L 1 R 1151/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 19 RA 2307/04 W06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 R 1151/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht, ob der Kläger die Klage im Rechtsstreit Sozialgericht Berlin (SG) Aktenzeichen S 19 RA 2307/04 W06 wirksam zurückgenommen hat.

Die Parteien führten bereits früher einen Rechtsstreit, der in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG Berlin am 28. Juni 2002 mit einem Vergleich endete (Aktenzeichen L 5 RA 26/00). Im Streit stand die Rücknahme der dem Kläger gewährten vorgezogenen Altersrente (Teilrente) wegen Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen. In der Folgezeit beantragte er die Überprüfung der Angelegenheit im Hinblick auf neue Rechtssprechung des Bundessozialgerichtes (BSG). Die Beklagte berechnete daraufhin mit Bescheid vom 3. Dezember 2003 die Rente für Zeiträume vom 1. Februar 1997 bis 31. Oktober 1998 neu. Mit Bescheid vom 2. Januar 2004 erfolgte eine weitere Neuberechnung unter Aufhebung unter anderem des vorgenannten Bescheides. Für den Zeitraum vom November 1996 bis Januar 1997 verbleibe es bei der durch den genannten Vergleich vereinbarten Rückforderung. Mit Bescheid vom 15. Januar 2004 lehnte sie die Neufeststellung der Rente für Zeiten vom November 1996 bis Januar 1997 ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies sie mit Bescheid vom 17. März 2004 als unbegründet zurück. Der vor dem LSG Berlin abgeschlossene Vergleich sei bindend. Hiergegen hat der Kläger am 14. April 2004 Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Das Verfahren solle wieder aufgenommen werden. Rentenbeginn solle der 1. November 1996 sein. Er habe nur durch Unwissenheit dem Vergleich zugestimmt.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 10. März 2006, die von 11.30 Uhr bis 12.15 Uhr gedauert hat, ist der Kläger persönlich erschienen. Ausweislich des Protokolls hat der Vorsitzende erläutert, dass einerseits entgegen der Auffassung der Beklagten der gerichtlich geschlossene Vergleich einer Überprüfung nach § 44 SGB X nicht entgegenstehe. Andererseits weise er den Kläger darauf hin, dass der vor dem Landessozialgericht geschlossene Vergleich der Rechtslage auch unter Berücksichtigung des Urteils des BSG vom 31. Januar 2002 – B 13 RJ 33/01 R – entspreche. Das BSG habe in diesem Urteil entschieden, dass ein zweimal jährliches Überschreiten der Hinzuverdienstgrenzen möglich sei, unabhängig aus welchem Grund diese Überschreitung erfolge. Das Gericht habe jedoch keine Aussage dazu getroffen, ob die Hinzuverdienstgrenze auch im Monat des Rentenbeginns bereits überschritten sein dürfe. Es sei weiter daran festzuhalten, dass im Monat des Rentenbeginnes die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten werden dürfe. Demgemäß sei in dem Vergleich auch festgestellt, dass die Rente erst im Februar 1997 beginne. Der Vorsitzende hat – weiter ausweislich des Protokolls – den Kläger auch darauf hingewiesen, dass selbst ein Rentenbeginn im November 1996 zu einer Rentenüberzahlung führen würde, weil dann die Hinzuverdienstgrenzen im Juni und Juli 1997 zum vierten beziehungsweise fünften Mal überschritten seien.

Ausweislich des Protokolls sind diese rechtlichen Gesichtspunkte erneut ausführlich erörtert worden. Nach Einräumung einer Bedenkzeit hat der Kläger erklärt: "ich nehme die Klage zurück". Diese Erklärung ist vom Vorsitzenden diktiert und den Beteiligten vorgespielt worden. Der Kläger hat das Vorgespielte genehmigt.

Mit Schriftsatz vom 10. März 2006 hat der Kläger die Rücknahme seiner Klage widerrufen. Er habe nach der entsprechenden Empfehlung des Vorsitzenden geantwortet, die Klage nicht zurückzunehmen beziehungsweise jedenfalls nur nach ein paar Tagen Bedenkzeit. Dies -also eine Vertagung- habe der Vorsitzende abgelehnt. Nur deshalb habe der Kläger dem Drängen zugestimmt. Er leide seit Jahren an psychosomatischen und Persönlichkeitsstörungen. Der Vorsitzende habe ihn psychisch belastet, in dem er den Versuch unternommen habe, die Rechte des Sozialgerichts vor dem Verdacht der Parteinahme zugunsten der Beklagten zu schützen. Die Niederschrift entspreche nicht der Wahrheit. Es habe keine Schreibkraft gegeben. Der Vorsitzende habe es eilig gehabt, es sei Freitag 13 Uhr gewesen. Er habe gemerkt, dass man mit dem Kläger so verfahren könne. Er sei aufgrund seines Krebsleidens seit dem letzen Jahr körperlich und psychisch nicht mehr in der Lage, seine Stellungnahmen zu schreiben. Er habe mehrere Operationen und Behandlungen sowie Bluttransfusionen über sich ergehen lassen müssen. Genau vor drei Wochen habe er mit dem Vorsitzenden telefoniert. Dieser habe zugesagt, seinen Widerspruch zu erledigen.

Die Beklagte hat erklärt, keine Gründe zu sehen, an der Ordnungsmäßigkeit des Protokolls Zweifel aufkommen zu lassen.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 6. Juli 2006 festgestellt, dass der Rechtsstreit durch Rücknahme der Klage erledigt sei (§ 102 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Eine Entscheidung über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch könne deshalb nicht erfolgen. Die Rücknahmeerklärung sei wirksam und gemäß 122 SGG in Verbindung mit § 160 Abs. 3 Nr. 8 Zivilprozessordnung (ZPO) im Prozess festgestellt worden. Bei der Protokollierung sei auf die Hinzuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nach § 159 Abs. 1 Satz 2 ZPO verzichtet worden. Der Inhalt des Protokolls sei daher gemäß § 160 a Abs. 1 ZPO vorläufig auf Tonträger festgehalten worden. Die Erklärung des Klägers sei diktiert worden, anschließend abgespielt worden. Der Kläger habe die Erklärung dann genehmigt. Die für die Wirksamkeitserklärung erforderlichen Förmlichkeiten seien beachtet worden. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte für ein Fehlen der Prozessfähigkeit. Diese sei nach den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches für die Geschäftsfähigkeit zu beurteilen (§ 71 Abs. 1 SGG). Der Widerruf der Klagerücknahme sei unzulässig. Eine erneute prozessuale Geltendmachung des ursprünglichen Klageantrages sei damit ausgeschlossen. Die Klagerücknahme sei eine Prozesshandlung, die grundsätzlich unanfechtbar und unwiderruflich sei (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 20.12.1995 -6 RKa 18/95-). Ein Widerruf sei nur ausnahmsweise unter den Voraussetzungen möglich, nach denen eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach §§ 180, 179 SGG in Verbindung mit 578 ff ZPO möglich sei (Bezugnahme auf Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage § 102 Randziffer 7 c). Schwere Verfahrensfehler, die Gründe für den Wiederaufnahmegrund einer Nichtigkeitsklage gemäß § 579 ZPO darstellen könnten, seien aber vom Kläger weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Auch ein Wiederaufnahmegrund gemäß § 179 SGG in Verbindung mit § 580 Nr. 1 bis 7 ZPO liege nicht vor. Schließlich liege auch nicht der weitere Ausnahmefall vor, wonach seitens des Gerichts ein unangemessener Druck ausgeübt worden sei oder sich die Erklärung als die Folge eines offensichtlichen Verstoßes gegen die Wahrheitspflicht seitens eines Beteiligten darstelle (Bezugnahme auf Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a. a. O. sowie LSG Baden-Württemberg Urteil vom 08.04.1997 -L 13 HR 3353/96-). Ein unangemessener Druck liege nur bei einer unzulässigen oder krassen Einwirkung auf die Willensbildung vor. Solches habe sich hier nicht ereignet. Die erfolgte Ablehnung des Vertagungsantrages stelle keine unzulässige Einflussnahme dar. Denn der Kläger habe ohne weiteres die Möglichkeit gehabt, einen Sachantrag zu stellen. Auch sei ihm in der mündlichen Verhandlung eine weitere Bedenkzeit eingeräumt worden. Worin die vorgebrachte psychische Belastung durch den Versuch des Vorsitzenden, die Rechte des Landessozialgerichtes zu schützen, liegen solle, bleibe offen. Schließlich seien auch keine unzutreffenden Hinweise über diese Sach- und Rechtslage erteilt worden.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. In der mündlichen Verhandlung habe der Vorsitzende seine Rücknahme diktiert und nochmals vorgespielt. Er – der Kläger - habe nicht widersprochen, weil er psychisch kaputt gewesen sei und nicht mehr habe reagieren können.

In der Sache sei die frühere Rechtsauffassung, dass im Monat des Rentenbeginns ein Überschreiten der Hinzuverdienstgrenzen nicht möglich sei, aufgegeben worden. Er habe zu Beginn der Rentenzahlungen den Verdienst nur durch Mehrarbeit, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, durch nicht ausgezahlte oder aufgestaute Überstunden oder Ähnliches erzielt. Seine Rente sei zu Recht im Monat Januar 1997 entfallen. Ab Februar 1997 habe er jedoch einen neuen Anspruch gehabt. Ab dann habe er die Hinzuverdienstgrenzen wieder für zwei Monate überschreite dürfen.

Auf Hinweis des Senates zur erfolgten Klagerücknahme führt der Kläger aus, der Vorsitzende habe ihn psychisch zur Rücknahme genötigt. Der ablehnende Prozesskostenhilfeantrag des Senats sei nur aus missverstandener Brüderlichkeit erfolgt. Vor der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht habe er beobachten können, wie der Vorsitzende zunächst nicht den Mut gefunden habe, einen den Durchweg beinahe versperrenden Unbeteiligten anzusprechen. Erst in der Verhandlung habe er Mut gezeigt, nachdem er bemerkt habe, dass der Kläger verhandlungsunfähig und manipulierbar sei. Der Vorsitzenden habe eine Vertagung abgelehnt und verlangt, die Klage sofort zurückzunehmen. Dem Kläger geschehe immer wieder Unrecht. Alle Verfahren gingen bei zwei Entscheidungsmöglichkeiten immer zu seinen Lasten und zugunsten der Behörden aus.

Der Kläger hat zwei Atteste eingereicht (Dr. S vom 01.12.2006 sowie vom Arzt für Neurologie und Psychiatrie M vom 09.08.2007), auf die ergänzend verwiesen wird.

Der Kläger beantragt der Sache nach,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juli 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 2004 in der Fassung des Widerspruchbescheids vom 17. März 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Rente für die Zeit vom November 1996 bis Oktober 1998 neu zu berechnen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das SG hat im angefochtenen Gerichtsbescheid zu Recht festgestellt, dass sich der Rechtsstreit durch Rücknahme der Klage erledigt hat. Der Senat folgt den Gründen der angefochtenen Entscheidung und sieht von lediglich wiederholenden Ausführungen ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Im Berufungsverfahren haben sich keine Gesichtspunkte gezeigt, die zu einer anderen Einschätzung der Rechtslage auch nur möglicherweise Anlass böten. Es ist vorliegend weder von einer Drohung, einer arglistigen Täuschung oder einer grob fehlerhaften Belehrung durch den Vorsitzenden auszugehen. Ferner gibt es nach wie vor keine Anhaltspunkte, dass sich der Kläger zum Zeitpunkt der Klagerücknahme in einem die Prozessfähigkeit ausschließenden Zustand der vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit befunden haben könnte. Aus den eingereichten Attesten, die deutlich jüngeren Datums als Juni 2006 sind, ergibt sich dies nicht. Dazu reichen die dort diagnostizierten Krankheiten nicht aus. Der Kläger ist durch die Ablehnung des Vertagungsantrages auch nicht zur Rücknahme genötigt worden, selbst wenn -was nicht ersichtlich ist- die Ablehnung eine Verletzung des rechtlichen Gehörs bedeutet hätte. Er hätte ohne weiteres auf einer gerichtlichen Entscheidung bestehen können.

Der Senat vermag schließlich auch keinen Zusammenhang zwischen dem vom Kläger behaupteten Vorfall kurz vor der mündlichen Verhandlung und den Erörterungen zu sehen. Selbst wenn der Vorsitzende einer Konfrontation mit einer rüpelhaften Person aus dem Weg gegangen sein sollte, ließe dies weder einen Schluss zu auf dessen angeblich fehlenden Mut zu, geschweige denn gäbe es Anlass zu der -schlicht beleidigenden- Annahme, dass der Vorsitzende den Vorfall in der mündlichen Verhandlung zu Lasten des Klägers habe kompensieren müssen.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG unter Berücksichtigung des Ergebnisses in der Sache. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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