L 22 U 138/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 69 U 420/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 U 138/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit durch Rücknahme der Berufung erledigt ist. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen für Folgen eines anerkannten Arbeitsunfalls.

Der 1970 geborene Kläger erlitt am 28. November 2002 bei einer Auseinandersetzung mit einem Arbeitskollegen am Arbeitsplatz eine Prellung der Lendenwirbelsäule (Durchgangsarztbericht vom 28. November 2002).

Mit Bescheid der Beklagten vom 15. April 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2003 wurde ein Arbeitsunfall des Klägers vom 28. November 2002 anerkannt, die Anerkennung von Arbeitsunfähigkeit bzw. Behandlungsbedürftigkeit wegen der Unfallfolgen über den 12. Dezember 2002 hinaus wurde abgelehnt.

Mit der hiergegen am 25. Juli 2003 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass seine Arbeitsunfähigkeit bis zum 17. Januar 2003 nicht wie von der Beklagten angenommen auf einer unfallunabhängigen Vorerkrankung beruhe, sondern, wie vom behandelnden Arzt Dr. M in ihren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen attestiert, auf den Folgen des anerkannten Arbeitsunfalls.

Das Sozialgericht hat als Antrag des Klägers erstinstanzlich zugrunde gelegt,

den Bescheid der Beklagten vom 15. April 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Vorliegen von unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit bis zum 17. Januar 2003 anzuerkennen und die zustehenden Leistungen auszuzahlen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf den Inhalt ihrer Bescheide und auf die von ihr im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte fachärztliche Stellungnahme des Chirurgen Dr. H vom 09. August 2004 bezogen.

Durch Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 27. Dezember 2005 ist die Klage abgewiesen worden.

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 31. Januar 2006 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 20. Februar 2006 beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegte Berufung des Klägers.

Auf Nachfrage durch den Berichterstatter hat die Beklagte die Höhe des begehrten Verletztengeldes für den Zeitraum vom 13. Dezember 2002 bis zum 17. Januar 2003 mit 145,25 Euro angegeben.

Unter Bezugnahme auf diese dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit übersandte Auskunft und nach Hinweis des Berichterstatters, dass bezüglich des geltend gemachten Verletztengeldanspruchs die Berufung nicht statthaft sein dürfte (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und Nachfrage, ob die Berufung weiter durchgeführt werden solle, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 08. November 2006 die Berufung zurückgenommen.

Mit Schriftsatz vom 06. Dezember 2006 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Rücknahme der Berufung wegen Irrtums angefochten und hat um einen Termin zur mündlichen Verhandlung gebeten. Der Kläger habe dem Unterzeichner tatsächlich Auftrag zur Rücknahme der Berufung nicht erteilt. Es handele sich um einen Informationsirrtum, der zu der fälschlichen Rücknahmeerklärung geführt habe. Der Kläger möchte das Berufungsverfahren weiterführen und strebe eine gerichtliche Entscheidung an.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 27. Dezember 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 15. April 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2003 zu verurteilen, unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 17. Januar 2003 anzuerkennen und die zustehenden Leistungen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

festzustellen, dass der Rechtsstreit durch Rücknahme der Berufung erledigt ist,

hilfsweise,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie den der Verwaltungsakten der Beklagten (), die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Antrag des Klägers muss ohne Erfolg bleiben, da der Rechtsstreit durch Rücknahme der Berufung beendet worden ist.

Auf Antrag des Klägers ist bei Streit darüber, ob die Rücknahme des Rechtsmittels wirksam erfolgt ist, zwar das Verfahren fortzusetzen; der Senat ist jedoch gehindert, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 27. Dezember 2005 sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten zu überprüfen und eine Entscheidung in der Sache zu treffen. Der Rechtsstreit ist nämlich durch die Berufungsrücknahmeerklärung mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 08. November 2006 beendet worden. Die Rücknahme der Berufung bewirkt den Verlust des Rechtsmittels (§ 156 Abs. 2 Satz 1 SGG), so dass eine Sachentscheidung nicht mehr ergehen kann (BSG, Urteil vom 24. April 1980, 9 RV 16/79 Rdnr. 14 sowie BSGE 14, 138; 19, 120).

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die Berufung schriftsätzlich auch wirksam zurückgenommen. Hinweise darauf, dass der Bevollmächtigte nicht prozessfähig gewesen wäre, ergeben sich nicht. Der Kläger muss die Erklärung des Prozessbevollmächtigten, der ihn wirksam vertreten konnte (§ 73 SGG i. V. m. § 85 Abs. 1 S 1 Zivilprozessordnung - ZPO) gegen sich gelten lassen. Die im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte, für alle Instanzen gültige schriftliche Vollmacht vom 19. Dezember 2002 ermächtigte sowohl nach ihrem Inhalt als auch nach dem üblichen gesetzlichen Umfang den Bevollmächtigten zu allen Prozesshandlungen und auch zur Rücknahme der Berufung.

Nach § 85 Abs. 1 ZPO sind die von den Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen für die Parteien ebenso verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen worden wären. Nach Abs. 2 der Vorschrift steht ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich.

Entscheidend ist, dass die Prozessvollmacht den Vertreter im Außenverhältnis zu der betreffenden Handlung ermächtigt, unabhängig davon, ob das Handeln des Vertreters von seiner Befugnis im Innenverhältnis gedeckt ist. Aus diesem Grund ist eine Zurechnung auch dann anzunehmen, wenn der Vertreter mit seinem Verhalten gegen ausdrückliche Weisungen des Vertretenen verstößt. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur in engen Grenzen anzuerkennen, so wenn die Rücknahme für das Gericht und den Gegner im Zeitpunkt des Zugangs als Versehen offenbar gewesen ist und deswegen nach Treu und Glauben als unwirksam zu behandeln ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 8. Auflage 2005, § 156 Rz. 2a für den Fall eines Widerrufes der Rücknahme, m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Der vom Prozessbevollmächtigten des Klägers angegebene "Informationsirrtum", der fälschlich zur Rücknahmeerklärung geführt habe, war als solcher weder für die Beklagte noch für das Gericht erkennbar; vielmehr entsprach die Rücknahme der Berufung der Logik einer als unzulässig erachteten Berufung.

Die Rücknahme des Rechtsmittels ist eine Prozesshandlung und grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar und kann auch nicht wirksam wegen Irrtums angefochten werden, (vgl. BSG, Beschluss vom 24. April 2003, B 11 AL 33/03 B, zitiert nach juris). Dies gilt auch dann, wenn sie aufgrund eines Irrtums des Rechtsmittelführers über tatsächliche oder rechtliche Umstände erklärt wurde (BGH XII ZP 80/07 zitiert nach juris). Im vorliegenden Verfahren liegt bereits kein Irrtum über den Inhalt oder die Tragweite einer Rücknahmeerklärung vor, sondern ein rechtlich unbeachtlicher Motivirrtum.

Das durch Berufungsrücknahme rechtskräftig beendete Verfahren könnte nur entsprechend den Bestimmungen des Vierten Buches der ZPO (§ 179 SGG, 579, 580 ZPO) wieder aufgenommen werden (vgl. BSG vom 24. April 1980, a.a.O., Rdnr. 18). Die dort näher beschriebenen Voraussetzungen, wie z. B. falsche eidliche Aussage des gegnerischen Prozessbeteiligten, Urkundenfälschung, falsches Zeugnis oder Gutachten von Zeugen oder Sachverständigen, Urteilserschleichung, strafbare Amtspflichtverletzung eines Richters oder das Auffinden einer bisher unbekannten Urkunde sind vorliegend offensichtlich nicht erfüllt. Auch wurde vom Kläger oder seinen Prozessbevollmächtigten nichts Derartiges vorgetragen.

Es ist somit festzustellen, dass der Rechtsstreit durch Rücknahme der Berufung erledigt ist (vgl. Meyer-Ladewig, § 156, Rdnr. 5, 6).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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