L 13 SB 123/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 33 SB 2205/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 123/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 19. Juli 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist noch die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) des Klägers im Zeitraum Juni 2003 bis Februar 2004.

Dem 1943 geborenen Kläger war durch Bescheid vom 08. April 1998 ein GdB von 80 wegen Verlustes der linken Niere bei Nierentumor im Stadium der Heilungsbewährung zuerkannt worden, die operative Entfernung des Tumors erfolgte am 12. November 1997. Im Oktober 2002 leitete der Beklagte eine Nachprüfung ein und zog einen Entlassungsbericht der P Klinik W vom 17. Januar 2003 über eine Behandlung des Klägers in der Zeit vom 09. bis 18. Januar 2003 wegen eines Ileus bei; im Bericht ist ausgeführt, dass kein Anhalt für ein Tumorrezidiv bestehe. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme und Anhörung des Klägers setzte der Beklagte daraufhin durch Bescheid vom 19. Juni 2003 den GdB auf 30 herab. Die Funktionsbeeinträchtigungen bezeichnete er als operiertes Nierenleiden links mit Verlust derselben bei erreichter Heilungsbewährung. Die Operation wegen eines Ileus wirke sich nicht auf den GdB aus. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, mit dem er auf zwischenzeitlich eingetretene degenerative Veränderungen der Wirbelsäule verwies. Der Beklagte holte daraufhin einen Befundbericht der Ärztin für Innere Medizin Dr. S ein, dem diverse Befunde (Röntgen, MRT, Laborbericht, Arztbrief der Fachärztinnen für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. K/Dr. B vom 14. Mai 2003) beigefügt waren. Der Beklagte holte außerdem einen Befundbericht des Facharztes für Urologie S ein, der einen Laborbericht über eine Blutuntersuchung des Klägers vom 02. April 2003 übersandte, in dem u. a. Kreatinin mit einem Wert von 122 µmol/l (Normbereich: ( 127) getestet worden war. Aufgrund von versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Facharztes für Chirurgie Dr. W und der Fachärztin für Innere Medizin M setzte der Beklagte daraufhin durch Bescheid vom 30. Oktober 2003 den Gesamt GdB auf 40 wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen, deren verwaltungsintern zugrunde gelegte Einzel GdB sich aus den Zusätzen in Klammern ergeben, fest:

a) Operiertes Nierenleiden links mit Verlust derselben bei erreichter Heilungsbewährung (30)

b) Degeneratives Wirbelsäulenleiden, anhaltend rezidivierendes Schulter-Arm-Syndrom (30)

c) Bauchfellverwachsungen mit operativer Versorgung eines Darm-verschlusses 1/2003 (10) Im Übrigen wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 04. November 2003 zurück.

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht Befundberichte der Dr. S vom 13. Mai 2004, des Facharztes für Urologie S vom 08. Juni 2004 und der Ärztin für Orthopädie Dr. B vom 26. Juni 2004 eingeholt, denen jeweils Arztbriefe und sonstige Befunde beigefügt waren. Wegen der Nierenbefunde hat das Sozialgericht sodann eine weitere Rückäußerung des Arztes S veranlasst, der (mit Eingang am 11. Februar 2005 ohne Datum) mitteilte, dass beim Kläger eine Funktionseinschränkung der Niere leichten Grades im Sinne der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit und im Schwerbehindertenrecht (AHP) vorliege. Beigefügt war nochmals ein Laborbericht vom 12. März 2004 sowie erstmalig ein Laborbericht vom 12. November 2004; letzterer ergab einen Kreatininwert von 144 µmol/l. Der Beklagte holte hierzu eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Innere Medizin Dr. D vom 20. April 2005 ein, der ausführte, dass sich aus den nunmehr vorgelegten Laborbefunden eine zumindest leichtgradige dauerhafte Nierenfunktionseinschränkung ergebe, weshalb empfohlen werde, die zu a) anerkannte Behinderung durch den Zusatz "Nierenfunktionseinschränkung" zu ergänzen und insoweit einen Einzel GdB von 40 anzusetzen. Zum Anerkennungszeitpunkt könne nur auf den erstmaligen diesbezüglich auffälligen Laborbefund vom 12. März 2004 verwiesen werden, nachdem Laborbefunde aus 2003 noch eine normale Nierenfunktion belegt hätten.

Durch Bescheid vom 29. April 2005 erkannte der Beklagte daraufhin einen Gesamt GdB von 50 ab März 2004 an. Der Kläger hat das diesbezügliche Teilanerkenntnis angenommen und den Rechtsstreit im Hinblick auf einen früheren Anerkennungszeitpunkt des GdB weiterverfolgt. Schon in den Befundberichten der Rehabilitationsklinik P vom 08. Januar 1999 seien spezifisch erhöhte Laborwerte (Kreatinin) verzeichnet worden, ebenso hätte am 27. November 2002 ein erhöhter Kreatininwert bestanden. Unabhängig von den Laborwerten hätte es zwischenzeitlich auch zu einer Besserung seines Gesundheitszustandes gekommen sein müssen, was jedoch zu keinem Zeitpunkt der Fall gewesen sei. Vielmehr sei eine Verschlimmerungstendenz zu beobachten.

Das Gericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 19. Juli 2006 abgewiesen. Nierenfunktionseinschränkungen leichten Grades seien mit einem GdB von 20 bis 30 und erst bei Serumkreatininwerten andauernd zwischen 2 und 4 mg/dl bei wenig reduziertem Allgemeinbefinden und leichter Einschränkung der Leistungsfähigkeit mit einem GdB von 40 zu bewerten (AHP Nr. 26.12 Seite 87 ff. AHP 2005). Der Komplex der Nierenfunktionsbeeinträchtigung sei danach für die Zeit vor März 2004 zutreffend lediglich mit einem Einzel GdB von 30 bewertet worden. Von einer leicht zunehmenden Nierenfunktionseinschränkung sei erst unter Berücksichtigung der Laborwerte vom 12. März und 12. November 2004 auszugehen. Die Nierenfunktionswerte bei einer Laboruntersuchung am 02. April 2003 seien normal gewesen. Soweit vereinzelt bereits zuvor zumindest kontrollbedürftige Kreatininwerte vorgelegen hätten, widerspreche dies dem nicht. Weitere Funktionsbeeinträchtigungen, die eine Bemessung des Gesamt GdB mit 50 bereits für die Zeit vor März 2004 begründen könnten, seien nicht erkennbar.

Gegen diesen am 31. Juli 2006 zugegangenen Gerichtsbescheid richtet sich die am 22. August 2006 eingelegte Berufung des Klägers. Der Kläger trägt vor, dass die labortechnisch nachgewiesenen Kreatininwerte seit der Operation über dem Normbereich gelegen hätten; insoweit werde auf die Untersuchungen vom 03. Dezember 1998, 27. November 2002, 12. März 2004 und 12. November 2004 verwiesen. Lediglich einmalig bei der Untersuchung vom 02. April 2003 seien normalwertige Nierenfunktionswerte festgestellt worden. Das einmalige "Ausschwanken" in den Normbereich bei sonst ständig über der Norm liegenden Werten könne die Argumentation des Sozialgerichts nicht überzeugend stützen. Es sei nicht berücksichtigt worden, dass auch an der verbliebenen Niere eine Gesundheitsbeschädigung in Form einer am 08. Juni 2004 diagnostizierten Zyste vorliege, die sich schon 2003 ausgebildet habe. Hinzu kämen beständige Schmerzen im Nierenbereich, die gesondert berücksichtigt werden müssten.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 19. Juli 2006 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 19. Juni 2003 in der Fassung des Bescheides vom 30. Oktober 2003 und des Widerspruchsbescheides vom 04. November 2003 sowie des Bescheides vom 29. April 2005 abzuändern und ihm einen Gesamt Grad der Behinderung von 50 bereits für die Zeit vom 01. Juni 2003 bis 28. Februar 2004 zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verweist weiter auf die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. D vom 20. April und 22. Juli 2005. Vom Nachweis einer konstanten Nierenfunktionseinschränkung sei erst ab März 2004 auszugehen, da sich bei einer Laboruntersuchung am 02. April 2003 normale Nierenfunktionswerte gefunden hätten. Ein von der Internistin bei einer Laboruntersuchung am 27. November 2002 festgestellter erhöhter Kreatininwert sei von dieser lediglich als kontrollbedürftig bezeichnet worden.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes nochmals Dr. S zur Entwicklung der Nierenerkrankung befragt, insoweit wird auf das am 19. Februar 2007 eingegangene Schreiben nebst Anlagen und Laborbefunden Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte des Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Über die Klage konnte mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind in der Fassung des zuletzt ergangenen Bescheides vom 29. April 2005, mit dem ein Gesamt GdB von 50 erst für die Zeit ab März 2004 festgestellt wurde, rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Das Sozialgericht hat deshalb die auf einen früheren Anerkennungszeitpunkt gerichtete Klage zu Recht abgewiesen.

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sind gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 und 4 und Abs. 3 SGB IX abgestuft als Grad der Behinderung in 10er Graden von 20 bis 100 entsprechend den Maßstäben des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz in Verbindung mit den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil II SGB XI)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (derzeit Ausgabe 2005 – AHP 2005, im wesentlichen gleich lautend mit Ausgabe 2004), die als antizipierte Sachverständigengutachten normähnlichen Charakters gelten, festzustellen. Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, so sind die Einzel-GdB in Graden anzugeben. Für die Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach § 69 Abs. 3 SGB XI die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich nach Nr. 19 AHP 2005 (Seite 24 ff.) die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Dabei führen grundsätzlich leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (AHP 2005 Nr. 19, Abs. 1, 3 und 4, Seite 24 ff.).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben kam die Zuerkennung eines höheren Einzel GdB für das Nierenleiden für die Zeit vor März 2004 nicht in Betracht. Das Gericht verweist insoweit entsprechend § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen im erstinstanzlichen Gerichtsbescheid, denen es sich nach eigener Prüfung anschließt. Im vorliegend noch streitigen Zeitraum sind erhöhte Nierenwerte nicht festgestellt worden. Der einzige aus dem streitigen Zeitraum stammende Laborbefund vom 2. April 2003 hatte für Kreatinin einen im Normbereich liegenden Wert ergeben. Ein Laborbefund vom 27. November 2002, datierend also über ein halbes Jahr vor dem streitigen Zeitraum, war von Dr. S in deren Befundbericht vom 13. Mai 2004 lediglich als kontrollbedürftig bezeichnet worden. Dem Befundbericht waren auch ansonsten keine Anhaltspunkte für weitere, noch nicht berücksichtigte Funktionseinschränkungen zu entnehmen.

Anhaltspunkte dafür, dass der Gesamt GdB aus anderen Gründen bereits im streitigen Zeitraum 50 erreicht hätte, waren den vorliegenden medizinischen Unterlagen ebenfalls nicht zu entnehmen, wie das Sozialgericht zu Recht ausgeführt hat. Entgegen der Auffassung des Klägers konnte nicht belegt werden, wann sich die im Juni 2004 und damit nach dem hier streitigen Zeitraum festgestellte Zyste gebildet hatte.

Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §160 Abs. 2 SGG bestanden nicht.
Rechtskraft
Aus
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