L 32 B 2312/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 94 AS 29720/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 B 2312/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der Behörde steht im Falle des § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II ein Ermessen zu, auch wenn die Übernahme von Mietschulden zur Sicherung der Unterkunft gerechtfertigt ist. Sie darf dabei u.a. negativ berücksichtigen, dass der Antragsteller die Notlage selbst verschuldet hat.
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. Dezember 2007 wird aufgehoben, soweit darin die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt wird. Dem Antragsteller wird für das erstinstanzliche Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin sowie für das zweitinstanzliche Verfahren vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin AW MStr., B beigeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde vom 17. Dezember 2007, der das Sozialgericht Berlin (SG) nicht abgeholfen hat, ist unbegründet.

Zur Begründung und zur Darstellung des Sachverhaltes nimmt der Senat zunächst auf die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts Bezug, deren Gründe er sich zu Eigen macht (§ 142 Abs. 2 S. 3 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hierbei dürfen Entscheidungen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (ständige Rechtsprechung des Senats, siehe auch Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 596/05 -). Art. 19 Abs. 4 GG stellt nämlich insbesondere dann besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn das einstweilige Verfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose regelmäßig der Fall ist.

Hier ist allerdings davon auszugehen, dass dem Antragsteller kein Anspruch auf volle oder teilweise Übernahme der Schulden gegenüber dem Vermieter nach § 22 Abs. 5 Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II) zusteht. Zweck einer solchen Schuldenübernahme ist es, die bisherige Wohnung als Unterkunft zu erhalten. Kann die Wohnung nicht gehalten werden kann der Zweck nicht erreicht werden. Dies ist der Fall, wenn die Räumung nicht (mehr) abgewendet werden kann (vgl. ebenso Berlit in LPK-SGB II § 22 Rdnr. 112 mit Bezugnahme auf LSG Hessen, B. v. 26.10.2005 -L 7 AS 65/05 ER) oder die Prognose künftiger Beachtung aller Mieterpflichten als Voraussetzung für den längerfristigen Fortbestand des Mietverhältnisses über die Wohnung negativ ausfällt (so bereits B. des Senats vom 27.09.2007 -L 32 B 1558/07 ASER-). Auch dann ist der Erhalt der Wohnung nicht "gesichert". Nur ein nicht nur vorübergehender gesicherter Erhalt der Wohnung kann es rechtfertigen, einem Gläubiger des Antragstellers (der bisherige und/oder künftige Vermieter) auf Staatskosten das Ausfallrisiko abzunehmen.

Es ist hier konkret nicht hinreichend ersichtlich, dass ein neues Mietverhältnis über die Wohnung S zustande kommen wird. Der Antragsteller ist vielmehr rechtskräftig zur Räumung verurteilt. Der Vermieter -der Insolvenzverwalter F vertreten durch die C- hat sich im Oktober zur Fortsetzung nur unter der Voraussetzung bereiterklärt, dass die Übernahme aller Mietrückstände, des Kautionsrückstandes, aller Rechtskosten sowie der Zinsen garantiert wird (per 30.10.2007: 4.522,70 EUR ohne Zinsen und Rechtsstreitkosten; vgl. Schreiben vom 30. 10.2007, GA Bl. 7). Dass die Bedingung weiterhin gilt und dass sie durch Zahlung der geforderten 3.997,41 EUR aktuell eintreten würde, ist vom Antragsteller nicht hinreichend deutlich glaubhaft gemacht: Es kann zunächst nicht davon ausgegangen werden, dass der Mietrückstand deutlich geringer als gefordert ist, weil der Antragsteller Anschaffungskosten verrechnen konnte: Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass bei Abschluss des Mietvertrages am 29. August 2006 der Vermieter -damals vertreten durch die C- verbindlich zugesagt hat, die Kosten für eine Einbauküche zu übernehmen. Es fehlt weiter an der konkreten Glaubhaftmachung eines Sachverhaltes, aus dem sich hinreichend verlässlich ergibt, dass bei Zahlung der in zweiter Instanz geforderten 3.997,41 EUR ein neuer Mietvertrag abgeschlossen werden würde: Nach Schriftsatz vom 17. 12 2007 sollen alle Rückstände ab Juli 2007 ausgeglichen sein. Hingegen geht das Amtsgericht Neukölln im Beschluss vom 18. 12. 2007 -16 C 203/07- von Schuldenfreiheit (erst) für die Zeit ab Oktober aus. Die Kosten des Zahlungsverzuges und die Rechtskosten sind nicht beziffert worden. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, für den Antragsteller diese Umstände aktuell aufzuklären.

Es kann darüber hinaus unabhängig hiervon auch nicht zu Gunsten des Antragstellers davon ausgegangen werden, dass die Prognose des Antragsgegners falsch ist, der Erhalt der Wohnung sei auch bei Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht gesichert: Eine negative Prognose ist angezeigt, wenn durch das bisherige Verhalten auf eine solche Unzuverlässigkeit bei der Erfüllung mietvertraglicher Pflichten zu schließen ist, die das Verursachen neuer Kündigungsgründe in Zukunft besorgen lassen. Der Antragsteller hat sich hier als unzuverlässig erwiesen. Er hat ganz offenbar bereits den Mietvertrag abgeschlossen und die Umzüge veranlasst, ohne dass die Finanzierung der anfallenden laufenden Kosten für Renovierung, Wohnungseinrichtung und Umzug sowie die Bezahlung der Miete gesichert war. Zustimmungen der Behörden vorab hat er nicht abgewartet. Bereits dies war leichtfertig und indiziert Unzuverlässigkeit. Er hat dann darüber hinaus die eingehenden Gelder des Antragsgegners und des Sozialamtes nicht zur Bezahlung der laufenden Wohnungskosten, sondern für anderes ausgegeben. Der Antragsteller mag seine Eltern vorbildlich pflegen. Dass seine pflegebedürftigen Eltern die Wohnung jetzt womöglich räumen müssen, hat jedoch er durch dieses zumindest leichtsinnige Verhalten zu verantworten. Der Antragsgegner weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass die kontinuierliche Mietzahlung auch jetzt nicht durch eine direkte Überweisung (vgl. § 22 Abs. 4 SGB II) sichergestellt ist, weil die Gesamtleistungen an den Antragsteller -also nicht nur die Unterkunftskosten- weniger betragen als die Gesamtmiete.

Weiter -und ebenfalls alleine die Antragsablehnung tragend- kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Schuldenübernahme gerechtfertigt ist. Diese Tatbestandsvoraussetzung ist sowohl bei der Ermessensvorschrift des § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II vorgesehen, als auch bei § 22 Abs. 5 Satz 2 SGB II. Auch im Falle drohender Wohnungslosigkeit ist die Übernahme der Schulden zum Erhalt der Wohnung nicht immer geboten, sondern nur, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Da nach Satz 2 bei drohender Wohnungslosigkeit die Kosten übernommen werden sollen, also im Regelfall zwingend zu übernehmen sind, es ansonsten im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde steht, kann sich das "Gerechtfertigt-Sein" nur auf die Angemessenheit der Wohnung (ebenso LSG Berlin-Brandenburg, B. v. 14.01.2008 -L 26 B 2307/07 ASER mit weiteren Nachweisen) beziehen sowie auf das Verhältnis der zu übernehmenden Kosten zu den der Behörde -oder anderen öffentlichen Einrichtungen (ebenso für Folgekosten der Obdachlosenbehörde: Berlit in LPK-SGB II § 22 Rdnr. 112)- bei Verlust der Wohnung entstehenden Kosten. Der Erhalt der Wohnung rechtfertigt sich nämlich generell nicht zu jedem Preis. Persönliche Umstände (Verschulden der Situation oder gar Missbrauch, mangelnder Selbsthilfewillen) stehen hingegen (nur) nach Satz 2 im Einzelfall einer Übernahme entgegen und können nach Satz 1 im Rahmen der Ermessensausübung zur Ablehnung führen (ebenso 26. Senat, aaO.). Ob negative Auswirkungen auf die angestrebte Arbeitsmarktintegration (ohne Schuldenübernahme ist der Antragsteller eher zur Annahme eines Arbeitsplatzes bereit) bereits den Tatbestand entfallen lassen (so Berlit, aaO.), kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Hier ist bereits nicht hinreichend sicher, dass die Übernahme der rund 4.000 EUR im angemessenen Rahmen zu den dadurch ersparten Aufwendungen stehen: Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dem Antragsteller, seinen Eltern und seiner Schwester generelle Wohnungslosigkeit (Obdachlosigkeit) droht, weil anderweitiger zumutbarer Wohnraum in Berlin - nicht zur Verfügung steht. Dass die Eltern bei Verlust der jetzigen Wohnung zwingend in ein Pflegeheim umziehen müssten wird ins Blaue hinein behauptet und ist nicht glaubhaft gemacht. Gleiches gilt für den Einwand, im Falle des Verlustes der konkreten Wohnung für die Eltern entstünden kausal hierdurch im weitaus höheren Umfang Pflegekosten entstehen. Es ist noch nicht einmal sicher, dass der Vermieter die Wohnung wirklich räumen lassen wird. Immerhin erhält er die laufende Nutzungsentschädigung.

Zuletzt ist -die Erfüllung aller Tatbestandsvoraussetzungen des § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II unterstellt- das Ermessen des Antragsgegners jedenfalls nicht dahingehend reduziert, dass eine Ablehnung sicher ermessensfehlerhaft wäre ("Ermessensreduzierung auf Null"). Es gibt gute Gründe, die Schulden nicht -auch nicht teilweise- zu übernehmen: Zum einen hat der Antragsteller die Situation verschuldet. Es liegt nicht -wie von ihm angedeutet- an einem Zuständigkeitsproblem zwischen Jobcenter und Sozialamt, dass die Mietschulden aufgelaufen sind. Auch darf zu Lasten des Antragstellers in die Abwägung eingestellt werden, dass es sich bei den Schulden nicht nur um reine Mietschulden handelt, sondern auch um erhebliche Folgekosten.

Die einstweilige Zahlung der Mietkaution, auf die der Antragsteller nach der Rechtsprechung des Senats wohl Anspruch gehabt hätte, ist nicht mehr Gegenstand des zweitinstanzlichen Begehrens (vgl. Beschluss des Senats vom 30. November 2007 -L 32 B 1912/07ASER-).

Der Senat weist abschließend darauf hin, dass bei Glaubhaftmachung einer geänderten Sachlage (verbindliche Zusagen Dritter, Nachweis Schuldenverringerung, aktuelle Zusage des Vermieters, konkrete Räumung droht) ein neuer Antrag zulässig und sinnvoll sein kann, falls der Antragsgegner auch dann die gebotene zumindest vorläufige Übernahme ablehnt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG entsprechend. Prozesskostenhilfe war zu bewilligen, weil der Antrag und die Beschwerde hinreichende Aussicht auf Erfolg gehabt haben (§ 73a Sozialgerichtsgesetz [SGG] i. V. § 114 Zivilprozessordnung [ZPO]). Die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist nach den genannten Vorschriften davon abhängig, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Prozesskostenhilfe darf nur verweigert werden, wenn das Begehren völlig aussichtslos ist oder ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine Entfernte ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juli 2005 -1 BvR 175/05- NJW 2005, 3849 mit Bezug u. a. auf BVerfGE 81, 347, 357f). Die Erfolgschancen hier sind bereits aufgrund der noch nicht gesicherten Anwendung des § 22 Abs. 5 SGB II nicht nur ganz entfernt liegende gewesen. Die Hinzuziehung eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erscheint geboten, § 121 Abs. 2 ZPO. Hinsichtlich der Prozesskostenhilfe beruht die Kostenentscheidung auf § 127 Abs. 4 ZPO, wonach Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet werden.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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