Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 KR 2201/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 B 506/08 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ist offen, ob die vom Versicherten gewählte Behandlungsmethode seiner mit zugelassenen Behandlungsmethoden nicht mehr kurativ behandelbaren akut lebensbedrohenden Erkrankung eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht, so hat die Folgenabwägung zu Gunsten des Versicherten und zu Lasten der Krankenversicherung zu erfolgen.
Ist im Eilverfahren eine Folgenabwägung vorzunehmen, darf dabei zu Lasten des Antragsgegners berücksichtigt werden, dass dieser mangels gebotener Sachaufklärung im Antragsverfahren die unklare Sachlage mitverursacht hat.
Ist im Eilverfahren eine Folgenabwägung vorzunehmen, darf dabei zu Lasten des Antragsgegners berücksichtigt werden, dass dieser mangels gebotener Sachaufklärung im Antragsverfahren die unklare Sachlage mitverursacht hat.
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. November 2008 wird abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, die Kosten der Immuntherapie-Behandlung durch den Arzt für Allgemeinmedizin/Naturheilverfahren AT, M B, ab sofort bis längstens 30. April 2009 mit folgenden Einzeltherapiemaßnahmen als ärztliche Leistungen bzw. (für Arzneimittel, Zubereitungen und Hilfsmittel oder ähnliches) nach ärztlicher Verordnung nach Maßgabe des Schreibens des Arztes T vom 21. Januar 2009 (Gerichtsakte Bl. 268) nach Rechnungsstellung zu erstatten: 1. Hyperthermie, zwei 15-Tages-Zyklen zu insgesamt 4.350,00 EUR, 2. Onkolytische Viren 3 x pro Woche, insgesamt 24 mal bis maximal 4.800,00 EUR 3. Dendritische Zellen, zwei Impfzyklen zu insgesamt 7.700,00 EUR 4. "Natürliche Killerzellen" –gewonnen aus Blutzellen der Schwester der Antragstellerin zu insgesamt 3.900,00 EUR. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das gesamte Eilverfahren zu erstatten.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde vom 18. Dezember 2008 ist in der Sache weitgehend begründet.
Zum Sachverhalt verweist der Senat auf die Darstellung im Beschluss des Sozialgerichts Berlin (SG) vom 20. November 2008.
Gemäß § 86 b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Hierfür sind grundsätzlich das Bestehen eines Anordnungsanspruches und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes erforderlich. Der Anordnungsanspruch bezieht sich dabei auf den geltend gemachten materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtschutz begehrt wird, die erforderliche Dringlichkeit betrifft den Anordnungsgrund. Die Tatsachen, die den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch begründen sollen, sind darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Entscheidungen dürfen dabei grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (ständige Rechtsprechung des Senats, siehe auch Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 596/05 -). Anders als das Sozialgericht (SG) im angefochtenen Beschluss ist der Senat der Auffassung, dass die erforderliche Aufklärung im vorliegenden Verfahren nicht möglich ist. Es kann nicht sicher genug davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin die Kosten der Behandlung nach der Immuntherapie des Arztes T nicht erstatten muss. Die deshalb erforderliche Folgenabwägung muss –mit Einschränkungen- jedenfalls für den jetzigen Zustand- zu Gunsten der Antragsstellerin ausfallen (ebenso bereits für die Behandlung mit dentritischen Zellen: B. des Senats v. 1. Dezember 2005 – L 1 B 1039/05 KRER –, juris):
Es ist mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar ist, den Einzelnen unter den Voraussetzungen des § 5 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterwerfen und für seine an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichteten Beiträge die notwendige Krankheitsbehandlung gesetzlich zuzusagen, ihn andererseits aber, wenn er an einer lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, für die schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen, von der Leistung einer bestimmten Behandlungsmethode durch die Krankenkasse auszuschließen und ihn auf eine Finanzierung der Behandlung außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung zu verweisen (so ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG- unter Bezugnahme auf BVerfGE 115, 25, 49). Die Krankenkasse muss also jedenfalls bei Vorliegen einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage, welche es geboten erscheinen lässt, auch solche ärztlich verantworteten Behandlungen in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung einbeziehen, bei denen der Nachweis einer dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechenden Qualität und Wirksamkeit der Behandlung (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) noch nicht erbracht ist. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings gleichzeitig betont, dass aus den Grundrechten regelmäßig kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Bereitstellung bestimmter und insbesondere spezieller Gesundheitsleistungen folgt, und die gesetzlichen Krankenkassen nicht von Verfassungs wegen gehalten sind, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. Es hat weiter darauf hingewiesen, dass es dem Gesetzgeber nicht verwehrt ist, zur Sicherung der Qualität der Leistungserbringung, im Interesse der Gleichbehandlung der Versicherten und zum Zweck der Ausrichtung der Leistungen am Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit ein Verfahren vorzusehen, in dem neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung auf ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sachverständig geprüft werden, um die Anwendung dieser Methoden auf eine fachlich-medizinisch zuverlässige Grundlage zu stellen (so insgesamt wörtlich BVerfG, B. v. 30. Juni 2008 -1 BvR 1665/07). Die Klage –bzw. das neue Antragsverfahren, welches durch die geänderte nunmehr begehrte Therapie mit Zellen der Schwester in Gang gekommen ist- erscheint derzeit aber nicht offensichtlich unbegründet. Ob die von der Antragstellerin als Versicherte gewählte Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht, erscheint offen.
Die Antragstellerin ist 1972 geboren. Bei ihr wurde 2006 ein Glioblastom festgestellt, das mittlerweile mit zugelassenen Behandlungsmethoden der gesetzlichen Krankenversicherung kurativ nicht mehr behandelbar ist. Sie lässt sich seit Juni 2008 von dem Arzt T behandeln, der für seine Therapie verschiedene Methoden kombiniert, welche jede für sich alleine, und auch kombiniert, keine für die vertragsärztliche Behandlung zugelassenen (Neue Behandlungs-)Methoden sind. Ihren Antrag auf Kostenerstattung lehnte die Antragsgegnerin ab, insoweit ist mittlerweile Klage vor dem SG erhoben. Seit November 2008 ist bzw. soll die Therapie geändert werden, indem statt eigenen Zellen solche der Schwester verwendet werden oder werden sollen.
Die einzelnen Methoden sind –soweit ersichtlich- alle Gegenstand der (schulmedizinischen) Forschung. Ihre Therapiewirksamkeit ist nach den vorgelegten und eingeführten Unterlagen zwar nicht evident belegt, aber umgekehrt auch nicht ausgeschlossen. Die konkrete Kombination in der Behandlung durch den Arzt für Allgemeinmedizin T erscheint nicht unschlüssig und steht in Einklang mit –schulmedizinischen- Konzepten der Tumorbehandlung jenseits der Chemotherapie. Dass die vorgenommene konkrete Behandlung durch die erforderliche pallitative Behandlung der Begleiterscheinungen des Tumors unwirksam sein muss, lässt sich für den Senat nicht sicher genug annehmen.
Insgesamt lässt sich die maßgebliche Frage, ob die Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht, nicht sicher genug verneinen. Möglicherweise hat demnach die Antragsgegnerin die Behandlung der Antragsstellerin und Versicherten gegenüber als Krankenbehandlung nach § 11 Abs. 1 (SGB V) zu erbringen – und (– muss wenn eine Sachleistung ausscheidet – die Kosten nach § 13 Abs. 2 oder 3 SGB V erstatten. Dies lehnt sie auch aktuell ausweislich ihres Schriftsatzes vom 21. Januar 2009, der hier erst am 28. Januar 2009 eingegangen ist, strikt ab.
Es ist auch nicht sicher absehbar, dass ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V ausscheidet, wie die Antragsgegnerin nunmehr einwendet: Für das Eilverfahren ist bereits dieser Beschluss Rechtsgrundlage der Zahlungspflicht. Die Antragsgegnerin muss nach Vorlage der Rechnung bezahlen, ohne Einwendungen gegen die Fälligkeit vorbringen zu können. Im Übrigen kann vor dem – jetzigen – Behandlungsbeginn noch ein schriftlicher Vertrag abgeschlossen werden. Die Antragsgegnerin sei allerdings darauf hingewiesen, dass es in der Hauptsache von vornherein um einen Anspruch außerhalb des Systems geht, der also auf einfachrechtlicher Ebene nicht geregelt ist.
Die Folgenabwägung hat hier –mit Einschränkungen- zu Gunsten der Antragstellerin zu erfolgen. Ohne die Behandlung kann die zum baldigen Tode führende Erkrankung nur noch in ihren Auswirkungen gelindert werden. Die Immuntherapie verlängert möglicherweise das Leben bzw. mildert die Erkrankung. Dagegen stehen die hohen Kosten von ca. bis zu 20.750,00 EUR, welche die Antragsgegnerin für eine zweifelhafte Behandlung vorzustrecken hat. Maßgeblich für die Stattgabe ist für den Senat aber, dass die Antragsgegnerin es durch die völlig unzureichende Prüfung (dazu sogleich) des ursprünglichen Antrages im Juni 2008 wesentlich verursacht hat, dass der Sachverhalt noch so offen ist.
Der Anspruch auf einstweilige Verpflichtung zur Kostenübernahme war für den Zeitraum eines viertel Jahres und nur für die konkret bezeichneten Behandlungsmaßnahmen auszusprechen. Das Erfordernis einer dringlichen Regelung ist hier (nur) für die Zukunft gegeben. Die Antragstellerin hat glaubhaft und hinreichend dargelegt, die künftigen Behandlungskosten nicht aus eigenem Vermögen oder laufenden Einnahmen – etwa weiteren Zuwendungen durch die Familie – vorstrecken zu können. Zu einer noch weiter in die Zukunft als für drei Monate reichenden Regelung besteht derzeit nicht das Erfordernis besonderer Dringlichkeit, auch wenn die gerichtliche Sachaufklärung im bereits anhängigen Klageverfahren voraussichtlich länger andauern wird. Es muss der Antragsgegnerin unbenommen bleiben, den – neuen Antrag – nach Durchführung der erforderlichen eigenen Sachaufklärung gegebenenfalls negativ zu bescheiden. Die bisherig einzige von ihr eingeholte Stellungnahme des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK) ist ohne die erforderliche Kenntnis der gesamten Krankenakte, ohne eigene Untersuchung und aufgrund einer unzureichenden Fragestellung erfolgt, letzteres obwohl der Antragsgegnerin bereits die Kopie eines Gutachtens des MDK in Bayern vorgelegen hatte, welche die maßgeblichen Fragen aufgeführt hat. Da die Erkrankung hier unstreitig binnen kurzer Zeit ohne Behandlung zum Tode führt und –wohl ebenso unstreitig- die kurative Heilmethode einer Form der Chemotherapie hier nicht durchführbar ist-, wird es maßgeblich darauf ankommen, ob die Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht. Binnen drei Monaten müsste die Antragsgegnerin auch wie geboten ermitteln können, ob ein ähnliches oder alternatives Therapiekonzept als Sachleistung in anderer Form (stationär) erbracht werden kann. Sie kann auch ihre bislang bloße Behauptung, der Behandler sei ein fachlich ungeeigneter Therapeut, der fachärztliche Standards nicht einhalte, gegebenenfalls verifizieren.
Hinsichtlich sämtlicher Ansprüche für die Vergangenheit bis zum heutigen Zeitpunkt fehlt es an einer Eilbedürftigkeit. Die vorläufige Leistungspflicht ist nur ab sofort zu gewähren, da nur für die Befriedigung des gegenwärtigen und zukünftigen Bedarfes die besondere Dringlichkeit einer vorläufigen Entscheidung gegeben ist. Bislang ist der Antragstellerin die Bezahlung der Behandlung selbst möglich gewesen. Für eine rückwirkende Gewährung fehlt es an einer entsprechenden konkreten Begründung, dass dies aus jetziger Sicht unzumutbar ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG entsprechend. Es entspricht billigem Ermessen, der Antragsgegnerin die Kosten voll aufzuerlegen, weil der Antrag im Wesentlichen Erfolg hat. Die Zurückweisung ist primär dem Zeitablauf geschuldet.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Die zulässige Beschwerde vom 18. Dezember 2008 ist in der Sache weitgehend begründet.
Zum Sachverhalt verweist der Senat auf die Darstellung im Beschluss des Sozialgerichts Berlin (SG) vom 20. November 2008.
Gemäß § 86 b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Hierfür sind grundsätzlich das Bestehen eines Anordnungsanspruches und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes erforderlich. Der Anordnungsanspruch bezieht sich dabei auf den geltend gemachten materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtschutz begehrt wird, die erforderliche Dringlichkeit betrifft den Anordnungsgrund. Die Tatsachen, die den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch begründen sollen, sind darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Entscheidungen dürfen dabei grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (ständige Rechtsprechung des Senats, siehe auch Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 596/05 -). Anders als das Sozialgericht (SG) im angefochtenen Beschluss ist der Senat der Auffassung, dass die erforderliche Aufklärung im vorliegenden Verfahren nicht möglich ist. Es kann nicht sicher genug davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin die Kosten der Behandlung nach der Immuntherapie des Arztes T nicht erstatten muss. Die deshalb erforderliche Folgenabwägung muss –mit Einschränkungen- jedenfalls für den jetzigen Zustand- zu Gunsten der Antragsstellerin ausfallen (ebenso bereits für die Behandlung mit dentritischen Zellen: B. des Senats v. 1. Dezember 2005 – L 1 B 1039/05 KRER –, juris):
Es ist mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar ist, den Einzelnen unter den Voraussetzungen des § 5 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterwerfen und für seine an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichteten Beiträge die notwendige Krankheitsbehandlung gesetzlich zuzusagen, ihn andererseits aber, wenn er an einer lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, für die schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen, von der Leistung einer bestimmten Behandlungsmethode durch die Krankenkasse auszuschließen und ihn auf eine Finanzierung der Behandlung außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung zu verweisen (so ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG- unter Bezugnahme auf BVerfGE 115, 25, 49). Die Krankenkasse muss also jedenfalls bei Vorliegen einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage, welche es geboten erscheinen lässt, auch solche ärztlich verantworteten Behandlungen in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung einbeziehen, bei denen der Nachweis einer dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechenden Qualität und Wirksamkeit der Behandlung (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) noch nicht erbracht ist. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings gleichzeitig betont, dass aus den Grundrechten regelmäßig kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Bereitstellung bestimmter und insbesondere spezieller Gesundheitsleistungen folgt, und die gesetzlichen Krankenkassen nicht von Verfassungs wegen gehalten sind, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. Es hat weiter darauf hingewiesen, dass es dem Gesetzgeber nicht verwehrt ist, zur Sicherung der Qualität der Leistungserbringung, im Interesse der Gleichbehandlung der Versicherten und zum Zweck der Ausrichtung der Leistungen am Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit ein Verfahren vorzusehen, in dem neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung auf ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sachverständig geprüft werden, um die Anwendung dieser Methoden auf eine fachlich-medizinisch zuverlässige Grundlage zu stellen (so insgesamt wörtlich BVerfG, B. v. 30. Juni 2008 -1 BvR 1665/07). Die Klage –bzw. das neue Antragsverfahren, welches durch die geänderte nunmehr begehrte Therapie mit Zellen der Schwester in Gang gekommen ist- erscheint derzeit aber nicht offensichtlich unbegründet. Ob die von der Antragstellerin als Versicherte gewählte Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht, erscheint offen.
Die Antragstellerin ist 1972 geboren. Bei ihr wurde 2006 ein Glioblastom festgestellt, das mittlerweile mit zugelassenen Behandlungsmethoden der gesetzlichen Krankenversicherung kurativ nicht mehr behandelbar ist. Sie lässt sich seit Juni 2008 von dem Arzt T behandeln, der für seine Therapie verschiedene Methoden kombiniert, welche jede für sich alleine, und auch kombiniert, keine für die vertragsärztliche Behandlung zugelassenen (Neue Behandlungs-)Methoden sind. Ihren Antrag auf Kostenerstattung lehnte die Antragsgegnerin ab, insoweit ist mittlerweile Klage vor dem SG erhoben. Seit November 2008 ist bzw. soll die Therapie geändert werden, indem statt eigenen Zellen solche der Schwester verwendet werden oder werden sollen.
Die einzelnen Methoden sind –soweit ersichtlich- alle Gegenstand der (schulmedizinischen) Forschung. Ihre Therapiewirksamkeit ist nach den vorgelegten und eingeführten Unterlagen zwar nicht evident belegt, aber umgekehrt auch nicht ausgeschlossen. Die konkrete Kombination in der Behandlung durch den Arzt für Allgemeinmedizin T erscheint nicht unschlüssig und steht in Einklang mit –schulmedizinischen- Konzepten der Tumorbehandlung jenseits der Chemotherapie. Dass die vorgenommene konkrete Behandlung durch die erforderliche pallitative Behandlung der Begleiterscheinungen des Tumors unwirksam sein muss, lässt sich für den Senat nicht sicher genug annehmen.
Insgesamt lässt sich die maßgebliche Frage, ob die Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht, nicht sicher genug verneinen. Möglicherweise hat demnach die Antragsgegnerin die Behandlung der Antragsstellerin und Versicherten gegenüber als Krankenbehandlung nach § 11 Abs. 1 (SGB V) zu erbringen – und (– muss wenn eine Sachleistung ausscheidet – die Kosten nach § 13 Abs. 2 oder 3 SGB V erstatten. Dies lehnt sie auch aktuell ausweislich ihres Schriftsatzes vom 21. Januar 2009, der hier erst am 28. Januar 2009 eingegangen ist, strikt ab.
Es ist auch nicht sicher absehbar, dass ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V ausscheidet, wie die Antragsgegnerin nunmehr einwendet: Für das Eilverfahren ist bereits dieser Beschluss Rechtsgrundlage der Zahlungspflicht. Die Antragsgegnerin muss nach Vorlage der Rechnung bezahlen, ohne Einwendungen gegen die Fälligkeit vorbringen zu können. Im Übrigen kann vor dem – jetzigen – Behandlungsbeginn noch ein schriftlicher Vertrag abgeschlossen werden. Die Antragsgegnerin sei allerdings darauf hingewiesen, dass es in der Hauptsache von vornherein um einen Anspruch außerhalb des Systems geht, der also auf einfachrechtlicher Ebene nicht geregelt ist.
Die Folgenabwägung hat hier –mit Einschränkungen- zu Gunsten der Antragstellerin zu erfolgen. Ohne die Behandlung kann die zum baldigen Tode führende Erkrankung nur noch in ihren Auswirkungen gelindert werden. Die Immuntherapie verlängert möglicherweise das Leben bzw. mildert die Erkrankung. Dagegen stehen die hohen Kosten von ca. bis zu 20.750,00 EUR, welche die Antragsgegnerin für eine zweifelhafte Behandlung vorzustrecken hat. Maßgeblich für die Stattgabe ist für den Senat aber, dass die Antragsgegnerin es durch die völlig unzureichende Prüfung (dazu sogleich) des ursprünglichen Antrages im Juni 2008 wesentlich verursacht hat, dass der Sachverhalt noch so offen ist.
Der Anspruch auf einstweilige Verpflichtung zur Kostenübernahme war für den Zeitraum eines viertel Jahres und nur für die konkret bezeichneten Behandlungsmaßnahmen auszusprechen. Das Erfordernis einer dringlichen Regelung ist hier (nur) für die Zukunft gegeben. Die Antragstellerin hat glaubhaft und hinreichend dargelegt, die künftigen Behandlungskosten nicht aus eigenem Vermögen oder laufenden Einnahmen – etwa weiteren Zuwendungen durch die Familie – vorstrecken zu können. Zu einer noch weiter in die Zukunft als für drei Monate reichenden Regelung besteht derzeit nicht das Erfordernis besonderer Dringlichkeit, auch wenn die gerichtliche Sachaufklärung im bereits anhängigen Klageverfahren voraussichtlich länger andauern wird. Es muss der Antragsgegnerin unbenommen bleiben, den – neuen Antrag – nach Durchführung der erforderlichen eigenen Sachaufklärung gegebenenfalls negativ zu bescheiden. Die bisherig einzige von ihr eingeholte Stellungnahme des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK) ist ohne die erforderliche Kenntnis der gesamten Krankenakte, ohne eigene Untersuchung und aufgrund einer unzureichenden Fragestellung erfolgt, letzteres obwohl der Antragsgegnerin bereits die Kopie eines Gutachtens des MDK in Bayern vorgelegen hatte, welche die maßgeblichen Fragen aufgeführt hat. Da die Erkrankung hier unstreitig binnen kurzer Zeit ohne Behandlung zum Tode führt und –wohl ebenso unstreitig- die kurative Heilmethode einer Form der Chemotherapie hier nicht durchführbar ist-, wird es maßgeblich darauf ankommen, ob die Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht. Binnen drei Monaten müsste die Antragsgegnerin auch wie geboten ermitteln können, ob ein ähnliches oder alternatives Therapiekonzept als Sachleistung in anderer Form (stationär) erbracht werden kann. Sie kann auch ihre bislang bloße Behauptung, der Behandler sei ein fachlich ungeeigneter Therapeut, der fachärztliche Standards nicht einhalte, gegebenenfalls verifizieren.
Hinsichtlich sämtlicher Ansprüche für die Vergangenheit bis zum heutigen Zeitpunkt fehlt es an einer Eilbedürftigkeit. Die vorläufige Leistungspflicht ist nur ab sofort zu gewähren, da nur für die Befriedigung des gegenwärtigen und zukünftigen Bedarfes die besondere Dringlichkeit einer vorläufigen Entscheidung gegeben ist. Bislang ist der Antragstellerin die Bezahlung der Behandlung selbst möglich gewesen. Für eine rückwirkende Gewährung fehlt es an einer entsprechenden konkreten Begründung, dass dies aus jetziger Sicht unzumutbar ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG entsprechend. Es entspricht billigem Ermessen, der Antragsgegnerin die Kosten voll aufzuerlegen, weil der Antrag im Wesentlichen Erfolg hat. Die Zurückweisung ist primär dem Zeitablauf geschuldet.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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