Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 7 U 105/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 U 20/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Februar 2003 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für beide Instanzen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin am 02. Januar 1998 einen Arbeitsunfall erlitten hat mit der Folge einer Sudeckschen Dystrophie und anschließenden Bewegungseinschränkungen im rechten Daumen.
Die 1959 geborene Klägerin, die zum Zeitpunkt des geltend gemachten Unfalls als Verkäuferin im Großmarkt R im S-in G beschäftigt gewesen war, erschien am 03. August 1998 bei dem Durchgangsarzt Dr. med. B (Chefarzt des A-Kreiskrankenhauses K) und gab an, sich am Vortag - dem 02. Januar 1998 gegen 14.30 Uhr - bei der Arbeit an einer Kasse den rechten Daumen an einer Büchse gestoßen zu haben. Als Befund ist im Durchgangsarztbericht festgehalten: "Schmerzen in allen Fingergelenken und Handgelenk radialseits". Die von Dr. med. B veranlassten Röntgenaufnahmen des rechten Daumens und des rechten Handgelenkes ergaben keine Frakturzeichen. Diagnostiziert wurde: "Prellung rechter Daumen"; eine elastische Wicklung wurde angelegt. Die Klägerin stellte sich wegen Schmerzen und Schwellung des rechten Daumengrundgelenks und Bewegungseinschränkungen des Daumens nochmals am 05., 08. und 14. Januar 1998 bei Dr. med. B vor. Die weitere Behandlung erfolgte ab dem 14. Januar 1998 durch den Facharzt für Chirurgie Dr. med. R, der eine unvollständige Streckung des Daumenendgelenks feststellte.
Bei der Wiedervorstellung am 03. Februar 1998 wurde als Befund erhoben; "Finger etwas geschwollen"; am 17. Februar 1998 wurde die Gipslonguette entfernt. Eine Röntgenuntersuchung, vom 18. März 1998 ergab den Verdacht auf einen Morbus Sudeck. Die Klägerin wechselte am 23. März 1998 in die Behandlung von Dr. med. K (Chefarzt der Chirurgischen Abteilung des Evangelischen Krankenhauses L), der einen "komplikativ aufgetretenen Morbus Sudeck bei Zustand nach Prellung mit gedeckter Strecksehnenabtrennung des rechten Daumens" diagnostizierte.
In der Unfallanzeige des Beschäftigungsbetriebes der Klägerin vom 02. Januar 1998 ist als Unfallhergang angegeben: "Beim Scannen der Ware mit dem Daumen der rechten Hand an eine große Konservenbüchse gestoßen und dabei gestaucht".
Unter dem 13. Oktober 1998 erstellte Prof. Dr. med. R auf Veranlassung der Beklagten und nach ambulanter Untersuchung der Klägerin ein schriftliches Zusammenhangsgutachten, in dem eine Sudecksche Erkrankung diagnostiziert wurde. Ein Strecksehnenabriss wird als Diagnose verneint. Auf Befragen gab die Klägerin bezüglich des Unfallhergangs an, dass beim Kassieren ein Kunde eine noch nicht gescannte Dose habe anheben wollen; beim reflexartigen Zufassen habe sie den rechten Daumen an der Dose gestoßen und sofort einen starken Schmerz verspürt.
Am 03. Dezember 1999 erstattete Dr. med. ein Erstes Rentengutachten und gab als wesentliche Unfallfolgen an: "Morbus Sudeck nach Anpralltrauma des Daumens, Einschränkung der Beweglichkeit mittelgradig in Grund- und Endglied, verminderte Belastbarkeit der rechten Hand, fleckförmige Entkalkung im Röntgenbild, erhöhte Schweißneigung des Daumens"; die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage für die Zeit von Beginn der Arbeitsfähigkeit (16. August 1999) an 20 v. H. , weil der Morbus Sudeck immer noch floride sei; nach Abklingen der akuten Erscheinungen müsste eine Endzustand mit einer MdE unter 20 v.H. resultieren.
In einer für die Beklagte erstellten ärztlichen Stellungnahme des Privatdozenten des Dr. med. E vom 15. Februar 2000, die auf einer orthopädischen handchirurgischen gutachterlichen Untersuchung der Klägerin vom 13. Januar 2000 beruht, wird mitgeteilt, dass bei der Klägerin ein Endzustand einer Sudeckschen Erkrankung vorliege, der nicht mehr wesentlich verbessert werden könne. Inwieweit bereits eine Verletzung des rechten Daumens vor dem Arbeitsunfall für den Morbus Sudeck auslösend gewesen sei, ob das Arbeitsunfallereignis oder letztlich das Zusammenwirken zweier Unfälle auslösend für diese Erkrankung gewesen sei, lasse sich nicht abgrenzen.
Im Zuge weiterer Ermittlungen der Beklagten zu Verletzungen der Klägerin am rechten Daumen vor dem 02. Januar 1998 wurde festgestellt, dass die Klägerin vom 16. bis zum 18. November 1996 wegen einer Arbeitsunfall bedingten Daumendistorsion und vom 18. Oktober 1997 bis zum 27. November 1997 wegen einer bei einer privaten Veranstaltung erlittenen Verletzung des rechten Daumens arbeitsunfähig erkrankt war. Am 18. Oktober 1997 war die Klägerin mit einer Gipslonguette für Daumen- und alle Langfinger versorgt worden. Der Daumen rechts war danach (23. und 28. Oktober 1997) zweimal geröntgt worden, ohne dass sich – bei klinischem Verdacht auf eine Sehnenverletzung – Hinweise auf eine Fraktur oder Bandverletzung des rechten Daumens ergeben hätten.
Mit Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2000 lehnte diese die Gewährung von Entschädigungsleistungen "anlässlich der Behandlungsbedürftigkeit ab dem 03. Januar 1998" ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen dem äußeren Ereignis (der Prellung des rechten Daumens am 02. Januar 1998) und dem Körperschaden (Heilungsstörung des Knochens und des Weichteilmantels im Bereich des rechten Daumens) nicht vorliege, da der Anstoß an die Konservenbüchse zwar mögliche Ursache im naturwissenschaftlichen Sinne gewesen sei, aber nicht rechtlich wesentliche Ursache im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. Dem äußeren Ereignis vom 02. Januar 1998 komme nur die Bedeutung eines rechtlich unwesentlichen Anlassgeschehens zu, da jedes Bagatelltrauma auch im privaten Lebensbereich zu einem Morbus Sudeck führen könne.
Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2000 zurück: Es könne nicht bewiesen werden, dass das Ereignis vom 02. Januar 1998 überhaupt zu einer Gesundheitsschädigung geführt habe und somit ein Unfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung vorgelegen habe, da die Klägerin nach ihren eigenen und den Angaben ihres Arbeitgebers am 02. Januar 1998 bereits mit einem wegen Überlastungsbeschwerden bandagierten Handgelenk zur Arbeit erschienen sei und die bei der ärztlichen Untersuchung am 03. Januar 1998 angegebenen Schmerzen in den Fingergelenken und der Innenseite des Handgelenkes sich durch Überlastungsbeschwerden erklären ließen, zumal beim Kassiervorgang am 02. Januar 1998 nur der rechte Daumen in Mitleidenschaft gezogen worden sein solle, nicht aber die anderen Finger.
Hiergegen hat die Klägerin am 18. August 2000 Klage beim Sozialgericht Cottbus (SG) Klage erhoben und erstinstanzlich beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Sudecksche Dystrophie als Folge eines am 02. Januar 1998 erlittenen Arbeitsunfalls anzuerkennen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG hat Befundberichte von Dr. med. B (vom 27. Februar 2001) und Dr. med. R (vom 14. März 2001) sowie ein orthopädisches Sachverständigengutachten nach ambulanter Untersuchung der Klägerin von Dr. med. B eingeholt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 02. Oktober 2001 eine Funktionseinschränkung im Daumenendglied rechts bei Zustand nach Strecksehnenabriss rechts, ausgeheilte Sudecksche Dystrophie und einen Verdacht auf Karpaltunnelsyndrom rechts diagnostiziert. Die Funktionseinschränkung im Daumenendglied der rechten Hand sei auf den Unfall vom 02. Januar 1998 zurückzuführen. Ebenso sei die 1998/1999 abgelaufene Sudecksche Dystrophie im Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen und der erfolgten Behandlung zu sehen. Das Karpaltunnelsyndrom stehe hingegen nicht im Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen. Die Beschreibung des Unfallhergangs sei durchaus geeignet, eine Strecksehnenruptur im Endglied des Daumens zu verursachen. Erkrankungsbeginn und Erkrankungsverlauf seien lückenlos dokumentiert und ließen einen kausalen Zusammenhang erkennen. Die zeitversetzt aufgetretene Sudecksche Dystrophie sei eine gefürchtete Komplikation nach Bagetellverletzungen und Frakturenen an den Extremitäten. Es liege ein zeitlicher Zusammenhang zum Unfallereignis unter Behandlung der Unfallfolgen vor, ein ursächlicher Zusammenhang müsse daher bejaht werden, wenngleich unumstritten sei, dass jede Bagatellverletzung eine Sudecksche Dystrophie provozieren könne. Der Strecksehnenabriss sei unmittelbar am Unfalltag entstanden, die Sudecksche Dystrophie habe sich während der Nachbehandlungszeit entwickelt, sie sei zwischenzeitlich ausgeheilt. Die unfallbedingte MdE sei mit 10 v. H. ab dem 01. September 2000 anzusetzen.
Auf den Hinweis der Beklagten, dass am 03. Januar 1998 bereits Schmerzen in allen Fingergelenken und im Handgelenk angegeben worden seien und nach der unfallmedizinischen Literatur die leichte Gewebsschädigung nur ausnahmsweise wesentliche Teilursache eines Sudeck-Syndroms sein könne, hat Dr. med. B unter dem 02. Januar 2002 schriftlich ergänzt, dass im Verlauf der angeführten Verletzung des rechten Daumens vom 18. Oktober 1997 keinerlei Hinweise auf eine algodystrophische Veränderung der Hand festzustellen gewesen sei, während die Vorstellung beim Handchirurgen am 14. Januar 1998 die Diagnose eines Strecksehnenabrisses am rechten Daumen mit anschließendem Gips ergeben habe. Die am 03. Januar 1998 festgestellten Schmerzen in allen Fingergelenken und dem Handgelenk stünden nicht im Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 02. Januar 1998. Der zeitliche Ablauf der Sudeckschen Erkrankung, das Unfallereignis selbst und die Gipsbehandlung ließen unschwer einen kausalen Zusammenhang erkennen.
Durch Urteil des SG vom 13. Februar 2003 ist die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Mai 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2000 verurteilt worden, die Sudecksche Dystrophie der Klägerin als Folge eines am 02. Januar 1998 erlittenen Arbeitsunfalls anzuerkennen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, dass es am 02. Januar 1998 bei der Klägerin nach den überzeugenden Ausführungen des Gerichtssachverständigen Dr. med. Bin Übereinstimmung mit Dres. med. R und K beim Zugriff auf eine Konservendose zu einer direkten Daumenprellung gekommen sei; beim derartigen schnellen Zugriff sei nach den Ausführungen des Prof. Dr. R und des Gerichtssachverständigen durchaus ein Strecksehnenabriss möglich. Ein geeignetes Unfallgeschehen sei damit zur Überzeugung des Gerichts gegeben. Selbst wenn es entgegen der Auffassung des Gerichts seinerzeit nicht zu einem Strecksehnenabriss gekommen sein sollte, wäre die Unfallunabhängigkeit der hier bedeutsamen Erkrankung (Morbus Sudeck) nicht ausgeschlossen. Nach den Ausführungen von Privatdozent Dr. med. E und Dr. med. B sei das Auftreten einer Sudeck-Erkrankung selbst nach kleinsten Bagatellverletzungen möglich. Soweit die Beklagte darauf hingewiesen habe, bei der Klägerin sei bereits am 16. November 1996 eine Röntgenuntersuchung des rechten Daumens durchgeführt worden, spreche dies nicht gegen die dem Urteil zugrunde liegende Überzeugung. Die angesprochene Untersuchung sei von Dr. med. R in seinem Schreiben an das Gericht vom 14. März 2000 erwähnt worden. Zugleich habe Dr. med. R weiter ausgeführt, auf den Röntgenaufnahmen seien keine Verletzungsfolgen aufgefunden worden, was auch für eine Röntgenuntersuchung vom 18. Oktober 1997 gelte. Dieser Befund korreliere mit den Untersuchungsergebnissen vom 03. Januar 1998, die keine Anzeichen für das Vorliegen eines Morbus Sudeck, auch nicht Anzeichen des ersten Stadiums einer solchen Krankheit ergeben hätten. Dies hätte aber der Fall sein müssen, wäre diese Erkrankung auf Ereignisse aus dem Jahr 1996 bzw. 1997 zurückzuführen gewesen.
Gegen das der Beklagten am 20. August 2003 zugestellte Urteil hat diese am 15. September 2003 beim Landessozialgericht Brandenburg Berufung eingelegt. Sie wird im Wesentlichen damit begründet, dass die Klägerin sich bereits unmittelbar vor dem 02. Januar 1998 den rechten Daumen verletzt habe, so dass fraglich sei, ob das Geschehen vom 02. Januar 1998 bei der Arbeit überhaupt Ursache der Sudeckschen Dystrophie im naturwissenschaftlichen Sinne gewesen sei. Aber selbst wenn dies der Fall gewesen sei, könne eine leichte Gewebsschädigung, wie sie hier allenfalls als Folge des Ereignisses vom 02. Januar 1998, festzustellen gewesen sei, lediglich ausnahmsweise wesentliche Teilursache einer nachfolgenden CRPS sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Februar 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin, die das erstinstanzliche Urteil verteidigt, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zu medizinischen Unterlagen der Klägerin anlässlich des Unfalls vom 15. November 1996 hat das KD-S, Standort K Röntgenunterlagen sowie einen Durchgangsarztbericht von Dr. B vom 18. November 1996 übersandt, zum Ereignis vom 18. Oktober 1997 neben bereits in den Akten befindlichen Unterlagen - Röntgenbilder sowie einen Notfall-/Vertretungsschein seiner Notfallambulanz. Die M mbH W hat Röntgenbilder und Befunde vom 23. und 28. Oktober 1997 übermittelt. Dr. med. R hat EDV-Ausdrucke seiner beiden Krankenblätter über die Klägerin zur Verfügung gestellt. Ebenso wie die BARMER Ersatzkasse, bei der die Klägerin vor dem 01. Januar 1997 gesetzlich krankenversichert war, hat auch die AOK - Die Gesundheitskasse für das Land Brandenburg – für die Zeit nach dem 01. Januar 1997 – dem Gericht das Erkrankungsverzeichnis der Klägerin zukommen lassen. Zum Hergang des Unfalls sind die als Zeuginnen benannten P E sowie U R in der nichtöffentlichen Sitzung am 22. November 2004 vom Berichterstatter vernommen worden; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Anlagen 1 und 2 zur Sitzungsniederschrift (Bl. 177 f. und 179 f. der Gerichtsakten) Bezug genommen. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichtes vom 10. Juli 2003 (Az. 1 U 1/03), mit dem im Berufungsverfahren Ansprüche der Klägerin gegen Dr. med. wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers abgelehntworden sind, zu den Akten gereicht.
Auf Anordnung des Berichterstatters hat Prof. Dr. med. S am 01. August 2005 nach ambulanter Untersuchung der Klägerin vom 23. Juni 2005 ein orthopädisch-traumatologisches Sachverständigengutachten erstattet. Er hat im Ergebnis festgestellt, dass das Ausmaß der äußeren Einwirkung auf den Daumen bei dem Ereignis vom 02. Januar 1998 nicht bekannt sei. Ein Strecksehnenabriss sei nicht eingetreten, sondern es habe sich tatsächlich um eine Prellung gehandelt. Es müsse mit Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass jedes ähnlich gelagerte, geringfügige Ereignis zu derselben Erscheinung geführt hätte und dass ein Unfall im engeren Sinne nicht eingetreten sei. Es habe eine Vorschädigung des Daumens vorgelegen, da die Unfallverletzte am Unfalltag bereits mit einem Daumenverband zur Arbeit erschienen sei. Diese Vorschädigung sei aber ebenso unwesentlich gewesen wie die krankhaften Störungen am Daumen im Mai 1996 und Oktober 1997, die alle nicht zu der in Rede stehenden Sudeckschen Erkrankung geführt hätten. Die technischen Untersuchungen vom 03. Januar 1998 hätten nämlich gezeigt, dass keine wesentliche Verletzung am Daumen eingetreten sei (keine knöcherne Verletzungsfolge, kein knöcherner Bandausriss). Eine MdE der rechten Hand wäre mit 10 v. H. anzusetzen.
Am 18. Oktober 2005 ist der Sachverständige in nichtöffentlicher Sitzung ergänzend zu seinem Gutachten vernommen worden. Er hat ausgeführt, dass sich zum 03. Januar 1998, also einen Tag nach dem Unfall, auf dem Röntgenbild eine Sudecksche Erkrankung nicht nachweisen lasse. Erst im MRT-Befund vom 18. März 1998 sei von einem Verdacht auf Morbus Sudeck die rede gewesen und dann in dem Röntgenbild vom 07. Mai 1998 zweifelsfrei ein Morbus Sudeck nachweisbar. Insoweit entspreche der zeitliche Ablauf der Entwicklung des Morbus Sudeck bei der Klägerin dem, dem man nach einem Unfallereignis von Anfang Januar 1998 hätte erwarten können. Allein der zeitliche Ablauf der Entwicklung des Morbus Sudeck bei der Klägerin reiche aber nicht aus, um sagen zu können, dass das Ereignis vom 02. Januar 1998 mit Wahrscheinlichkeit den Morbus Sudeck hervorgerufen habe. Erforderlich sei nach den Hinweisen in der medizinischen Literatur auch eine erhebliche Krafteinleitung und Verletzung des betroffenen Körperteils. Diese könne hier nicht festgestellt werden. Bei der Klägerin habe sich weder eine Sehnenverletzung noch ein Bänderriss feststellen lassen noch sei es zu Hautabschürfungen und erheblichen Schwellungen gekommen, die auf eine entsprechende Krafteinleitung schließen ließen. Im Durchgangsarztbericht von Dr. med. B vom 05. Januar 1998 sei lediglich festgehalten, dass Schmerzen in allen Finger- und Handgelenken radialseits vorhanden gewesen seien; nicht einmal von einer Schwellung sei die Rede. Ihm komme es als Sachverständiger auf die initialen Befunde auch deshalb besonders an, weil eine Bagatellverletzung eher eine Ausnahmeursache für einen nachfolgenden Morbus Sudeck darstelle. Umstände aus der Vorgeschichte der Erkrankung der Klägerin, die es ermöglichen würden, auch einen wahrscheinlichen Zusammenhang der Bagatellverletzung vom 02. Januar 1998 mit dem nachfolgenden Morbus Sudeck herzustellen, lägen nicht vor. Wissenschaftlich geklärt seien die medizinisch angenommenen Wirkungszusammenhänge zwischen Verletzungen und Morbus Sudeck nicht. Seine Bewertung gelte im Übrigen auch dann, wenn man nur ein Ereignis vom 02. Januar 1998 für bewiesen halte, und nicht auch eines vom 01. Januar 1998, wovon er – auf eine entsprechende Angabe der Klägerin hin – noch in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten ausgegangen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach– und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten (Aktenzeichen 94 U 03032/98) sowie die Gerichtsakten des Landgerichts Potsdam, Aktenzeichen 11 O 33/01 (Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Dr. med. R aus Fehlbehandlung im Januar/Februar 1998), die sämtlich bei gezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, die bei der Klägerin abgelaufene Sudecksche Dystrophie als Folge eines am 02. Januar 1998 erlittenen Arbeitsunfalls anzuerkennen. Die zulässige Feststellungsklage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig, denn die Klägerin hat nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Senates (§ 128 Abs. 1 SGG) am 02. Januar 1998 keinen Arbeitsunfall erlitten, aus dem sich in der Folge eine Sudecksche Dystrophie des rechten Daumens hätte entwickeln können.
Nach § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Der Begriff des Unfalls erfordert ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden geführt hat (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für die Anerkennung von Unfallfolgen ist erforderlich, dass sowohl zwischen der Unfall bringenden Tätigkeit und dem Unfallereignis als auch zwischen dem Unfallereignis und der Gesundheitsschädigung ein innerer ursächlicher Zusammenhang besteht. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, der Unfall und die Gesundheitsschädigung im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden. Die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt nur insoweit, als der ursächliche Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden und zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie der Zusammenhang betroffen ist, der im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen dem Arbeitsunfall und der maßgebenden Verletzung bestehen muss. Ein Zusammenhang ist wahrscheinlich, wenn bei Abwägung aller Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Überzeugung des Gerichts gegründet werden kann (BSGE 32, 203, 209; 45, 285, 286).
Der Senat geht bei seiner Entscheidung davon aus, dass sich bei der Kassiertätigkeit der Klägerin am 02. Januar 1998 zwar ein Unfall ereignet hat; denn die Klägerin hat ohne Widersprüche durchgehend angegeben, was bereits zeitnah im Unfallbericht vom 02. Januar als Unfallhergang mitgeteilt worden war, nämlich dass sie beim Scannen der Ware mit dem Daumen der rechten Hand angestoßen sei (siehe Unfallanzeige vom 02. Januar 1998). Näher ergänzt hat sie diesen Ablauf später noch durch die Angabe, dass ihr eine Kundin/ein Kunde die Dose entgegengestreckt habe und sie mit dem Daumen – der Bewegung entgegenkommend – an die Dose gestoßen sei (siehe Sitzungsniederschrift der nichtöffentlichen Sitzung des 27. Senats vom 11. April 2005). Mehr lässt sich aber über den Unfallablauf, für den es keine Zeugen gibt (so Aussagen der Zeuginnen P E und U R, Anlage 1 und 2 zur Sitzungsniederschrift vom 22. November 2004, und die Klägerin selbst), nicht feststellen, insbesondere nicht, an welcher Stelle des Daumens der Aufprall genau gewesen ist und welche Kräfte dabei in den Daumen auf welche Art und Weise eingeleitet worden sind.
Wenngleich insoweit zwar ein Unfallereignis vorliegt, lässt sich aber nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nur eine Bagatellverletzung im Sinne einer Prellung des rechten Daumens als Erstschädigung der Klägerin feststellen, geschweige denn ein Strecksehnenabriss im rechten Daumen. Es fehlt an hinreichenden Hinweiszeichen, die dem Senat die Überzeugung der zweifelsfreien Feststellbarkeit eines Erstschadens gerade am Daumen vermitteln könnten.
Dr. med. B, bei dem sich die Klägerin am Tage nach dem Unfall vorgestellt hatte, und der als Durchgangsarzt gerade um die Bedeutung initialer Befunde für die weitere Bewertung eines Unfalls wissen musste, hat in seinem Durchgangsarztbericht gerade keine initialen Befunde mitgeteilt. Zwar ist in dem Durchgangsarztbericht vom 05. Januar 1998 als "Diagnose" eine "Prellung re. Daumen" festgehalten ebenso wie in der Unfallanzeige vom 02. Januar 1998 die Angabe "Stauchung Daumen rechte Hand" als "Art der Verletzung" bzw. "Verletzte Körperteile". Allerdings sind die Diagnosen aufgrund der fehlenden Befunde nicht nachvollziehbar. Er hat für den Tag des erstmaligen "Eintreffens" nach dem Unfall bei ihm, am 03. Januar 1998, weder Hämatome oder Schwellungen oder andere Veränderungen des rechten Daumens angegeben noch Bewegungseinschränkungen im rechten Daumengelenk.
Eine "Schwellung im rechten Daumengrundgelenk, auch Bewegungseinschränkung" ist ausweislich der handschriftlichen Angaben in den Krankenunterlagen des A-K erstmals von ihm am 05. Januar 1998, also drei Tage nach dem Unfall erwähnt worden. Die Diagnose einer Prellung des rechten Daumens durch Dr. Bohm beruht zur Überzeugung des Senates also allein auf der Angabe der Klägerin über – subjektive – Schmerzen auch, aber nicht nur im rechten Daumen – laut Durchgangsarztbericht klagte die Klägerin über Schmerzen in allen Fingergelenken und dem Handgelenk radialseits – und der Schilderung des Unfallablaufs durch die Klägerin, ohne dass sich die Diagnose stützende, objektive Befunde medizinisch hätten feststellen lassen. So hat Dr. med. B auch Frakturzeichen des rechten Daumens und des Handgelenks röntgenologisch ausgeschlossen. Hinzukommt, dass der am 03. Juni 1998 durchgangsärztlich erhobene Schmerzbefund "in allen Fingergelenken und Handgelenk radialseits" jedenfalls nicht zu dem von der Klägerin als Unfallereignis geschilderten Anstoß des rechten Daumens an der Büchse passt, insoweit nicht durch dieses Ereignis verursacht worden sein kann. Denn die Schmerzen der Klägerin in allen Fingergelenken und Handgelenk lassen sich mit dem Anstoß des Daumens an der Büchse – mit unbekannter Kraft, unbekannter Bewegungsrichtung und unbekanntem Anprallort – allein nicht erklären.
Auch ein Strecksehnenabriss im rechten Daumen als Erstschaden in Folge des Anstoßes des rechten Daumens an einer Büchse lässt sich nicht nachweisen. Soweit Dr. med. R bei der Klägerin am 14. Januar 1998, also knapp zwei Wochen nach dem Unfallereignis, eine solche Verletzung diagnostiziert und der ihm nachfolgende Behandler Dr. med. K gar den "klinischen Nachweis eines gedeckten Abrisses der Strecksehne im Endgelenksbereich" (vgl. Nachschaubericht Dr. med. K vom 25. März 1998) für erbracht gehalten hat, lässt sich gerade nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass eine solche Strecksehnenverletzung tatsächlich vorgelegen hat. Denn es fehlt in dem Durchgangsarztbericht von Dr. med. B vom 03. Januar 1998 jeder Hinweis auf eine Bewegungseinschränkung des rechten Daumens, der eine solche Diagnose hätte stützen können, worauf übereinstimmend Dr. med. E in seiner ärztlichen Stellungnahme für die Beklagte vom 15. Februar 2000 und auch schon vorher Prof. Dr. med. R in seinem Gutachten vom 13. Oktober 1998 hingewiesen haben. Röntgenologisch bestanden ohnehin keine Anzeichen für den postulierten knöchernen Strecksehnenabriss, wie Prof. Dr. med. S festgestellt hat (siehe S. 15 des Sachverständigengutachtens). Dass ein bereits "unmittelbar am Unfalltag entstandener Strecksehnenabriss" – so ausdrücklich Dr. med. B in seinem Sachverständigengutachten vom 2. Oktober 2001 – erst drei Tage später zu Bewegungseinschränkungen führt – erst am 5. Januar 1998 hat, wie beschrieben, Dr. med. B erstmals Bewegungseinschränkungen im Daumen überhaupt festgestellt – erscheint außerordentlich unwahrscheinlich.
Fehlt es bereits an einem Erstschaden, lässt sich selbstverständlich auch nicht hinreichend wahrscheinlich machen, dass der im weiteren Verlauf der Behandlung auftretende Morbus Sudeck – heute auch als komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS) bezeichnet (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin: Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage 2003, S. 472; S. 5 des Zusammenhangsgutachtens Prof. Dr. med. R) – durch das Unfallereignis vom 02. Januar 1998 verursacht worden ist. Dies würde selbst dann gelten, wenn man das Vorliegen einer "leichten Prellung" hier unterstellen würde. Dies ergibt sich aus den Ausführungen von Prof. Dr. med. S in seinem Sachverständigengutachten vom 01. August 2005 mit ergänzender Aussage vom 18. Oktober 2005, die in Übereinstimmung mit der unfallmedizinischen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 472 ff.) stehen. Das Sudeck-Syndrom ist definiert als eine an Weichteilen und Knochen ablaufende neurogene Durchblutungs- und Stoffwechselstörung mit Entzündungscharakter und der Neigung zu Chronizität (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 472). Als Ursachen kommen zu mehr als 90 Prozent Traumen im Bereich der betroffenen Extremität, neben hier nicht infrage stehenden Entzündungen, Tumoren, Herpes Zoster, in Betracht (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 473). Eine Sudeck-Erkrankung ist auch nach Bagatelltraumen möglich (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 473; so ausdrücklich auch S. 7 der ärztlichen Stellungnahme Dr. med. E vom 15. Februar 2000). In 10 bis 26 Prozent der Fälle bei der Sudeckschen Dystrophie konnte keine eigentliche Ursache für das Auftreten dieser Erkrankung gefunden werden (so S. 6 des Zusammenhangsgutachtens Prof. Dr. R vom 13. Oktober 1998). Es ist wissenschaftlich ungeklärt, wie und weshalb es nach Verletzungen zu einem Morbus Sudeck kommt (so Prof. Dr. med. S S. 4 der Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 18. Oktober 2005). Bei geringfügigen Verletzungen (z. B. leichten Prellungen) gilt es, stets den Grad der Mitwirkung des Traumas an der Entstehung des Morbus Sudeck – in angemessener Berücksichtigung der individuellen Umstände – sorgfältig abzuwägen und Stellung zu nehmen, ob und warum die leichte Gewebsschädigung ausnahmsweise wesentliche Teilursache ist ( Prof. Dr. med. S Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift vom 18. Oktober 2005 und S. 13 seines Sachverständigengutachten in Übereinstimmung mit Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 474).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lässt sich allenfalls feststellen, dass sich der erstmals am 17. März 1998 aufgrund der Beschwerdesymptomatik und nach radiologischer computertomografischer Diagnostik geäußerte und später zur Gewissheit gewordene Verdacht auf einen Morbus Sudeck am rechten Daumen der Klägerin (vgl. Arztbrief Dr. med. R vom 20. März 1998 und CT Dres. med. L/L vom 18. März 1998, Prof. Dr. med. S Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift vom 18. Oktober 2005) in dem nach klinischer Erfahrung zu erwartenden Zeitintervall zwischen dem Auftreten der Einzelsymptome des Sudeck-Syndroms und dem angeschuldigten Ereignis entwickelt hat (14 Tage bis 6 Wochen nach dem Unfallereignis, so Prof. Dr. med. S Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift vom 18. Oktober 2005).
Angesichts der fehlenden initialen Befunde auch zu einer nur leichten Gewebsschädigung und der fehlenden Feststellbarkeit der konkreten Umstände des Hergangs , die eine individuelle Abwägung im obengenannten Sinne nicht ermöglichen, ließe sich der von der Klägerin behauptete Ursachenzusammenhang auch im Fall der Feststellbarkeit einer Prellung nicht begründen, wie Prof. Dr. med. S ausdrücklich bekundet hat (Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift vom 18. Oktober 2005). Entgegen der Ansicht der Klägerin ist es gerade nicht so, dass nach derzeitigem Kenntnisstand das Sudecksche Syndrom nach einer äußeren Einwirkung in der Regel als Unfallschaden zu bewerten ist bzw. als Komplikation des Heilungsverlaufs. Umstände aus der Vorgeschichte der Erkrankung der Klägerin, die es ermöglichen würden, einen wahrscheinlichen Zusammenhang einer angenommenen Bagatellverletzung vom 02. Januar 1998 mit dem nachfolgenden Morbus Sudeck herzustellen, liegen nicht vor (so ausdrücklich Prof. Dr. S, Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift vom 18. Oktober 2005).
Dass vor dem Unfallereignis bereits eine behandlungsbedürftige Erkrankung des rechten Daumens vorgelegen hatte, die sich durch das Unfallereignis als wesentliche Ursache verschlimmert haben könnte, lässt sich nicht feststellen. Es fehlt schon an der zweifelsfreien Feststellbarkeit einem Vorschadens. Zwar hat die Klägerin wegen Beschwerden des rechten Daumens/Handgelenks gelegentlich vor dem 02. Januar 1998 und möglicherweise auch an diesem Tag eine Bandage benutzt, wie sich aus den Bekundungen der Zeuginnen Eund Rim Berufungsverfahren ergibt (vgl. Anlagen 1 und 2 zur Sitzungsniederschrift vom 22. November 2004). Allerdings bleibt unklar, aufgrund welcher medizinischen Indikation dies erfolgt ist. Dr. med. Bhat in seinem Durchgangsarztbericht keine vor bestehenden Gesundheitsstörungen am rechten Daumen der Klägerin festgestellt. Ein Morbus Sudeck des rechten Daumens bestand zum Zeitpunkt des Unfallereignisses am 02. Januar 1998 – nach dem unauffälligen Röntgenbefund vom 03. Januar 1998 – nicht, wie Dr. med. Bohm in seinem Durchgangsarztbericht ausdrücklich festgestellt hat. Auch ansonsten ergibt sich nichts für eine vor dem Unfallereignis bestehende Erkrankung des rechten Daumens der Klägerin. Die bei einem privaten Unfall am 18. Oktober 1997 erlittene Daumendistorsion, die zu einer Arbeitsunfähigkeit bis zum 20. November 1997 geführt hatte, war folgenlos ausgeheilt (so ausdrücklich Dr. med. B S. 5 seines Gutachtens).
Der Zusammenhangsbeurteilung von Dr. med. B, die der Entscheidung des SG zugrunde liegt, kann selbst bei Annahme eines "Bagatelltraumas" nicht gefolgt werden, da sie – im Gegensatz zur Beurteilung von Prof. Dr. med. S – nicht den Besonderheiten der Feststellbarkeit des Kausalzusammenhangs zwischen Bagatelltrauma und Morbus Sudeck Rechnung trägt und allein einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und dem Ablauf des Morbus Sudeck als ausreichend betrachtet. Dies ergibt sich aus den Ausführungen Frakturen an den Extremitäten sei, die – konkret bezogen auf den Fall der Klägerin – im Rahmen der Behandlung der Unfallfolgen entstanden sei, da die Röntgenuntersuchung am ersten Tag nach dem Unfallereignis keine Algodystrophie habe erkennen lassen. Damit sei ein zeitlicher Zusammenhang zum Unfallereignis und der Behandlung der Unfallfolgen gegeben, ein ursächlicher Zusammenhang müsse daher bejaht werden, wenngleich unumstritten sei, dass jede Bagatellverletzung eine Sudecksche Dystrophie provozieren könne. Eine solche Zusammenhangsbetrachtung entspricht nicht den Vorgaben in der unfallversicherungsrechtlichen Literatur, wie sie Prof. Dr. med. S beachtet hat.
Nach alledem konnte das Urteil des Sozialgerichts keinen Bestand haben.
Die Kostenentscheidung, die dem Ausgang des Verfahrens entspricht, beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 160 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin am 02. Januar 1998 einen Arbeitsunfall erlitten hat mit der Folge einer Sudeckschen Dystrophie und anschließenden Bewegungseinschränkungen im rechten Daumen.
Die 1959 geborene Klägerin, die zum Zeitpunkt des geltend gemachten Unfalls als Verkäuferin im Großmarkt R im S-in G beschäftigt gewesen war, erschien am 03. August 1998 bei dem Durchgangsarzt Dr. med. B (Chefarzt des A-Kreiskrankenhauses K) und gab an, sich am Vortag - dem 02. Januar 1998 gegen 14.30 Uhr - bei der Arbeit an einer Kasse den rechten Daumen an einer Büchse gestoßen zu haben. Als Befund ist im Durchgangsarztbericht festgehalten: "Schmerzen in allen Fingergelenken und Handgelenk radialseits". Die von Dr. med. B veranlassten Röntgenaufnahmen des rechten Daumens und des rechten Handgelenkes ergaben keine Frakturzeichen. Diagnostiziert wurde: "Prellung rechter Daumen"; eine elastische Wicklung wurde angelegt. Die Klägerin stellte sich wegen Schmerzen und Schwellung des rechten Daumengrundgelenks und Bewegungseinschränkungen des Daumens nochmals am 05., 08. und 14. Januar 1998 bei Dr. med. B vor. Die weitere Behandlung erfolgte ab dem 14. Januar 1998 durch den Facharzt für Chirurgie Dr. med. R, der eine unvollständige Streckung des Daumenendgelenks feststellte.
Bei der Wiedervorstellung am 03. Februar 1998 wurde als Befund erhoben; "Finger etwas geschwollen"; am 17. Februar 1998 wurde die Gipslonguette entfernt. Eine Röntgenuntersuchung, vom 18. März 1998 ergab den Verdacht auf einen Morbus Sudeck. Die Klägerin wechselte am 23. März 1998 in die Behandlung von Dr. med. K (Chefarzt der Chirurgischen Abteilung des Evangelischen Krankenhauses L), der einen "komplikativ aufgetretenen Morbus Sudeck bei Zustand nach Prellung mit gedeckter Strecksehnenabtrennung des rechten Daumens" diagnostizierte.
In der Unfallanzeige des Beschäftigungsbetriebes der Klägerin vom 02. Januar 1998 ist als Unfallhergang angegeben: "Beim Scannen der Ware mit dem Daumen der rechten Hand an eine große Konservenbüchse gestoßen und dabei gestaucht".
Unter dem 13. Oktober 1998 erstellte Prof. Dr. med. R auf Veranlassung der Beklagten und nach ambulanter Untersuchung der Klägerin ein schriftliches Zusammenhangsgutachten, in dem eine Sudecksche Erkrankung diagnostiziert wurde. Ein Strecksehnenabriss wird als Diagnose verneint. Auf Befragen gab die Klägerin bezüglich des Unfallhergangs an, dass beim Kassieren ein Kunde eine noch nicht gescannte Dose habe anheben wollen; beim reflexartigen Zufassen habe sie den rechten Daumen an der Dose gestoßen und sofort einen starken Schmerz verspürt.
Am 03. Dezember 1999 erstattete Dr. med. ein Erstes Rentengutachten und gab als wesentliche Unfallfolgen an: "Morbus Sudeck nach Anpralltrauma des Daumens, Einschränkung der Beweglichkeit mittelgradig in Grund- und Endglied, verminderte Belastbarkeit der rechten Hand, fleckförmige Entkalkung im Röntgenbild, erhöhte Schweißneigung des Daumens"; die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage für die Zeit von Beginn der Arbeitsfähigkeit (16. August 1999) an 20 v. H. , weil der Morbus Sudeck immer noch floride sei; nach Abklingen der akuten Erscheinungen müsste eine Endzustand mit einer MdE unter 20 v.H. resultieren.
In einer für die Beklagte erstellten ärztlichen Stellungnahme des Privatdozenten des Dr. med. E vom 15. Februar 2000, die auf einer orthopädischen handchirurgischen gutachterlichen Untersuchung der Klägerin vom 13. Januar 2000 beruht, wird mitgeteilt, dass bei der Klägerin ein Endzustand einer Sudeckschen Erkrankung vorliege, der nicht mehr wesentlich verbessert werden könne. Inwieweit bereits eine Verletzung des rechten Daumens vor dem Arbeitsunfall für den Morbus Sudeck auslösend gewesen sei, ob das Arbeitsunfallereignis oder letztlich das Zusammenwirken zweier Unfälle auslösend für diese Erkrankung gewesen sei, lasse sich nicht abgrenzen.
Im Zuge weiterer Ermittlungen der Beklagten zu Verletzungen der Klägerin am rechten Daumen vor dem 02. Januar 1998 wurde festgestellt, dass die Klägerin vom 16. bis zum 18. November 1996 wegen einer Arbeitsunfall bedingten Daumendistorsion und vom 18. Oktober 1997 bis zum 27. November 1997 wegen einer bei einer privaten Veranstaltung erlittenen Verletzung des rechten Daumens arbeitsunfähig erkrankt war. Am 18. Oktober 1997 war die Klägerin mit einer Gipslonguette für Daumen- und alle Langfinger versorgt worden. Der Daumen rechts war danach (23. und 28. Oktober 1997) zweimal geröntgt worden, ohne dass sich – bei klinischem Verdacht auf eine Sehnenverletzung – Hinweise auf eine Fraktur oder Bandverletzung des rechten Daumens ergeben hätten.
Mit Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2000 lehnte diese die Gewährung von Entschädigungsleistungen "anlässlich der Behandlungsbedürftigkeit ab dem 03. Januar 1998" ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen dem äußeren Ereignis (der Prellung des rechten Daumens am 02. Januar 1998) und dem Körperschaden (Heilungsstörung des Knochens und des Weichteilmantels im Bereich des rechten Daumens) nicht vorliege, da der Anstoß an die Konservenbüchse zwar mögliche Ursache im naturwissenschaftlichen Sinne gewesen sei, aber nicht rechtlich wesentliche Ursache im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. Dem äußeren Ereignis vom 02. Januar 1998 komme nur die Bedeutung eines rechtlich unwesentlichen Anlassgeschehens zu, da jedes Bagatelltrauma auch im privaten Lebensbereich zu einem Morbus Sudeck führen könne.
Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2000 zurück: Es könne nicht bewiesen werden, dass das Ereignis vom 02. Januar 1998 überhaupt zu einer Gesundheitsschädigung geführt habe und somit ein Unfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung vorgelegen habe, da die Klägerin nach ihren eigenen und den Angaben ihres Arbeitgebers am 02. Januar 1998 bereits mit einem wegen Überlastungsbeschwerden bandagierten Handgelenk zur Arbeit erschienen sei und die bei der ärztlichen Untersuchung am 03. Januar 1998 angegebenen Schmerzen in den Fingergelenken und der Innenseite des Handgelenkes sich durch Überlastungsbeschwerden erklären ließen, zumal beim Kassiervorgang am 02. Januar 1998 nur der rechte Daumen in Mitleidenschaft gezogen worden sein solle, nicht aber die anderen Finger.
Hiergegen hat die Klägerin am 18. August 2000 Klage beim Sozialgericht Cottbus (SG) Klage erhoben und erstinstanzlich beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Sudecksche Dystrophie als Folge eines am 02. Januar 1998 erlittenen Arbeitsunfalls anzuerkennen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG hat Befundberichte von Dr. med. B (vom 27. Februar 2001) und Dr. med. R (vom 14. März 2001) sowie ein orthopädisches Sachverständigengutachten nach ambulanter Untersuchung der Klägerin von Dr. med. B eingeholt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 02. Oktober 2001 eine Funktionseinschränkung im Daumenendglied rechts bei Zustand nach Strecksehnenabriss rechts, ausgeheilte Sudecksche Dystrophie und einen Verdacht auf Karpaltunnelsyndrom rechts diagnostiziert. Die Funktionseinschränkung im Daumenendglied der rechten Hand sei auf den Unfall vom 02. Januar 1998 zurückzuführen. Ebenso sei die 1998/1999 abgelaufene Sudecksche Dystrophie im Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen und der erfolgten Behandlung zu sehen. Das Karpaltunnelsyndrom stehe hingegen nicht im Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen. Die Beschreibung des Unfallhergangs sei durchaus geeignet, eine Strecksehnenruptur im Endglied des Daumens zu verursachen. Erkrankungsbeginn und Erkrankungsverlauf seien lückenlos dokumentiert und ließen einen kausalen Zusammenhang erkennen. Die zeitversetzt aufgetretene Sudecksche Dystrophie sei eine gefürchtete Komplikation nach Bagetellverletzungen und Frakturenen an den Extremitäten. Es liege ein zeitlicher Zusammenhang zum Unfallereignis unter Behandlung der Unfallfolgen vor, ein ursächlicher Zusammenhang müsse daher bejaht werden, wenngleich unumstritten sei, dass jede Bagatellverletzung eine Sudecksche Dystrophie provozieren könne. Der Strecksehnenabriss sei unmittelbar am Unfalltag entstanden, die Sudecksche Dystrophie habe sich während der Nachbehandlungszeit entwickelt, sie sei zwischenzeitlich ausgeheilt. Die unfallbedingte MdE sei mit 10 v. H. ab dem 01. September 2000 anzusetzen.
Auf den Hinweis der Beklagten, dass am 03. Januar 1998 bereits Schmerzen in allen Fingergelenken und im Handgelenk angegeben worden seien und nach der unfallmedizinischen Literatur die leichte Gewebsschädigung nur ausnahmsweise wesentliche Teilursache eines Sudeck-Syndroms sein könne, hat Dr. med. B unter dem 02. Januar 2002 schriftlich ergänzt, dass im Verlauf der angeführten Verletzung des rechten Daumens vom 18. Oktober 1997 keinerlei Hinweise auf eine algodystrophische Veränderung der Hand festzustellen gewesen sei, während die Vorstellung beim Handchirurgen am 14. Januar 1998 die Diagnose eines Strecksehnenabrisses am rechten Daumen mit anschließendem Gips ergeben habe. Die am 03. Januar 1998 festgestellten Schmerzen in allen Fingergelenken und dem Handgelenk stünden nicht im Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 02. Januar 1998. Der zeitliche Ablauf der Sudeckschen Erkrankung, das Unfallereignis selbst und die Gipsbehandlung ließen unschwer einen kausalen Zusammenhang erkennen.
Durch Urteil des SG vom 13. Februar 2003 ist die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Mai 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2000 verurteilt worden, die Sudecksche Dystrophie der Klägerin als Folge eines am 02. Januar 1998 erlittenen Arbeitsunfalls anzuerkennen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, dass es am 02. Januar 1998 bei der Klägerin nach den überzeugenden Ausführungen des Gerichtssachverständigen Dr. med. Bin Übereinstimmung mit Dres. med. R und K beim Zugriff auf eine Konservendose zu einer direkten Daumenprellung gekommen sei; beim derartigen schnellen Zugriff sei nach den Ausführungen des Prof. Dr. R und des Gerichtssachverständigen durchaus ein Strecksehnenabriss möglich. Ein geeignetes Unfallgeschehen sei damit zur Überzeugung des Gerichts gegeben. Selbst wenn es entgegen der Auffassung des Gerichts seinerzeit nicht zu einem Strecksehnenabriss gekommen sein sollte, wäre die Unfallunabhängigkeit der hier bedeutsamen Erkrankung (Morbus Sudeck) nicht ausgeschlossen. Nach den Ausführungen von Privatdozent Dr. med. E und Dr. med. B sei das Auftreten einer Sudeck-Erkrankung selbst nach kleinsten Bagatellverletzungen möglich. Soweit die Beklagte darauf hingewiesen habe, bei der Klägerin sei bereits am 16. November 1996 eine Röntgenuntersuchung des rechten Daumens durchgeführt worden, spreche dies nicht gegen die dem Urteil zugrunde liegende Überzeugung. Die angesprochene Untersuchung sei von Dr. med. R in seinem Schreiben an das Gericht vom 14. März 2000 erwähnt worden. Zugleich habe Dr. med. R weiter ausgeführt, auf den Röntgenaufnahmen seien keine Verletzungsfolgen aufgefunden worden, was auch für eine Röntgenuntersuchung vom 18. Oktober 1997 gelte. Dieser Befund korreliere mit den Untersuchungsergebnissen vom 03. Januar 1998, die keine Anzeichen für das Vorliegen eines Morbus Sudeck, auch nicht Anzeichen des ersten Stadiums einer solchen Krankheit ergeben hätten. Dies hätte aber der Fall sein müssen, wäre diese Erkrankung auf Ereignisse aus dem Jahr 1996 bzw. 1997 zurückzuführen gewesen.
Gegen das der Beklagten am 20. August 2003 zugestellte Urteil hat diese am 15. September 2003 beim Landessozialgericht Brandenburg Berufung eingelegt. Sie wird im Wesentlichen damit begründet, dass die Klägerin sich bereits unmittelbar vor dem 02. Januar 1998 den rechten Daumen verletzt habe, so dass fraglich sei, ob das Geschehen vom 02. Januar 1998 bei der Arbeit überhaupt Ursache der Sudeckschen Dystrophie im naturwissenschaftlichen Sinne gewesen sei. Aber selbst wenn dies der Fall gewesen sei, könne eine leichte Gewebsschädigung, wie sie hier allenfalls als Folge des Ereignisses vom 02. Januar 1998, festzustellen gewesen sei, lediglich ausnahmsweise wesentliche Teilursache einer nachfolgenden CRPS sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Februar 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin, die das erstinstanzliche Urteil verteidigt, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zu medizinischen Unterlagen der Klägerin anlässlich des Unfalls vom 15. November 1996 hat das KD-S, Standort K Röntgenunterlagen sowie einen Durchgangsarztbericht von Dr. B vom 18. November 1996 übersandt, zum Ereignis vom 18. Oktober 1997 neben bereits in den Akten befindlichen Unterlagen - Röntgenbilder sowie einen Notfall-/Vertretungsschein seiner Notfallambulanz. Die M mbH W hat Röntgenbilder und Befunde vom 23. und 28. Oktober 1997 übermittelt. Dr. med. R hat EDV-Ausdrucke seiner beiden Krankenblätter über die Klägerin zur Verfügung gestellt. Ebenso wie die BARMER Ersatzkasse, bei der die Klägerin vor dem 01. Januar 1997 gesetzlich krankenversichert war, hat auch die AOK - Die Gesundheitskasse für das Land Brandenburg – für die Zeit nach dem 01. Januar 1997 – dem Gericht das Erkrankungsverzeichnis der Klägerin zukommen lassen. Zum Hergang des Unfalls sind die als Zeuginnen benannten P E sowie U R in der nichtöffentlichen Sitzung am 22. November 2004 vom Berichterstatter vernommen worden; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Anlagen 1 und 2 zur Sitzungsniederschrift (Bl. 177 f. und 179 f. der Gerichtsakten) Bezug genommen. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichtes vom 10. Juli 2003 (Az. 1 U 1/03), mit dem im Berufungsverfahren Ansprüche der Klägerin gegen Dr. med. wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers abgelehntworden sind, zu den Akten gereicht.
Auf Anordnung des Berichterstatters hat Prof. Dr. med. S am 01. August 2005 nach ambulanter Untersuchung der Klägerin vom 23. Juni 2005 ein orthopädisch-traumatologisches Sachverständigengutachten erstattet. Er hat im Ergebnis festgestellt, dass das Ausmaß der äußeren Einwirkung auf den Daumen bei dem Ereignis vom 02. Januar 1998 nicht bekannt sei. Ein Strecksehnenabriss sei nicht eingetreten, sondern es habe sich tatsächlich um eine Prellung gehandelt. Es müsse mit Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass jedes ähnlich gelagerte, geringfügige Ereignis zu derselben Erscheinung geführt hätte und dass ein Unfall im engeren Sinne nicht eingetreten sei. Es habe eine Vorschädigung des Daumens vorgelegen, da die Unfallverletzte am Unfalltag bereits mit einem Daumenverband zur Arbeit erschienen sei. Diese Vorschädigung sei aber ebenso unwesentlich gewesen wie die krankhaften Störungen am Daumen im Mai 1996 und Oktober 1997, die alle nicht zu der in Rede stehenden Sudeckschen Erkrankung geführt hätten. Die technischen Untersuchungen vom 03. Januar 1998 hätten nämlich gezeigt, dass keine wesentliche Verletzung am Daumen eingetreten sei (keine knöcherne Verletzungsfolge, kein knöcherner Bandausriss). Eine MdE der rechten Hand wäre mit 10 v. H. anzusetzen.
Am 18. Oktober 2005 ist der Sachverständige in nichtöffentlicher Sitzung ergänzend zu seinem Gutachten vernommen worden. Er hat ausgeführt, dass sich zum 03. Januar 1998, also einen Tag nach dem Unfall, auf dem Röntgenbild eine Sudecksche Erkrankung nicht nachweisen lasse. Erst im MRT-Befund vom 18. März 1998 sei von einem Verdacht auf Morbus Sudeck die rede gewesen und dann in dem Röntgenbild vom 07. Mai 1998 zweifelsfrei ein Morbus Sudeck nachweisbar. Insoweit entspreche der zeitliche Ablauf der Entwicklung des Morbus Sudeck bei der Klägerin dem, dem man nach einem Unfallereignis von Anfang Januar 1998 hätte erwarten können. Allein der zeitliche Ablauf der Entwicklung des Morbus Sudeck bei der Klägerin reiche aber nicht aus, um sagen zu können, dass das Ereignis vom 02. Januar 1998 mit Wahrscheinlichkeit den Morbus Sudeck hervorgerufen habe. Erforderlich sei nach den Hinweisen in der medizinischen Literatur auch eine erhebliche Krafteinleitung und Verletzung des betroffenen Körperteils. Diese könne hier nicht festgestellt werden. Bei der Klägerin habe sich weder eine Sehnenverletzung noch ein Bänderriss feststellen lassen noch sei es zu Hautabschürfungen und erheblichen Schwellungen gekommen, die auf eine entsprechende Krafteinleitung schließen ließen. Im Durchgangsarztbericht von Dr. med. B vom 05. Januar 1998 sei lediglich festgehalten, dass Schmerzen in allen Finger- und Handgelenken radialseits vorhanden gewesen seien; nicht einmal von einer Schwellung sei die Rede. Ihm komme es als Sachverständiger auf die initialen Befunde auch deshalb besonders an, weil eine Bagatellverletzung eher eine Ausnahmeursache für einen nachfolgenden Morbus Sudeck darstelle. Umstände aus der Vorgeschichte der Erkrankung der Klägerin, die es ermöglichen würden, auch einen wahrscheinlichen Zusammenhang der Bagatellverletzung vom 02. Januar 1998 mit dem nachfolgenden Morbus Sudeck herzustellen, lägen nicht vor. Wissenschaftlich geklärt seien die medizinisch angenommenen Wirkungszusammenhänge zwischen Verletzungen und Morbus Sudeck nicht. Seine Bewertung gelte im Übrigen auch dann, wenn man nur ein Ereignis vom 02. Januar 1998 für bewiesen halte, und nicht auch eines vom 01. Januar 1998, wovon er – auf eine entsprechende Angabe der Klägerin hin – noch in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten ausgegangen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach– und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten (Aktenzeichen 94 U 03032/98) sowie die Gerichtsakten des Landgerichts Potsdam, Aktenzeichen 11 O 33/01 (Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Dr. med. R aus Fehlbehandlung im Januar/Februar 1998), die sämtlich bei gezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, die bei der Klägerin abgelaufene Sudecksche Dystrophie als Folge eines am 02. Januar 1998 erlittenen Arbeitsunfalls anzuerkennen. Die zulässige Feststellungsklage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig, denn die Klägerin hat nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Senates (§ 128 Abs. 1 SGG) am 02. Januar 1998 keinen Arbeitsunfall erlitten, aus dem sich in der Folge eine Sudecksche Dystrophie des rechten Daumens hätte entwickeln können.
Nach § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Der Begriff des Unfalls erfordert ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden geführt hat (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für die Anerkennung von Unfallfolgen ist erforderlich, dass sowohl zwischen der Unfall bringenden Tätigkeit und dem Unfallereignis als auch zwischen dem Unfallereignis und der Gesundheitsschädigung ein innerer ursächlicher Zusammenhang besteht. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, der Unfall und die Gesundheitsschädigung im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden. Die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt nur insoweit, als der ursächliche Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden und zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie der Zusammenhang betroffen ist, der im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen dem Arbeitsunfall und der maßgebenden Verletzung bestehen muss. Ein Zusammenhang ist wahrscheinlich, wenn bei Abwägung aller Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Überzeugung des Gerichts gegründet werden kann (BSGE 32, 203, 209; 45, 285, 286).
Der Senat geht bei seiner Entscheidung davon aus, dass sich bei der Kassiertätigkeit der Klägerin am 02. Januar 1998 zwar ein Unfall ereignet hat; denn die Klägerin hat ohne Widersprüche durchgehend angegeben, was bereits zeitnah im Unfallbericht vom 02. Januar als Unfallhergang mitgeteilt worden war, nämlich dass sie beim Scannen der Ware mit dem Daumen der rechten Hand angestoßen sei (siehe Unfallanzeige vom 02. Januar 1998). Näher ergänzt hat sie diesen Ablauf später noch durch die Angabe, dass ihr eine Kundin/ein Kunde die Dose entgegengestreckt habe und sie mit dem Daumen – der Bewegung entgegenkommend – an die Dose gestoßen sei (siehe Sitzungsniederschrift der nichtöffentlichen Sitzung des 27. Senats vom 11. April 2005). Mehr lässt sich aber über den Unfallablauf, für den es keine Zeugen gibt (so Aussagen der Zeuginnen P E und U R, Anlage 1 und 2 zur Sitzungsniederschrift vom 22. November 2004, und die Klägerin selbst), nicht feststellen, insbesondere nicht, an welcher Stelle des Daumens der Aufprall genau gewesen ist und welche Kräfte dabei in den Daumen auf welche Art und Weise eingeleitet worden sind.
Wenngleich insoweit zwar ein Unfallereignis vorliegt, lässt sich aber nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nur eine Bagatellverletzung im Sinne einer Prellung des rechten Daumens als Erstschädigung der Klägerin feststellen, geschweige denn ein Strecksehnenabriss im rechten Daumen. Es fehlt an hinreichenden Hinweiszeichen, die dem Senat die Überzeugung der zweifelsfreien Feststellbarkeit eines Erstschadens gerade am Daumen vermitteln könnten.
Dr. med. B, bei dem sich die Klägerin am Tage nach dem Unfall vorgestellt hatte, und der als Durchgangsarzt gerade um die Bedeutung initialer Befunde für die weitere Bewertung eines Unfalls wissen musste, hat in seinem Durchgangsarztbericht gerade keine initialen Befunde mitgeteilt. Zwar ist in dem Durchgangsarztbericht vom 05. Januar 1998 als "Diagnose" eine "Prellung re. Daumen" festgehalten ebenso wie in der Unfallanzeige vom 02. Januar 1998 die Angabe "Stauchung Daumen rechte Hand" als "Art der Verletzung" bzw. "Verletzte Körperteile". Allerdings sind die Diagnosen aufgrund der fehlenden Befunde nicht nachvollziehbar. Er hat für den Tag des erstmaligen "Eintreffens" nach dem Unfall bei ihm, am 03. Januar 1998, weder Hämatome oder Schwellungen oder andere Veränderungen des rechten Daumens angegeben noch Bewegungseinschränkungen im rechten Daumengelenk.
Eine "Schwellung im rechten Daumengrundgelenk, auch Bewegungseinschränkung" ist ausweislich der handschriftlichen Angaben in den Krankenunterlagen des A-K erstmals von ihm am 05. Januar 1998, also drei Tage nach dem Unfall erwähnt worden. Die Diagnose einer Prellung des rechten Daumens durch Dr. Bohm beruht zur Überzeugung des Senates also allein auf der Angabe der Klägerin über – subjektive – Schmerzen auch, aber nicht nur im rechten Daumen – laut Durchgangsarztbericht klagte die Klägerin über Schmerzen in allen Fingergelenken und dem Handgelenk radialseits – und der Schilderung des Unfallablaufs durch die Klägerin, ohne dass sich die Diagnose stützende, objektive Befunde medizinisch hätten feststellen lassen. So hat Dr. med. B auch Frakturzeichen des rechten Daumens und des Handgelenks röntgenologisch ausgeschlossen. Hinzukommt, dass der am 03. Juni 1998 durchgangsärztlich erhobene Schmerzbefund "in allen Fingergelenken und Handgelenk radialseits" jedenfalls nicht zu dem von der Klägerin als Unfallereignis geschilderten Anstoß des rechten Daumens an der Büchse passt, insoweit nicht durch dieses Ereignis verursacht worden sein kann. Denn die Schmerzen der Klägerin in allen Fingergelenken und Handgelenk lassen sich mit dem Anstoß des Daumens an der Büchse – mit unbekannter Kraft, unbekannter Bewegungsrichtung und unbekanntem Anprallort – allein nicht erklären.
Auch ein Strecksehnenabriss im rechten Daumen als Erstschaden in Folge des Anstoßes des rechten Daumens an einer Büchse lässt sich nicht nachweisen. Soweit Dr. med. R bei der Klägerin am 14. Januar 1998, also knapp zwei Wochen nach dem Unfallereignis, eine solche Verletzung diagnostiziert und der ihm nachfolgende Behandler Dr. med. K gar den "klinischen Nachweis eines gedeckten Abrisses der Strecksehne im Endgelenksbereich" (vgl. Nachschaubericht Dr. med. K vom 25. März 1998) für erbracht gehalten hat, lässt sich gerade nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass eine solche Strecksehnenverletzung tatsächlich vorgelegen hat. Denn es fehlt in dem Durchgangsarztbericht von Dr. med. B vom 03. Januar 1998 jeder Hinweis auf eine Bewegungseinschränkung des rechten Daumens, der eine solche Diagnose hätte stützen können, worauf übereinstimmend Dr. med. E in seiner ärztlichen Stellungnahme für die Beklagte vom 15. Februar 2000 und auch schon vorher Prof. Dr. med. R in seinem Gutachten vom 13. Oktober 1998 hingewiesen haben. Röntgenologisch bestanden ohnehin keine Anzeichen für den postulierten knöchernen Strecksehnenabriss, wie Prof. Dr. med. S festgestellt hat (siehe S. 15 des Sachverständigengutachtens). Dass ein bereits "unmittelbar am Unfalltag entstandener Strecksehnenabriss" – so ausdrücklich Dr. med. B in seinem Sachverständigengutachten vom 2. Oktober 2001 – erst drei Tage später zu Bewegungseinschränkungen führt – erst am 5. Januar 1998 hat, wie beschrieben, Dr. med. B erstmals Bewegungseinschränkungen im Daumen überhaupt festgestellt – erscheint außerordentlich unwahrscheinlich.
Fehlt es bereits an einem Erstschaden, lässt sich selbstverständlich auch nicht hinreichend wahrscheinlich machen, dass der im weiteren Verlauf der Behandlung auftretende Morbus Sudeck – heute auch als komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS) bezeichnet (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin: Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage 2003, S. 472; S. 5 des Zusammenhangsgutachtens Prof. Dr. med. R) – durch das Unfallereignis vom 02. Januar 1998 verursacht worden ist. Dies würde selbst dann gelten, wenn man das Vorliegen einer "leichten Prellung" hier unterstellen würde. Dies ergibt sich aus den Ausführungen von Prof. Dr. med. S in seinem Sachverständigengutachten vom 01. August 2005 mit ergänzender Aussage vom 18. Oktober 2005, die in Übereinstimmung mit der unfallmedizinischen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 472 ff.) stehen. Das Sudeck-Syndrom ist definiert als eine an Weichteilen und Knochen ablaufende neurogene Durchblutungs- und Stoffwechselstörung mit Entzündungscharakter und der Neigung zu Chronizität (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 472). Als Ursachen kommen zu mehr als 90 Prozent Traumen im Bereich der betroffenen Extremität, neben hier nicht infrage stehenden Entzündungen, Tumoren, Herpes Zoster, in Betracht (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 473). Eine Sudeck-Erkrankung ist auch nach Bagatelltraumen möglich (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 473; so ausdrücklich auch S. 7 der ärztlichen Stellungnahme Dr. med. E vom 15. Februar 2000). In 10 bis 26 Prozent der Fälle bei der Sudeckschen Dystrophie konnte keine eigentliche Ursache für das Auftreten dieser Erkrankung gefunden werden (so S. 6 des Zusammenhangsgutachtens Prof. Dr. R vom 13. Oktober 1998). Es ist wissenschaftlich ungeklärt, wie und weshalb es nach Verletzungen zu einem Morbus Sudeck kommt (so Prof. Dr. med. S S. 4 der Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 18. Oktober 2005). Bei geringfügigen Verletzungen (z. B. leichten Prellungen) gilt es, stets den Grad der Mitwirkung des Traumas an der Entstehung des Morbus Sudeck – in angemessener Berücksichtigung der individuellen Umstände – sorgfältig abzuwägen und Stellung zu nehmen, ob und warum die leichte Gewebsschädigung ausnahmsweise wesentliche Teilursache ist ( Prof. Dr. med. S Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift vom 18. Oktober 2005 und S. 13 seines Sachverständigengutachten in Übereinstimmung mit Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 474).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lässt sich allenfalls feststellen, dass sich der erstmals am 17. März 1998 aufgrund der Beschwerdesymptomatik und nach radiologischer computertomografischer Diagnostik geäußerte und später zur Gewissheit gewordene Verdacht auf einen Morbus Sudeck am rechten Daumen der Klägerin (vgl. Arztbrief Dr. med. R vom 20. März 1998 und CT Dres. med. L/L vom 18. März 1998, Prof. Dr. med. S Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift vom 18. Oktober 2005) in dem nach klinischer Erfahrung zu erwartenden Zeitintervall zwischen dem Auftreten der Einzelsymptome des Sudeck-Syndroms und dem angeschuldigten Ereignis entwickelt hat (14 Tage bis 6 Wochen nach dem Unfallereignis, so Prof. Dr. med. S Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift vom 18. Oktober 2005).
Angesichts der fehlenden initialen Befunde auch zu einer nur leichten Gewebsschädigung und der fehlenden Feststellbarkeit der konkreten Umstände des Hergangs , die eine individuelle Abwägung im obengenannten Sinne nicht ermöglichen, ließe sich der von der Klägerin behauptete Ursachenzusammenhang auch im Fall der Feststellbarkeit einer Prellung nicht begründen, wie Prof. Dr. med. S ausdrücklich bekundet hat (Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift vom 18. Oktober 2005). Entgegen der Ansicht der Klägerin ist es gerade nicht so, dass nach derzeitigem Kenntnisstand das Sudecksche Syndrom nach einer äußeren Einwirkung in der Regel als Unfallschaden zu bewerten ist bzw. als Komplikation des Heilungsverlaufs. Umstände aus der Vorgeschichte der Erkrankung der Klägerin, die es ermöglichen würden, einen wahrscheinlichen Zusammenhang einer angenommenen Bagatellverletzung vom 02. Januar 1998 mit dem nachfolgenden Morbus Sudeck herzustellen, liegen nicht vor (so ausdrücklich Prof. Dr. S, Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift vom 18. Oktober 2005).
Dass vor dem Unfallereignis bereits eine behandlungsbedürftige Erkrankung des rechten Daumens vorgelegen hatte, die sich durch das Unfallereignis als wesentliche Ursache verschlimmert haben könnte, lässt sich nicht feststellen. Es fehlt schon an der zweifelsfreien Feststellbarkeit einem Vorschadens. Zwar hat die Klägerin wegen Beschwerden des rechten Daumens/Handgelenks gelegentlich vor dem 02. Januar 1998 und möglicherweise auch an diesem Tag eine Bandage benutzt, wie sich aus den Bekundungen der Zeuginnen Eund Rim Berufungsverfahren ergibt (vgl. Anlagen 1 und 2 zur Sitzungsniederschrift vom 22. November 2004). Allerdings bleibt unklar, aufgrund welcher medizinischen Indikation dies erfolgt ist. Dr. med. Bhat in seinem Durchgangsarztbericht keine vor bestehenden Gesundheitsstörungen am rechten Daumen der Klägerin festgestellt. Ein Morbus Sudeck des rechten Daumens bestand zum Zeitpunkt des Unfallereignisses am 02. Januar 1998 – nach dem unauffälligen Röntgenbefund vom 03. Januar 1998 – nicht, wie Dr. med. Bohm in seinem Durchgangsarztbericht ausdrücklich festgestellt hat. Auch ansonsten ergibt sich nichts für eine vor dem Unfallereignis bestehende Erkrankung des rechten Daumens der Klägerin. Die bei einem privaten Unfall am 18. Oktober 1997 erlittene Daumendistorsion, die zu einer Arbeitsunfähigkeit bis zum 20. November 1997 geführt hatte, war folgenlos ausgeheilt (so ausdrücklich Dr. med. B S. 5 seines Gutachtens).
Der Zusammenhangsbeurteilung von Dr. med. B, die der Entscheidung des SG zugrunde liegt, kann selbst bei Annahme eines "Bagatelltraumas" nicht gefolgt werden, da sie – im Gegensatz zur Beurteilung von Prof. Dr. med. S – nicht den Besonderheiten der Feststellbarkeit des Kausalzusammenhangs zwischen Bagatelltrauma und Morbus Sudeck Rechnung trägt und allein einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und dem Ablauf des Morbus Sudeck als ausreichend betrachtet. Dies ergibt sich aus den Ausführungen Frakturen an den Extremitäten sei, die – konkret bezogen auf den Fall der Klägerin – im Rahmen der Behandlung der Unfallfolgen entstanden sei, da die Röntgenuntersuchung am ersten Tag nach dem Unfallereignis keine Algodystrophie habe erkennen lassen. Damit sei ein zeitlicher Zusammenhang zum Unfallereignis und der Behandlung der Unfallfolgen gegeben, ein ursächlicher Zusammenhang müsse daher bejaht werden, wenngleich unumstritten sei, dass jede Bagatellverletzung eine Sudecksche Dystrophie provozieren könne. Eine solche Zusammenhangsbetrachtung entspricht nicht den Vorgaben in der unfallversicherungsrechtlichen Literatur, wie sie Prof. Dr. med. S beachtet hat.
Nach alledem konnte das Urteil des Sozialgerichts keinen Bestand haben.
Die Kostenentscheidung, die dem Ausgang des Verfahrens entspricht, beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 160 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGG nicht vorliegen.
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