L 1 KR 101/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 1490/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 101/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. September 2004 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die Kosten auch des Berufungsverfahrens zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin 577,80 EUR zuzüglich Zinsen für stationäre Behandlungskosten zu bezahlen.

Die bei der Beklagten versicherte G B V. befand sich vom 07. Oktober 2002 bis zum 08. Oktober 2002 in der stationären Behandlung im Krankenhaus der Klägerin. Sie war aus dem Rollstuhl gefallen, gegen einen Stuhl geprallt und hatte eine Wunde am Kopf erlitten. Die 80 jährige Frau wurde abends nach 21.00 Uhr in die Rettungsstelle aufgenommen und am nächsten Tag, nachdem ein Schädelhirntrauma ausgeschlossen werden konnte, wieder entlassen.

Die Klägerin stellte für diese Behandlung der V. am 04. November 2002 577,80 EUR in Rechnung.

Die Beklagte erwiderte darauf mit Schreiben vom 12. September 2003, sie zahle nicht, weil der vertragsgemäß angeforderte Kurzbericht nicht innerhalb von sieben Tagen auf den Weg gebracht worden und der Beklagten auch die Rechnung zu spät zugegangen sei. Den Medizinischen Dienst der Krankenkassen MDK schaltete sie zunächst nicht ein.

Daraufhin hat die Klägerin am 29. August 2003 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben. Die Beklagte habe nicht vertragsgemäß das Überprüfungsverfahren durchgeführt, deshalb sei sie leistungspflichtig.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die verspätete Übersendung des Kurzbriefs stelle eine schwere Obliegenheitsverletzung dar. Im Übrigen habe sie eine Begutachtung durch den MDK veranlasst, deren Ergebnis abgewartet werden solle.

Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 10. September 2004 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, nach dem Krankenhausbehandlungsvertrag habe die Beklagte ein entsprechendes Überprüfungsverfahren durchzuführen und mit Einwendungen sei sie ausgeschlossen, wenn sie dieses nicht vertragsgemäß durchgeführt habe. So liege der Fall hier.

Gegen diesen ihrem Prozessbevollmächtigten am 24. September 2004 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung der Beklagten vom 25. Oktober 2004, einem Montag. Vor Einschaltung des MDK sei eine Plausibilitätskontrolle vorzunehmen; diese habe im vorliegenden Fall dazu geführt, dass ein Kurzbericht angefordert worden sei.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10. September 2004 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Die Beklagte hat während des erstinstanzlichen Verfahrens ein Gutachten des MDK veranlasst, das am 10. September 2004, dem Tag der Abfassung des Gerichtsbescheides, erstellt wurde und bei der Beklagten am 13. September 2004 eingegangen ist. Dort wird die Auffassung vertreten, es habe keinerlei anamnestische oder klinische Hinweise auf ein Schädelhirntrauma gegeben, so dass eine stationäre Behandlung nicht notwendig gewesen sei.

Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung über die Berufung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und des beigezogenen Verwaltungsvorganges der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht erhoben, somit insgesamt zulässig.

Der Senat konnte über sie ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten übereinstimmend ihr Einverständnis mit einem derartigen Verfahren erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz SGG ).

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, an die Klägerin 577,80 EUR zuzüglich 2 % Zinsen über dem jeweils gültigen Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank ab Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

Wie das Sozialgericht zutreffend dargelegt hat, ergibt sich dieser Anspruch der Klägerin aus dem Krankenhausbehandlungsvertrag vom 01. November 1994 in der Fassung der Vereinbarung vom 22. Dezember 1997 und dem Überprüfungsvertrag vom 01. November 1994 (Vertrag zur Überprüfungserforderlichkeit von Zeit und Dauer der Krankenhausbehandlung) in Verbindung mit § 109 Abs. 4 Satz 1, 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch SGB V.

Nach § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V ist das zugelassene Krankenhaus im Rahmen seines Versorgungsauftrags zur Krankenhausbehandlung der Versicherten verpflichtet; Satz 3 der Vorschrift verpflichtet die Krankenkassen, mit den zugelassenen Krankenhäusern Pflegesatzvereinbarungen zu führen und setzt damit die Vergütungspflicht als selbstverständlich voraus. Der Krankenhausbehandlungsvertrag regelt unter anderem Voraussetzungen und Modalitäten der Zahlungspflicht der Krankenkassen. Der Anspruch des Versicherten gegenüber seiner Krankenkasse auf Krankenhausbehandlung ergibt sich dagegen aus § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Aus dem auch die stationäre Behandlung beherrschenden Sachleistungsprinzip ergibt sich, dass die Zahlungsverpflichtung der Krankenkassen unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch ihre Versicherten entsteht. Der Zahlungsanspruch des Krankenhauses korrespondiert deshalb mit dem Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 17. Mai 2000 B 3 KR 33/99 R).

Wie Letzterer ist er davon abhängig, dass beim Versicherten bei der Aufnahme in das Krankenhaus grundsätzlich die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorliegen müssen, wobei unter Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ein Krankheitszustand zu verstehen ist, dessen Behandlung den Einsatz von besonderen Mitteln des Krankenhauses erforderlich macht (BSG, a. a. O.). Die dafür nötige Entscheidung über die Erforderlichkeit und Art der Krankenhausbehandlung obliegt nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V dem Krankenhausarzt. Wie bei der ambulanten Behandlung dem Vertragsarzt, so kommt im Bereich des Krankenhauses dem Krankenhausarzt eine "Schlüsselstellung" zu. Denn das zugelassene Krankenhaus und dessen Ärzte sind aufgrund des Sachleistungsprinzips gesetzlich ermächtigt, mit Wirkung für die Krankenkassen über die Aufnahme sowie die erforderlichen Behandlungsmaßnahmen und damit konkludent auch über den Leistungsanspruch des Versicherten zu entscheiden; die Krankenkasse ist dann grundsätzlich an diese Entscheidung gebunden; das gilt auch für den Zahlungsanspruch des Krankenhauses gegenüber den Krankenkassen. Stellt sich die Entscheidung nachträglich vollständig oder in einzelnen Teilen als unrichtig heraus, ist die Krankenkasse nur dann nicht an die Entscheidung des Krankenhausarztes gebunden, wenn dieser vorausschauend (ex ante) hätte erkennen können, dass die geklagten Beschwerden nicht die Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung begründeten, also eine Fehlentscheidung getroffen hat (BSG SozR 3 2500 § 39 Nr. 4 sowie BSG, Urteil vom 17. Mai 2000, a. a. O., im Ergebnis ebenso Großer Senat des BSG vom 25. September 2007 - GS 1/06).

Nach der Krankenhausaufnahme ist die Krankenkasse allerdings berechtigt, die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit zu überprüfen und davon eine Kostenübernahmeerklärung abhängig zu machen. Dazu kann sie, falls sie Zweifel an der Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung hat, den MDK zur Klärung einschalten (§ 276 Abs. 4 SGG V) oder eine Kostenübernahme zunächst befristen.

Der Zahlungsanspruch des Krankenhauses ist allerdings nicht von einer Kostenübernahmeerklärung der Krankenkasse abhängig zu machen (BSGE 70, 22; SozR 3 2500 § 39 RdNr. 4 und 5). Die Kostenübernahmeerklärung dient ausschließlich dazu, das Krankenhaus unverzüglich darüber zu informieren, ob die Krankenkasse die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung anerkennt oder dagegen Einwendungen erhebt. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird das Vorliegen bestimmter, den Vergütungsanspruch des Krankenhauses begründender Tatbestandsvoraussetzungen vorab festgestellt. Die Kostenübernahmeerklärung hat damit die Wirkung eines so genannten deklaratorischen Schuldanerkenntnisses im Zivilrecht. Gibt die Krankenkasse gar keine oder nur eine befristete Kostenübernahmeerklärung ab, führt dies jedoch nicht dazu, das für den Zeitraum, der von der Kostenübernahmeerklärung nicht erfasst wird, der Zahlungsanspruch entfiele und das Krankenhaus daher zunächst konkret darlegen müsste, warum Behandlungsbedürftigkeit bestanden habe. Der Charakter der Kostenübernahmeerklärung als deklaratorisches Schuldanerkenntnis schließt es aus, dass die Kostenübernahmeerklärung konstitutiv für das Entstehen der Zahlungspflicht der Krankenkasse ist.

Weder durch die den Zahlungsanspruch zunächst auslösende Inanspruchnahme der Krankenhausleistungen durch den Versicherten noch durch eine - befristete oder unbefristete - Kostenübernahmeerklärung ist die Beklagte allerdings gehindert, (nachträglich bekannt gewordene) Einwendungen gegen die Notwendigkeit der medizinischen Behandlung im Einzelfall vorzubringen und den Zahlungsanspruch des Krankenhauses damit zu Fall zu bringen (BSG SozR 3 2500 § 39 Nr. 4; BSG, Urteil vom 17. Mai 2000).

In diesem Zusammenhang kann die Krankenkasse nicht nur die Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung schlechthin gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V, sondern auch die Behandlungsdauer mit der Begründung in Zweifel ziehen, dass das Krankenhaus den stationären Aufenthalt des Versicherten bei zügigem Vorgehen von vornherein hätte abkürzen können. Das Recht der Krankenkasse, in diesem Umfang die Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit zu überprüfen, ergibt sich aus § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V, wonach die Krankenkassen Leistungen nicht bewilligen dürfen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind.

Gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 1 sind von den Krankenkassen Verträge mit den Krankenhausträgern zu schließen. Die Regelungen der Krankenhausverträge wiederholen und verfeinern die bereits durch den Gesetzgeber in § 301 Abs. 1 Nr. 1 und 3, Abs. 2 und 3 SGB V, § 100 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 3 SGB X bestimmten Verpflichtungen der Krankenhäuser und der Krankenhausärzte sowie die sich aus §275 Abs. 1 Nr. 1, 276 Abs. 4, 277 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V ergebenden Pflichten der Krankenkassen im Sinne einer engen und zügigen Zusammenarbeit von Krankenhäusern und Krankenkassen im Sinne des § 86 SGB X. Da sich keiner der Beteiligten wegen § 112 Abs. 2 Satz 2 SGB V einseitig dem Krankenhausvertrag entziehen darf, führt jede Vertragsverletzung nach Art der Rechtsfolgen bei einer Obliegenheitsverletzung im Zivilrecht entweder zu einer Einwendung gegen den Zahlungsanspruch oder den Ausschluss der Einwendungen gegen die Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit der Krankenhausbehandlung jedenfalls solange, bis ein vertragsgerechtes Überprüfungsverfahren durchgeführt wird.

Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Erwägungen ist der Zahlungsanspruch der Klägerin durch die Inanspruchnahme ihrer Leistungen durch die Versicherte der Beklagten entstanden, weil die Krankenhausärzte der Klägerin die Aufnahme der Versicherten ins Krankenhaus der Klägerin veranlasst und damit den Behandlungsanspruch der Versicherten konkretisiert und erfüllt haben. Eine weitere medizinische Begründung war nicht notwendig, weil es sich nicht um einen Verlängerungsantrag handelte. Die Beklagte hatte vielmehr die Möglichkeit, von dem Krankenhaus die Behandlungsunterlagen durch den MDK einsehen zu lassen und insoweit die medizinische Begründetheit zu überprüfen (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V).

Die Beklagte machte hiervon jedoch keinen Gebrauch, sondern lehnte schlichtweg die Kostenübernahme und die Begleichung der später gelegten Rechnung ab, ohne hierzu irgendeinen medizinischen Rat einzuholen. Nach Auffassung des Gerichts ist zwingend die Einschaltung des MDK erforderlich, soweit Zweifel an der medizinischen Begründetheit des Aufenthaltes im Krankenhaus der Klägerin bestanden.

Die nachträgliche Auffassung des MDK, die Aufnahme sei nicht notwendig gewesen, vermag daran nichts zu ändern. Zum einen ist die Einschaltung im Klageverfahren und eine Gutachtenerstattung am Tage von dessen Abschluss nicht fristwahrend und daher für den Zahlungsanspruch unbeachtlich, zum anderen ergibt sich aus diesem Gutachten auch nicht, dass aus Sicht der Krankenhausärzte eine Aufnahme für eine Nacht nicht angezeigt war. Die 80 jährige V., eine Rollstuhlfahrerin, hatte durch den Sturz aus dem Rollstuhl eine Verletzung am Kopf erlitten und war um 21.20 Uhr in das Krankenhaus der Klägerin eingeliefert worden. Wenn die Notfallärzte der Klägerin unter diesen Voraussetzungen zu der Auffassung gelangten, zur Abklärung der Frage, ob ein Schädelhirntrauma vorläge, sei es sinnvoll, die V. zunächst im Krankenhaus zu belassen und nicht spätabends allein wieder nach Hause zu transportieren, so ist dies eine Entscheidung, die sachgerecht war.

Auch war die verzögerte Übersendung des Kurzberichtes nicht anspruchsvernichtend. Diese wurde nachgeholt, der MDK hat sein Gutachten auf dieser Grundlage erstattet, ohne dass dies überzeugen konnte.

Der Zinsanspruch folgt aus § 12 Abs. 5 Krankenhausvertrag in Verbindung mit dem Diskontüberleitungesetz.

Die Berufung war daher mit der Kostenfolge aus § 197 a SGG zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision ist keiner der in § 160 Abs. 2 SGG bezeichneten Gründe gegeben.
Rechtskraft
Aus
Saved