L 14 B 2318/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 123 AS 29044/07 AS ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 B 2318/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. Dezember 2007 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts MW wird abgelehnt.

Gründe:

Die zulässige (§§ 172 Abs. 1, 173 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat zu Recht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, mit der der Antragsgegner zur Weiterzahlung der Kosten von Unterkunft und Heizung ab März 2007 in voller Höhe (498,51 Euro) verpflichtet werden soll.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG – sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Soweit der Antrag die Zeiträume bis zum 12. November 2007 umfasst, betrifft er Zeiträume vor Eingang des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem Sozialgericht. Dafür hat von Anfang an das Regelungsbedürfnis gefehlt, weil Ansprüche auf Sicherung des laufenden Lebensunterhaltes betroffen sind, deren Regelung nicht im Hinblick auf bereits vergangene Zeiträume eilbedürftig sein kann.

Auch im Übrigen fehlen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Der geltend gemachten Anspruch, der durch die einstweilige Anordnung gesichert werden soll (sog. Anordnungsanspruch), ist nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben (glaubhaft gemacht). Er ergibt sich nicht aus dem Gesetz. Es kommt somit nicht darauf an, ob wegen zwischenzeitlich eingetretener Bestandskraft der Bewilligungsbescheide vom 17. September 2007 für Leistungszeiträume ab Oktober 2007 allein diese Bescheide mit Bewilligungen unterhalb des hier geltend gemachten Anspruchs maßgebend sind. Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB II) sind Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu erbringen, soweit diese angemessen sind. Übersteigen die Aufwendungen für Unterkunft den angemessenen Umfang, so sind sie als Bedarf so lange zu berücksichtigen, wie es dem Hilfebedürftigen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II).

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin zunächst (ab Januar 2005) Leistungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe erbracht. Ab September 2007 (und damit auch ab November 2007) ist er dazu nicht mehr verpflichtet, weil die tatsächlichen Aufwendungen das Maß des Angemessenen übersteigen. "Angemessenheit" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der in vollem Umfang der richterlichen Nachprüfung unterliegt. Entsprechend vermögen die von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz Berlin erlassenen Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AV-Wohnen) den Senat nicht zu binden. Sie geben aber Hinweise darauf, was in der Praxis für angemessen gehalten wird (Beschluss des erkennenden Senats vom 31. Juli 2006 - L 14 B 168/06 AS ER -, 28. September 2006 – L 14 B 733/06 AS ER – und vom 15. März 2007 – L 14 B 1218/06 AS ER –). Nach Nr. 4 Abs. 2 der AV-Wohnen ist für den Ein-Personen-Haushalt der Antragstellerin angemessen lediglich eine Warmmiete bis zu 360 EUR monatlich. Dieser Bewertung hat sich der Senat - jedenfalls im Rahmen der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes - bislang stets angeschlossen (stellvertretend Beschluss v. 13. Juli 2007 – L 14 B 482/07 AS ER -).

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 10/06 R –) ist für die Angemessenheit auf das Produkt zwischen Wohnfläche und Ausstattungsstandard abzustellen (sog. Produkttheorie). Daraus ergibt sich indessen nicht eindeutig, dass die Richtwerte der AV-Wohnen zu niedrig angesetzt sind. Nach den im Land Berlin geltenden Bestimmungen für den sozialen Wohnungsbau bzw. die Vergabe von Wohnberechtigungsscheinen ist für eine Person eine Wohnung mit einem Wohnraum bzw. einer Größe von höchstens 50 qm als angemessen anzusehen. Im Hinblick darauf, dass einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nur "ein einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung zusteht" (BSG, a.a.O.) und unter Berücksichtigung der Spannenwerte des für das Land Berlin bestehenden qualifizierten Mietspiegels 2007 (ABl. S. 1797) hat der Senat bereits entschieden, dass angemessen für einen Ein-Personen-Haushalt eine (Netto-Kalt-)Miete von bis zu 220,- Euro ist (vgl. dazu Beschluss des erkennenden Senats v. 13. Juli 2007 – L 14 B 482/07 AS ER -).

Der vorliegende Fall bietet keinen Anlass für weitgehende Korrekturen. Das Wohnumfeld der Klägerin ist im Berliner Mietspiegel als einfache Wohnlage ausgewiesen und in Berlin-Neukölln sind Altbauwohnungen zahlreich vorhanden. Entsprechend ergibt sich aus dem Berliner Mietspiegel ein Mittelwert von 4,77 Euro je m² Wohnfläche (einfache Wohnlage, Bezugsfertig von 1919 bis 1949, mit Sammelheizung, Bad und Innentoilette) und somit eine angemessene Kaltmiete von bis zu 238,50 Euro monatlich. Zwar erscheint dem Senat fraglich, ob der in Nr. 6 Abs. 1 und 2 der AV-Wohnen für angemessene Betriebskosten zugrunde gelegte Wert von 2,22 Euro je m² Wohnfläche noch zutreffend ist. Für einen höheren Wert als 2,82 Euro je m² Wohnfläche entsprechend dem Betriebskostenspiegel des deutschen Mieterbundes für das Jahr 2007 (vgl. dazu 28. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 24. August 2007 – L 28 B 1389/07 AS ER - und 10. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 18. Dezember 2006 – L 10 B 1091/06 AS ER -, jeweils unter Bezugnahme auf Erhebungen des deutschen Mieterbundes zum Jahr 2006) haben sich bisher aber keine aussagekräftigen Anhaltspunkte finden lassen. Soweit der 32. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 5. September 2007 – L 32 B 1312/07 AS ER - für Betriebskosten einen Wert von 3,74 Euro je m² als angemessen zugrunde gelegt hat, überzeugt das den erkennenden Senat nicht. Denn der obere Spannenwert des Berliner Mietspiegels für das Jahr 2007, der seinerseits auf den tatsächlichen Betriebskosten des Jahres 2005 basiert, sagt nicht notwendig etwas über die angemessen Betriebskosten einfach ausgestatteter Wohnungen in den Jahren 2007 bzw. 2008 aus (vgl. schon Beschluss des erkennenden Senats vom 30. November 2007 – L 14 B 1518/07 AS ER -). Angemessen für die Antragstellerin wären danach Kosten für Unterkunft und Heizung allenfalls in einer Höhe von bis zu 379,50 Euro im Monat.

Wohnungen mit geringeren Kosten als die von der Antragstellerin gegenwärtig bewohnte sind konkret verfügbar und zugänglich. Es ist nicht – zumindest – glaubhaft gemacht, dass entsprechende Wohnungen fehlen. Die Antragstellerin hat bisher lediglich angegeben, dass die Mieten in ihrer Umgebung leider nicht preisgünstiger seien. Sie hat jedoch nicht vorgetragen, ob, seit wann und welche Suchbemühungen sie unternommen hat. Im Übrigen zeigt bereits eine kurze Recherche zu den über das Internet zugänglichen Wohnungsangeboten (z.B. immobilien-scout24), dass im Umkreis von weniger als 2 km zu der jetzigen Wohnung der Antragstellerin mehrere Wohnungen innerhalb der vom Antragsgegner als angemessen angesehenen Mietobergrenze angeboten werden.

Ebenso wenig hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass es ihr nicht möglich oder nicht zumutbar ist, die Unterkunftskosten zu senken. Das im Beschwerdeverfahren vorgelegte ärztliches Attest ihres behandelnden Arztes Dr. B bezeichnet einen Wechsel der Wohnung zwar als große soziale Härte. Es führt aber nicht aus, dass der Umzug aus medizinischen Gründen unmöglich oder unzumutbar wäre. Der Verlust eines Gartens, den die Antragstellerin bisher offenbar nutzen konnte, stellt weder eine unzumutbare Härte noch einen medizinischen Grund dar.

Schließlich ergibt sich nichts aus der – angeblichen – inhaltlichen Unbestimmtheit des Schreibens vom 30. August 2006, mit dem der Antragsgegner zur Senkung der Unterkunftskosten aufgefordert hatte. Abgesehen davon, dass das Gesetz eine vorherige Aufforderung zur Kostensenkung nicht als Voraussetzung dafür ausgestaltet hat, die Kosten der Unterkunft und Heizung nur noch in angemessener Höhe zu übernehmen, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ohnehin lediglich auf die bestehenden Mietobergrenzen hinzuweisen (Urt. v. 7. November 2006 – B 7b AS 10/06 R). Entsprechende Hinweise sind in dem Schreiben des Antragsgegners vom 30. August 2006 indessen zu finden.

Nach alledem vermag der Senat nicht zu erkennen, dass der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten ist, der Antragstellerin vorläufig höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung als 360,- Euro monatlich zu erbringen. Selbst wenn sich in einem Hauptsacheverfahren herausstellen sollte, dass Unterkunftskosten in Höhe von bis zu 379,50 Euro monatlich angemessen sind, wäre der Antragstellerin ein Abwarten zuzumuten, da der Unterschiedsbetrag zu den tatsächlich gewährten Leistungen eher gering ist und ein deutlicher Abstand zu der tatsächlich geschuldeten Miete (520,- Euro monatlich) bleibt, so dass die Leistungen des Antragsgegners jedenfalls nicht ausreichen würden, um der Antragstellerin ihre Wohnung zu erhalten.

Für das Beschwerdeverfahren ist Prozesskostenhilfe nicht zu bewilligen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG unter Berücksichtigung des Ergebnisses in der Sache.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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