L 16 R 523/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 32 R 1764/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 523/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. November 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Regelaltersrente.

Der 1930 in der U geborene Kläger ist als Zwangsarbeiter des D R im Sinne von § 11 Abs. 2 des Bundesgesetzes zur Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vom 12. August 2000 anerkannt (Bescheinigung des Landesverwaltungsamtes Berlin vom 12. Juli 2004). Er beantragte bei der Beklagten im Juli 2003 die Gewährung von Altersrente (AR) aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Er trug vor, ab November 1942 bei den C W R in B-B und von 1943 bis 1945 bei dem Unternehmen K in B-W als Zwangsarbeiter tätig gewesen zu sein. Mit Bescheid vom 08. Juli 2004 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil die erforderliche Wartezeit von fünf Jahren mit anrechenbaren Zeiten (Beitrags-, Ersatz- und Kindererziehungszeiten) nicht erfüllt sei. Im Widerspruchsverfahren wies der Kläger darauf hin, dass er seit 1942 bis zum 20. April 1945 in Deutschland gearbeitet habe. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 06. Januar 2005).

Im Klageverfahren hat der Kläger sein Vorbringen dahingehend ergänzt, dass er bereits ab August 1941 als Kind nach der deutschen Besetzung in der U habe arbeiten müssen, und zwar im G D bis zu dessen Liquidation am 1942. Ab 1941 ergäben sich zwar bis April 1945 nur 44 kalendarische Arbeitsmonate, unter Berücksichtigung der Arbeitszeit von täglich 16 Stunden und mehr habe er insgesamt aber mehr als 60 Monate für Deutschland gearbeitet. Als ehemaliger Ghettohäftling und Zwangsarbeiter verdiene er diese Rente. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Gewährung von Regelaltersrente gerichtete Klage mit Gerichtsbescheid vom 14. November 2006 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Regelaltersrente gemäß § 35 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI). Denn die hierfür erforderliche allgemeine Wartezeit von 60 Kalendermonaten sei nicht erfüllt. Die von dem Kläger geltend gemachten Zeiten der Beschäftigung von August 1941 bis April 1945 umfassten insgesamt lediglich einen Zeitraum von 45 Kalendermonaten. Auch die Tatsache, dass der Kläger täglich weit länger als üblich habe arbeiten müssen, rechtfertige keine andere Beurteilung.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter; auf seine Berufungsschrift vom 09. Mai 2007 und die Schriftsätze vom 28. August 2007 und 25. Januar 2008 wird Bezug genommen.

Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich der Antrag,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. November 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 08. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. Januar 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01. Juli 2003 Regelaltersrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Regelaltersrente gemäß § 35 SGB VI. Denn die hierfür erforderliche allgemeine Wartezeit ist nicht erfüllt und kann auch nicht durch die Entrichtung freiwilliger Beiträge erfüllt werden.

Versicherte haben Anspruch auf AR, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (§ 35 SGB VI). Die allgemeine Wartezeit beträgt fünf Jahre (vgl. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Nach § 51 Abs. 1 und Abs. 4 SGB VI werden auf die allgemeine Wartezeit Kalendermonate mit Beitragszeiten und mit Ersatzzeiten angerechnet.

Für den Kläger sind keine 60 Kalendermonate mit Beitrags- bzw. Ersatzzeiten in der deutschen Rentenversicherung zu berücksichtigen. Selbst wenn zu seinen Gunsten davon auszugehen wäre, dass sämtliche Zeiten der Zwangsarbeit in Deutschland als Beitragszeiten anrechenbar wären, würde dieser Zeitraum von November 1942 bis April 1945 insgesamt nur 30 Kalendermonate umfassen. Etwaige nach dem Krieg in der S oder der U zurückgelegte Versicherungszeiten stehen nicht nach den §§ 15, 16 Fremdrentengesetz (FRG) nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich und sind damit auch nicht auf die allgemeine Wartezeit anrechenbar. Denn der Kläger zählt nicht zum Personenkreis des § 1 FRG und auch nicht zu dem des § 17 a FRG bzw. des § 20 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG). Der Kläger hatte nämlich bis zu dem Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflussbereich sich auf sein Heimatgebiet erstreckt hat (Juni 1941), nicht bereits das 16. Lebensjahr vollendet (vgl. § 17 a Nr. 2 FRG) und er ist auch nicht vertriebener Verfolgter im Sinne von § 20 Abs. 1 WGSVG. Beschäftigungszeiten im Sinne des § 16 FRG können überdies ohnehin erst ab dem vollendeten 16. bzw. 17. Lebensjahr einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland, für die Beiträge entrichtet sind, gleichgestellt werden (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 1 FRG, geändert durch das Gesetz vom 25. September 1996 - BGBl. I S. 1461 -). Es besteht auch kein Sozialversicherungsabkommen, wonach Beitragszeiten in der früheren S oder der U auf die nach Bundesrecht erforderliche Wartezeit anrechenbar wären.

Die von dem Kläger geschilderte Tätigkeit vor der Errichtung des jüdischen G in D ab Mai 1941 und anschließend im Ghetto selbst von Mai 1942 bis zu dessen Liquidation im Oktober 1942 kann nicht als Ghetto-Beitragszeit iS von § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) berücksichtigt und daher auch nicht zur Erfüllung der allgemeinen Wartezeit herangezogen werden, weil insoweit jedenfalls eine entgeltliche Beschäftigung (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b ZRBG) nicht glaubhaft gemacht ist (vgl. zu dieser Voraussetzung: BSG, Urteil vom 26. Juli 2007 - B 13 R 28/06 R - veröffentlicht in juris; BSG SozR 4-5050 § 15 Nr. 1; BSG, Urteil vom 20. Juli 2005 - B 13 RJ 37/04 R - veröffentlicht in juris). Den umfassenden und eindringlichen Einlassungen des Klägers zu seinem Ghettoschicksal lässt sich eine Entgeltlichkeit der behaupteten Arbeitseinsätze beim Anlegen von Gehwegen, bei der Schneeräumung und bei der Ernte nicht entnehmen; vielmehr hat der Kläger die Gewährung eines Entgelts ausdrücklich verneint. Es kann daher dahinstehen, ob der Kläger aus eigenem Willensentschluss beschäftigt war (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a ZRBG) und ob er sich zwangsweise in einem Ghetto in einem vom Deutschen Reich besetzten oder diesem eingegliederten Gebiet aufgehalten hat, wofür indes die vorgelegte Bescheinigung des Exekutivkomitees des Stadtrats von D vom 28. Juni 1996 spricht. Selbst wenn aber zu Gunsten des Klägers von einer Ghetto-Beitragszeit in dem insoweit in Rede stehenden Gesamtzeitraum auszugehen wäre (= 15 Monate), reichte dies nicht zur Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von 60 Monaten aus.

In der Person des Klägers liegen nämlich keine Tatbestände von Ersatzzeiten vor, die auf die allgemeine Wartezeit anrechenbar wären, und zwar ungeachtet dessen, ob der Kläger "Versicherter" im Sinne von § 250 Abs. 1 Satz 1 SGB VI ist. Die insoweit einzig in Betracht kommenden Regelungen des § 250 Abs. 1 Nrn. 4a und 4b SGB VI sind tatbestandlich nicht erfüllt. Danach sind Ersatzzeiten Zeiten vor dem 01. Januar 1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und Versicherte nach vollendetem 14. Lebensjahr in ihrer Freiheit eingeschränkt gewesen oder ihnen die Freiheit entzogen worden ist (§§ 43 und 47 Bundesentschädigungsgesetz - BEG -) oder im Anschluss an solche Zeiten wegen Krankheit arbeitsunfähig oder unverschuldet arbeitslos gewesen sind oder infolge Verfolgungsmaßnahmen arbeitslos gewesen sind, auch wenn sie der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden haben, längstens aber die Zeit bis zum 31. Dezember 1946, oder bis zum 30. Juni 1945 ihren Aufenthalt in Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze oder danach in Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze nach dem Stand vom 30. Juni 1945 genommen oder einen solchen beibehalten haben, längstens aber die Zeit bis zum 31. Dezember 1949, wenn sie zum Personenkreis des § 1 BEG gehören (Verfolgungszeit). Unabhängig davon, ob der Kläger als Jude zum Personenkreis des § 1 BEG gehört, hat er jedenfalls seinen Aufenthalt nicht bis zum 30. Juni 1945 in Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze oder danach bis zum 31. Dezember 1949 in Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze nach dem Stand vom 30. Juni 1945 genommen oder einen solchen beibehalten. Denn der Kläger hat auf Nachfrage des Gerichts mit Schriftsatz vom 28. August 2007 mitgeteilt, erst im September 1950 aus Deutschland in die frühere S zurückgekehrt zu sein. Es sind auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorgetragen worden oder ansonsten ersichtlich, dass der Kläger nach Kriegsende wegen Krankheit arbeitsunfähig oder arbeitslos war. Vielmehr hat der Kläger hierzu auf Anfrage des Gerichts ergänzend ausgeführt (vgl. Schriftsatz vom 25. Januar 2008), nach der Befreiung im Mai 1945 in die Sarmee eingetreten zu sein und dieser bis zum Verlassen Deutschlands und seiner Demobilisierung im September 1950 angehört zu haben. Die Berücksichtigung einer Ersatzzeit kommt insoweit nicht in Betracht, weil der Dienst in der Sarmee jedenfalls nach dem 8. Mai 1945 keinen militärischen oder militärähnlichen Dienst im Sinne der §§ 2, 3 Bundesversorgungsgesetz darstellt (vgl. § 250 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).

Für den Kläger besteht auch nicht die Möglichkeit, freiwillige Beiträge zu entrichten, um die allgemeine Wartezeit zu erfüllen. Die Voraussetzungen des § 7 SGB VI liegen nicht vor. Nach über- oder zwischenstaatlichem Recht ist der Kläger nicht zur freiwilligen Versicherung in Deutschland berechtigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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