Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 31 R 4760/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 1255/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Juli 2007 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung großer Witwenrente (WR) aus der Versicherung des am 2004 verstorbenen R O R (im Folgenden: Versicherter).
Die 1937 geborene Klägerin lebte mit dem 1939 geborenen Versicherten, den sie 2004 heiratete, nach eigenen Angaben seit 1985 zusammen. Der Versicherte hatte zuletzt von der früheren Landesversicherungsanstalt (LVA) Berlin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) bezogen (Zahlbetrag ab 01. Juli 2003 = 564,32 EUR). Die Klägerin ist Altersrentnerin (monatlicher Zahlbetrag im Februar 2004 = 555,76 EUR).
Bei dem Versicherten wurde im Jahr 1999 ein metastasiertes Urothelkarzinom der Harnblase diagnostiziert und operativ sowie nachfolgend chemotherapeutisch behandelt. Nach Feststellung eines metastasierenden Tumorrezidivs mit multiplen Hirnmetastasen erfolgte vom 18. Januar 2004 bis 19. Februar 2004 eine stationäre Behandlung des Versicherten im V-K S mit Bestrahlung des Hirns, in deren Verlauf die Klägerin und der Versicherte heirateten. Während der nachfolgenden stationären Behandlung ab 28. Februar 2004 verstarb der Versicherte. Auf die Berichte des Klinikums S vom 19. Februar 2004 und 22. Juli 2004 wird Bezug genommen.
Im Februar 2005 beantragte die Klägerin die Gewährung von WR. Sie gab formularmäßig an, der Versicherte sei infolge der Krebserkrankung plötzlich und unvermutet verstorben. Die Heirat sei zur Sicherung der erforderlichen Betreuung bzw. Pflege des Versicherten erfolgt und dessen Tod sei bei der Eheschließung auf absehbare Zeit nicht zu erwarten gewesen, und zwar auch nicht nach ärztlicher Auffassung. Handschriftlich fügte die Klägerin hinzu, Zweck der Eheschließung sei es gewesen, dass sie "die Wohnung und den Pachtgarten behalten kann". Mit Bescheid vom 29. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2005 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab mit der Begründung, dass vorliegend im Hinblick auf die gesetzliche Vermutung in § 46 Abs. 2a Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) davon auszugehen sei, die Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung sei Ziel der Eheschließung gewesen. Diese gesetzliche Vermutung habe die Klägerin nicht widerlegen können. Es lägen keine Umstände vor, die gegen eine Versorgungsehe sprechen würden.
Im Klageverfahren hat die Klägerin vorgetragen, dass ihr sterbender Mann bei der Heirat daran gedacht habe, sie "versorgt zu wissen". Sie und der Versicherte hätten schließlich mehr als 20 Jahre zusammengelebt. Sie hätten sich entschlossen zu heiraten, als es dem Versicherten im Krankenhaus sehr schlecht gegangen sei und er gewusst habe, dass er möglicherweise nicht mehr lange zu leben habe. Es sei vor allem darum gegangen, ihr die Wohnung und den gepachteten Garten durch die Eheschließung zu sichern. Sie – die Klägerin – habe damals gedacht, dass sie mit ihrer Rente auskommen werde. Über eine Heirat hätten sie "immer mal wieder" gesprochen, "aber wir haben es dann doch nicht gemacht". Der Entschluss zur Ehe sei schließlich von dem Versicherten ausgegangen.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Beklagte mit Urteil vom 11. Juli 2007 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide antragsgemäß verurteilt, der Klägerin große WR ab 01. April 2004 zu gewähren. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei begründet. Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf große WR gemäß § 46 Abs. 2 SGB VI für die Zeit ab 01. April 2004. Die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI sei im vorliegenden Einzelfall widerlegt. Es handele sich zur Überzeugung des Gerichts nicht um eine so genannte Versorgungsehe. Vielmehr würden Umstände vorliegen, die den Schluss zuließen, dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat nicht die Hinterbliebenenversorgung für die Klägerin gewesen sei. Es sei schon zweifelhaft, ob der Versicherte selbst von seinem nahen Tod ausgegangen sei oder diesen für wahrscheinlich gehalten und deshalb eine Ehe mit der Klägerin geschlossen habe. Die Kenntnis beider Ehegatten vom lebensbedrohlichen Charakter einer Erkrankung schließe es jedoch nicht aus, die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen. Bei der Klägerin sei es nach deren glaubhaften Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vor allem darum gegangen, ihr durch die Heirat die angemietete gemeinsame Wohnung und vor allem den Pachtgarten zu erhalten. Die Klägerin und der Versicherte hätten während der Zeit ihres Zusammenlebens überdies wiederholt über eine Eheschließung gesprochen, diesen Entschluss jedoch nicht realisiert. Schließlich habe die Klägerin, die über ein ausreichendes eigenes Einkommen verfüge, den Antrag auf WR auch erst fast ein Jahr nach dem Tod des Versicherten gestellt.
Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen dieses Urteil. Sie trägt vor: Entgegen der Auffassung des SG sei vorliegend die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI nicht widerlegt worden. Der Tod des Versicherten sei nicht plötzlich und unvorhersehbar eingetreten. Dass er und die Klägerin möglicherweise die Hoffnung gehegt hätten, alles sei nicht so schlimm und der Versicherte würde noch lange leben, sei zwar selbstverständlich, objektiv aber nicht zu begründen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Juli 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der Versicherte sei nur darauf bedacht gewesen, dass sie die Wohnung sowie den Garten behalten könne. Sie habe zu keinem Zeitpunkt daran gedacht, ob sie nach seinem Tod eine Geldleistung bekommen würde. Schließlich sei es sein Wunsch gewesen zu heiraten. An eine WR habe sie erst gedacht, als sie einige Monate nach dem Tod des Versicherten von ihrer Schwägerin auf ein Urteil des SG Würzburg hingewiesen worden sei, wonach es auf die Jahresfrist bei einem vorherigen langjährigen Zusammenleben nicht ankomme. Da habe sie dann gedacht, angesichts ihrer geringen Rente sei eine kleine finanzielle Unterstützung hilfreich, um auch den Garten weiterführen zu können, und den Rentenantrag gestellt. Hinsichtlich des Vorbringens der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 23. Januar 2008 Bezug genommen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Der aus einer Mikroverfilmung reproduzierte Rentenvorgang der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg für den Versicherten, die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung großer WR für die Zeit ab 01. April 2004 (vgl. § 99 Abs. 2 Satz 2 SGB VI) gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden und vorliegend (vgl. § 300 Abs. 2 SGB VI) noch anzuwendenden Fassung. Nach der genannten Vorschrift haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der – wie hier – die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große WR, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind in der Person der zum Zeitpunkt des Ablebens des Versicherten 67 Jahre alten Klägerin erfüllt.
Dem Anspruch auf große WR steht die Vorschrift des § 46 Abs. 2a SGB VI nicht entgegen. Danach haben Witwen keinen Anspruch auf (große) WR, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Diese Vorschrift wurde durch Artikel 1 Nr. 6b des Altersvermögensergänzungsgesetzes vom 21. März 2001 (BGBl. I S. 403) mit Wirkung vom 01. Januar 2002 in das SGB VI eingefügt. Sie statuiert für alle seit ihrem Inkrafttreten am 01. Januar 2002 geschlossenen Ehen die gesetzliche Vermutung, dass bei einem Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung alleiniger oder überwiegender Zweck der Eheschließung war. Die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten hat weniger als ein Jahr gedauert, nämlich vom 2004 bis 2004. Die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI greift also ein. Sie ist vorliegend nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens allerdings widerlegt, weil trotz der sehr kurzen Ehedauer zur Überzeugung des Senats die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Eheschließung war, einen Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Der Senat stützt sich hierbei vor allem auch auf die durchweg glaubhaften Einlassungen der Klägerin in ihren vorbereitenden Schriftsätzen, die sie durch ihr Vorbringen im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2008 plausibel und uneingeschränkt nachvollziehbar untermauert hat.
Danach steht fest, dass es der jedenfalls überwiegende Zweck der Eheschließung und hierfür letztlich ausschlaggebende Beweggrund war, nach dem langjährigen Zusammenleben der Klägerin mit dem Versicherten ihren Verbleib in der gemeinsamen Wohnung und dem gemeinsamen Pachtgarten sowie den Erhalt des Autos zu sichern; alleiniger oder auch nur überwiegender Beweggrund für die Heirat war es hingegen nicht, ein Recht der Klägerin auf WR zu begründen. Die Klägerin hat zwar in diesem Zusammenhang mehrfach eingeräumt, der Entschluss zur Ehe sei allein von dem Versicherten ausgegangen, um sie "versorgt zu wissen". Sie hat aber glaubhaft und widerspruchsfrei darlegen können, dass sich dieser "Versorgungsgedanke" lediglich auf die gemeinsame Wohnung, den Pachtgarten und das Auto bezog, nicht aber auf eine - von der gesetzlichen Vermutungsregelung in § 46 Abs. 2a SGB VI allein in Bezug genommene - Hinterbliebenenversorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Mit dieser von der Klägerin geschilderten Motivationslage im Einklang stehen auch die äußeren objektiven Umstände der Rentenantragstellung. Die Klägerin hatte nämlich erst knapp ein Jahr nach dem Tod des Versicherten im Februar 2005 die Gewährung einer Hinterbliebenenrente bei der Beklagten beantragt; darauf hat bereits das SG zu Recht abgehoben. Hieraus erhellt, dass es nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sein kann, der Klägerin einen WR-Anspruch zu eröffnen. Denn dann hätte es nahe gelegen, diesen Antrag bei der Beklagten bereits in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Tod des Versicherten zu stellen, um möglichst rasch in den Genuss entsprechender Leistungen zu kommen.
Die Klägerin hat zudem bei ihrer persönlichen Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung eingehend und unter detaillierter Schilderung ihres Zusammenlebens mit dem Versicherten bekräftigt, dass über eine Hinterbliebenenrente anlässlich der Eheschließung "wirklich nie" gesprochen worden sei und sie auch gar nicht davon ausgegangen sei, einen derartigen Anspruch durch die Heirat zu erwerben. Dass die Klägerin und der Versicherte dennoch heirateten, lässt somit umso mehr darauf schließen, dass Versorgungserwägungen rentenrechtlicher Art einen – wenn überhaupt - allenfalls untergeordneten Beweggrund für die Eheschließung gespielt hatten.
Die Klägerin hat schließlich glaubhaft und damit überzeugend dargelegt, dass unabhängig von den genannten Erwägungen im Zusammenhang mit der Eheschließung schon vor der Diagnostizierung der schließlich zum Tod des Versicherten führenden Krebserkrankung im Jahr 1999 von ihrer Seite und auch von Seiten des Versicherten der Wunsch bestanden habe zu heiraten und dass dieser Wunsch durch eine Verlobungsfeier, die die Klägerin anschaulich geschildert hat, auch manifestiert worden sei.
Neben der Tatsache der Rentenantragstellung (erst) im Februar 2005 stehen somit auch die langjährige eheähnliche Lebensgemeinschaft der Klägerin mit dem Versicherten und das gegenseitige Heiratsversprechen einem alleinigen oder überwiegenden Rentenversorgungsgedanken entgegen. Denn gerade die zum Zeitpunkt der Eheschließung seit über 20 Jahren bestehende Lebensgemeinschaft belegt, dass beide Partner eine dauerhafte Beziehung aufgebaut hatten, die gerade nicht auf gegenseitige Versorgungsansprüche ausgerichtet war. Zwar ist davon auszugehen, dass sich durch die Gewährung einer Hinterbliebenenrente die wirtschaftliche Situation der Klägerin, die zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten eine Altersrente in Höhe eines monatlichen Zahlbetrages von 555,76 EUR bezogen hatte, insgesamt verbessert, weil ihr dann weitere finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, mit denen der jährlich anfallende Pachtzins für das Gartengrundstück von 500,00 EUR leichter aufgebracht werden kann. Angesichts der auch ohne die zu erwartende WR aber noch ausreichenden wirtschaftlichen Absicherung der Klägerin durch die eigene Altersrente und gegebenenfalls ergänzend zu gewährendes Wohngeld können diese finanziellen Gesichtspunkte aber nicht dazu führen, den Rentenversorgungsgedanken, der möglicherweise (auch) eine Rolle für den Entschluss zur Heirat gespielt hatte, als alleinigen oder überwiegenden Zweck der Heirat anzusehen. Im Rahmen der Gesamtwürdigung stützt die eigenständige Versorgung der Klägerin durch selbst erworbene Rentenansprüche vielmehr zusätzlich das Ergebnis, dass dem Rentenversorgungsgedanken im Rahmen der Motivationslage für die Eheschließung ein geringeres Gewicht zukommt.
Eine andere Beurteilung folgt letztlich auch nicht daraus, dass die Klägerin und der Versicherte zum Zeitpunkt der Eheschließung am 2004 sich konkret darüber im Klaren gewesen wären, dass der Versicherte bald sterben würde bzw. an einer derart schweren Erkrankung leide, dass in absehbarer Zeit sein Tod zu erwarten gewesen wäre. Auch in diesem Fall wäre das von der Klägerin als vorrangig angegebene Motiv der Eheschließung bei der in jedem Einzelfall vorzunehmenden Wertung der in Betracht kommenden Beweggründe geeignet, die gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Dies gilt umso mehr, als sich der Gesundheitszustand des Versicherten nach dem stationären Aufenthalt vom 2004 bis 2004, in dessen Verlauf die Heirat erfolgte, zumindest so stabilisiert hatte, dass er - wenn auch nur für kurze Zeit - nochmals nach Hause zurückkehren konnte. Dahinstehen kann auch, ob die Klägerin oder der Versicherte möglicherweise rechtsirrtümlich davon ausgegangen waren, durch die Position als Ehefrau werde die Klägerin eine gesicherte Rechtsstellung im Hinblick auf das Wohnungsmietverhältnis und das Kleingartenpachtverhältnis erhalten. Maßgeblich sind insoweit lediglich die tatsächlichen Vorstellungen der Ehegatten. Im Übrigen trifft es aber auch zu, dass die Klägerin als Ehefrau im Rahmen des Mietverhältnisses, das allein der Versicherte abgeschlossen hatte, eine gefestigte Rechtsposition erhalten hatte. Denn gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch tritt der Ehegatte, der mit dem Mieter einen gemeinsamen Haushalt führt, mit dem Tod des Mieters in das Mietverhältnis ein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 1 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung großer Witwenrente (WR) aus der Versicherung des am 2004 verstorbenen R O R (im Folgenden: Versicherter).
Die 1937 geborene Klägerin lebte mit dem 1939 geborenen Versicherten, den sie 2004 heiratete, nach eigenen Angaben seit 1985 zusammen. Der Versicherte hatte zuletzt von der früheren Landesversicherungsanstalt (LVA) Berlin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) bezogen (Zahlbetrag ab 01. Juli 2003 = 564,32 EUR). Die Klägerin ist Altersrentnerin (monatlicher Zahlbetrag im Februar 2004 = 555,76 EUR).
Bei dem Versicherten wurde im Jahr 1999 ein metastasiertes Urothelkarzinom der Harnblase diagnostiziert und operativ sowie nachfolgend chemotherapeutisch behandelt. Nach Feststellung eines metastasierenden Tumorrezidivs mit multiplen Hirnmetastasen erfolgte vom 18. Januar 2004 bis 19. Februar 2004 eine stationäre Behandlung des Versicherten im V-K S mit Bestrahlung des Hirns, in deren Verlauf die Klägerin und der Versicherte heirateten. Während der nachfolgenden stationären Behandlung ab 28. Februar 2004 verstarb der Versicherte. Auf die Berichte des Klinikums S vom 19. Februar 2004 und 22. Juli 2004 wird Bezug genommen.
Im Februar 2005 beantragte die Klägerin die Gewährung von WR. Sie gab formularmäßig an, der Versicherte sei infolge der Krebserkrankung plötzlich und unvermutet verstorben. Die Heirat sei zur Sicherung der erforderlichen Betreuung bzw. Pflege des Versicherten erfolgt und dessen Tod sei bei der Eheschließung auf absehbare Zeit nicht zu erwarten gewesen, und zwar auch nicht nach ärztlicher Auffassung. Handschriftlich fügte die Klägerin hinzu, Zweck der Eheschließung sei es gewesen, dass sie "die Wohnung und den Pachtgarten behalten kann". Mit Bescheid vom 29. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2005 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab mit der Begründung, dass vorliegend im Hinblick auf die gesetzliche Vermutung in § 46 Abs. 2a Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) davon auszugehen sei, die Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung sei Ziel der Eheschließung gewesen. Diese gesetzliche Vermutung habe die Klägerin nicht widerlegen können. Es lägen keine Umstände vor, die gegen eine Versorgungsehe sprechen würden.
Im Klageverfahren hat die Klägerin vorgetragen, dass ihr sterbender Mann bei der Heirat daran gedacht habe, sie "versorgt zu wissen". Sie und der Versicherte hätten schließlich mehr als 20 Jahre zusammengelebt. Sie hätten sich entschlossen zu heiraten, als es dem Versicherten im Krankenhaus sehr schlecht gegangen sei und er gewusst habe, dass er möglicherweise nicht mehr lange zu leben habe. Es sei vor allem darum gegangen, ihr die Wohnung und den gepachteten Garten durch die Eheschließung zu sichern. Sie – die Klägerin – habe damals gedacht, dass sie mit ihrer Rente auskommen werde. Über eine Heirat hätten sie "immer mal wieder" gesprochen, "aber wir haben es dann doch nicht gemacht". Der Entschluss zur Ehe sei schließlich von dem Versicherten ausgegangen.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Beklagte mit Urteil vom 11. Juli 2007 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide antragsgemäß verurteilt, der Klägerin große WR ab 01. April 2004 zu gewähren. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei begründet. Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf große WR gemäß § 46 Abs. 2 SGB VI für die Zeit ab 01. April 2004. Die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI sei im vorliegenden Einzelfall widerlegt. Es handele sich zur Überzeugung des Gerichts nicht um eine so genannte Versorgungsehe. Vielmehr würden Umstände vorliegen, die den Schluss zuließen, dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat nicht die Hinterbliebenenversorgung für die Klägerin gewesen sei. Es sei schon zweifelhaft, ob der Versicherte selbst von seinem nahen Tod ausgegangen sei oder diesen für wahrscheinlich gehalten und deshalb eine Ehe mit der Klägerin geschlossen habe. Die Kenntnis beider Ehegatten vom lebensbedrohlichen Charakter einer Erkrankung schließe es jedoch nicht aus, die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen. Bei der Klägerin sei es nach deren glaubhaften Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vor allem darum gegangen, ihr durch die Heirat die angemietete gemeinsame Wohnung und vor allem den Pachtgarten zu erhalten. Die Klägerin und der Versicherte hätten während der Zeit ihres Zusammenlebens überdies wiederholt über eine Eheschließung gesprochen, diesen Entschluss jedoch nicht realisiert. Schließlich habe die Klägerin, die über ein ausreichendes eigenes Einkommen verfüge, den Antrag auf WR auch erst fast ein Jahr nach dem Tod des Versicherten gestellt.
Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen dieses Urteil. Sie trägt vor: Entgegen der Auffassung des SG sei vorliegend die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI nicht widerlegt worden. Der Tod des Versicherten sei nicht plötzlich und unvorhersehbar eingetreten. Dass er und die Klägerin möglicherweise die Hoffnung gehegt hätten, alles sei nicht so schlimm und der Versicherte würde noch lange leben, sei zwar selbstverständlich, objektiv aber nicht zu begründen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Juli 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der Versicherte sei nur darauf bedacht gewesen, dass sie die Wohnung sowie den Garten behalten könne. Sie habe zu keinem Zeitpunkt daran gedacht, ob sie nach seinem Tod eine Geldleistung bekommen würde. Schließlich sei es sein Wunsch gewesen zu heiraten. An eine WR habe sie erst gedacht, als sie einige Monate nach dem Tod des Versicherten von ihrer Schwägerin auf ein Urteil des SG Würzburg hingewiesen worden sei, wonach es auf die Jahresfrist bei einem vorherigen langjährigen Zusammenleben nicht ankomme. Da habe sie dann gedacht, angesichts ihrer geringen Rente sei eine kleine finanzielle Unterstützung hilfreich, um auch den Garten weiterführen zu können, und den Rentenantrag gestellt. Hinsichtlich des Vorbringens der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 23. Januar 2008 Bezug genommen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Der aus einer Mikroverfilmung reproduzierte Rentenvorgang der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg für den Versicherten, die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung großer WR für die Zeit ab 01. April 2004 (vgl. § 99 Abs. 2 Satz 2 SGB VI) gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden und vorliegend (vgl. § 300 Abs. 2 SGB VI) noch anzuwendenden Fassung. Nach der genannten Vorschrift haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der – wie hier – die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große WR, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind in der Person der zum Zeitpunkt des Ablebens des Versicherten 67 Jahre alten Klägerin erfüllt.
Dem Anspruch auf große WR steht die Vorschrift des § 46 Abs. 2a SGB VI nicht entgegen. Danach haben Witwen keinen Anspruch auf (große) WR, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Diese Vorschrift wurde durch Artikel 1 Nr. 6b des Altersvermögensergänzungsgesetzes vom 21. März 2001 (BGBl. I S. 403) mit Wirkung vom 01. Januar 2002 in das SGB VI eingefügt. Sie statuiert für alle seit ihrem Inkrafttreten am 01. Januar 2002 geschlossenen Ehen die gesetzliche Vermutung, dass bei einem Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung alleiniger oder überwiegender Zweck der Eheschließung war. Die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten hat weniger als ein Jahr gedauert, nämlich vom 2004 bis 2004. Die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI greift also ein. Sie ist vorliegend nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens allerdings widerlegt, weil trotz der sehr kurzen Ehedauer zur Überzeugung des Senats die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Eheschließung war, einen Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Der Senat stützt sich hierbei vor allem auch auf die durchweg glaubhaften Einlassungen der Klägerin in ihren vorbereitenden Schriftsätzen, die sie durch ihr Vorbringen im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2008 plausibel und uneingeschränkt nachvollziehbar untermauert hat.
Danach steht fest, dass es der jedenfalls überwiegende Zweck der Eheschließung und hierfür letztlich ausschlaggebende Beweggrund war, nach dem langjährigen Zusammenleben der Klägerin mit dem Versicherten ihren Verbleib in der gemeinsamen Wohnung und dem gemeinsamen Pachtgarten sowie den Erhalt des Autos zu sichern; alleiniger oder auch nur überwiegender Beweggrund für die Heirat war es hingegen nicht, ein Recht der Klägerin auf WR zu begründen. Die Klägerin hat zwar in diesem Zusammenhang mehrfach eingeräumt, der Entschluss zur Ehe sei allein von dem Versicherten ausgegangen, um sie "versorgt zu wissen". Sie hat aber glaubhaft und widerspruchsfrei darlegen können, dass sich dieser "Versorgungsgedanke" lediglich auf die gemeinsame Wohnung, den Pachtgarten und das Auto bezog, nicht aber auf eine - von der gesetzlichen Vermutungsregelung in § 46 Abs. 2a SGB VI allein in Bezug genommene - Hinterbliebenenversorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Mit dieser von der Klägerin geschilderten Motivationslage im Einklang stehen auch die äußeren objektiven Umstände der Rentenantragstellung. Die Klägerin hatte nämlich erst knapp ein Jahr nach dem Tod des Versicherten im Februar 2005 die Gewährung einer Hinterbliebenenrente bei der Beklagten beantragt; darauf hat bereits das SG zu Recht abgehoben. Hieraus erhellt, dass es nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sein kann, der Klägerin einen WR-Anspruch zu eröffnen. Denn dann hätte es nahe gelegen, diesen Antrag bei der Beklagten bereits in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Tod des Versicherten zu stellen, um möglichst rasch in den Genuss entsprechender Leistungen zu kommen.
Die Klägerin hat zudem bei ihrer persönlichen Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung eingehend und unter detaillierter Schilderung ihres Zusammenlebens mit dem Versicherten bekräftigt, dass über eine Hinterbliebenenrente anlässlich der Eheschließung "wirklich nie" gesprochen worden sei und sie auch gar nicht davon ausgegangen sei, einen derartigen Anspruch durch die Heirat zu erwerben. Dass die Klägerin und der Versicherte dennoch heirateten, lässt somit umso mehr darauf schließen, dass Versorgungserwägungen rentenrechtlicher Art einen – wenn überhaupt - allenfalls untergeordneten Beweggrund für die Eheschließung gespielt hatten.
Die Klägerin hat schließlich glaubhaft und damit überzeugend dargelegt, dass unabhängig von den genannten Erwägungen im Zusammenhang mit der Eheschließung schon vor der Diagnostizierung der schließlich zum Tod des Versicherten führenden Krebserkrankung im Jahr 1999 von ihrer Seite und auch von Seiten des Versicherten der Wunsch bestanden habe zu heiraten und dass dieser Wunsch durch eine Verlobungsfeier, die die Klägerin anschaulich geschildert hat, auch manifestiert worden sei.
Neben der Tatsache der Rentenantragstellung (erst) im Februar 2005 stehen somit auch die langjährige eheähnliche Lebensgemeinschaft der Klägerin mit dem Versicherten und das gegenseitige Heiratsversprechen einem alleinigen oder überwiegenden Rentenversorgungsgedanken entgegen. Denn gerade die zum Zeitpunkt der Eheschließung seit über 20 Jahren bestehende Lebensgemeinschaft belegt, dass beide Partner eine dauerhafte Beziehung aufgebaut hatten, die gerade nicht auf gegenseitige Versorgungsansprüche ausgerichtet war. Zwar ist davon auszugehen, dass sich durch die Gewährung einer Hinterbliebenenrente die wirtschaftliche Situation der Klägerin, die zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten eine Altersrente in Höhe eines monatlichen Zahlbetrages von 555,76 EUR bezogen hatte, insgesamt verbessert, weil ihr dann weitere finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, mit denen der jährlich anfallende Pachtzins für das Gartengrundstück von 500,00 EUR leichter aufgebracht werden kann. Angesichts der auch ohne die zu erwartende WR aber noch ausreichenden wirtschaftlichen Absicherung der Klägerin durch die eigene Altersrente und gegebenenfalls ergänzend zu gewährendes Wohngeld können diese finanziellen Gesichtspunkte aber nicht dazu führen, den Rentenversorgungsgedanken, der möglicherweise (auch) eine Rolle für den Entschluss zur Heirat gespielt hatte, als alleinigen oder überwiegenden Zweck der Heirat anzusehen. Im Rahmen der Gesamtwürdigung stützt die eigenständige Versorgung der Klägerin durch selbst erworbene Rentenansprüche vielmehr zusätzlich das Ergebnis, dass dem Rentenversorgungsgedanken im Rahmen der Motivationslage für die Eheschließung ein geringeres Gewicht zukommt.
Eine andere Beurteilung folgt letztlich auch nicht daraus, dass die Klägerin und der Versicherte zum Zeitpunkt der Eheschließung am 2004 sich konkret darüber im Klaren gewesen wären, dass der Versicherte bald sterben würde bzw. an einer derart schweren Erkrankung leide, dass in absehbarer Zeit sein Tod zu erwarten gewesen wäre. Auch in diesem Fall wäre das von der Klägerin als vorrangig angegebene Motiv der Eheschließung bei der in jedem Einzelfall vorzunehmenden Wertung der in Betracht kommenden Beweggründe geeignet, die gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Dies gilt umso mehr, als sich der Gesundheitszustand des Versicherten nach dem stationären Aufenthalt vom 2004 bis 2004, in dessen Verlauf die Heirat erfolgte, zumindest so stabilisiert hatte, dass er - wenn auch nur für kurze Zeit - nochmals nach Hause zurückkehren konnte. Dahinstehen kann auch, ob die Klägerin oder der Versicherte möglicherweise rechtsirrtümlich davon ausgegangen waren, durch die Position als Ehefrau werde die Klägerin eine gesicherte Rechtsstellung im Hinblick auf das Wohnungsmietverhältnis und das Kleingartenpachtverhältnis erhalten. Maßgeblich sind insoweit lediglich die tatsächlichen Vorstellungen der Ehegatten. Im Übrigen trifft es aber auch zu, dass die Klägerin als Ehefrau im Rahmen des Mietverhältnisses, das allein der Versicherte abgeschlossen hatte, eine gefestigte Rechtsposition erhalten hatte. Denn gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch tritt der Ehegatte, der mit dem Mieter einen gemeinsamen Haushalt führt, mit dem Tod des Mieters in das Mietverhältnis ein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 1 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
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