klägers dadurch entfallen ist, dass er im November 1987 wieder eine (vollschichtige) Beschäftigung als Kraftfahrzeug-Mechaniker-Meister aufgenommen hat. Diese Beschäftigung war jedenfalls nicht leidensgerecht, da der Kläger in dieser Tätigkeit nur noch unterhalbschichtig belastbar war. Er muss sich auch nicht so behandeln lassen, als hätte er einen leidensgerechten Arbeitsplatz innegehabt. Die von der Beklagten angeführte Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 14. September 1978 – 11 RA 86/77 –, SozR 2200 § 1247 Nr. 22), wonach ein erwerbsgeminderter Versicherter, der einen seinem Leistungsvermögen nicht entsprechenden Arbeitsplatz innehat, sich so behandeln lassen muss, als wäre dies der Fall, "betrifft nur Versicherte, die nach ihrem Gesundheitszustand festgestelltermaßen Teilzeitarbeit in einem Ausmaß verrichten können, dass bei alleinigem Abstellen auf diese Fähigkeit BU (bzw. EU) zu verneinen wäre" (BSG, Urteil vom 18. März 1982 – 11 RA 26/81 –, SozR 2200 § 1246 Nr. 89). Dies ist beim Kläger, der in seinem letzten Beruf als Kraftfahrzeug-Mechaniker-Meister nur noch über ein unterhalbschichtiges Leistungsvermögen verfügte, aber nicht der Fall (gewesen). Das Innehaben eines seinem Leistungsvermögen nicht entsprechenden (Vollzeit-)Arbeitsplatzes führt nur dazu, dass er sich so behandeln lassen muss, als hätte er einen seinem (Berufsunfähigkeit begründenden) Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz inne, erhöht dieses aber nicht. Aber selbst wenn der Kläger sich so behandeln lassen müsste, als hätte er in dieser Zeit eine ihm sowohl gesundheitlich wie auch sozial zumutbare Tätigkeit ausgeübt und dadurch die "gesetzliche Lohnhälfte" hätte erzielen können, wäre nach Verlust oder Aufgabe dieser Beschäftigung im Juni 1988 wieder Berufsunfähigkeit (und damit ein neuer Versicherungsfall) eingetreten. Auch zu diesem Zeitpunkt waren aber die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VI) – noch – erfüllt.

Die spätere (selbständige) Tätigkeit des Klägers von 1992 bis 1994 in dem von seiner Frau als Gewerbe angemeldeten "Familienbetrieb" ließ seine Berufsunfähigkeit nicht entfallen. Aus den Bescheiden über Einkommensteuer (und Solidaritätszuschlag) für 1992 und 1993 ergibt sich, dass die Ehefrau in diesen Jahren Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 10.000 DM bzw. 15.000 DM erzielt hat. Selbst wenn diese Einkünfte dem Kläger zuzurechnen wären, hätte er damit nicht mehr die "gesetzliche Lohnhälfte" erzielt.

Eine zumutbare Verweisungstätigkeit bestand angesichts der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes für den auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch untervollschichtig leistungsfähigen Kläger nicht mehr.

Da der Kläger (nach bestandskräftiger Ablehnung seines im Januar 1996 gestellten Rentenantrags) die Gewährung einer Rente erneut erst im Juni 1998 beantragt hat, ist ihm die Rente von diesem Kalendermonat an zu leisten (§ 99 Abs. 1 S. 2 SGB VI).

Die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (§ 44 SGB VI a. F.) kann der Kläger hingegen nicht beanspruchen. Auch für die Gewährung einer solchen Rente ist u. a. Voraussetzung, dass der Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hat (§ 44 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VI a. F. bzw. inhaltlich übereinstimmend § 24 Abs. 1 AVG).

Insoweit bedarf es ebenfalls keiner abschließenden Entscheidung, ob der Kläger aufgrund seines nur noch untervollschichtigen Leistungsvermögens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ab Februar 1986 einerseits und der Lage des Arbeitsmarktes (Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes) andererseits vor 1992 erwerbsunfähig war. Jedenfalls wäre die Erwerbsunfähigkeit durch die Aufnahme seiner Tätigkeit in dem von seiner Frau als Gewerbe angemeldeten "Familienbetrieb" im Jahre 1992 wieder entfallen. Freilich ist die – auch rechtliche – Ausge-staltung dieser Tätigkeit im Einzelnen nicht aufklärbar. Die frühere Ehefrau des Klägers, die dazu befragt werden sollte, hat von ihrem Recht, das Zeugnis zu verweigern (§ 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG), Gebrauch gemacht. Andere Ermittlungsmöglichkeiten sind nicht ersichtlich. Aufgrund der Schilderung des Klägers ist jedoch anzunehmen, dass er sich ungeachtet der Anmeldung des Gewerbes durch seine Ehefrau auf deren Namen mit ihr zu einer gemeinsamen Ausübung dieses Gewerbes entschlossen hatte, zumal er als Kraftfahrzeug-Mechaniker-Meister die dafür jedenfalls nützlichen, wenn nicht sogar notwendigen Kenntnisse besaß. Insbesondere der Umstand, dass seine damalige Ehefrau in diesem Betrieb "mithalf", spricht dagegen, dass diese im Wesentlichen den Betrieb führte und er nur eine untergeordnete familienhafte Mitarbeit leistete. Vielmehr weist diese Darstellung darauf hin, dass sich der Kläger und seine Ehefrau – unabhängig von den nach außen in Erscheinung tretenden Verhältnissen und der Rechtsform – im "Innenverhältnis" zur gemeinsamen Ausübung dieses Gewerbes verbunden haben (so dass insoweit von der Bildung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts auszugehen ist; vgl. dazu BSG, Urteil vom 16. Juni 1982 – 11 RA 42/81 –, SozR 2200 § 1266 Nr. 22). Demzufolge ist der Kläger in dieser Zeit als selbständig Tätiger anzusehen. Nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Recht war jedoch nicht erwerbsunfähig, wer eine selbständige Tätigkeit ausübte (§ 44 Abs. 2 S. 2 SGB VI a. F.). Auf die Höhe der dadurch erzielten Einkünfte kommt es dabei nicht an.

Danach könnte der Kläger erst nach Aufgabe dieser selbständigen Tätigkeit (1994) wieder erwerbsunfähig geworden sein. Zu diesem Zeitpunkt erfüllte er jedoch nicht mehr die Voraussetzung für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, in den letzten fünf Jahren vor dem Eintritt drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zu haben (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI).

Die auf § 193 Abs. 1 SGB beruhende Entscheidung über die Kostenerstattung berücksichtigt den teilweisen Erfolg des Klägers.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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