L 2 U 2/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 12 U 111/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 2/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozial- gerichts Potsdam vom 9. November 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung wegen eines Unfalls der Klägerin.

Die 1960 geborene Klägerin ist bei der DB, beschäftigt. Am 24. November 2004 verließ sie nach Dienstende um 13.30 Uhr ihre Arbeitsstätte im Bahnhof B, um zu ihrer ca. 9,3 km entfernten Wohnung in L zurückzukehren. Nach ca. 2,5 km Fahrt suchte sie die auf ihrer Wegstrecke gelegene Tankstelle auf. Im Anschluss an das Tanken fuhr sie ihren Pkw von der Zapfsäule vor die Waschbox. Nachdem sie Geld in den Automaten des Hochdruckreinigers geworfen hatte, stellte sie fest, dass die Anlage defekt war, und begab sich zu Fuß zu dem Tankstellengebäude, um die Störung zu melden. Auf dem Weg dorthin rutschte sie auf Glatteis aus. Bei dem Sturz erlitt sie einen Bruch des rechten Arms, eine Verstauchung der linken Hand sowie eine Schwellung und Schürfung am linken Knie.

Die Unfallanzeige des Arbeitgebers ging am 1. Dezember 2004 bei der Beklagten ein. Die Klägerin erklärte gegenüber der Beklagten, sie habe an der Tankstelle angehalten, da sie "keinen Tropfen Sprit" mehr gehabt habe. Die anschließende Reinigung des Fahrzeugs sei notwendig gewesen, denn das hintere Kennzeichen sei dreckig gewesen.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 27. Januar 2005 die Anerkennung als Arbeitsunfall mit der Begründung ab, dass das Waschen des Pkw eine eigenwirtschaftliche und damit eine unversicherte Tätigkeit darstelle.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie sei mit der Entscheidung nicht einverstanden, da die Tankstelle direkt auf ihrem Heimweg liege. Sie habe dringend ihr Fahrzeug betanken müssen, da es schon eine Weile auf Reserve gefahren sei. Sie habe nur den gröbsten Dreck von dem Nummernschild entfernen wollen. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2005 zurück.

Die auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung gerichtete Klage hat das Sozialgericht Potsdam mit Gerichtsbescheid vom 9. November 2006 abgewiesen: Der Sturz vom 24. November 2004 sei kein Arbeitsunfall. Auf dem unmittelbaren Weg nach Hause habe die Klägerin unter Versicherungsschutz gestanden. Im Unfallszeitpunkt habe sie jedoch ihre Fahrt vorübergehend unterbrochen und mit dem Aufsuchen der Waschanlage eine andere, nicht der Zurücklegung des Wegs dienende Verrichtung eingeschoben. Während einer derartigen Unterbrechung bestehe der Versicherungsschutz grundsätzlich nur dann weiter, wenn die eingeschobene Verrichtung ihrerseits im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehe. Maßgeblich sei dabei die Handlungstendenz des Versicherten, die durch die objektiven Umstände im Einzelfall bestätigt werde.

Da nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die Reparatur des für den Weg zur Arbeit benutzten eigenen Fahrzeugs nicht unter Versicherungsschutz stehe, seien auch die Wege zum Aufsuchen der Reparaturwerkstatt nicht versichert, es sei denn, dass auf dem Weg zur Arbeit plötzlich und unvorhergesehen die Notwendigkeit einer Reparatur aufgetreten sei, um den Weg fortsetzen zu können. Ein damit vergleichbarer Sachverhalt sei hier nicht gegeben. Das Aufsuchen der Waschanlage sei eine ausschließlich dem privaten Lebensbereich zuzurechnende Tätigkeit.

Zwar beseitigten ganz kurze und geringfügige Unterbrechungen den Zusammenhang des Wegs mit der Betriebstätigkeit selbst dann nicht, wenn sie eigenwirtschaftlicher Natur seien. Um solche rechtlich nicht ins Gewicht fallenden Ereignisse handele es sich dann, wenn der Vorgang bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des Wegs nach oder von dem Ort der Tätigkeit in seiner Gesamtheit anzusehen sei oder wenn die Besorgung hinsichtlich ihrer zeitlichen Dauer und Art nach keine erhebliche Zäsur in der Fortbewegung in Richtung auf die Arbeitsstätte bzw. nach Hause darstelle. Der Versicherungsschutz bleibe allerdings nur so lange erhalten, wie der Versicherte sich noch innerhalb des öffentlichen Verkehrsraums aufhalte. Da die Klägerin sich im Unfallzeitpunkt nicht mehr auf der öffentlichen Straße, sondern auf dem Gelände der Tankstelle bzw. Autowaschanlage befunden habe, habe sie nicht mehr unter Versicherungsschutz gestanden.

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie insbesondere vorbringt: Die von ihr vorgenommene Unterbrechung sei ausnahmsweise unfallversicherungsrechtlich geschützt, weil sie auf einer Handlungstendenz beruht habe, die im inneren Zusammenhang mit dem Zurücklegen des Wegs von der Betriebsstätte zu ihrer Wohnung gestanden habe. Denn eine Verrichtung stehe insoweit unter Versicherungsschutz, als sie erforderlich sei, die Betriebssicherheit eines Pkw wieder herzustellen. Die Reinigung der durch den vorherrschenden Schneematsch beschmutzten Kfz-Kennzeichen habe der Betriebssicherheit ihres Fahrzeugs gedient. Denn jeder Fahrzeugführer sei straßenverkehrszulassungsrechtlich verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die Kennzeichen nicht verschmutzt seien.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 9. November 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2005 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen des Vorfalls vom 24. November 2004 Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf den Inhalt der angegriffenen Entscheidungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Die Gerichtsakte sowie die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte mit Bescheid vom 27. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2005 das Vorliegen eines Arbeitsunfalls verneinte.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die von ihr begehrten Leistungen der Unfallversicherung, da der Sturz am 24. November 2004 keinen Arbeitsunfall darstellte.

Nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) gilt als versicherte Tätigkeit auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit.

Die Klägerin stand bereits nicht mehr unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, als sie auf ihrem Weg von ihrer Arbeitsstätte nach Hause den öffentlichen Verkehrsraum verließ und auf das Tankstellengelände fuhr.

Um eine lediglich geringfügige Unterbrechung, die den Versicherungsschutz nicht entfallen lassen würde, handelt es sich bei dem Tankvorgang nicht. Denn das Aufsuchen einer Tankstelle zum Betanken des für die Fahrt benutzten Kraftfahrzeugs stellt eine deutliche Zäsur innerhalb dieses Weges dar, die erheblich über die Erledigung eines privaten Geschäfts – wie etwa das Ziehen von Zigaretten aus einem an der Straße aufgestellten Automaten – hinausgeht (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 1998 a.a.O.). Im Übrigen reicht der Umstand, dass das Tanken nicht "im Vorbeigehen" im öffentlichen Verkehrsraum erledigt werden kann, sondern das Betreten bzw. Befahren eines von diesem abgegrenzten Tankstellengeländes erforderlich macht, aus, die damit verbundene Unterbrechung des Weges als wesentlich und nicht mehr als geringfügig anzusehen (so BSG, Urteil vom 29. April 1980, 2 RU 17/80 SozR 2200 § 550 Nr. 44). Damit war auch das von der Klägerin im Anschluss an das Tanken geplante Waschen bzw. der Weg von der Waschbox zum Tankstellengebäude nicht versichert. Denn die Unterbrechung des versicherungsrechtlich geschützten Weges endet erst dann, wenn der Versicherte den öffentlichen Verkehrsraum wieder erreicht (BSG, Urteil vom 2. Juli 1996, 2 RU 16/95, SozR 3-2200 § 550 Nr. 14, mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung des BSG). Dies war bei der Klägerin nicht der Fall.

Bei dem Betanken ihres Pkw handelte es sich um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit der Klägerin. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 11. August 1998, B 2 U 29/97 R, SozR 3-2200 § 550 Nr. 19, mit weiteren Nachweisen) ist das Auftanken eines zur Fahrt nach oder von dem Ort der versicherten Tätigkeit benutzten Kfz grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich des Versicherten zuzurechnen. Denn es handelt sich dabei um eine Verrichtung, die zwar üblicherweise der Aufnahme der Arbeitstätigkeit vorangeht, dieser Tätigkeit aber zu fern steht, als dass sie schon dem persönlichen Lebensbereich des Beschäftigten entzogen und der unter Versicherungsschutz stehenden betrieblichen Sphäre zuzurechnen wäre. Eine andere rechtliche Beurteilung ist allerdings dann geboten, wenn das Nachtanken während der Fahrt unvorhergesehen notwendig wird, damit der restliche Weg (überhaupt) zurückgelegt werden kann. Auf diese Ausnahme kann die Klägerin sich vorliegend nicht erfolgreich berufen. Denn die Notwendigkeit des Tankens ergab sich für sie nicht plötzlich und unerwartet. Wie sie im Schreiben vom 18. Juli 2005 gegenüber der Beklagten ausführte, fuhr sie "schon eine Weile auf Reserve". Damit hätte sie vor Antritt der Fahrt von oder nach der Arbeitsstelle für eine ausreichende Füllung des Tanks zu sorgen gehabt. Der Umstand, dass sie ihren Nachhauseweg dazu nutzte, die auf dem Weg liegende Tankstelle aufzusuchen, führt nicht dazu, dass sie hinsichtlich dieser in ihrer persönlichen Sphäre liegenden Verrichtung Versicherungsschutz in Anspruch nehmen kann.

Unabhängig davon handelte es sich bei der von der Klägerin beabsichtigten Säuberung des Kennzeichens als solcher nicht um eine versicherte Tätigkeit.

Um eine unwesentliche und damit unfallversicherungsrechtlich unschädliche Unterbrechung im o.g. Sinne handelte es sich bei dieser Verrichtung nicht. Abgesehen davon, dass die Waschbox, vor der die Klägerin ihr Fahrzeug abstellte, nicht im öffentlichen Verkehrsraum gelegen war, ist der von der Klägerin geplante Vorgang des Säuberns weitaus aufwendiger als das von der Rechtsprechung zum Vergleich herangezogene Ziehen von Zigaretten aus einem Automaten. Die Klägerin beschränkte sich nicht darauf, das Kfz-Kennzeichen mit einem Lappen abzuwischen. Vielmehr stieg sie nach dem Betanken wieder in das Fahrzeug ein, fuhr von der Zapfsäule zu der Waschanlage, stellte dort den Wagen ab, stieg aus, warf Geld in den Automaten und wollte das Nummernschild mit einem Hochdruckreiniger säubern, so dass der Vorgang vom Umfang der Verrichtungen her nicht als geringfügig angesehen werden kann.

Es fehlt an dem notwendigen inneren Zusammenhang zwischen der beabsichtigten Säuberung des Kennzeichens und der Betriebstätigkeit. Nach ständiger Rechtsprechung sind allgemeine Maßnahmen zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit eines Kfz, also beispielsweise das erwähnte Tanken sowie Inspektionen und Reparaturen, als Vorbereitungshandlungen auch dann unversichert, wenn sie letztlich mit einer auf die grundsätzlich versicherte Tätigkeit bezogenen Handlungstendenz unternommen werden (vgl. BSG, Urteile vom 4. September 2007, B 2 U 24/06 R, bei Juris, und vom 20. März 2007, B 2 U 19/06 R, UV-Recht Aktuell 2007, 854, jeweils mit weiteren Nachweisen). Hingegen ist bei Maßnahmen zur Behebung einer auf dem versicherten Weg auftretenden Störung das Fortbestehen des Versicherungsschutzes zu bejahen, wenn kein Zurücklegen des restlichen Weges ohne Behebung der Störung in angemessener Zeit auf andere Weise (z.B. zu Fuß) möglich ist, die Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit nach Art und Zeitaufwand nicht in einem Missverhältnis zur Dauer des Weges im Ganzen steht und der Versicherte sich auf Maßnahmen beschränkt, die zur Fortsetzung des Weges notwendig sind (so BSG, Urteil vom 4. September 2007 a.a.O.). Ob es sich bei der Verschmutzung eines Kfz-Kennzeichens um eine "Störung" in diesem Sinne handelt, begegnet Zweifeln, da der Klägerin das Zurücklegen der ca. 7 km umfassenden Reststrecke nach Hause tatsächlich auch mit unleserlichem Nummernschild möglich war und hierdurch entgegen ihrer Ansicht auch nicht (wie etwa bei verschmutzen Scheiben) die Betriebssicherheit ihres Fahrzeugs beeinträchtigt war. Dies kann jedoch offen bleiben. Denn selbst wenn im Hinblick auf § 60 Abs. 1 Satz 4 Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung in der seinerzeit maßgeblichen Fassung vom 11. September 2002 die Verschmutzung des Kennzeichens einer Störung gleichzustellen ist, steht es zur Überzeugung des Senats nicht fest, dass sie, wie erforderlich, w ä h r e n d des versicherten Weges der Klägerin nach Hause auftrat. Da die Strecke von der Arbeitsstätte bis zu der Tankstelle lediglich 2,5 km umfasste, spricht mehr dafür, dass das Kennzeichen bereits vor Fahrtantritt verschmutzt gewesen war, als dass es während der Fahrt mit Schneematsch verschmutzt wurde.

Die nach § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG zu treffende Kostenentscheidung berücksichtigt, dass die Berufung keinen Erfolg hat.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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