Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 10 R 163/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 1858/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 10. November 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, für Beschäftigungszeiten des Klägers vom 1. April 1973 bis 30. Juni 1990 Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVTI) sowie die entsprechenden Arbeitsentgelte festzustellen.
Der 1948 geborene Kläger erwarb nach einem Studium an der Technischen Hochschule O v G M den akademischen Grad "Diplom-Ingenieur" (Urkunde vom 27. April 1972) und arbeitete bis zum 31. März 1973 als wissenschaftlicher Assistent an dieser Hochschule. Vom 1. April 1973 bis 31. Dezember 1983 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der V V B K- und L (im Folgenden: VVB) in Berlin beschäftigt. Am 5. Dezember 1983 schloss der Kläger mit der VVB sowie dem Volkseigenen Betrieb K M (im Folgenden: VEB) einen "Überleitungsvertrag". Danach wurde der Arbeitsvertrag zwischen der VVB und dem Kläger "gemäß § 51, 53 AGB" wegen Delegierung zum VEB zum 31. Dezember 1983 aufgelöst und der Kläger ab 1. Januar 1984 als "Betriebsteilleiter" des VEB mit der Leitung des Kühlhauses in B betraut. Zusätzlich wurde u.a. vereinbart: "Anerkennung der Betriebszugehörigkeit bei der VVB". Zum Aufgaben- und Leistungsspektrum des VEB gehörten das Kühlen, Gefrieren und Lagern von Lebensmitteln und sonstigen verderblichen Produkten, die Produktion von Eiskrem in einem gesonderten Betriebsteil, der Handel mit tiefgekühlten Fertigwaren und Eiskrem sowie der Import und Export dieser Produkte. Dem Betriebsleiter des Kühlhauses B oblag die technische, kaufmännische, personelle und logistische Betriebsführung dieses Betriebsteils. Der Kläger, der zum 1. Juli 1988 der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) beigetreten war, blieb ausweislich der Angaben im Sozialversicherungsausweis bis 31. Dezember 1990 als Leiter des Kühlhauses B bei dem VEB beschäftigt, der mit der Erklärung vom 11. Juli 1990 in die am 25. September 1990 in das Handelsregister eingetragene K GmbH M/B umgewandelt worden war. Eine Versorgungszusage hatte er nicht erhalten.
Mit Bescheid vom 30. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2005 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG vom 1. April 1972 bis 30. Juni 1990 ab mit der Begründung, dass der Kläger am 30. Juni 1990 keine Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens im Sinne der einschlägigen Versorgungsordnung und auch nicht in einem diesen Betrieben gleichgestellten Betrieb ausgeübt habe. Das AAÜG sei daher auf den Kläger nicht anwendbar.
Mit der Klage hat der Kläger beantragt, den Zeitraum vom 1. April 1973 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVTI sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen. Mit Gerichtsbescheid vom 10. November 2006 hat das Sozialgericht (SG) Potsdam die Klage unter Verweis auf den Widerspruchsbescheid abgewiesen und ergänzend ausgeführt: Der rechtlich selbständige VEB, für den der Kläger vom 1. Januar 1984 bis zum Stichtag 30. September 1990 tätig gewesen sei, habe nicht zu den Produktionsbetrieben gezählt. Sein Hauptzweck sei nicht die industrielle Herstellung von Sachgütern gewesen, denn er sei nicht den Wirtschaftsbereichen 1 (Industrie) oder 2 (Bauwirtschaft), sondern der Wirtschaftsgruppe 53310 (Kühl- und Lagerwirtschaft – Kühlbetriebe -) zugeordnet gewesen.
Mit der Berufung trägt der Kläger vor: Sein Arbeitsvertrag mit dem VEB ab 1. Januar 1984 habe seine Anwartschaft auf die Zugehörigkeit zur AVTI nicht beeinflusst. Aufgrund seines bestehenden Arbeitsvertrags vom 21. März 1973 sei seine Betriebszugehörigkeit zu der VVB erhalten geblieben. Die ausdrückliche Anerkennung der Betriebszugehörigkeit zur VVB im Überleitungsvertrag vom 5. Dezember 1983 sei unter Berücksichtigung des damaligen Sprachgebrauchs dahingehend auszulegen, dass er weiterhin zur VVB gehörte, die volkseigenen Produktionsbetrieben gleichgestellt gewesen sei. Es komme nicht darauf an, dass er tatsächlich im VEB tätig gewesen sei. Versorgungsrechtlich sei nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. Januar 2003 – B 4 RA 20/03 R - vielmehr auf den Betrieb des Arbeitgebers abzustellen. Ausweislich der Verwaltungsakten habe die Beklagte für ihn - den Kläger - auch ein Zusatzversorgungskonto geführt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 10. November 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 30. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2005 zu verurteilen, die Beschäftigungszeiten vom 1. April 1973 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz und die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor: Beschäftigungsbetrieb des Klägers sei nicht die VVB, sondern der rechtlich selbständige VEB gewesen. Dieser habe keine industrielle, also serienmäßige wiederkehrende Produktion betrieben. Sein Aufgabenspektrum kennzeichne ihn vielmehr als industriellen Dienstleister und als Handelsunternehmen im Bereich der Lebensmittelwirtschaft.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zum Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den nachgereichten Schriftsatz des Klägers vom 26. September 2008 Bezug genommen.
Die Zusatzversorgungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist nicht begründet.
Die Klage ist zwar zulässig. Insbesondere besteht ein schutzwürdiges Interesse des Klägers an einem gesonderten gerichtlichen Verfahren gegen die Beklagte zur isolierten Überprüfung der von ihr insoweit abgelehnten Datenfeststellungen nach dem AAÜG. Denn neben der vorliegenden Klage auf Vormerkung der begehrten Daten ist ein Rentenstreitverfahren gegen die Beklagte nicht anhängig (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. August 2007 – B 4 RS 7/06 R – veröffentlicht in juris, zur Veröffentlichung im SozR vorgesehen). Zuständiger Rentenversicherungsträger ist im Übrigen ohnehin nicht die Beklagte, sondern die Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 i. V. mit Abs. 1 AAÜG auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie gegebenenfalls der entsprechenden Arbeitsentgelte gemäß § 8 Abs. 2 AAÜG für den Zeitraum vom 1. April 1973 bis 30. Juni 1990. Das AAÜG ist auf den Kläger schon deshalb nicht anwendbar, weil er am 1. August 1991, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des AAÜG, keinen Versorgungsanspruch im Sinne von § 1 Satz 1 AAÜG hatte. Denn der Versorgungsfall (des Alters oder der Invalidität) war bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingetreten. Der Kläger war aber auch am 1. August 1991 nicht Inhaber einer Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Denn er hatte bis zum 30. Juni 1990 eine Versorgungszusage in der DDR nicht erhalten und ihm war auch nicht im Rahmen einer Einzelentscheidung eine Versorgung zugesagt worden. Die Beklagte hat zudem weder in den angefochtenen Bescheiden noch mit einem sonstigen Verwaltungsakt eine positive Statusentscheidung über die Anwendbarkeit des AAÜG getroffen. Soweit die Beklagte laut Kontospiegel vom 2. November 2004 für den Kläger ein Zusatzversorgungskonto angelegt hat, liegt darin mangels einer erkennbaren Regelungsabsicht keine Entscheidung über die Anwendbarkeit des AAÜG. Schließlich war der Kläger auch nicht auf Grund einer späteren Rehabilitierungsentscheidung in die AVTI einbezogen worden.
§ 1 Abs. 1 AAÜG ist zwar im Wege verfassungskonformer Auslegung dahin auszulegen, dass den tatsächlich einbezogenen Personen diejenigen gleichzustellen sind, die aus bundesrechtlicher Sicht aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage am 1. August 1991 einen (fingierten) Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (ständige Rechtsprechung des BSG: vgl. z. B. Urteile vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R = SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 und – B 4 RA 3/02 R = SozR 3-8570 § 1 Nr. 7 sowie vom 10. April 2002 – B 4 RA 18/01 R = SozR 3-8570 § 1 Nr. 8). Ein derartiger fiktiver Anspruch ist aber nur dann zu bejahen, wenn am Stichtag (30. Juni 1990) eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in dem betreffenden Versorgungssystem vorgesehen war (ständige Rechtsprechung: vgl. z. B. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 – B 4 RA 18/03 R = SozR 4-8570 § 1 Nr. 1; BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004 – B 4 RA 23/04 R = SozR 4-8570 § 1 Nr. 6). Allein maßgebend sind insoweit die Texte der Verordnung über die AVTI in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (AVTI-VO) vom 17. August 1950 (GBl. S. 844) und § 1 Abs. 1 der 2. Durchführungsbestimmung (DB) vom 24. Mai 1951 (GBl. S. 487), soweit diese am 30. Oktober 1990 zu sekundärem Bundesrecht geworden sind. Die genannten Vorschriften der DDR sind dabei unabhängig von deren Verwaltungs- und Auslegungspraxis allein nach bundesrechtlichen Kriterien auszulegen (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 3 S. 22; BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 – B 4 RA 11/04 R – veröffentlicht in juris). Von diesen Grundsätzen ausgehend liegt ein fingierter Anspruch im Bereich der AVTI nur vor, wenn der Betreffende zum Stichtag am 30. Juni 1990 drei Voraussetzungen erfüllt: Er muss 1. die Berechtigung gehabt haben, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), 2. eine der Berufsbezeichnung entsprechende Tätigkeit oder Beschäftigung verrichtet haben (sachliche Voraussetzung) und 3. die Beschäftigung oder die Tätigkeit in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem diesen Betrieben gleichgestellten Betrieb ausgeübt haben (betriebliche Voraussetzung: vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6; SozR 3-8570 § 1 Nr. 3).
Der Kläger war am 30. Juni 1990 berechtigt, den ihm durch die Technische Hochschule Ov G M verliehenen akademischen Grad "Diplom-Ingenieur" und mithin gemäß § 1 Abs. 1 lit. b der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12. April 1962 (GBl II S. 278) auch die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen. Die persönliche Voraussetzung ist auch deshalb erfüllt, weil der Kläger als "Betriebsteilleiter W B" zu den nach § 1 Abs. 1 der 2. DB in die AVTI einzubeziehenden "Werkdirektoren" zu zählen ist.
An dem genannten Stichtag war der Kläger auch als Werksdirektor beschäftigt und erfüllte damit auch die sachliche Voraussetzung für eine Einbeziehung in die AVTI.
Ein fingierter Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage scheitert jedoch daran, dass der Kläger nicht die betriebliche Voraussetzung erfüllte. Er war am 30. Juni 1990 weder in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs. 1 der 2. DB) noch in einem gleichgestellten Betrieb (§ 1 Abs. 2 der 2. DB) beschäftigt.
Ob die betriebliche Voraussetzung erfüllt ist, bestimmt sich danach, wer am Stichtag, dem 30. Juni 1990, Arbeitgeber im rechtlichen Sinne war (vgl. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 – B 4 RA 20/03 R – SozR 4-8570 § 5 Nr. 3). Entgegen der von dem Kläger vertretenen Rechtsauffassung, die er in dem nachgereichten Schriftsatz vom 26. September 2008 nochmals bekräftigt hat, war sein Arbeitgeber im vorgenannten Sinne am Stichtag der VEB und nicht die VVB. Denn der Arbeitsvertrag zwischen der VVB und dem Kläger vom 21. März 1973 war gemäß Ziffer 1 des als Überleitungsvertrag bezeichneten Vertrags vom 5. Dezember 1983 unter Bezugnahme auf die Bestimmungen der §§ 51, 53 des Arbeitsgesetzbuchs (AGB) der DDR vom 16. Juni 1977 (GBl. I S. 371) zum 31. Dezember 1983 aufgelöst worden. Der in den §§ 51, 53 AGB geregelte Überleitungsvertrag war eine spezielle Rechtsform der Aufhebung eines Arbeitsvertrags mit einem Betrieb (= Arbeitgeber) und des gleichzeitigen Abschlusses eines neuen Arbeitsvertrages mit einem anderen Betrieb (= neuen Arbeitgeber). Er diente der reibungslosen Überleitung des "Werktätigen" in einen anderen Betrieb und des einen Arbeitsverhältnisses in ein anderes (vgl. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 – B 4 RA 20/03 R, veröffentlicht in juris). Zwar ließe die in Ziffer 1 des Vertrags vom 5. Dezember 1983 angeführte Formulierung "D z VEB K M" ihrem Wortlaut nach die Auslegung zu, dass es den vertragsschließenden Parteien nur um den zeitweiligen Einsatz des Klägers im VEB ging und mithin ein Delegierungsvertrag nach § 50 AGB abgeschlossen werden sollte, der das bisherige Arbeitsverhältnis unberührt lassen wollte. Im Hinblick auf die Bezeichnung des Vertrages vom 5. Dezember 1984 als "Überleitungsvertrag", die Bezugnahme auf die §§ 51, 53 AGB sowie die Formulierung "aufgelöst" in Ziffer 1 des Vertrages ergibt sich jedoch mit hinreichender Klarheit, dass die vertragsschließenden Parteien einen Überleitungsvertrag gemäß den §§ 51, 53 AGB schließen wollten und damit die Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers mit der VVB herbeiführten. Die missverständliche Verwendung des Begriffs "Delegierung" im Vertrag vom 5. Dezember 1983 ist möglicherweise eine "Nachwirkung" des Umstandes, dass vor dem Inkrafttreten des AGB die Begriffe Delegierung und Überleitung synonym verwendet wurden (vgl. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003, aaO). Eine andere Auslegung des Vertrags vom 5. Dezember 1983 ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht aus der "Anerkennung der Betriebszugehörigkeit bei der VVB" unter der Ziffer 4 des Vertrags. Diese reichlich unbestimmte Formulierung muss schon nach ihrem Wortlaut nicht im Sinne eines - im offenen Widerspruch zu der Ziffer 1 des Vertrags stehenden - Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses mit der VVB gedeutet werden. Ihre Aufnahme in den Vertrag unter Zuordnung zu dem Punkt "Zusätzliche Vereinbarungen", der, wie die im Klammerzusatz angeführten Beispiele zeigen, u.a. für Vereinbarungen über "übernommene Ansprüche" vorgesehen war, muss nach dem Gesamtzusammenhang so verstanden werden, dass damit der neue – der VVB damals angehörende – Arbeitgeber, der VEB, etwaige aufgrund der bisherigen Zugehörigkeit zur VVB erworbene Ansprüche des Klägers übernimmt. Maßgebend für die Prüfung der betrieblichen Voraussetzung ist dementsprechend nur der VEB als Arbeitgeber des Klägers, nicht aber die VVB. Der VEB war auch am Stichtag, dem 30. Juni 1990, noch Arbeitgeber des Klägers. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelte es sich bei dem VEB zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht um eine "leere Hülle" im Sinne der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteil vom 9. Juli 2008 – L 16 R 355/07 -, veröffentlicht in juris), denn der VEB wurde erst mit der Umwandlungserklärung vom 11. Juli 1990 in die K GmbH M/B umgewandelt. Entsprechend dieser Erklärung wurden "mit Stichtag vom 1.5.90" das Vermögen aus der bisherigen Fondsinhaberschaft des VEB von dieser Vor-GmbH übernommen. Soweit die Umwandlungerklärung damit für den Übergang des Vermögens des VEB rückwirkend den 1. Mai 1990 als Stichtag fingierte, kommt dem für die versorgungsrechtlich maßgebliche Frage, welches Rechtssubjekt am 30. Juni 1990 tatsächlich wirtschaftlich tätig war, keine Bedeutung zu.
Bei dem VEB handelte es sich nicht um einen volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens. Denn der Hauptzweck des VEB, auf den abzustellen ist, bestand nicht in der regelmäßig wiederkehrenden, serienmäßigen Massenproduktion von Sachgütern oder Bauleistungen (zu diesem Erfordernis vgl. BSG, Urteil vom 08. Juni 2004 – B 4 RA 57/03 R = SozR 4-8570 § 1 Nr. 3). Im Hinblick auf die in der Präambel zur AVTI-VO zum Ausdruck gekommene Zielsetzung des Versorgungssystems war allein die Beschäftigung in einem Betrieb, der die Massenproduktion von Gütern zum Gegenstand hatte, von Bedeutung für die Einbeziehung in die Versorgung. Dem lag das so genannte fordistische Produktionsmodell zu Grunde, das auf stark standardisierter Massenproduktion und Konstruktion von Gütern mit Hilfe spezialisierter, monofunktionaler Maschinen beruhte. Der Massenausstoß standardisierter Produkte sollte hohe Produktionsgewinne nach den Bedingungen der Planwirtschaft ermöglichen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. August 2007 – B 4 RS 3/06 R – veröffentlicht in juris, zur Veröffentlichung im SozR vorgesehen).
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens war indes der Hauptzweck der betrieblichen Tätigkeit des VEB nicht die Massenproduktion von Sachgütern im vorgenannten Sinn, sondern vielmehr das Kühlen verderblicher Produkte und der zum Teil grenzüberschreitende (Groß-)Handel mit diesen Produkten. Nach der vom Kläger gegebenen Beschreibung des Aufgaben- und Leistungsspektrums des VEB wurde zwar daneben Eiskrem in einem besonderen Betriebsteil hergestellt. Der Kläger hat jedoch nicht behauptet und es sind auch sonst keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Herstellung von Eiskrem den Schwerpunkt der Tätigkeit des VEB gebildet und ihr mithin das "Gepräge" gegeben hätte. Der Kläger war am Stichtag auch nicht in einem Betrieb beschäftigt, der gemäß § 1 Abs. 2 der 2. DB einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens gleichgestellt war. Der VEB gehörte ersichtlich nicht zu den in § 1 Abs. 2 der 2. DB genannten Einrichtungen und Betrieben bzw. Verwaltungen.
Eine erweiternde Auslegung über die in § 1 Abs. 1 AAÜG angelegte Modifikation hinaus, die eine Einbeziehung des Klägers in das AAÜG ermöglichte, ist nicht zulässig; es besteht ein Analogieverbot ( BSG, Urteil vom 07. September 2006 – B 4 RA 41/05 R = SozR 4-8570 § 1 Nr. 11; BSG, Beschluss vom 13. Februar 2008 – B 4 RS 133/07 B – veröffentlicht in juris – m. w. Nachw.). Diese verfassungsrechtliche Wertung des BSG, die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt (vgl. z. B. Beschluss vom 04. August 2004 – 1 BvR 1557/01 = SozR 4-8570 § 5 Nr. 4; Beschluss vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04 = SozR 4-8560 § 22 Nr. 1).
Schließlich hätte der Kläger auch dann keinen fiktiven Anspruch auf Einbeziehung in die AVTI, wenn sein Arbeitsverhältnis mit der VVB nicht mit dem Vertrag vom 5. Dezember 1983 auf den VEB übergeleitet worden wäre. Zwar sind Vereinigungen volkseigener Betriebe nach § 1 Abs. 2 der 2. DB volkseigenen Produktionsbetrieben gleichgestellt. Zum maßgeblichen Stichtag, dem 30. Juni 1990, war die VVB jedoch nicht mehr existent und konnte mithin auch nicht mehr als Arbeitgeberin fungieren. Wie sich aus der Eintragung vom 15. März 1984 und der Löschung vom selben Tage in den vorliegenden Auszügen aus dem Register der volkseigenen Wirtschaft ergibt, war aufgrund ministerieller Weisung vom 8. Dezember 1983 das volkseigene Kombinat Kühl- und Lagerwirtschaft mit Wirkung zum 1. Januar 1984 gegründet und zugleich die VVB aufgelöst worden. Die Nachfolgeeinrichtung, das volkseigene Kombinat Kühl- und Lagerwirtschaft, ist indes den gleichgestellten Betrieben nach § 1 Abs. 2 der 2. DB nicht zuzuordnen, weil volkseigene Kombinate in dieser Vorschrift nicht aufgeführt sind und eine erweiternde Auslegung der 2. DB – wie dargelegt – ausscheidet. Darauf, ob ein etwaiges Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der VVB auf diese Nachfolgeeinrichtung übergegangen wäre, kommt es mithin nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, für Beschäftigungszeiten des Klägers vom 1. April 1973 bis 30. Juni 1990 Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVTI) sowie die entsprechenden Arbeitsentgelte festzustellen.
Der 1948 geborene Kläger erwarb nach einem Studium an der Technischen Hochschule O v G M den akademischen Grad "Diplom-Ingenieur" (Urkunde vom 27. April 1972) und arbeitete bis zum 31. März 1973 als wissenschaftlicher Assistent an dieser Hochschule. Vom 1. April 1973 bis 31. Dezember 1983 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der V V B K- und L (im Folgenden: VVB) in Berlin beschäftigt. Am 5. Dezember 1983 schloss der Kläger mit der VVB sowie dem Volkseigenen Betrieb K M (im Folgenden: VEB) einen "Überleitungsvertrag". Danach wurde der Arbeitsvertrag zwischen der VVB und dem Kläger "gemäß § 51, 53 AGB" wegen Delegierung zum VEB zum 31. Dezember 1983 aufgelöst und der Kläger ab 1. Januar 1984 als "Betriebsteilleiter" des VEB mit der Leitung des Kühlhauses in B betraut. Zusätzlich wurde u.a. vereinbart: "Anerkennung der Betriebszugehörigkeit bei der VVB". Zum Aufgaben- und Leistungsspektrum des VEB gehörten das Kühlen, Gefrieren und Lagern von Lebensmitteln und sonstigen verderblichen Produkten, die Produktion von Eiskrem in einem gesonderten Betriebsteil, der Handel mit tiefgekühlten Fertigwaren und Eiskrem sowie der Import und Export dieser Produkte. Dem Betriebsleiter des Kühlhauses B oblag die technische, kaufmännische, personelle und logistische Betriebsführung dieses Betriebsteils. Der Kläger, der zum 1. Juli 1988 der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) beigetreten war, blieb ausweislich der Angaben im Sozialversicherungsausweis bis 31. Dezember 1990 als Leiter des Kühlhauses B bei dem VEB beschäftigt, der mit der Erklärung vom 11. Juli 1990 in die am 25. September 1990 in das Handelsregister eingetragene K GmbH M/B umgewandelt worden war. Eine Versorgungszusage hatte er nicht erhalten.
Mit Bescheid vom 30. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2005 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG vom 1. April 1972 bis 30. Juni 1990 ab mit der Begründung, dass der Kläger am 30. Juni 1990 keine Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens im Sinne der einschlägigen Versorgungsordnung und auch nicht in einem diesen Betrieben gleichgestellten Betrieb ausgeübt habe. Das AAÜG sei daher auf den Kläger nicht anwendbar.
Mit der Klage hat der Kläger beantragt, den Zeitraum vom 1. April 1973 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVTI sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen. Mit Gerichtsbescheid vom 10. November 2006 hat das Sozialgericht (SG) Potsdam die Klage unter Verweis auf den Widerspruchsbescheid abgewiesen und ergänzend ausgeführt: Der rechtlich selbständige VEB, für den der Kläger vom 1. Januar 1984 bis zum Stichtag 30. September 1990 tätig gewesen sei, habe nicht zu den Produktionsbetrieben gezählt. Sein Hauptzweck sei nicht die industrielle Herstellung von Sachgütern gewesen, denn er sei nicht den Wirtschaftsbereichen 1 (Industrie) oder 2 (Bauwirtschaft), sondern der Wirtschaftsgruppe 53310 (Kühl- und Lagerwirtschaft – Kühlbetriebe -) zugeordnet gewesen.
Mit der Berufung trägt der Kläger vor: Sein Arbeitsvertrag mit dem VEB ab 1. Januar 1984 habe seine Anwartschaft auf die Zugehörigkeit zur AVTI nicht beeinflusst. Aufgrund seines bestehenden Arbeitsvertrags vom 21. März 1973 sei seine Betriebszugehörigkeit zu der VVB erhalten geblieben. Die ausdrückliche Anerkennung der Betriebszugehörigkeit zur VVB im Überleitungsvertrag vom 5. Dezember 1983 sei unter Berücksichtigung des damaligen Sprachgebrauchs dahingehend auszulegen, dass er weiterhin zur VVB gehörte, die volkseigenen Produktionsbetrieben gleichgestellt gewesen sei. Es komme nicht darauf an, dass er tatsächlich im VEB tätig gewesen sei. Versorgungsrechtlich sei nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. Januar 2003 – B 4 RA 20/03 R - vielmehr auf den Betrieb des Arbeitgebers abzustellen. Ausweislich der Verwaltungsakten habe die Beklagte für ihn - den Kläger - auch ein Zusatzversorgungskonto geführt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 10. November 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 30. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2005 zu verurteilen, die Beschäftigungszeiten vom 1. April 1973 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz und die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor: Beschäftigungsbetrieb des Klägers sei nicht die VVB, sondern der rechtlich selbständige VEB gewesen. Dieser habe keine industrielle, also serienmäßige wiederkehrende Produktion betrieben. Sein Aufgabenspektrum kennzeichne ihn vielmehr als industriellen Dienstleister und als Handelsunternehmen im Bereich der Lebensmittelwirtschaft.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zum Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den nachgereichten Schriftsatz des Klägers vom 26. September 2008 Bezug genommen.
Die Zusatzversorgungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist nicht begründet.
Die Klage ist zwar zulässig. Insbesondere besteht ein schutzwürdiges Interesse des Klägers an einem gesonderten gerichtlichen Verfahren gegen die Beklagte zur isolierten Überprüfung der von ihr insoweit abgelehnten Datenfeststellungen nach dem AAÜG. Denn neben der vorliegenden Klage auf Vormerkung der begehrten Daten ist ein Rentenstreitverfahren gegen die Beklagte nicht anhängig (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. August 2007 – B 4 RS 7/06 R – veröffentlicht in juris, zur Veröffentlichung im SozR vorgesehen). Zuständiger Rentenversicherungsträger ist im Übrigen ohnehin nicht die Beklagte, sondern die Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 i. V. mit Abs. 1 AAÜG auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie gegebenenfalls der entsprechenden Arbeitsentgelte gemäß § 8 Abs. 2 AAÜG für den Zeitraum vom 1. April 1973 bis 30. Juni 1990. Das AAÜG ist auf den Kläger schon deshalb nicht anwendbar, weil er am 1. August 1991, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des AAÜG, keinen Versorgungsanspruch im Sinne von § 1 Satz 1 AAÜG hatte. Denn der Versorgungsfall (des Alters oder der Invalidität) war bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingetreten. Der Kläger war aber auch am 1. August 1991 nicht Inhaber einer Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Denn er hatte bis zum 30. Juni 1990 eine Versorgungszusage in der DDR nicht erhalten und ihm war auch nicht im Rahmen einer Einzelentscheidung eine Versorgung zugesagt worden. Die Beklagte hat zudem weder in den angefochtenen Bescheiden noch mit einem sonstigen Verwaltungsakt eine positive Statusentscheidung über die Anwendbarkeit des AAÜG getroffen. Soweit die Beklagte laut Kontospiegel vom 2. November 2004 für den Kläger ein Zusatzversorgungskonto angelegt hat, liegt darin mangels einer erkennbaren Regelungsabsicht keine Entscheidung über die Anwendbarkeit des AAÜG. Schließlich war der Kläger auch nicht auf Grund einer späteren Rehabilitierungsentscheidung in die AVTI einbezogen worden.
§ 1 Abs. 1 AAÜG ist zwar im Wege verfassungskonformer Auslegung dahin auszulegen, dass den tatsächlich einbezogenen Personen diejenigen gleichzustellen sind, die aus bundesrechtlicher Sicht aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage am 1. August 1991 einen (fingierten) Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (ständige Rechtsprechung des BSG: vgl. z. B. Urteile vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R = SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 und – B 4 RA 3/02 R = SozR 3-8570 § 1 Nr. 7 sowie vom 10. April 2002 – B 4 RA 18/01 R = SozR 3-8570 § 1 Nr. 8). Ein derartiger fiktiver Anspruch ist aber nur dann zu bejahen, wenn am Stichtag (30. Juni 1990) eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in dem betreffenden Versorgungssystem vorgesehen war (ständige Rechtsprechung: vgl. z. B. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 – B 4 RA 18/03 R = SozR 4-8570 § 1 Nr. 1; BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004 – B 4 RA 23/04 R = SozR 4-8570 § 1 Nr. 6). Allein maßgebend sind insoweit die Texte der Verordnung über die AVTI in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (AVTI-VO) vom 17. August 1950 (GBl. S. 844) und § 1 Abs. 1 der 2. Durchführungsbestimmung (DB) vom 24. Mai 1951 (GBl. S. 487), soweit diese am 30. Oktober 1990 zu sekundärem Bundesrecht geworden sind. Die genannten Vorschriften der DDR sind dabei unabhängig von deren Verwaltungs- und Auslegungspraxis allein nach bundesrechtlichen Kriterien auszulegen (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 3 S. 22; BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 – B 4 RA 11/04 R – veröffentlicht in juris). Von diesen Grundsätzen ausgehend liegt ein fingierter Anspruch im Bereich der AVTI nur vor, wenn der Betreffende zum Stichtag am 30. Juni 1990 drei Voraussetzungen erfüllt: Er muss 1. die Berechtigung gehabt haben, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), 2. eine der Berufsbezeichnung entsprechende Tätigkeit oder Beschäftigung verrichtet haben (sachliche Voraussetzung) und 3. die Beschäftigung oder die Tätigkeit in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem diesen Betrieben gleichgestellten Betrieb ausgeübt haben (betriebliche Voraussetzung: vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6; SozR 3-8570 § 1 Nr. 3).
Der Kläger war am 30. Juni 1990 berechtigt, den ihm durch die Technische Hochschule Ov G M verliehenen akademischen Grad "Diplom-Ingenieur" und mithin gemäß § 1 Abs. 1 lit. b der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12. April 1962 (GBl II S. 278) auch die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen. Die persönliche Voraussetzung ist auch deshalb erfüllt, weil der Kläger als "Betriebsteilleiter W B" zu den nach § 1 Abs. 1 der 2. DB in die AVTI einzubeziehenden "Werkdirektoren" zu zählen ist.
An dem genannten Stichtag war der Kläger auch als Werksdirektor beschäftigt und erfüllte damit auch die sachliche Voraussetzung für eine Einbeziehung in die AVTI.
Ein fingierter Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage scheitert jedoch daran, dass der Kläger nicht die betriebliche Voraussetzung erfüllte. Er war am 30. Juni 1990 weder in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs. 1 der 2. DB) noch in einem gleichgestellten Betrieb (§ 1 Abs. 2 der 2. DB) beschäftigt.
Ob die betriebliche Voraussetzung erfüllt ist, bestimmt sich danach, wer am Stichtag, dem 30. Juni 1990, Arbeitgeber im rechtlichen Sinne war (vgl. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 – B 4 RA 20/03 R – SozR 4-8570 § 5 Nr. 3). Entgegen der von dem Kläger vertretenen Rechtsauffassung, die er in dem nachgereichten Schriftsatz vom 26. September 2008 nochmals bekräftigt hat, war sein Arbeitgeber im vorgenannten Sinne am Stichtag der VEB und nicht die VVB. Denn der Arbeitsvertrag zwischen der VVB und dem Kläger vom 21. März 1973 war gemäß Ziffer 1 des als Überleitungsvertrag bezeichneten Vertrags vom 5. Dezember 1983 unter Bezugnahme auf die Bestimmungen der §§ 51, 53 des Arbeitsgesetzbuchs (AGB) der DDR vom 16. Juni 1977 (GBl. I S. 371) zum 31. Dezember 1983 aufgelöst worden. Der in den §§ 51, 53 AGB geregelte Überleitungsvertrag war eine spezielle Rechtsform der Aufhebung eines Arbeitsvertrags mit einem Betrieb (= Arbeitgeber) und des gleichzeitigen Abschlusses eines neuen Arbeitsvertrages mit einem anderen Betrieb (= neuen Arbeitgeber). Er diente der reibungslosen Überleitung des "Werktätigen" in einen anderen Betrieb und des einen Arbeitsverhältnisses in ein anderes (vgl. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 – B 4 RA 20/03 R, veröffentlicht in juris). Zwar ließe die in Ziffer 1 des Vertrags vom 5. Dezember 1983 angeführte Formulierung "D z VEB K M" ihrem Wortlaut nach die Auslegung zu, dass es den vertragsschließenden Parteien nur um den zeitweiligen Einsatz des Klägers im VEB ging und mithin ein Delegierungsvertrag nach § 50 AGB abgeschlossen werden sollte, der das bisherige Arbeitsverhältnis unberührt lassen wollte. Im Hinblick auf die Bezeichnung des Vertrages vom 5. Dezember 1984 als "Überleitungsvertrag", die Bezugnahme auf die §§ 51, 53 AGB sowie die Formulierung "aufgelöst" in Ziffer 1 des Vertrages ergibt sich jedoch mit hinreichender Klarheit, dass die vertragsschließenden Parteien einen Überleitungsvertrag gemäß den §§ 51, 53 AGB schließen wollten und damit die Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers mit der VVB herbeiführten. Die missverständliche Verwendung des Begriffs "Delegierung" im Vertrag vom 5. Dezember 1983 ist möglicherweise eine "Nachwirkung" des Umstandes, dass vor dem Inkrafttreten des AGB die Begriffe Delegierung und Überleitung synonym verwendet wurden (vgl. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003, aaO). Eine andere Auslegung des Vertrags vom 5. Dezember 1983 ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht aus der "Anerkennung der Betriebszugehörigkeit bei der VVB" unter der Ziffer 4 des Vertrags. Diese reichlich unbestimmte Formulierung muss schon nach ihrem Wortlaut nicht im Sinne eines - im offenen Widerspruch zu der Ziffer 1 des Vertrags stehenden - Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses mit der VVB gedeutet werden. Ihre Aufnahme in den Vertrag unter Zuordnung zu dem Punkt "Zusätzliche Vereinbarungen", der, wie die im Klammerzusatz angeführten Beispiele zeigen, u.a. für Vereinbarungen über "übernommene Ansprüche" vorgesehen war, muss nach dem Gesamtzusammenhang so verstanden werden, dass damit der neue – der VVB damals angehörende – Arbeitgeber, der VEB, etwaige aufgrund der bisherigen Zugehörigkeit zur VVB erworbene Ansprüche des Klägers übernimmt. Maßgebend für die Prüfung der betrieblichen Voraussetzung ist dementsprechend nur der VEB als Arbeitgeber des Klägers, nicht aber die VVB. Der VEB war auch am Stichtag, dem 30. Juni 1990, noch Arbeitgeber des Klägers. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelte es sich bei dem VEB zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht um eine "leere Hülle" im Sinne der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteil vom 9. Juli 2008 – L 16 R 355/07 -, veröffentlicht in juris), denn der VEB wurde erst mit der Umwandlungserklärung vom 11. Juli 1990 in die K GmbH M/B umgewandelt. Entsprechend dieser Erklärung wurden "mit Stichtag vom 1.5.90" das Vermögen aus der bisherigen Fondsinhaberschaft des VEB von dieser Vor-GmbH übernommen. Soweit die Umwandlungerklärung damit für den Übergang des Vermögens des VEB rückwirkend den 1. Mai 1990 als Stichtag fingierte, kommt dem für die versorgungsrechtlich maßgebliche Frage, welches Rechtssubjekt am 30. Juni 1990 tatsächlich wirtschaftlich tätig war, keine Bedeutung zu.
Bei dem VEB handelte es sich nicht um einen volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens. Denn der Hauptzweck des VEB, auf den abzustellen ist, bestand nicht in der regelmäßig wiederkehrenden, serienmäßigen Massenproduktion von Sachgütern oder Bauleistungen (zu diesem Erfordernis vgl. BSG, Urteil vom 08. Juni 2004 – B 4 RA 57/03 R = SozR 4-8570 § 1 Nr. 3). Im Hinblick auf die in der Präambel zur AVTI-VO zum Ausdruck gekommene Zielsetzung des Versorgungssystems war allein die Beschäftigung in einem Betrieb, der die Massenproduktion von Gütern zum Gegenstand hatte, von Bedeutung für die Einbeziehung in die Versorgung. Dem lag das so genannte fordistische Produktionsmodell zu Grunde, das auf stark standardisierter Massenproduktion und Konstruktion von Gütern mit Hilfe spezialisierter, monofunktionaler Maschinen beruhte. Der Massenausstoß standardisierter Produkte sollte hohe Produktionsgewinne nach den Bedingungen der Planwirtschaft ermöglichen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. August 2007 – B 4 RS 3/06 R – veröffentlicht in juris, zur Veröffentlichung im SozR vorgesehen).
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens war indes der Hauptzweck der betrieblichen Tätigkeit des VEB nicht die Massenproduktion von Sachgütern im vorgenannten Sinn, sondern vielmehr das Kühlen verderblicher Produkte und der zum Teil grenzüberschreitende (Groß-)Handel mit diesen Produkten. Nach der vom Kläger gegebenen Beschreibung des Aufgaben- und Leistungsspektrums des VEB wurde zwar daneben Eiskrem in einem besonderen Betriebsteil hergestellt. Der Kläger hat jedoch nicht behauptet und es sind auch sonst keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Herstellung von Eiskrem den Schwerpunkt der Tätigkeit des VEB gebildet und ihr mithin das "Gepräge" gegeben hätte. Der Kläger war am Stichtag auch nicht in einem Betrieb beschäftigt, der gemäß § 1 Abs. 2 der 2. DB einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens gleichgestellt war. Der VEB gehörte ersichtlich nicht zu den in § 1 Abs. 2 der 2. DB genannten Einrichtungen und Betrieben bzw. Verwaltungen.
Eine erweiternde Auslegung über die in § 1 Abs. 1 AAÜG angelegte Modifikation hinaus, die eine Einbeziehung des Klägers in das AAÜG ermöglichte, ist nicht zulässig; es besteht ein Analogieverbot ( BSG, Urteil vom 07. September 2006 – B 4 RA 41/05 R = SozR 4-8570 § 1 Nr. 11; BSG, Beschluss vom 13. Februar 2008 – B 4 RS 133/07 B – veröffentlicht in juris – m. w. Nachw.). Diese verfassungsrechtliche Wertung des BSG, die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt (vgl. z. B. Beschluss vom 04. August 2004 – 1 BvR 1557/01 = SozR 4-8570 § 5 Nr. 4; Beschluss vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04 = SozR 4-8560 § 22 Nr. 1).
Schließlich hätte der Kläger auch dann keinen fiktiven Anspruch auf Einbeziehung in die AVTI, wenn sein Arbeitsverhältnis mit der VVB nicht mit dem Vertrag vom 5. Dezember 1983 auf den VEB übergeleitet worden wäre. Zwar sind Vereinigungen volkseigener Betriebe nach § 1 Abs. 2 der 2. DB volkseigenen Produktionsbetrieben gleichgestellt. Zum maßgeblichen Stichtag, dem 30. Juni 1990, war die VVB jedoch nicht mehr existent und konnte mithin auch nicht mehr als Arbeitgeberin fungieren. Wie sich aus der Eintragung vom 15. März 1984 und der Löschung vom selben Tage in den vorliegenden Auszügen aus dem Register der volkseigenen Wirtschaft ergibt, war aufgrund ministerieller Weisung vom 8. Dezember 1983 das volkseigene Kombinat Kühl- und Lagerwirtschaft mit Wirkung zum 1. Januar 1984 gegründet und zugleich die VVB aufgelöst worden. Die Nachfolgeeinrichtung, das volkseigene Kombinat Kühl- und Lagerwirtschaft, ist indes den gleichgestellten Betrieben nach § 1 Abs. 2 der 2. DB nicht zuzuordnen, weil volkseigene Kombinate in dieser Vorschrift nicht aufgeführt sind und eine erweiternde Auslegung der 2. DB – wie dargelegt – ausscheidet. Darauf, ob ein etwaiges Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der VVB auf diese Nachfolgeeinrichtung übergegangen wäre, kommt es mithin nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
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